Internationaler Gerichtshof betont Verbindlichkeit und ermöglicht Klimareparationen

Analyse

Das jüngste Gutachten des Internationalen Gerichtshofs ist eine richtungsweisende Entscheidung im Kampf gegen den Klimawandel, da es die Verantwortung aller Staaten für ambitionierten, wissenschaftlich fundierten Klimaschutz hervorhebt. Es ebnet auch den Weg für mögliche Klimareparationen in der Zukunft.

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The International Court of Justice in The Hague

Am 23. Juli 2025 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) erstmals zum Thema Klimawandel Stellung genommen und ein einstimmiges 140-seitiges Gutachten abgegeben und klärt darin zentrale Fragen der Klimagerechtigkeit. 

Das IGH-Gutachten bestätigt, dass Staaten gemäß den internationalen Menschenrechtsnormen und internationalen Umweltverträgen, einschließlich der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und des Pariser Abkommens, rechtlich verpflichtet sind, alle Anstrengungen zu unternehmen und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Klima zu schützen und eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als Grundlage für die Wahrung der Menschenrechte und Generationengerechtigkeit zu gewährleisten. Die Entscheidung des IGH folgt auf ein weiteres Gutachten des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor wenigen Wochen, in dem ebenfalls das Recht auf ein gesundes Klima bekräftigt wurde.

Klarstellung, dass Einhaltung der NDCs nicht freiwillig ist

Das Gutachten ist zwar nicht rechtsverbindlich, dürfte jedoch erhebliche Auswirkungen auf Gerichte und Verhandlungen weltweit haben und die Diskussionen über die Klimaziele und die Verpflichtungen der Vertragsparteien auf der COP30 im November in Belém, Brasilien, beeinflussen. Dies geschieht genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die Vertragsparteien des Pariser Abkommens aufgefordert sind, ihre Klimaschutzpläne in einer neuen Runde national festgelegter Beiträge (nationally determined contributions, NDCs) zu erhöhen. Der IGH stellte klar, dass die NDCs nicht freiwillig sind, wie einige der gröβten Verschmutzerstaaten in den Gerichtsverhandlungen im Dezember argumentiert hatten, sondern dass sie zusammengenommen in der Lage sein müssen, das Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Der Gerichtshof stellte außerdem klar und bestätigte die fortbestehende Verpflichtung der Industrieländer, den Entwicklungsländern finanzielle Unterstützung für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen „in einer Weise und in einer Höhe, die die Erreichung dieses Ziels ermöglichen“ zu gewähren.

Das Gutachten des IGH ist eine eindeutige Bestätigung, dass das gesamte bestehende Völkervertragsrecht, einschließlich der Menschenrechte, des Seerechts, des Völkergewohnheitsrechts und anderer Umweltverträge, für die Klimaverpflichtungen maßgeblich ist. Diese Verpflichtungen gelten für alle Staaten, unabhängig davon, ob sie Klimaabkommen unterzeichnet haben oder nicht. Der IGH wies das Argument der großen Umweltverschmutzer zurück, dass nur Klimaabkommen gelten.

USA trotz Paris-Ausstieg weiterhin belangbar

Nur wenige Wochen nach einer ergebnisarmen UNFCCC-Verhandlungsrunde in Bonn – den ersten Klimaverhandlungen seit 30 Jahren ohne die Vereinigten Staaten – gibt dieses Urteil Hoffnung, dass der wachsende rechtliche, wissenschaftliche und moralische Druck alle Staaten zum Handeln zwingen und die historischen Verursacher zur Rechenschaft ziehen kann. Der IGH macht deutlich, dass dies auch die Vereinigten Staaten einschließt – trotz ihres Ausstiegs aus dem Pariser Abkommen. Auch wenn die Klimaschäden von mehreren Staaten und Akteuren verursacht werden, kann jeder Staat dennoch individuell für seinen Beitrag zur Verantwortung gezogen werden.

Wichtig ist, dass die Förderung fossiler Brennstoffe, ihr Verbrauch, die Erteilung von Explorationslizenzen und die Zahlung von Subventionen für fossile Brennstoffe allesamt Verstöße gegen klimabezogene Verpflichtungen nach dem Völkergewohnheitsrecht darstellen können. Die Staaten sind auch verpflichtet, umweltschädliche Handlungen des privaten Sektors durch geeignete Vorschriften einzuschränken. Nach diesen Feststellungen werden Klimaklagen gegen Staaten und Unternehmen sicherlich zunehmen.

Haftung und Klimareparationen sind jetzt mögliche Mittel

Am auffälligsten ist, dass das Gutachten des Gerichtshofs die Möglichkeit eröffnet, von Staaten, die ihren klimabezogenen Verpflichtungen nicht nachkommen, Wiedergutmachung zu verlangen. Haftung und Klimareparationen – zwei zentrale Themen, die die Vereinigten Staaten erfolgreich aus Artikel 8 des Pariser Abkommens über Verluste und Schäden herausgehalten haben – sind nun eine konkrete Möglichkeit. Angesichts der derzeitigen miserablen Finanzlage des UNFCCC-Fonds für Verluste und Schäden (FRLD) gibt dies Hoffnung und zeigt eine Alternative auf, um auf angemessene Unterstützung für die Bewältigung von Verlusten und Schäden zu drängen. Dieser Fonds, der als „Solidaritätsfonds” betrachtet wird und nur freiwillige Beiträge aller Länder erhält (selbst von den Industrieländern als historische Verursacher), verfügt derzeit über mehrere hundert Millionen Dollar auf seinem Konto. Erforderlich wären jedoch Hunderte von Milliarden, um die eskalierenden Verluste und Schäden, die bereits die grundlegenden Menschenrechte der am stärksten gefährdeten Menschen und Gemeinschaften in Entwicklungsländern verletzen, zu bewältigen und in irgendeiner Form zu kompensieren und wiedergutzumachen.

Das Urteil des IGH war das Ergebnis mehrjähriger Bemühungen der Gruppe Pacific Island Students Fighting Climate Change (PISFCC). Diese gewann die breite Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Regierungen – insbesondere von kleinen Inselentwicklungsstaaten, wobei Vanuatu eine führende Rolle spielte. Ihre Kampagne gipfelte im März 2023 in einer einstimmig verabschiedeten Resolution der UN-Generalversammlung, in der der IGH aufgefordert wurde, sich zu den Verpflichtungen der Staaten nach dem Völkerrecht im Zusammenhang mit dem Klimawandel und zu den rechtlichen Folgen für Staaten, die diesen Verpflichtungen nicht nachkommen oder sie verletzen, zu äußern. Das Gutachten wurde nach zwei Runden schriftlicher Stellungnahmen mit Rekordbeteiligung und einer zweiwöchigen Anhörung der rechtlichen Argumente durch den IGH im Dezember 2024 veröffentlicht.


Dieser Artiel ist zuerst hier erschienen: us.boell.org

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