Im Senegal gab es zuletzt einen dramatischen Anstieg von Fällen sexualisierter Gewalt. Ein großer gesellschaftlicher Aufschrei blieb allerdings aus. Ein Jahr nach ihrem Amtsantritt schweigt die neue Regierung zu gewaltvollen Übergriffen auf Frauen und zeigt wenig Ambition, Geschlechterungerechtigkeit zu bekämpfen. Was tun, wenn Rechte von Frauen ignoriert werden?

Als das neue Regierungsteam Senegals am 5. April 2024 vorgestellt wurde, ahnten viele Frauen bereits, dass ihnen schwere Jahre bevorstehen würden. Zu deutlich waren die Signale, dass Geschlechtergerechtigkeit für die neue politische Führung keinerlei Priorität hat. Trotz verpflichtender Geschlechterparität auf Wahllisten, waren von den insgesamt 34 Regierungsposten lediglich vier mit Frauen besetzt. Mit einem Frauenanteil von nur 13 Prozent fällt die neue Regierung damit hinter die Vorgängerregierung unter Präsident Macky Sall zurück (18 Prozent). Zudem wurde das Frauenministerium kurzerhand aufgelöst und in das neue Ministerium für Familie und Solidarität integriert.
Viele Feministinnen werteten dies als Bruch mit dem Versprechen einer „systemischen Transformation“ und eines politischen Neuanfangs, der die Lebensbedingungen aller Senegales*innen verbessern soll. Sie kritisieren, dass Frauenpolitik einem traditionellen Familienbild untergeordnet wird, wodurch Gleichstellungsthemen primär auf Ehe und familiäre Belange beschränkt bleiben. Selbst Intellektuelle wie Felwine Sarr, eigentlich ein treuer Unterstützer der neuen Regierung, beanstanden, dass ein Land, das die Hälfte seiner Bevölkerung weiterhin strukturell benachteiligt, keinen Wohlstand erreichen könne. Aus der Zivilgesellschaft formierte sich rasch somit Widerstand: Das „Collectif des Citoyens pour le Respect et la Préservation des Droits des Femmes au Sénégal” forderte umgehend eine politische Kurskorrektur. Zumindest solle eine Frau zur stellvertretenden Kabinettschefin des Präsidenten ernannt werden. Zudem müsse die nationale Gleichstellungsstrategie endlich konsequent in den Ministerien umgesetzt werden.
Wenig überraschend, blieben diese Forderungen aus der Zivilgesellschaft von der Regierung unbeantwortet. Die Kritik fand jenseits aktiver Frauengruppen kaum Gehör. Ein großer Teil der Bevölkerung reagierte auf die Nichtberücksichtigung von Frauen in der Regierung mit Gleichgültigkeit. Teile der Medien wiesen die Kritik als schlichtweg übertrieben zurück und verwiesen auf bereits erreichte gesetzliche Erfolge in der Vergangenheit, wie das Verbot weiblicher Genitalverstümmelung und das Gesetz gegen Vergewaltigung, mit denen man sich zufriedengeben sollte.
Die Regierung nutzt Geschlechterpolitik als symbolischen Widerstand gegen „den Westen“
Mehr als ein Jahr nach der Amtsübernahme von Präsident Bassirou Diomaye Faye und Premierminister Ousmane Sonko zeigt sich: Die Regierung interessiert sich nur für Geschlechterfragen, wenn sie dazu dienen, die eigene politische und kulturelle Souveränität zu betonen. Diese Haltung spiegelt dabei einen regionalen Trend wider, der weite Teile Westafrikas erfasst hat. Fragen der Gleichstellung werden zunehmend in eine anti-imperialistische Rhetorik eingebettet. Dabei grenzt man sich bewusst von den als „westlich“ wahrgenommenen Geschlechternormen ab und beansprucht stattdessen, einen eigenen afrikanischen Zugang zu diesen Themen zu wahren. Eine kontextbezogene Auseinandersetzung mit den wirklichen Bedürfnissen sexuell marginalisierter Gruppen, die den sozioökonomischen Realitäten in Afrika Rechnung trägt – was in der Tat dringend geboten wäre – bleibt dabei jedoch aus. Im Vordergrund steht vielmehr das politische Signal an eine breite, junge und meist recht konservative Wählerschaft, dass man sich gegen eine vermeintliche Einflussnahme von außen wehrt.
