Kateryna, 40 Jahre

Lesbisch. Aus Cherson. Lebt derzeit als Binnenvertriebene in Odesa. Das Interview fand im März 2023 statt.

Lesedauer: 3 Minuten
Illustration: Person mit mittellangem dunklem Haar, leichtem Lächeln, Kapuzenpulli und Jacke vor olivgrünem Hintergrund.

Mein Name ist Kateryna. Ich bin fast 40 Jahre alt und lesbisch. Vor dem Ausbruch des Kriegs habe ich in Cherson gelebt und gearbeitet. Jetzt bin ich in Odesa, als Binnenvertriebene, wie man so schön sagt.

Ich erinnere mich gut an den 23. Februar. Es war ein ganz normaler Tag. Ich kam von der Arbeit nach Hause und brachte ein paar Leckereien mit. Meine Freundin und ich aßen zu Abend, saßen noch eine Weile zusammen und gingen dann ins Bett. Am nächsten Tag weckte mich Varya gegen neun Uhr morgens mit den Worten: „Katya, der Krieg hat begonnen, wir werden bombardiert! Der Hafen in Cherson wurde bombardiert!“

Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das möglich war. Wir konnten und wollten nicht glauben, dass dies tatsächlich geschah. Wir waren wie benommen.

Die Zeit der Besatzung war schrecklich. Jede*r war in Gefahr, nicht nur LGBTQ-Menschen. Es spielte keine Rolle, ob man Kind oder Erwachsene*r, Mädchen oder Junge war. Ich denke, es gibt keinen Grund, Menschen in Schubladen zu stecken. Alle hatten gleichermaßen Angst. Für alle war es gefährlich.

Deshalb haben wir fast zwei Wochen lang das Haus nicht verlassen. Wir hatten Glück: Ich habe ein eigenes Haus, in dem ich mit meiner Freundin und den Katzen lebte. Wir hatten viele Katzen: fast anderthalb Dutzend Katzen der Rasse Sphynx. Damals züchteten wir sie. Der Zwinger war klein, aber mein Lebenswerk.

Alle hatten gleichermaßen Angst. Für alle war es gefährlich.

Es ist gut, dass wir Lebensmittelvorräte hatten: Wir verließen das Haus nur, um Brot zu kaufen. Aber das Tierfutter war ein Problem. Es wurde aus Odesa bestellt und von Leuten geliefert, die wir kannten. Ja, es war sehr teuer, aber was hätten wir tun sollen?

Unser Haus ist sehr gut gelegen, weit weg von der „Zivilisation“. Deshalb tauchten die russischen Soldaten weder bei uns noch bei unseren Nachbar*innen auf. Aber ich achtete trotzdem darauf, ihnen aus dem Weg zu gehen. Wenn jemand etwas brauchte, wurden die Waren über Mittelsmänner und -frauen zu uns gebracht und mit Passwörtern abgeholt – in Verschwiegenheit. Wenn ich jetzt auf diese Zeit zurückblicke, kann ich nicht glauben, dass ich das alles durchmachen musste.

Ich möchte nicht mehr an den Frühling und Sommer 2022 denken. Aber ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich am 12. November etwas in der Stadt besorgen musste. Auf dem zentralen Platz in der Nähe des Weißen Hauses sah ich ukrainische Soldat*innen mit einer Flagge. Damals dachte ich, dass dies eine Art Provokation sei. Als ich später meine Freund*innen anrief, stellte sich aber heraus, dass wir wirklich befreit worden waren. Ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert worden war.

Mitte November verließ ich Cherson. Ich habe nicht nur die Katzen mitgenommen, sondern auch einige Menschen. Am 18. November kam ich in Odesa an. Wir haben auf jeden Fall vor, in unsere Heimat Cherson zurückzukehren, zurück in unser eigenes großes Haus, bald. Alles wird gut werden, daran glaube ich fest.


Aus dem Englischen übersetzt von Christine Wiesmeier.

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