Repräsentative Umfrage: Deutsche wollen aktives und kooperatives Auftreten der Bundesregierung in Europa

Pressemitteilung

Die Bürgerinnen und Bürger sehen die Versprechen der Bundesregierung in der Europapolitik bisher nicht eingelöst. Die Mehrheit unterstützt einen EU-Fonds für den klimaneutralen Umbau der Industrie. Auch die europäische Verteidigungsfähigkeit und Energieunabhängigkeit sind den Deutschen wichtig.

Nach Meinung der Bürgerinnen und Bürger wird die Bundesregierung in der Europapolitik ihrem Versprechen aus dem Koalitionsvertrag bislang nicht gerecht. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung und des Progressiven Zentrums. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Koalition einer „aktiven Europapolitik“ und einem „konstruktiven Gestaltungsanspruch“ in der EU verschrieben. 74,6 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass die Bundesregierung ihrem Gestaltungsanspruch auf EU-Ebene bisher nicht gerecht wird. 19,9 Prozent sagen, dass die Regierung dieses Versprechen einlöst. Das Auftreten Deutschlands in der EU nehmen 51,6 Prozent der Befragten in letzter Zeit als weniger aktiv wahr. 37,1 Prozent bewerten das Verhalten der Bundesregierung in Europa als aktiv. Eine deutliche Mehrheit von 66,6 Prozent wünscht sich zukünftig eine aktive Rolle Deutschlands in der EU. Zudem befürworten 69,8 Prozent ein kooperatives Auftreten der Bundesregierung in Europa.

Die Umfrage hat auch untersucht, in welchen Bereichen sich die Bürgerinnen und Bürger Fortschritte in der Europapolitik erhoffen: 55,8 Prozent der Deutschen würden es begrüßen, wenn die EU-Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Investitionsfonds für den klimaneutralen Umbau der Industrie schaffen würden. 35,4 Prozent der Befragten sprechen sich dagegen aus. Nach Meinung der Deutschen sind die europäische Verteidigungsfähigkeit und Energieunabhängigkeit derzeit die wichtigsten Ziele der EU. Die Bürgerinnen und Bürgerinnen sehen außerdem institutionellen Reformbedarf, bevor die EU weitere Mitgliedstaaten aufnimmt: 57,9 Prozent der Befragten meinen, dass die Veto-Möglichkeit für einzelne Länder vor einer EU-Erweiterung abgeschafft werden sollte.

Die Langzeitstudie „Selbstverständlich europäisch?!“ wurde in diesem Jahr zum fünften Mal in Folge durchgeführt. Auch in diesem Jahr überwiegen für eine Mehrheit der Befragten (58,7 Prozent) die Vorteile der EU-Mitgliedschaft Deutschlands. 37,7 Prozent sehen allerdings mehr Nach- als Vorteile, dies entspricht einem Plus von 7 Prozentpunkten im Vergleich zu 2022. Im Besonderen sind die Deutschen vom politischen Nutzen der EU überzeugt: 61 Prozent der Befragten sagen, dass Deutschland seine politischen Ziele eher mit als ohne die EU erreichen kann. Den wirtschaftlichen Nutzen der EU sehen derzeit nur 46,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Dieser pessimistischere Blick könnte in der derzeitigen allgemeinen wirtschaftlichen Verunsicherung begründet liegen.

"Die Bürgerinnen und Bürger fordern von der Bundesregierung eine aktivere Europapolitik. Die Ampel-Koalition sollte kurzfristiges Krisenmanagement und langfristige Zukunftsgestaltung kohärent in europäischen Lösungen miteinander verbinden. Noch hat die Bundesregierung ihr Gestaltungsversprechen in der Europapolitik nicht eingelöst" sagt Dr. Johannes Hillje, Ko-Autor der Studie und Policy Fellow beim Progressiven Zentrum. Ko-Autorin Dr. Christine Pütz, Heinrich-Böll-Stiftung, erklärt dazu: "Angesichts der derzeitigen Verunsicherungen sollte Europa als wirtschaftliches und soziales Gemeinschaftsprojekt gezielt gestärkt werden. Dazu gehören auch Investitionen in die sozial gerechte Transformation zur Klimaneutralität. Die Bundesregierung kann hierbei auf die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für einen grünen Industriefonds der EU setzen."

Jan Philipp Albrecht, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, kommentiert die Umfrageergebnisse wie folgt: “Die Erwartungen der Deutschen an die Europäische Union sind groß – das ist eine gute Nachricht. Doch aktuell wird die Bundesregierung diesen Erwartungen nicht gerecht. Dabei wäre ihr Impuls notwendig, um die EU so zu verändern, dass sie in der Lage ist, die sozial-ökologische Transformation in Europa zu gestalten und eine adäquate europäische Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act zu geben. Mit mehr Integration und mehr gemeinsamer Investition.“

Für die Studie „Selbstverständlich europäisch!? 2023 – Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die deutsche Europapolitik in der Zeitenwende“ hat das Meinungsforschungsinstitut Civey im Februar 2023 online 5.000 Personen befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland ab 18 Jahren.

Die Studie finden Sie als download (ab 23.03.2023 um 10.00 Uhr) auf www.boell.de und www.progressives-zentrum.org

 

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