Die von Jens Spahn beauftragte ELSA-Studie widerlegt die politischen Erwartungen des Ex-Gesundheitsministers: Nicht psychische Langzeitfolgen, sondern die Kriminalisierung und Stigmatisierung verursachen die eigentlichen Probleme.

2020 gab der damalige Bundesgesundheitsminister (CDU) Jens Spahn die sogenannte ELSA-Studie zu ungewollten Schwangerschaften in Auftrag. Jetzt ist sie endlich veröffentlicht worden. Offiziell sollte sie die angeblichen psychischen Langzeitfolgen von Schwangerschaftsabbrüchen untersuchen und das „Post Abortion Syndrom“ wissenschaftlich belegen – als Argument gegen die seit Langem geforderte Entkriminalisierung.
Herausgekommen ist die bislang umfassendste Untersuchung zu ungewollten Schwangerschaften in Deutschland – methodisch solide, repräsentativ und den Standards sozialwissenschaftlicher Forschung verpflichtet. Die Ergebnisse widersprechen den politischen Intentionen Spahns deutlich – denn die Probleme entstehen durch die Kriminalisierung und die von ihr erzeugte Stigmatisierung von Abtreibung.
Was die Studie tatsächlich zeigt
Die Wissenschaftler*innen kommen zu einem klaren Ergebnis: Das „Post Abortion Syndrom“ ist empirisch nicht nachweisbar und bleibt damit eine Erfindung antifeministischer Abtreibungsgegner*innen. Was als Versuch begann, den § 218 zu zementieren, hat auf über tausend Seiten die besten Argumente für seine Abschaffung geliefert – bestellt von der CDU, finanziert aus Steuermitteln und wissenschaftlich umgesetzt von sechs Hochschulen.
Deutlich wird dies am Zugang zur Versorgung. Ob und wie schnell Betroffene Hilfe finden, hängt stark vom Wohnort ab. In Berlin ist die Versorgung relativ gut, während Frauen in vielen Regionen Süd- und Westdeutschlands mit langen Wegen, Wartezeiten und hohen Kosten konfrontiert sind. Ärzt*innen berichten von bürokratischen Hürden, fehlender Ausbildung und komplizierten Medikamentenregelungen. Betroffene schildern Scham, Schuldgefühle und Angst, gesellschaftlich verurteilt zu werden.
Eine Entkriminalisierung erfordert politischen Willen
Damit legt die ELSA-Studie offen, was in der politischen Debatte gern verschwiegen wird: Die schlechte Versorgung ist kein Betriebsunfall, sondern direkte Folge der Kriminalisierung. Solange der § 218 Schwangerschaftsabbrüche im Kern als Straftat definiert, bleiben Verbesserungen Stückwerk. Mehr Ärzt*innen auszubilden oder die Kostenübernahme zu erleichtern sind wichtige Schritte, bleiben aber unvollständig, solange der Eingriff nicht entkriminalisiert wird.
Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich längst für eine Entkriminalisierung aus. Doch die Politik predigt weiterhin das alte Mantra vom angeblichen „gesellschaftlichen Frieden“, den man nicht stören dürfe. Es ist aber kein Frieden, wenn Betroffene verzweifelt nach Ärztinnen suchen müssen oder Ärztinnen Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt sind.
Forschende empfehlen neue Regelungen
Die Autor*innen der ELSA-Studie benennen die notwendigen Konsequenzen deutlich: Der § 218 gehört aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, die verpflichtende Beratung abgeschafft und eine vollständige Kostenübernahme durch die Krankenkassen sichergestellt. Damit decken sich ihre Vorschläge mit den Empfehlungen der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. Beide betonen, dass nur eine Entkriminalisierung langfristig eine flächendeckende und diskriminierungsfreie Versorgung ermöglichen kann.
Ein Lehrstück über Politik und Wissenschaft
Die ELSA-Studie zeigt damit nicht nur die Versorgungslücken und ihre Ursachen auf, sondern auch, wie politische Versuche der Einflussnahme scheitern können. Was mit als Instrumentalisierung der Wissenschaft gedacht war, endete mit einem klaren politischen Handlungsauftrag.
Dass ausgerechnet Jens Spahn den Boden für diese Ergebnisse bereitet hat, ist bittere Ironie. Die von ihm beauftragte Untersuchung macht unmissverständlich deutlich: Wer die Versorgung wirklich verbessern will, muss den Paragrafen 218 abschaffen und Schwangerschaftsabbrüche endlich als das behandeln, was sie sind – eine Frage der Selbstbestimmung und der Gesundheitsversorgung.