Weltweite Staatsverschuldung: Kommen bald Reformen?

Analyse

Die Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe hat deutlich gemacht, dass Unsicherheit zum bestimmenden Merkmal der Weltwirtschaft geworden ist. Obwohl allgemein anerkannt ist, dass eine hohe Verschuldung die Entwicklung hemmt, blieben die offiziellen Ergebnisse hinter einer sinnvollen Reform zurück. Hinter verschlossenen Türen scheint sich die Diskussion über die Verschuldung jedoch zu verschieben – weg von der bloßen Anerkennung hin zur Notwendigkeit echter struktureller Veränderungen.

Ein Event-Banner der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank 2025.

Die Herbsttagung 2025 von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbankgruppe stand im Zeichen wachsender Unsicherheit in der globalen Wirtschaft. Zwar zeigen aktuelle Daten eine widerstandsfähige Weltwirtschaft – doch diese Stabilität wurde noch nicht vollständig auf die Probe gestellt. Zukünftige Schocks, sei es durch Klimafolgen oder Handelskonflikte, bleiben unvermeidlich. Kristalina Georgieva, geschäftsführende Direktorin des IWF, betonte in ihrer Eröffnungsrede in der Townhall mit der Zivilgesellschaft: Unsicherheit sei die neue Normalität. „Das Wachstum ist langsam, die Verschuldung hoch und die Risiken eines finanziellen Abschwungs groß. Eine hohe Verschuldung erstickt die Wirtschaft”, erklärte sie und fügte hinzu, dass die Verschuldung in Ländern mit niedrigem Einkommen zwar zurückgeht, dies jedoch vor allem daran liegt, dass diese Länder keinen Zugang zu Finanzmitteln haben, während die Verschuldung in Schwellen- und Industrieländern weiter steigt.

Wirtschafts- und Finanzausblick sind alarmierend

Der jüngste Fiscal Monitor und World Economic Outlook zeigen: Die Weltwirtschaft entwickelt sich besser als noch im April von den Mitgliedern des IWF und der Weltbank befürchtet – doch sie bleibt erheblichen Herausforderungen ausgesetzt.

Die Inflation bleibt hoch, die Zinssätze sind weiterhin auf einem hohen Niveau und die geopolitischen Spannungen halten an. Das Verschuldungsrisiko ist hoch: Die Länder sehen sich mit hohen Finanzierungskosten und Abflüssen von Privatkapital konfrontiert, und die fiskalischen Puffer sind nach Jahren pandemiebedingter Ausgaben weiterhin erschöpft.

Vertreter*innen des IWF betonten, dass Länder mit finanziellen Engpässen schnelleren, besser planbaren und kostengünstigeren Zugang zu Umschuldungsmechanismen benötigen. Ohne diese Mechanismen könnte die Kombination aus hohem Schuldendienst und weniger Hilfe zu sozialen Unruhen führen und diese Länder somit destabilisieren. 

Jüngste Studien des DRGR-Projekts, die sich mit der Schuldendynamik in Lateinamerika und der KaribikAfrikas, sowie Asien und dem Pazifikraum befassen, bestätigen, dass die Schuldendienstquoten weiterhin hoch sind und den finanziellen Spielraum für Investitionen in Klimaschutz und Entwicklung einschränken.

In einem separaten Appell forderte Georgieva die Mitgliedsländer dazu auf, den Catastrophe Containment and Relief Trust (CCRT) aufzufüllen. Dieser gewährt Zuschüsse, um einkommensschwachen Ländern bei der Erfüllung ihrer Schuldendienstverpflichtungen bei Naturkatastrophen und Gesundheitskrisen zu helfen. „Unser Ziel muss es sein, unseren ärmsten Mitgliedern auch weiterhin zu helfen, wenn sie mit Situationen konfrontiert sind, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen“, sagte sie und betonte, dass selbst bescheidene Beiträge einen entscheidenden Unterschied machen könnten.

Viele Stimmen fordern konkrete Schuldenreform

Im Vorfeld der Treffen bekräftigten Ökonom*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Forderungen nach einer umfassenden Schuldenreform. In einem im Guardian veröffentlichten Brief forderten führende Ökonom*innen die Finanzminister*innen und Zentralbankpräsident*innen zu einer sofortigen, wirksamen Entschuldung auf, um neue Krisen zu verhindern und den finanzpolitischen Spielraum für wichtige Investitionen wiederherzustellen.

Parallel dazu berichtete Reuters über einen Brief, der von 165 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt unterzeichnet wurde und in dem der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa aufgefordert wird, seine G20-Präsidentschaft zu nutzen, um eine ehrgeizigere Schuldenreform voranzutreiben. Afrikanische Politiker schlossen sich dieser Forderung an: In The Economist argumentierte der Finanzminister von Dschibuti, Ilyas Moussa Dawaleh, dass Afrika ein neues Schuldenabkommen braucht, das den außergewöhnlich hohen Kosten der Verschuldung Rechnung trägt.

