Agrarökologie als Open-Source-Technologie: Fortschritt gemeinschaftlich gedacht

Hintergrund

Oft heißt es, die fortschrittlichsten Technologien würden an den am wenigsten entwickelten Orten am meisten gebraucht. Inspiriert von dieser Perspektive brachte uns unsere Arbeit in den griechischen Bergen, wo wir Gemeinden bei der Entwicklung von Technologien für die kleinbäuerliche Landwirtschaft begleiteten, eine erstaunliche Erkenntnis: nämlich dass diejenige Technologie am fortschrittlichsten ist, bei der die Gemeinden selbst definieren, was fortschrittlich ist.

Coworking Space Makerspace Griechenland

Die Region Epirus in Griechenland ist ein Ort von makelloser Schönheit, eingebettet zwischen unberührter Gebirgsnatur und dem warmen Ionischen Meer. Dennoch gehört sie zu den ärmsten Regionen Europas, und ihre ländlichen Gebiete leiden größtenteils unter mangelnder Basisinfrastruktur, sind isoliert und verlassen. Vierzehn Jahre zunehmender wirtschaftlicher Verzweiflung in Griechenland haben die Situation weiter verschlimmert. Da die örtliche Bevölkerung der Heimatregion den Rücken zugekehrt hat oder erschöpft dort zurückgeblieben ist, breiten sich Bergbau und Tourismus beinahe ungebremst in der Region aus. 

Das Entstehen digitaler „Commons“

Unser Forschungsstandort und die aktivistische Praxis im P2P-Labor sind an diesem unruhigen Ort angesiedelt. Als Forschungskollektiv, das sich auf Gemeingüter und Open-Source-Technologien konzentriert, versuchen wir, einer Welt voller Widersprüche einen Sinn zu geben. Wir sind Zeug*innen eines beispiellosen technologischen Fortschritts, der in Anlehnung an Arthur C. Clark kaum von Magie zu unterscheiden ist. Gleichzeitig kämpft die Mehrheit der Welt mehr denn je darum, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, und das inmitten eines sich ständig verschärfenden ökologischen Kollapses. Je mehr wir von den Wundern der Technologie überwältigt werden, desto mehr fragen wir uns, was diese Wunder den Abgehängten dieser Erde jemals bringen werden. 

Frühe Experimente mit digitalen Technologien ermöglichten es Menschen auf der ganzen Welt, sich ohne vordefinierte Rollen, Hierarchien und Befehlsketten zu vernetzen, Informationen auszutauschen und zu offenen Projekten beizutragen. Beispiele wie Wikipedia und frei zugängliche Software mit frei verfügbarem Quellcode zeigten, wie unzählige Nutzer*innen durch kleinere und größere Beiträge ein gemeinsames Projekt gestalten können. 

Frühe utopische Visionen, die durch die digitale Kommunikation inspiriert wurden, strebten eine Welt an, in der Dinge und Beziehungen "von jedem nach seinen Fähigkeiten und für jeden nach seinen Bedürfnissen" produziert werden können. In dem Maße, in dem es diesen neuen Formen der Zusammenarbeit gelungen ist, die dominierenden Unternehmen in der digitalen Sphäre auszustechen, wurde die reiche Geschichte der Allmende, oder „Commons“, neu beleuchtet, die nun von ihrer digitalen Variante angeführt wird. 

Coworking Space Makerspace Griechenland

Gemeingüter werden als sozialökologische Systeme verstanden, die von den Gemeinschaften, die sich auf sie stützen, kollektiv verwaltet werden und zwar auf der Grundlage gemeinsam vereinbarter Regeln und Normen für die Verwaltung und Pflege. In der digitalen Sphäre haben sich die Praktiken der gemeinsamen Nutzung von Wissen und Informationen auf Software und technologisches Design ausgeweitet. Diese Software wird von global verteilten Gemeinschaften durch gemeinsam genutzte Infrastrukturen und organisatorische Praktiken kollektiv geschaffen und gepflegt. 

Die digitalen Gemeingüter reproduzieren auch die Widersprüche, aus denen sie hervorgegangen sind. Die Visionen und Praktiken einer neuen, digital emanzipierten Welt koexistieren mit dem Aufstieg von Big Tech, das diese den digitalen Gemeingütern zugrunde liegende kreative Dynamik ausnutzt und verzerrt. Inmitten einer neuen Ära von gewaltsamer Akkumulation und Ausbeutung, der von den Tech-Giganten entfesselt wird, ermöglichen digitale Gemeingüter Formen des kreativen Widerstands und emanzipatorischer Ideen.

