Schwul. Aus der Stadt Cherson. Während der Besatzung war er sechs Wochen lang inhaftiert. Lebt derzeit in Odesa. Das Interview fand im Februar 2023 statt.

Mein Name ist Roman. Ich komme aus Cherson. Jetzt lebe ich in Odesa. Ich bin Waise. In meinem bisherigen Leben hatte ich nicht viel zu lachen. Im Alter von neun Jahren kam ich in ein Internat und besuchte dort die Schule bis zur achten Klasse. Dann lebte ich in einem Wohnheim, und als ich zu arbeiten begann, mietete ich ein Zimmer. Heute studiere ich.
Zu Beginn der Invasion war ich zu Hause. Ich wachte um vier Uhr morgens auf und ging Einkaufen. Als ich den Laden verließ, hörte ich Schüsse auf der Antonivskyi-Brücke. Ich ging zu meinen Freund*innen und erzählte ihnen, dass der Krieg begonnen habe. Sie schauten mich an als wäre ich ein Idiot. Und dann, als um fünf Uhr morgens die Nachricht vom Krieg eintraf, brach große Hektik aus...
In den ersten Tagen konnten wir wegen des Beschusses nicht weg. Viele meiner Bekannten, die es in den ersten Tagen wagten, Cherson zu verlassen, kamen nicht an ihren Zielorten an. Die Raketenwerfer, die Raketen, der Beschuss... Es waren auch Kinder unter ihnen. Mindestens 15 meiner Bekannten starben. Die Verbindung zu den anderen war abgebrochen: Unsere Kommunikationskanäle funktionierten nicht, die Mobilfunksignale waren gestört...
Etwa zwei bis drei Tage nach der Einnahme der Stadt sah ich die russischen Soldaten zum ersten Mal. Sie kamen auf mich zu und fragten nach Papieren. Sie sagten, sie hätten jetzt das Sagen. Damals befragten die russischen Soldaten mich sehr lange, etwa eine Stunde lang. Aber sie nahmen nur mein Handy mit.
Sie fragten mich auch, ob ich irgendwelche Schwule kenne. Sie sagten nicht wirklich „Schwule“...
Beim zweiten Mal kamen sie zu mir nach Hause. Jetzt glaube ich, dass es mein Bekannter war (mit dem ich zuvor gestritten hatte), der mich verraten hat. Er sagte ihnen, ich sei ein ukrainischer Patriot. Als die russischen Soldaten in mein Zimmer stürmten und mich fesselten, dachte ich, es sei, weil ich schwul bin. Sie brachen die Tür auf, zogen mir einen Sack über den Kopf, warfen mich in ein Auto und brachten mich weg. Alles ging so schnell, dass ich keine Zeit hatte, zu begreifen, was los war und warum. Im Auto saßen viele russische Soldaten, die sich untereinander unterhielten und damit prahlten, dass ihnen in drei Tagen die ganze Ukraine gehören würde.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gefahren sind. Ich weiß nicht, wo der Keller war. Als ich dort hineingeworfen wurde, waren dort noch zwei Leute, nach ein paar Stunden waren es schon sechs, nach ein paar weiteren Stunden etwa 15 oder so. Meistens Männer, aber es waren auch zwei Frauen dabei. Trotzdem wurden alle geschlagen. Sie haben uns auch verhöhnt. Wir erleichterten uns in einer Ecke voreinander. Wir bekamen Essen, in dem oft Erde oder Steine waren. Sie gaben uns jeden Tag fünf Liter Wasser pro Person. Ich saß mehrere Tage lang dort, bis ich zum ersten Verhör gerufen wurde. Sie sagten mir sofort, dass ich ein von ihnen vorbereitetes Skript nachsprechen müsse. Während des gesamten Verhörs hielten sie mich mit vorgehaltener Waffe fest. Wahrscheinlich, um zu verhindern, dass ich etwas sagte, was sie nicht hören wollten. Sie fragten mich auch, ob ich irgendwelche Schwule kenne. Sie sagten nicht wirklich „Schwule“... Sie benutzten ein ganz anderes Wort. Ich glaube, wenn sie herausgefunden hätten, dass ich irgendetwas mit LGBTQ-Menschen zu tun hatte, wäre ich da nicht mehr rausgekommen.
Sie hielten mich eineinhalb Monate im Keller fest. Erst dann ließen sie mich gehen. Sie sagten, wenn ich darüber reden würde, würden sie mich finden und erschießen. Ich hatte damals so viel Angst, dass ich die Wohnung nicht verlassen konnte. Und dann hat unser Militär Cherson befreit. Buchstäblich ein paar Tage später bin ich mit dem Evakuierungsbus nach Odesa gefahren. Dort lebe ich jetzt.
Aus dem Englischen übersetzt von Christine Wiesmeier.