Brasilien: Wie Umweltschutz mit Gewalt verhindert werden soll

Analyse

Amazonien ist die gefährlichste Region für Menschenrechts- und Umweltverteidiger*innen. Viele Morde stehen in Zusammenhang mit Aktivitäten der industriellen Landwirtschaft, des illegalen Bergbaus oder der Entwaldung.

Eine grün-lila stilisierte Weltkugel, die mittig Mittel- und Südamerika zeigt

Das vorherrschende Bild vom Amazonasgebiet ist geprägt von üppiger Vegetation, indigenen Völkern und unbegrenzten Wasserressourcen. Doch diese romantische Erzählung muss dringend um die Realität der eskalierenden Gewalt gegen Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger*innen erweitert werden, die globale Beachtung erfordert.

Als Verteidiger*innen bezeichnen wir Personen, die sich für die Umsetzung von Umwelt- und Menschenrechten sowie von national und international anerkannten Grundfreiheiten einsetzen. Ihr Engagement ist vielfältig: Sie fördern, da sie soziale, politische und wirtschaftliche Verbesserungen, machen Rechte sichtbar und gestalten politische Maßnahmen zum Schutz dieser Rechte mit. Dennoch sieht sich eine bestimmte Gruppe von Verteidiger*innen aufgrund ihrer kritischen Anliegen und Forderungen überdurchschnittlich häufig Drohungen und massiven Hindernissen ausgesetzt.

Tödliche Zahlen: Gewalt gegen Verteidiger*innen nimmt weiter zu

Laut Global Witness forderte der Einsatz zum Schutz des Planeten zwischen 2012 und 2022 das Leben von 1.910 Menschenrechtsverteidiger*innen. Lateinamerika werden 88 Prozent dieser Morde weltweit zugeordnet, angeführt von Kolumbien und direkt gefolgt von Brasilien. Die Zahlen Brasiliens belegen die Krise: Allein im Jahr 2022 wurden im Land 34 Menschenrechtsverteidiger*innen getötet, mehr als ein Drittel (36 Prozent) davon waren indigener Herkunft, während über ein Fünftel (22 Prozent) Kleinbäuer*innen waren.

Die brasilianische Region „Amazônia Legal“ ist das Epizentrum der Gewalt gegen Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger*innen. Die Daten von Global Justice belegen dies: In den letzten vier Jahren lagen vier der fünf Bundesstaaten mit den meisten registrierten Angriffen auf Menschenrechtsverteidiger*innen in Brasilien - Rondônia, Maranhão, Pará und Tocantins - im Amazonasgebiet. Die Rechtsverletzungen sind primär auf Landkonflikte zurückzuführen, gefolgt von Arbeitskonflikten und Auseinandersetzungen um Wasserressourcen. Nahezu die Hälfte dieser Fälle sind Drohungen (49,4 Prozent), gefolgt von körperlichen Angriffen (16,8 Prozent) und Morden (14,4 Prozent). Es wird jedoch davon ausgegangen, dass Tötungen lediglich die sichtbare Spitze des Eisbergs darstellen, da unzählige Angriffe nicht zur Anzeige gebracht werden. 

Grafik zeigt Anstieg ländlicher Konflikte in Brasilien (2014–2023); 2023 über 2.000 Fälle, meist Landkonflikte, viele indigene Opfer.
Im Vergleich zu 2022 stieg im Jahr 2023 die Zahl der Konflikte in ländlichen Gebieten um 8 Prozent. In den letzten zehn Jahren hat die Gewalt in ländlichen Gebieten um 60 Prozent zugenommen.

Unzureichender Schutz: Staatliche Maßnahmen und ihre Grenzen

Die brasilianische Regierung ergriff Maßnahmen zur Eindämmung der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen. Die wichtigste Initiative stellt die Schaffung der Nationalen Politik zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, Kommunikatoren und Umweltverteidiger*innen dar. Die Zivilgesellschaft fordert, die institutionellen Strukturen und die Funktionsweise dieser nationalen Politik weiter zu stärken. Außerdem fordern sie, dass die brasilianische Regierung das Escazú-Abkommen ratifiziert, das erste Umweltabkommen Lateinamerikas und der Karibik, das neben dem Recht auf Zugang zu Informationen und Beteiligung auch spezifische Schutzmechanismen für Umweltverteidiger*innen vorsieht. Die Hauptursachen für die Gewalt sind eindeutig: Viele Morde stehen in Zusammenhang mit Aktivitäten der industriellen Landwirtschaft, des illegalen Bergbaus oder der Entwaldung. Da diese drei Sektoren auch erheblich zu den globalen Treibhausgasemissionen beitragen, wird der direkte Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Menschenrechts- und Umweltverteidiger*innen und dem globalen Kampf gegen den Klimawandel evident.

