Zur Schließung des Äthiopien-Büros: "Arbeitsverbot für kritische Köpfe“

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Dagmar Dehmer: Warum hat sich die Heinrich-Böll-Stiftung jetzt entschieden, Äthiopien zu verlassen? Der langjährige Präsident Meles Zenawi ist tot. Es gäbe doch zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass sich die Lage bessert, oder?

Barbara Unmüßig: Da wir vor Ort präsent sind, beobachten wir die politische Entwicklung schon lange. Die Handlungsspielräume für Oppositionskräfte, für die kritische Zivilgesellschaft haben sich dramatisch verengt. Die Presse- und Meinungsfreiheit wurde eingeschränkt, und das Gesetz, das Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) reguliert, kommt einem Arbeitsverbot für kritische Köpfe gleich. Auch die Stiftung musste sich unter diesem NGO-Gesetz neu registrieren lassen. Wir haben natürlich analysiert, ob es nach dem Tod von Meles Zenawi Veränderungen geben könnte. Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass nicht damit zu rechnen ist. Es werden sich wohl keine neuen demokratischen Spielräume eröffnen. Ein Beleg dafür ist die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Addis Abeba erst vor wenigen Tagen, die Bankguthaben der beiden wichtigsten Menschenrechtsorganisationen in Äthiopien weiterhin zu sperren. Damit hat der Gerichtshof das Vorgehen aus dem Jahr 2009, als die Konten erstmals eingefroren wurden, bestätigt. Es werden fortgesetzt Oppositionelle und Journalisten verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt, auch von der neuen Regierung. Offenbar gibt es in der Regierung die Angst, dass es zu einer Art ethnischem Zerfall kommen oder die muslimische Bevölkerung stärker aufbegehren könnte. Das dürfte eher mehr als weniger Repression nach sich ziehen.

Was konnte die Heinrich-Böll-Stiftung zuletzt in Äthiopien noch praktisch tun?

Wir konnten uns nur noch auf entpolitisierte Felder konzentrieren. Wir haben eine Ausstellung mit dem Titel „Zur Nachahmung empfohlen“ gezeigt, die sich künstlerisch mit Umweltfragen auseinandersetzt. Das waren unsere Versuche, auf unverdächtigen Feldern doch noch ein paar politische Akzente zu setzen. Aber selbst die internationale Panos-Stiftung, mit der wir gemeinsam Umweltsendungen für das Radio konzipiert haben, musste das Programm einstellen. Wir haben mit einem Netzwerk zusammengearbeitet, das die Auswirkungen des Klimawandels auf Äthiopien untersuchen und politisch bearbeiten wollte. Auch dieses Netzwerk wird in den kommenden Wochen die Arbeit einstellen müssen. Wir haben durch das NGO-Gesetz als Stiftung selbst, aber mehr noch unsere mutigen Partnerinnen und Partner, die Grundlage für die Arbeit in Äthiopien verloren. Viele gehen ins Exil oder suchen sich andere Jobs. Bäume pflanzen dürfen sie aber noch. Wir haben unseren Partnern versprochen, unseren Rückzug öffentlich zu begründen und so ein wenig Öffentlichkeit dafür zu schaffen, mit welchem Regime wir es in Äthiopien zu tun haben.

Welche Einschränkungen gibt es konkret?

Wenn eine Regierung von uns und unseren Partnern verlangt, dass wir unsere Arbeitsprogramme und Budgets vorzulegen haben, dass die Behörde sogar eingreifen und Personal suspendieren kann, dann ist eine unabhängige Arbeit nicht mehr möglich. Es ist ein Arbeitsverbot für jegliche Form von Kritik. Das NGO-Gesetz markiert einen Höhepunkt politischer Kontrolle und kommt einem politischen Arbeitsverbot einheimischer und externer Akteure gleich. Unter dem Anti-Terror-Gesetz kann inzwischen alles ohne Belege oder Beweise verurteilt werden. Die meisten verhafteten Journalisten werden ebenfalls mit diesem Gesetz abgeurteilt. Das ist ein Generalverdacht. Die Gerichte sind nicht unabhängig, eine Gewaltenteilung, wie wir sie verstehen, gibt es nicht. Die letzten freien Zeitungen werden zunehmend unter Druck gesetzt oder mussten schließen.

Die deutsche Entwicklungs- und Außenpolitik hat sich den Schutz der Menschenrechte zum Ziel gesetzt. Ist es unter diesen Umständen richtig, Äthiopien weiterhin als politischen und Entwicklungspartner zu halten?

Organisationen wie Human Rights Watch haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Beweisen geliefert, dass auch internationales Entwicklungsgeld vom Regime politisch eingesetzt wird. Entwicklungshilfegelder werden mit nationalen Budgets gemischt und dazu genutzt, politisches Wohlverhalten oder den Eintritt in die Einheitspartei zu „kaufen“. Es ist bemerkenswert, dass die Zahl der Mitglieder der Einheitspartei (EPRDF) von 760 000 vor ein paar Jahren auf 4,5 Millionen gestiegen ist. Ich finde das sollte der internationalen Gebergemeinschaft schon zu denken geben. Denn da findet politischer Missbrauch mit Hilfsgeldern statt. Die internationalen Geber haben zwar vor der Verabschiedung des NGO Gesetzes durchaus lautstark protestiert. Doch dessen Verabschiedung hat zu keinerlei Konsequenzen der Geber geführt. Äthiopien wird als wichtigster Stabilitätsfaktor am Horn von Afrika betrachtet und bleibt weiter ein Liebling aller Geber. Deutschland gibt nur 2,5 Prozent der Mittel, die Äthiopien von außen bekommt. Aber die Weltbank und andere große Geber zahlen beträchtliche Summen. Europa und die internationale Gemeinschaft  haben nach dem Arabischen Frühling zugegeben, dass sie in Nordafrika zu lange Stabilität gegen Demokratie ausgespielt haben. Aus meiner Sicht findet das fortgesetzt mit Äthiopien statt. Äthiopien wäre ein Land, bei dem der Westen glaubwürdig dokumentieren könnte: Wir haben verstanden. Man muss auch mal konsequent sein und demokratischen Prinzipien den Vorrang geben.