Offizielle Kommuniqués zeigen Besorgnis, liefern aber keine Alternativen

Trotz dieser eindringlichen Forderungen nach Reformen blieben die offiziellen Ergebnisse begrenzt. In ihrer Erklärung bekräftigte die Intergovernmental Group of Twenty-Four (G24) ihre Unterstützung für eine „Verbesserung der Umsetzung des Umschuldungsrahmenwerks (Common Framework) der G20, um vorhersehbarere, zeitnahe und koordiniertere Ergebnisse unter vollständiger Beteiligung der Gläubiger zu erzielen“, forderte jedoch keine neuen Instrumente oder systemischen Reformen.

Das Kommuniqué der Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der G20 – die erste spezielle Erklärung zum Thema Verschuldung seit 2020 – erkannte an, dass untragbare Schulden inklusives Wachstum Entwicklung untergraben. Außerdem benannte das Gremium Schuldenrisiko als Priorität. Allerdings wurden darin keine wesentlichen Änderungen gegenüber den bestehenden Positionen der G20 zum gemeinsamen Rahmenwerk vorgenommen. In ähnlicher Weise hat der fünfte Co-Chair Report des Global Sovereign Debt Roundtable zwar anerkannt, dass die steigende Schuldenlast den Spielraum für Entwicklungsausgaben in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur einschränkt, jedoch wurden auch hier keine Empfehlungen für Strukturreformen ausgesprochen.

Zusammenfassend zeigt sich: Die Statements spiegeln zwar eine wachsende Sorge über die Folgen hoher Schuldenlasten wider. Doch es besteht noch kein Konsens darüber, dass es sich um eine systemische Herausforderung handelt, die tiefgreifende strukturelle Reformen erfordert. Gleichzeitig erkennen Verantwortliche in bilateralen Gesprächen zunehmend an, dass viele Länder aufgrund hoher Schuldendienstzahlungen nicht imstande sind, öffentliche Güter für eine nachhaltige Entwicklung bereitzustellen – eine Erkenntnis, die künftige politische Debatten maßgeblich beeinflussen könnte.

Erkenntnisse aus Nebenveranstaltungen

Von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Centre for Sustainable Finance an der SOAS, University of London, und dem Atlantic Council organisierte Nebenveranstaltungen boten eine alternative Vision für die Bewältigung von Schulden- und Klimaproblemen. Während der Veranstaltung  "Staatsschulden, Klimawandel und Geoökonomie: Strategien für eine globale Nachhaltigkeitslösung" betonte Hailemariam Desalegn Boshe, ehemaliger Premierminister Äthiopiens und Mitglied der African Leaders Debt Relief Initiative,dass die Verbesserung der Schuldentragfähigkeit eine gemeinsame Verantwortung sei. Entwicklungsländer müssen ihre Finanzverwaltung stärken, die Steuererhebung verbessern, Transparenz gewährleisten und illegale Finanzströme eindämmen. Doch diese innerstaatlichen Maßnahmen müssten durch internationale Unterstützung ergänzt werden, die dabei helfe, die zunehmenden externen Schocks zu bewältigen. Seiner Meinung nach sind Schuldenerlass und klimaresistente Finanzierungen für die makroökonomische Stabilität unverzichtbar.

In einer Diskussionsrunde zu einem ähnlichen Thema waren sich die Teilnehmenden einig, dass die gängige Darstellung der Entwicklungsländer als „überschuldet” am Thema vorbeigeht. Viele haben zu wenig produktive Schulden, die Wachstum und Investitionen fördern. Hier ist ein zweigleisiger Ansatz erforderlich: eine umfassende Umschuldung unter Beteiligung aller Gläubiger für hochverschuldete Länder und vergünstigte Finanzierung (concessional finance)für hochverschuldete Länder. Dies muss kombiniert werden mit erweiterten konzessionären Krediten, gezielten Umschichtungen von Sonderziehungsrechten und klimabezogenen Instrumenten – wie grünen Anleihen, Debt-for-Climate-Swaps und Katastrophenklauseln – für solvente, aber liquiditätsbeschränkte Volkswirtschaften. Diese Instrumente können die Kreditkosten senken und den fiskalischen Spielraum erweitern, bevor Krisen ausbrechen.

Ausblick

Die diesjährige Herbsttagung von IWF und Weltbank hat deutlich gemacht, dass die globale Debatte über Schulden in eine vorsichtigere, aber zunehmend selbstbewusstere Phase eingetreten ist. Auch wenn in offiziellen Erklärungen noch nicht davon die Rede ist, dass der Schuldendienstdruck zu einem „Ausfall der Entwicklung” führt und dass dieses Problem nicht allein durch innenpolitische Reformen gelöst werden kann, gewinnt diese Sorge hinter den Kulissen zunehmend an Bedeutung. Die Herausforderung besteht nun darin, von der Erkenntnis zur Reform überzugehen – das Bewusstsein in koordinierte, strukturelle Maßnahmen umzusetzen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die G20 Regierungs- und Staatschef*innen bei ihrem Gipfel im November auf Reformen verständigen können. Vorerst warten die ärmsten und am stärksten gefährdeten Volkswirtschaften der Welt weiterhin auf bedeutsamen Schuldenerlass und politische Innovationen, die es ihnen ermöglichen, in ihre Bevölkerung und den Planeten zu investieren.

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