In Anlehnung an das Sprichwort, dass es keine Allmende – also kein Gemeindegut – ohne Allmende gibt, wurden digitale Gemeingüter in der echten Welt von lokalen Gemeinschaften getragen, die sich um Räume des Experimentierens und des Teilens von Wissen und Technologie gruppierten, von „Fab Labs“ und „Makerspaces“ bis hin zu städtischen Gemeinschaftsgärten und schließlich agrarökologischen Landwirtschaftsbetrieben. 

Und damit schließt sich der Kreis: von den Wundern der Digitaltechnik zu den Bergen von Epirus. 

Eine Technologie für die Berge: Verteilte, widerstandsfähige, vernetzte Gemeinschaften 

Vor etwa zehn Jahren hatten wir zum ersten Mal die Idee eines von der Gemeinschaft betriebenen Ortes in einem Bergdorf, der mit modernsten Maschinen für die digitale Fertigung ausgestattet ist. Inspiriert von der „Maker“-Kultur, die von Orten wie dem Massachusetts Institute of Technology ausgeht, stellten wir uns einen Ort vor, der lokalen Gemeinschaften Zugang zu grundlegenden Werkzeugen für die Herstellung von (fast) allem gibt. Schon bald stießen wir auf Pioniergemeinschaften, die eine kreative Synthese aus dieser technikgetriebenen Kultur und den reichen Traditionen der Bewegung der Kleinbäuer*innen, der Permakultur und der Agrarökologie geschaffen hatten.

 Initiativen wie die Kooperative L'Atelier Paysan in Frankreich und Farm Hack in den USA befähigen Gemeinschaften von Landwirt*innen, Ingenieur*innen und Technologie-Begeisterte, technologische Lösungen umzusetzen, die auf eine kleinräumige und widerstandsfähige Landwirtschaft mit kaum externen Betriebsmitteln zugeschnitten sind. Darüber hinaus dokumentieren sie ihre Lösungen sorgfältig und erstellen Entwürfe und Herstellungsanleitungen, die weltweit als digitales Gemeingut zur Verfügung gestellt werden. 

Global vertriebene Agrartechnologie-Angebote sind auf Ertragsmaximierung, Effizienz und Rentabilität ausgerichtet und berücksichtigen nur selten die Bedürfnisse von kleinbäuerlichen Betrieben. Und wenn doch, dann entsprechen die Maschinen nur selten den Bedürfnissen der Landwirt*innen und zwingen sie stattdessen, sich an die Bedürfnisse der Maschinen anzupassen. Die Kosten für die Anschaffung und Wartung von Technologien sind für Kleinbäuer*innen oft untragbar. Und wenn die Maschinen kaputt gehen, können sie oft nicht repariert werden. Open-Source-Landwirtschaftsprojekte wie die oben beschriebenen sind aus solchen Herausforderungen entstanden, um mit entsprechenden Praktiken die lokale Autonomie und Widerstandsfähigkeit zu fördern. 

Coworking Space Makerspace Griechenland

Angesichts ähnlicher Kämpfe fanden lokale Agrargemeinschaften in Epirus Gefallen an den Innovationen von Open-Source-Landwirtschaftsprojekten. Der gemeinschaftliche Makerspace "Tzoumakers" wurde 2019 in einem kleinen Dorf in der Bergregion von Tzoumerka eingerichtet und sollte bald zu einem Leuchtturmprojekt für die ländliche Erneuerung werden. Nach fünf Jahren des gemeinsamen Experimentierens und Lernens wurde der Makerspace zum Kern eines lebendigen Netzes sozialer Unternehmen und Initiativen, die daran arbeiten, das Leben in den Bergen als gangbare Option für die Emanzipation der Menschen überall neu zu beleben. Hier ein kleiner Einblick in einige von ihnen. 

The High Mountains ist eine soziale Genossenschaft, die sich um die Wiederherstellung der Berggebiete durch Formen des solidarischen Tourismus, der Bildung und der gemeinschaftsgestützten Produktion in den Bergen bemüht. Eine andere Sozialgenossenschaft mit dem Namen "Im Herzen der Biene" verbindet ökologische Landwirtschaft mit lokaler Produktion und kulturellen und kreativen Praktiken, um die Lebensgrundlage der Landwirt*innen zu verbessern und der Landflucht und Verödung entgegenzuwirken. Boulouki ist ein Forschungskollektiv, das sich auf die Erhaltung und Dokumentation des lebendigen Wissens über traditionelle Bautechniken durch pädagogische und praktische Bauworkshops konzentriert.