Wenn Geber versuchen, die Regierung zu umgehen, und Geld staatsfern auszugeben, könnten sie herausfinden, dass selbst die NGOs staatlich gesteuert sind?

Genau. Das äthiopische Entwicklungsmodell sieht eine starke Modernisierung, auch Industrialisierung vor. Das Regime investiert viel Geld in Bildung. NGOs stehen fast ausschließlich im Dienst der Regierung. Sie dürfen beispielsweise staatliche Armutsbekämpfungs-programme unterstützen. Das ist genau das, was nicht unser Mandat ist. Wir sind eine politische Stiftung. In unserer Arbeit geht es um bürgerliche, wirtschaftliche und soziale Rechte. Es geht um Partizipation und Teilhabe. Mit der Durchführungsverordnung des NGO-Gesetzes ist nochmals klarer geworden, dass wir keine Handlungsmöglichkeiten mehr für politische Arbeit haben. Organisationen, die mehr als zehn Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland bekommen, dürfen sich zu politischen oder Menschenrechtsfragen nicht mehr äußern. Bei den Durchführungsbestimmungen haben die Behörden zudem entschieden, dass Studien oder Webseiten Verwaltungsausgaben seien, deren erlaubtes Volumen durch das Gesetz stark eingeschränkt ist. Das führt dazu, dass politische Arbeit unterbunden wird. Das Regime wollte uns zwar im Land halten, doch das Abkommen, das uns angeboten wurde, hat wesentliche Bestimmungen des NGO-Gesetzes enthalten. Das machen wir nicht. Äthiopien ist ein Überwachungsstaat, und der Geheimdienst ist überall.

Welche Folgen hat das NGO-Gesetz von 2009?

Zunächst einmal sind viele NGOs verschwunden. Vor dem NGO-Gesetz gab es ca. 3.500 registrierte Organisationen, ein Jahr danach nur noch etwa die Hälfte. Auch wenn die Zahl inzwischen wieder angestiegen ist, die kritischen Inhalte sind verloren gegangen. Ein Großteil der NGOs war  – unter strenger Aufsicht der Behörde – zur Anpassung, d.h. Einschränkung, ihrer Aufgabenbereiche gezwungen. Einige mussten sogar ihren Namen ändern. Das Wort „Rechte“ darf nicht mehr verwendet werden.

Warum gilt Äthiopien als entwicklungsorientiert und erfolgreich bei westlichen Gebern?

Meles Zenawi war lange der Liebling der westlichen Regierungen, auch weil er eine Entwicklungsvision für sein Land hatte. Dabei hätte die Repression nach den Wahlen 2005 spätestens der Zeitpunkt sein müssen, zu verstehen, mit was für einem Typus Regime man es zu tun hatte. Er hat tausende Menschen verhaften lassen, hunderte sind angeklagt worden und saßen jahrelang unter üblen Bedingungen im Gefängnis. Da hätte man klare Kante zeigen können. In Äthiopien ist zudem zu beobachten, dass Landnahme in großem Stil stattfindet – zu Lasten der Kleinbauern. Es findet ein „Verdorfungsprogramm“ statt, selbst Nomaden werden in Dörfern angesiedelt, vorgeblich, um eine bessere Infrastruktur zu ermöglichen, tatsächlich aber, um das Land frei zu räumen. Die meisten Umgesiedelten finden danach aber häufig eine schlechtere Infrastruktur vor, als dort, wo sie herkamen. Die Weltbank unterstützt dieses Programm indirekt mit Budgethilfe.

Ich stelle mir schon länger die Frage, ob die 0,7-Prozent Kampagnen – seit Jahrzehnten versprechen die Industrieländer 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Entwicklungspolitik zur Verfügung zu stellen, nur wenige halten diese Marke ein – noch Sinn machen. Selbst ohne die 0,7 Prozent verfügt das Entwicklungsministerium über mehr Geld als es sinnvoll ausgeben kann. Schaden sich die Entwicklungs-NGOs mit diesem Mantra nicht selbst?

Man muss noch viel stärker darüber nachdenken, wofür Länder Geld bekommen. Und man muss sich in der Tat die Frage stellen: welchen Sinn haben Nord-Süd-Transfers und wo kommen sie an? NGOs, auch aus dem Westen, müssen sich schon fragen lassen, vor welchen Regierungskarren, vor welches Regierungsprogramm sie sich da eigentlich spannen lassen. Die äthiopische Regierung freut sich über jede unpolitische NGO, die vor Ort u.a. auch staatliche Aufgaben übernimmt - z.B. in der Bildung. Und wir beobachten weltweit, dass NGOs mit zu viel Geld auch entpolitisiert werden können. Manche werden regelrecht eingekauft. Wir brauchen mehr Selbstreflexion über all diese Effekte.
 

Lesen Sie auch das Hintergrundpapier zur Schließung des Büros in Addis Abeba.


Das Gespräch führte Dagmar Dehmer. Sie arbeitet für Der Tagesspiegel, Berlin, wo das Interview zuerst erschien (16.11.2012).