Die Zukunft

Zukunft lässt sich nicht vorhersagen – und doch lohnt sich der Versuch. Zwischen spekulativer Literatur, politischer Realität und vorsichtigem Optimismus entsteht eine persönliche Reflexion über das Morgen und seine Möglichkeiten.

Breite, geschwungene Pinselstriche in Rot auf rosa Hintergrund, teils quer und überlappend verlaufend.

Über die Zukunft zu schreiben, birgt Fallstricke. Denn wenn eines in diesem Leben sicher ist, dann, dass sich die Zukunft nicht vorhersagen lässt. Wer es wagt, über sie zu spekulieren, wird sich mit ziemlicher Sicherheit einer kaum bestehbaren Prüfung unterziehen.

Schriftsteller*innen haben Wege gefunden, dies zu umgehen. Manche schreiben Fantasy – Welten, für die andere Gesetze gelten als jene der Wirklichkeit – und befreien sich damit von der Bürde der Plausibilität. Sie tun gar nicht erst so, als könnten sie erraten, was in der Zukunft geschehen wird; sie erfinden gleich andere Welten. Andere schreiben Science Fiction, die hunderte oder tausende Jahre in der Zukunft spielt, oder in weit, weit entfernten Galaxien – in so weiter Ferne, dass niemand je imstande sein wird, zu überprüfen, ob sie mit ihren Vorhersagen Recht behalten werden.

Bleiben die echten Trottel: Spekulative Schriftsteller*innen, die das Wagnis eingehen, über die nahe Zukunft zu schreiben, hier auf der Erde. Eine Zukunft, die sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, erleben werden. So einer bin ich. Schon in meinem ersten Buch, Ice, das 1997 erschien, spielen mehrere Kapitel in der Zukunft – in den Jahren 2004, 2011 und 2031. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass zwei dieser Jahreszahlen schon längst wieder vergangen sind. Lag ich richtig mit meinen Vorhersagen? Irgendwie schon. Ein paar wichtige Dinge hatte ich nicht kommen sehen. Aber eine Geschichte aus einer Sammlung von Kurzgeschichten, erschienen im Jahr 2000, nimmt ziemlich detailliert Apps wie Tinder und Grindr vorweg – inklusive der Push-Nachrichten, die man erhält, sobald sich ein potenzielles Match in der Nähe befindet.

Mein Roman Hydromania von 2008 und mein neues Buch Everybody Be Cool (beide in deutschen Übersetzungen von Barbara Linner bzw. Stefan Siebers erschienen bei Luchterhand) spielen im Jahr 2060. Wahrscheinlich werde ich nicht lang genug leben, um zu sehen, ob meine Visionen dann der Wirklichkeit entsprechen werden, aber beide Bücher stellen Welten dar, die sich stark von unserer Gegenwart unterscheiden. In dem einen gibt es eine globale Wasserkrise. Das andere spielt in einer postkapitalistischen Welt, die gar nicht mal so schlecht ist – fair, egalitär, und beinahe zur Gänze frei von Kriegen und nationalen Konflikten.

Über die Zukunft nachzudenken, kann befreiend sein. Es entbindet einen von den Zwängen der Gegenwart. Manchmal ist es das einzig Rationale, was man tun kann. Im Vorwort zu meinem neuen Buch schreibe ich, dass sich jüdische Schriftsteller*innen in harten Zeiten jüdischer Geschichte oftmals der Zukunft zugewandt haben. Und in der momentanen Periode – einer Gegenwart, die mehr als nur schwierig ist, die sich eingefroren, festgefahren, verhakt, unveränderlich anfühlt, – kann man das Gefühl haben, dass das Nachdenken über die Zukunft alles ist, was wir noch haben. Umso mehr, zieht man die politische Konstellation Israels in Betracht, mit einer Regierung, die partout keine Verantwortung übernehmen will und sich an die Macht klammert.

Die Zukunft wird besser sein. Ich weiß, dass das momentan keine besonders populäre Ansicht ist. Ich glaube aber daran. Ich denke, wenn man die Geschichte Europas, Amerikas oder Japans betrachtet, dann ist die Richtung insgesamt eine positive, trotz all der historischen Fehlleistungen, Unzulänglichkeiten und grauenvollen Zeiten. Und ich denke, so wird es auch weitergehen, sogar in unserer Region, wenn die gegenwärtigen Fehlleistungen, Unzulänglichkeiten und Gräuel ein Ende haben.

Ich sehe mich selbst als Optimisten, was die langfristige Zukunft betrifft. Auf lange Sicht – nach dem Ende meiner Lebensspanne – wird es Menschen geben, die in die Zukunft blicken und die Vergangenheit hinter sich lassen, die verstehen, dass unsere beiden Völker, Israelis und Palästinenser, kriegsmüde sind. Die Besatzung wird ein Ende haben. Ein palästinensischer Staat wird gegründet werden. Natürlich wird nicht alles rosig sein. Es wird weiterhin jene geben, die Kompromisse ablehnen, auf beiden Seiten. Es wird weiterhin Terroristen geben, die versuchen werden, den Fortschritt zu sabotieren, auf beiden Seiten. Das ist im Grunde, was momentan passiert, aber anders als derzeit werden sie marginalisiert sein, und der vernünftigen Mehrheit wird es gelingen, sie einzudämmen.

Das ist im engen Rahmen des politischen Spielraumes meines Landes.

Global kommen dramatische Veränderungen auf uns zu, was die Struktur der Wirtschaft und des Alltagslebens betrifft. Darüber und über die möglichen Folgen schreibe ich in der Novelle und in der Kurzgeschichte, die in Everybody Be Cool enthalten sind. Beispielsweise scheint naheliegend, dass es weit weniger Jobs geben wird. Doch die Menschheit wird einen Weg finden, damit umzugehen – nach einer Periode des Übergangs, die möglicherweise nicht einfach wird. Wir müssen herausfinden, wie wir Menschen finanziell unterstützen können, was wir mit unserer freien Zeit anfangen, und mehr.

Und in der näheren Zukunft? Hier in Israel werden wir einmal tief durchatmen und auf die nächsten Wahlen warten müssen. Momentan sind sie auf Ende 2026 angesetzt. Ich bin nicht wahnsinnig optimistisch – ich glaube nicht mehr daran, dass sie früher kommen werden, denn diese furchtbare Regierung krallt sich an die Macht, ignoriert den Willen der Menschen, weigert sich, Verantwortung zu übernehmen, weigert sich, ihre Fehler zu korrigieren. Doch bin ich auch nicht aufseiten der Pessimisten, die glauben, dass es der Regierung gelingen wird, die Wahlen zu verhindern oder so viele autokratische Gesetze zu erlassen, dass sie eine weitere Periode im Amt bleiben kann. Oktober 2026 wird also der Wendepunkt sein. Die Dinge werden nicht über Nacht besser werden, doch sie werden ein bisschen besser werden. Davon bin ich überzeugt.

Und wenn ich falsch liege – nun, ich werde hier sein und die Blamage auf mich nehmen. Warum zur Hölle habe ich nicht einen Text über das Jahr 2864 geschrieben?

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