 Nea Guinea hat vor kurzem einen Teil seiner Aktivitäten in das Gebiet verlegt und bringt seine langjährige Erfahrung in Bezug auf Autonomie und Widerstandsfähigkeit durch Werkzeuge und Praktiken in verschiedenen Bereichen wie Ernährung, Energie, Gesundheit und Permakultur ein. Es ist auch Teil des internationalen Wind Empowerment-Netzwerks, das an der nachhaltigen Elektrifizierung ländlicher Gebiete durch lokal hergestellte kleine Windturbinen arbeitet und damit die Saat für eine alternative Energiepolitik legt und die Bemühungen der lokalen Energiegemeinschaft CommonEn ergänzt. 

Die Ethik der Open-Source-Technologie und die Praktiken der gemeinsamen Nutzung stehen im Mittelpunkt dieses wachsenden Ökosystems von Gemeinschaften und Organisationen. Sie verbinden sich untereinander durch den offenen Austausch von Wissen, Erfahrungen, Ideen und Praktiken in den Bereichen Landwirtschaft, Kultur und ländliches Leben. Gemeinsam identifizieren sie die gemeinsamen Muster und einigen sich auf die kollektiv geltenden Regeln und Normen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt gemeinsam erwirtschaften. Schließlich definieren sie neu, was Technologie für sie und die örtliche Landschaft bedeutet, und entwickeln neue Vorstellungen und Ideen von technologischem Fortschritt. 

Die fortschrittlichsten Technologien sind die, die wir gemeinsam nutzen

Open-Source-Landwirtschaftsprojekte zeigen, wie agrarökologische Werte und Praktiken die digitalen Gemeingüter von den Widersprüchen ihrer eigenen Entstehung emanzipieren können. Auch zeigt das Open-Source-Ökosystem der Epirus-Landwirtschaft, wie digitales Gemeingut agrarökologische Praktiken mit technologischen Vorstellungen von gemeinsamem Wissen und Lernen durchdringt und gemeinschaftliche und widerstandsfähige Arbeits- und Lebensformen weiterentwickelt.

 Geografische Grenzen zwischen lokal und global, ländlich und städtisch werden überwunden, und es entstehen verteilte Gemeinschaften. Angetrieben von unterschiedlichen Bedürfnissen und Motivationen verbinden sie sich durch kleinere und größere Beiträge zu gemeinsamem Wissen, Design und Praktiken. Sie helfen dabei, das Konzept der Agrarökologie durch Netzwerke autonomer Gemeinschaften und Organisationen zu verbreiten, die auf lokaler Ebene für globale Belange mobilisiert werden.

P2P Workshop Griechenland

Die Open-Source-Agrarökologie geht über die vorherrschenden Vorstellungen von Weiterentwicklung und technologischem Fortschritt hinaus. Innovation und technologische Fähigkeiten dienen den Bedürfnissen lokaler Gemeinschaften, mit Maschinen, die in menschlichem Maßstab gebaut werden und die man studieren, anpassen und mit seinen Nachbar*innen teilen kann. Die Werkzeuge sind langlebig und können von den Gemeinschaften, die sich auf sie verlassen, gewartet und repariert werden, wobei lokal verfügbare Materialien verwendet und der Abbau von Rohstoffen anderswo vermieden werden. 

Und Technologien, die ihre eigenen Grenzen haben, wenn es darum geht, wie viel Ertrag und Effizienz ausreichen, und die Selbstversorgung und Emanzipation fördern. Sie beleben die Bedeutung des technologischen Fortschritts neu, jenseits deterministischer Visionen von immer größeren, schnelleren und stärkeren Geräten in einem endlosen Wettlauf um mehr Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Stattdessen steht hier eine Vision im Vordergrund, in der die fortschrittlichsten Technologien diejenigen sind, die den Bedürfnissen der Menschen und der lokalen Landschaft dienen, eingebettet in Netzwerke gemeinsamer planetarer Anliegen und Fähigkeiten. Die fortschrittlichsten Technologien sind diejenigen, die wir gemeinsam nutzen.