Jeder, der von der Heteronorm abweicht, wird marginalisiert.
Insbesondere der Umgang mit LGBTIQ* ruft bei der neuen Regierung in Dakar starke ideologische Abwehrreflexe hervor. Im Zentrum steht dabei meist Homosexualität. Das Thema polarisiert die Gesellschaft stark und besitzt insbesondere unter jungen Männern ein großes Mobilisierungspotenzial. Umso mehr bemüht sich die Regierung, nicht den Eindruck zu erwecken, sie gehe damit zu liberal oder nachgiebig um. Premierminister Sonko warf den Ländern des globalen Nordens während einer Rede im Mai 2024 vor, kulturelle Unterschiede zu missachten und internationale Finanzhilfen an die Anerkennung sexueller Minderheiten zu koppeln – eine Form von „Aktivismus“, die seiner Ansicht nach antieuropäische Ressentiments nur weiter schüre und versuche, afrikanischen Gesellschaften eine europäische Lebensweise aufzuzwingen. Als Sonko betonte, dass Homosexualität im Senegal unter dem Begriff Goor-Jigeen seit jeher existiert und teilweise gesellschaftlich geduldet wurde, erntete er umgehend Widerspruch aus religiös-konservativen Kreisen. Man warf ihm vor, Homosexualität zu verharmlosen und zu viel Toleranz zu zeigen. Kurz darauf wurden ein islamischer Aktivist und ein Imam, die ihn deshalb öffentlich attackiert hatten, wegen Verbreitung von Falschinformationen verhaftet.
Zwar ist es richtig, dass die sogenannten Goor-Jigeen früher eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben Senegals spielten, indem sie Frauen oft bei Zeremonien und traditionellen Festen unterstützten. Von dieser einstigen gesellschaftlichen Einbindung ist heute jedoch kaum noch etwas übrig. Jeder, der von der Heteronorm abweicht, wird marginalisiert. Queere Menschen werden im Alltag nur geduldet, solange sie ihre sexuelle Orientierung verstecken. Eine offene Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt bleibt ein Tabu. Wer sich nicht daran hält, riskiert Anfeindungen, soziale Ausgrenzung oder sogar Gewalt.
Forderungen nach körperlicher Selbstbestimmung werden gezielt diskrediert
Durch Debatten um Homosexualität wird der Blick auf die tatsächlichen geschlechterpolitischen Probleme im Land verdeckt. Denn was derzeit in Senegal geschieht, ist erschütternd: Seit Monaten mehren sich die Berichte über tödliche Gewalt gegen Frauen. Allein zwischen Januar und Mai 2025 wurden sieben Frauen ermordet. Ende 2024 ereignete sich im Dorf Joal-Fadiouth ein besonders schwerwiegender Vorfall. Ein erst neunjähriges Mädchen wurde von ihrem Koranlehrer sexuell missbraucht und geschwängert. Aufgrund der strengen Abtreibungsgesetze musste sie die Schwangerschaft austragen. Die Liste solcher Verbrechen ließe sich lange fortsetzen. Doch trotz des alarmierenden Ausmaßes sexualisierter Gewalt rückt das Thema kaum ins Zentrum der öffentlichen Debatte.
Feministinnen werden als Trägerinnen einer „versteckten Agenda“ dargestellt.
