Jahresbericht 2023
«Krisenpermanenz» – kaum ein Wort beschreibt die Situation, in der wir arbeiten, so treffend wie dieses. Die Klimakrise, der andauernde russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und das Erstarken autoritärer populistischer Kräfte weltweit sind für uns eine dauerhafte Herausforderung.
Der brutale Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der Krieg in Gaza haben dramatische Folgen vor Ort und wirken sich zugleich weltweit aus, auch in unseren Büros, unserem Partnerspektrum, unserer eigenen Arbeit als deutsche politische Stiftung, die im In- und Ausland arbeitet. Ein Beispiel für diese Auswirkungen war unsere Entscheidung, nicht an der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises an Masha Gessen teilzunehmen. In einem Essay für den New Yorker am 9. Dezember hatte Gessen u.a. Gaza mit den jüdischen Ghettos im besetzten Europa gleichgesetzt. Unsere Entscheidung hat viele Debatten ausgelöst – sie reichten vom Vorwurf der Cancel Culture gegenüber israelkritischen jüdischen Intellektuellen bis hin zur Forderung, Masha Gessen den Preis nachträglich abzuerkennen. Wir haben die unterschiedlichen Rückmeldungen zum Anlass genommen, um Masha Gessen zu einer öffentlichen Diskussion in die Stiftung einzuladen.
Es war eines von vielen kritischen, manchmal emotionalen Gesprächen, öffentlich wie intern, in denen wir in den vergangenen Monaten darum gerungen haben, wie wir Multiperspektivität zulassen und aus ihr schöpfen lernen und gleichzeitig als grüne politische Stiftung mit klarem Profil und Kompass erkennbar sind und bleiben.
Wir sind als politische Stiftung unabhängig von Partei und Fraktion, aber gleichzeitig integraler Teil der grünen Strömung und arbeiten mit anderen gemeinsam daran, das grüne Projekt voranzubringen. Der Gegenwind, der uns dabei ins Gesicht weht, wird von Tag zu Tag schärfer.
Viele Mitarbeitende in unseren Auslandsbüros arbeiten seit Langem unter schwierigen Bedingungen, sind Repressionen und Anwürfen ausgesetzt, müssen sich rechtfertigen für ihre Arbeit. Die Erosion demokratischer Strukturen und eine zunehmend polarisierte Öffentlichkeit verschärfen das. Auch unsere Kolleg*innen in den Landesstiftungen arbeiten in einem immer bedrohlicheren Umfeld und können manche Veranstaltung nicht mehr ungehindert durchführen. Die Ergebnisse der Europawahlen haben deutlich gezeigt, dass die Demokratie und damit auch das grüne politische Projekt unter Druck stehen. Viele Menschen müssen neu überzeugt werden, dass die Veränderungen, die eine sozialökologische Transformation mit sich bringt, Veränderungen zum Guten sind. Und dass diese Veränderungen demokratisch gestaltet werden müssen.
In diesen Zeiten nicht nur aus der Defensive heraus zu agieren, sondern den Blick nach vorn zu richten, große und kleine Geschichten des Gelingens zu erzählen, ist und bleibt zentral für den Erfolg unserer Arbeit, mit der wir möglichst viele Menschen erreichen wollen. Eines von vielen Beispielen für diese positiven Geschichten ist der neue Podcast «Pod der guten Hoffnung», in dem konstruktive Ideen im Umgang mit der Klimakrise ihren Platz finden. International unterstützen wir die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen, kritischen Journalist* innen und Klima- und Umweltorganisationen, um Unrecht zu dokumentieren und die Zusammenarbeit für Veränderungsprojekte und Gegenstrategien zu fördern.
Unsere vielfältige Arbeit war und ist nicht möglich ohne diejenigen, die jeden Tag ihre Ideen, ihr politisches Gespür und ihr Herzblut in ihre Arbeit einbringen. Wir wissen, dass unsere Stiftung für viele Mitarbeitende mehr ist als ein Arbeitsort und dass sie gern Teil eines Projektes sind, mit dem wir die großen Themen unserer Zeit beherzt und in der Vielfalt der Perspektiven bearbeiten. Dafür sind wir ebenso dankbar wie für die solidarischen und ehrlichen Rückmeldungen aus Aufsichtsrat, Mitgliederversammlung, unseren Fachbeiräten und vielen anderen Gremien. Sie unterstützen uns bei der Kursbestimmung in stürmischen Zeiten und beim Blick nach vorn.
Zum Schluss möchten wir Sie auf zwei neue Formate hinweisen, mit denen wir uns als Vorstand regelmäßig zu Wort melden: die böll.kolumne, die wir im Wechsel veröffentlichen, und unseren Podcast «Über den Tag hinaus».
Über Reaktionen von Ihnen dazu freuen wir uns!
Produktdetails
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Klima schützen und Wirtschaft transformieren
- Für eine nachhaltige Landwirtschaft und den Schutz der Biodiversität
- Für ein geeintes Europa in herausfordernden Zeiten
- Demokratie schützen und verteidigen
- Menschenrechte durchsetzen
- Die Heinrich-Böll-Landesstiftungen
- Kunst und Kultur
- Heinrich-Böll-Haus Langenbroich
- Studienwerk – Rückenwind für junge Talente
- GreenCampus – Vom Wissen zum Handeln
- Archiv Grünes Gedächtnis
- Im Spiegel der Zeitgeschichte: 30 Jahre Bündnis 90/Die Grünen
- Preisverleihungen
- Stiftungsmanagement
- Gremien
- Vertrauensdozent*innen
- Adressen
- Fördern und Spenden