Carbon Farming: Greenwashing durch Humuszertifikate?

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Weil Böden mehr Kohlenstoff als Wälder speichern, werden sie zunehmend als Klimaschutzinstrument diskutiert. Der Verkauf von CO₂-Zertifikaten soll den Aufbau von Kohlenstoff in Böden fördern. In der Realität droht er jedoch Emissionsreduktionen zu untergraben.

Das Wort Humus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Erdboden. Er entsteht unter anderem, wenn Mikroorganismen organisches Material zersetzen
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Das Wort Humus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Erdboden. Er entsteht unter anderem, wenn Mikroorganismen organisches Material zersetzen

Böden speichern große Mengen Kohlenstoff. Schätzungen von 2017 gehen von 680 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus, die weltweit in den oberen 30 Zentimetern von Böden gespeichert sind. Zum Vergleich: Pflanzen – vor allem Wälder – speichern 560 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Der im Boden enthaltene Kohlenstoff wird maßgeblich im Humus gespeichert. Humus ist der organische Bestandteil des Bodens, der durch den Abbau von Pflanzen- und Tiermaterial entsteht. Damit werden Böden als natürliche CO₂-Senke klimapolitisch interessant. Das sogenannte Carbon Farming zielt auf den Aufbau von Kohlenstoff in Böden ab. Nach Modellberechnungen könnten theoretisch weltweit 2 bis 5 Milliarden Tonnen pro Jahr in Böden gebunden werden. Dieses Potenzial hängt stark von der Entwicklung der Klimakrise selbst ab.

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Zu Methoden des Carbon Farming zählen insbesondere Maßnahmen, die den Humusaufbau in Böden fördern sollen. Darunter fallen beispielsweise verbesserte Fruchtfolgen, Direktsaat oder Mulchen. Außerdem werden dem Carbon Farming auch die Wiedervernässung einst trockengelegter Moore und die Aufforstung entwaldeter Fläche zugerechnet – sowie die Agroforstwirtschaft, bei der Bäume und Ackerkulturen auf Flächen kombiniert werden.

Durch den Verkauf von Humuszertifikaten soll Carbon Farming finanziert werden. Mit diesen Zertifikaten, für welche die Europäische Union (EU) derzeit einen einheitlichen rechtlichen Rahmen erarbeitet, soll der Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid (CO₂) kompensiert werden. Das Prinzip ist simpel: Landwirtschaftliche Betriebe verpflichten sich, innerhalb eines bestimmten Zeitraums den Humusgehalt in ihren Böden durch bestimmte Methoden zu erhöhen. Für jede Tonne gespeicherten Kohlenstoffs erhalten sie ein Zertifikat. Unternehmen können diese Zertifikate kaufen und dadurch eigene Emissionen auf dem Papier ausgleichen. Auf solch einer Emissionskompensation basieren häufig jene Labels, die im Supermarktregal auf Produktverpackungen Klimaneutralität versprechen. Der Nutzen des Ganzen ist jedoch umstritten. Recherchen zeigen, dass viele Konzerne ihre Klimaschutzpläne maßgeblich auf CO₂-Kompensation beschränken. Indem sie Zertifikate kaufen, können sie weiterhin Treibhausgase ausstoßen und trotzdem für sich Klimaneutralität beanspruchen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sprechen deshalb von Greenwashing.

Nachhaltige Bodenbewirtschaftung kann CO₂ aus der Atmosphäre binden. Das ist gut für das Klima und fördert Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität
Nachhaltige Bodenbewirtschaftung kann CO₂ aus der Atmosphäre binden. Das ist gut für das Klima und fördert Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität

Der Kompensationsgedanke beruht darauf, dass jedes Zertifikat auch tatsächlich eine Tonne permanent im Boden gespeicherten Kohlenstoffs widerspiegelt. Doch um die Kohlenstoffbindung in Böden zu messen, fehlt es bislang an einer genauen und einheitlichen Methodik. Der Humusgehalt variiert selbst im gleichen Feld oft stark. Zudem ist unklar, ob der gespeicherte Kohlenstoff auch im Boden verbleibt. Damit er tatsächlich CO₂-Emissionen kompensiert, müsste er mindestens für den gleichen Zeitraum gespeichert werden, wie das CO₂ in der Atmosphäre verbleibt. Die langfristige oder gar permanente Speicherung im Boden kann jedoch nicht garantiert werden, da der Kohlenstoffgehalt im Boden leicht reversibel ist. Durch Änderungen in der Bewirtschaftung und Extremwetterereignisse, die durch die Klimakrise immer öfter auftreten, kann der Kohlenstoff jederzeit wieder freigesetzt werden.  

Aus der Kritik an den Zertifikaten hat sich daher die Idee entwickelt, einen Teil des gespeicherten Kohlenstoffs als Reserve zu halten – anstatt sofort die gesamte Menge über Zertifikate zu verkaufen. Erfahrungen im Handel mit CO₂-Zertifikaten aus Waldschutz und Aufforstung zeigen, dass auch dieser Vorschlag mit großen Risiken verbunden ist: In Kalifornien haben Waldbrände in weniger als einem Jahrzehnt bereits 95 Prozent der Reserve von CO₂-Zertifikaten aufgebraucht. Eigentlich waren sie dafür bestimmt, die in den nächsten 100 Jahren durch Brände verursachte Wiederfreisetzung von Kohlenstoff zu kompensieren. Die Wiederfreisetzung von gebundenem Kohlenstoff in Böden wird mit zunehmender Erderwärmung immer wahrscheinlicher.

Organischer Kohlenstoff ist Hauptbestandteil von Humus, der sich meistens im Oberboden findet. Dadurch ist er besonders anfällig für Extremwetterereignisse
Organischer Kohlenstoff ist Hauptbestandteil von Humus, der sich meistens im Oberboden findet. Dadurch ist er besonders anfällig für Extremwetterereignisse

In Schottland und Australien lässt sich bereits beobachten, wie der Zertifikatehandel die Bodenpreise in die Höhe treibt und für junge und kleine Betriebe den Zugang zu Land noch weiter erschwert. Langjährige Erfahrungen mit Waldzertifikaten zeigen außerdem, dass die Möglichkeit, finanzielle Gewinne durch den Verkauf der Zertifikate zu erzielen, vielerorts auch zu Landgrabbing beigetragen hat. In Uganda zum Beispiel wurden laut Recherchen tausende Menschen für den Bau von Plantagen einer norwegischen Firma vertrieben, die Bäume für den CO₂-Zertifikatehandel pflanzt. Der internationale Handel mit Kohlenstoffzertifikaten läuft damit Gefahr, neokoloniale Strukturen zu etablieren: Während er Konzernen aus reichen Ländern ermöglicht, ihre klimaschädlichen Geschäftsmodelle beizubehalten, wird Menschen im Globalen Süden Boden und Land genommen.

Humusaufbau ist entscheidend für widerstandsfähige Ökosysteme, die Nahrungsmittelsicherheit gewährleisten. Die Förderung von Bodenschutzmaßnahmen sollte jedoch nicht zu Lasten von ambitioniertem Klimaschutz sowie Land- und Menschenrechten erfolgen.