Historische Wurzeln: Gewalt und Landkonflikte seit der Kolonialzeit

Die Gewalt in Brasilien reicht bis zur portugiesischen Kolonialzeit zurück, die gezielte Kolonisierung des Amazonasgebietes begann jedoch erst unter der Präsidentschaft von Getúlio Vargas (1930–1945), motiviert durch strategische nationale Interessen. Vargas initiierte damit einen kontinuierlichen Zyklus staatlicher Anreize zur Ausbeutung der Wälder. Die brasilianische Militärdiktatur (1964–1985) verschärfte diesen Prozess unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit weiter und öffnete den Amazonas für multinationale Konzerne aus den Vereinigten Staaten, Japan, Kanada und Norwegen. Diese Entwicklung dient als klares historisches Beispiel für die gewaltsame Inbesitznahme von Territorien durch externe Akteure.

Die brasilianische Agrarfrage ist ein zentraler und tief in die Gesellschaft eingebetteter Problemkomplex des ländlichen Raums, dessen Auswirkungen ländliche als auch städtische Gebiete gleichermaßen betreffen. Die Konsolidierung einer mächtigen Agrarelite, die Landbesitz, Reichtum und politischen Einfluss monopolisiert, ist der Haupttreiber für die anhaltende Vertreibung der ländlichen Bevölkerung. Sie wird als eine Reihe von Problemen im ländlichen Raum definiert, die mit der allgemeinen sozialen Struktur des Landes verflochten sind, und hat tiefgreifende Auswirkungen sowohl auf ländliche als auch auf städtische Gebiete. Die Konsolidierung einer mächtigen Agrarelite, die Land, Reichtum und politischen Einfluss kontrolliert, führt zur Vertreibung der ländlichen Bevölkerung.

Der Prozess der „Erschließung“ des Amazonasgebiets priorisierte individuelle und externe wirtschaftliche Interessen auf Kosten der kollektiven Rechte seiner Bewohner*innen. Dies resultierte in Enteignungen, Drohungen und massiven Verletzungen der territorialen Rechte. Damit wurde ein Entwicklungsmodell etabliert, das auf Umweltzerstörung, Landraub und Gewalt gegen Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger*innen beruhte und dessen vorrangiges Ziel die Lieferung von Rohstoffen für ausländische Märkte war.

Infolgedessen wurden zahlreiche Verteidiger*innen des Amazonas ermordet, darunter Chico Mendes, José Cláudio Ribeiro, Maria do Espírito Santo, Schwester Dorothy Stang, Paulo Paulino Guajajara und in jüngster Zeit Dom Phillips und Bruno Pereira. Die Tragik dieser Verluste wird durch die Tatsache verschärft, dass viele dieser Morde bis heute vom Justizsystem ungeklärt und straflos geblieben sind.

Acht ermordete Waldschützer*innen porträtiert; Text nennt 2.028 Todesopfer, 90 % der Morde zwischen 1985–2021 blieben straflos.
Die meisten von der Landpastorale (Comissão Pastoral da Terra) registrierten Morde ereigneten sich in der Region „Amazônia Legal“. Der Bundesstaat Pará hat die höchste Zahl registrierter Fälle (497), gefolgt von Maranhão (173).

Das vorherrschende Entwicklungsmodell basiert auf dem Bau von Straßen, Wasserstraßen, Häfen, Großwasserkraftwerken, Minen und anderen Projekten, die das Vordringen von Monokulturen und Viehzucht in die Territorien bedeuten. Dies führt zu Entwaldung und Waldbränden, zum Verlust der Waldflächen, zur Vertreibung und Verletzung der Rechte der indigenen und traditionellen Gemeinschaften. In diesem Zusammenhang ist Gewalt zu einem systemischen Instrument zur Durchsetzung ökonomischer Interessen geworden.


Der Beitrag erschien zuerst in der portugiesischsprachigen Ausgabe des Amazonas Atlas
Hier gelangen Sie zur englischsprachigen Ausgabe des Atlas
 

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