Aus Protest gegen dieses Schweigen in Politik und Gesellschaft riefen Feministinnen im Dezember 2024 deshalb zu einem nackten Sit-in in Dakar auf. Allein die Ankündigung der Aktion rief heftige öffentliche Reaktionen hervor. Religiöse Gruppen kritisierten die geplante Aktion als respektlos gegenüber vermeintlichen senegalesischen Werten wie Scham, Würde und einer “natürlichen” Geschlechterordnung. Letztlich wurde die Demonstration, unter Verweis auf die Erregung öffentlichen Ärgernisses von den Behörden untersagt. Der Vorfall ist nur ein Beispiel dafür, wie Forderungen nach körperlicher und sexueller Selbstbestimmung gezielt durch normative Diskurse über Moral und Anstand unterlaufen werden. Feministinnen werden dabei meist als Trägerinnen einer „versteckten Agenda“ dargestellt. Ihr Aktivismus wird nicht als eigenständiger politischer Ausdruck anerkannt, sondern als bloße Imitation kulturell fremder Praktiken delegitimiert.
Wie können sich feministische Bewegungen behaupten?
Feministinnen bewegen sich im Senegal weiterhin in einem konfliktreichen Feld sozialer Aushandlung. Dabei geht es vor allem erstmal darum, dass ihre Anliegen überhaupt Gehör und Akzeptanz in der Gesellschaft finden. Um ihre ohnehin fragile Position nicht zu gefährden, vermeiden manche Aktivistinnen daher besonders kontroverse Themen. Dazu zählen beispielsweise die Legalisierung medizinisch begleiteter Schwangerschaftsabbrüche oder der Einsatz für die Rechte von Frauen, die gesellschaftlich stark marginalisiert sind – etwa Sexarbeiterinnen, Frauen mit HIV oder Drogenkonsumentinnen.
Ein erster strategischer Schritt wäre, sich trotz der feministischen Vielfalt auf ein gemeinsams, prioritäres Anliegen zu verständigen.
Trotz strategischer Zurückhaltung in bestimmten Bereichen haben die feministischen Bewegungen im Senegal in den vergangenen Monaten eindrucksvoll gezeigt, welche öffentliche Aufmerksamkeit sie erzeugen können, wenn sie geschlossen auftreten. Indem sie Betroffene juristisch begleiten und das Thema immer wieder in die Medien bringen, tragen sie dazu bei, dass Gewalt gegen Frauen nicht komplett aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Doch angesichts der massiven Rückschlägen im Bereich Geschlechterpolitik, die längst eine globale Dimension angenommen haben – etwa durch die Kürzung von Mitteln für sexuelle und reproduktive Rechte sowie DEI-Initiativen (Diversity-, Equity-, Inclusion) – reicht reine Mobilisierung für die Opfer nicht aus. Mehr denn je braucht es jetzt Strategien und Aktionen, die über den Moment hinauswirken, dauerhaft öffentliche Aufmerksamkeit und politischen Druck erzeugen.
Ein erster strategischer Schritt wäre, sich trotz der feministischen Vielfalt auf ein gemeinsams, prioritäres Anliegen zu verständigen – insbesondere im Hinblick auf staatliche Stellen. Diese nutzen die Vielstimmigkeit feministischer Forderungen nicht selten bewusst, um sie gegeneinander auszuspielen. Dies würde auch dazu beitragen, die Frage der Repräsentation und Legitimität („Wer spricht für wen?“) zu entschärfen. Ohne eine Bündelung der Kräfte und gezielte Synergien wird es im derzeit rauen gesellschaftlichen Klima sehr schwierig, bereits erreichte Fortschritte im Bereich der Frauenrechte zu sichern – geschweige denn, strukturelle Ungleichheiten wirksam anzugehen. Dazu zählt insbesondere die überfällige Reform des senegalesischen Familienrechts, das patriarchale Machtverhältnisse institutionell zementiert.
Wer Werte wie Demokratie, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt im Senegal ernst nimmt, muss die Forderungen feministischer Bewegungen endlich in den Mittelpunkt rücken. Das bedeutet: Die überfällige Reform des Familienrechts darf nicht länger aufgeschoben werden. Geschlechtergerechtigkeit muss als Querschnittsthema in der öffentlichen Politik verankert werden, und inklusive, repräsentative Strukturen gehören ins Zentrum demokratischer Erneuerung. Alles andere bleibt Symbolpolitik – und eine vertane Chance für echten gesellschaftlichen Fortschritt.