Westerwelle auf internationalem Parkett: Schwarz-gelber Zwist auch auf diesem Feld

Man braucht nur Ausschnitte aus seinen Auftritten auf Parteiveranstaltungen zu Gesicht zu bekommen, damit es einem kalt über den Rücken läuft, wenn einem einfällt, dass dieser Mann Ressort bedingt sich nun im Dickicht der internationalen Politik bewegen und bewähren muss. Foto: Michael Thurm Das Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

 

20. Januar 2010
meint Joscha Schmierer


Der neue Außenminister ist mit sich zufrieden. Allenthalben bekommt er in der Presse bescheinigt, er habe grobe Fehler bisher vermeiden können. Ist doch was! Dabei war er zwischen Polen, den Niederlanden, Frankreich, den USA, Israel, der Türkei, der Golfregion und zuletzt Japan und China schon ganz schön viel unterwegs. „In den ersten Wochen bloß keinen Fehler machen!“ hatte Nico Fried in der Süddeutschen Zeitung Ende November Westerwelles Motto auf eine Formel gebracht. Schon sind fast drei Monate verstrichen und noch ist nichts Schlimmes passiert.

Keinen Fehler zu machen, treffe auf „keinen Neuling jeder Regierung“ so zu wie auf den Außenminister, der mit einem falschen Wort Staatskrisen entfachen könne, meinte Nico Fried weiter: „Und auf Guido Westerwelle trifft es ganz besonders zu, weil manche es schon für eine Staatskrise halten, dass er überhaupt in dieses Amt gekommen ist. Tatsächlich dürfte selbst unter Sympathisanten der FDP der Wunsch nach Steuersenkungen bei der Wahlentscheidung eher den Ausschlag gegeben haben als die Aussicht auf einen Außenminister Westerwelle.“


Westerwelles Doppelrolle

Im Verhältnis von innenpolitischer Dogmatik und Kannegießerei einerseits und dem außenpolitischen Erfordernis andererseits, Umsicht und diplomatische Zurückhaltung zu praktizieren, liegt eines der Probleme für den neuen Außenminister. Man braucht nur Ausschnitte aus seinen Auftritten auf Parteiveranstaltungen zu Gesicht zu bekommen, damit es einem kalt über den Rücken läuft, wenn einem einfällt, dass dieser Mann Ressort bedingt sich nun im Dickicht der internationalen Politik bewegen und bewähren muss. Ob es da beruhigt, wenn man hört und liest, dass sich Westerwelle selbst dieser Problematik bewusst zu sein scheint?

In einem ganzseitigen Interview in der FAZ hatten ihn Klaus Dieter Frankenberg und Berthold Kohler auf Afghanistan angesprochen und gefragt, ob „wir“ dort Krieg führten. Westerwelle antwortete mit einer Mischung aus akademischem Vortrag und populistischem Unbehagen: „Krieg im Völkerrecht heißt, dass ein Land ein anderes angreift. Das ist hier nicht der Fall. Wir sind in Afghanistan, weil das afghanische Volk mit riesiger Mehrheit das will und weil die afghanische Regierung uns händeringend darum bittet, sie nicht nur beim wirtschaftlichen Aufbau, sondern auch bei der militärischen Sicherheit zu unterstützen. Ich muss aber zugeben: Wenn man zu Hause mit den Bürgern spricht, stößt man mit dieser semantischen und juristischen Unterscheidung, die ich als Außenminister vorzunehmen habe, nicht immer auf Verständnis.“ Es sei eben ein Unterschied, „ob man vielleicht beim Bier redet oder ob ich als Außenminister einer Zeitung ein Interview gebe, die in der ganzen Welt gelesen wird. Es hätte erhebliche internationale Konsequenzen, wenn ich da die falschen Worte wählen würde, nur um einer Stimmung beizupflichten, die ich nicht von der Hand weisen kann.“  Der Mann ist auf der Hut.

 

Die Karten auf den Tisch

Man kann auch anders über Afghanistan reden, ohne durch falsche Worte „erhebliche internationale Konsequenzen“ herauf zu beschwören. Dort in Afghanistan versuchen die Taliban mit Terror gerade auch gegen die Zivilbevölkerung in einem blutigen Bürgerkrieg ihr Regime wieder zu errichten, das große Teile der Afghanen, vor allem die Afghaninnen terrorisierte und – das war der völkerrechtliche Verstoß – Al Qaida die Gelegenheit bot, weltweit Terrorakte zu organisieren. Mit den Anschlägen in New York und Washington erreichten sie ein Ausmaß, das die UN auf den Plan rufen musste. Es ist keine leere Floskel, wenn der Sicherheitsrat in seinen Resolutionen von einer Bedrohung des Weltfriedens spricht, die von den Anstrengungen der Taliban ausgeht, in einem Bürgerkrieg erneut die Macht zu erobern. Deshalb ergreifen die UN hier anders als in anderen inneren Konflikten Partei. Sie können sich nicht aus einem Bürgerkrieg heraushalten, in dem die eine Partei nicht „nur“ auf die eigene Bevölkerung keinerlei Rücksicht nimmt, sondern nach wie vor eine Bedrohung für den Weltfrieden darstellt.

Zwei Drittel der Opfer in der Zivilbevölkerung vom letzten Jahr gehen nach einem jüngsten Bericht der UN auf Angriffe der Taliban zurück. So sieht ihr Kampf gegen die „ausländischen Besatzer“ aus. Die Truppenverstärkung durch die USA und andere Teilnehmer der ISAF dienen ausdrücklich und glaubhaft dem Ziel, die in der Abwehr der Taliban die Gefährdung der Zivilisten durch riskante Luftangriffe zu reduzieren und möglichst zu vermeiden. Der semantische Eiertanz hat keine völkerrechtlichen Ursachen. Er erschwert es, notwendige Entscheidungen zu treffen und öffentlich zu begründen. So wird die Ablehnung der im Übrigen vergleichsweise geringen Beteiligung der Bundesrepublik an der UN-Mission weiter zunehmen. Das sind die Folgen mangelnder politischer Überzeugungsarbeit in einer Demokratie. Wer die Mission für falsch hält, sollte dafür plädieren, den ganzen Einsatz ohne wenn und aber abzublasen. Da ist Die Linke wenigstens konsequent. Wer die UN-Mission aber für notwendig hält, sollte die Kräfte mobilisieren, die einen Abzug erst ermöglichen können. Aussitzen kann man diese Entscheidung nicht.

 

Streit wegen Kontinuität

Um Fehler zu vermeiden, setzt der neue Außenminister im Wesentlichen die Politik seines Vorgängers fort. Indem er versucht, Frau Steinbach den deutsch-polnischen Beziehungen zuliebe aus dem Rat der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ herauszuhalten, und der Türkei versichert, die Beitrittsverhandlungen zur EU würden ergebnisoffen geführt, gerät er freilich in Konflikt mit Teilen der CDU und der CSU-Führung. Berthold Kohler sah sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schon veranlasst, die Richtlinienkompetenz von Angela Merkel anzurufen. Zu klären sei – „und dafür gibt Westerwelles Türkei-Reise weiteren Anlass“ – wer in dieser Regierung die „Richtlinien in der Außen- und in der Erinnerungspolitik bestimmt. Die Kanzlerin schweigt. Genießen kann sie es aber nicht, wie der Vizekanzler mit dem CDU-Vorstandsmitglied Steinbach, einem bedeutsamen Teil der Wählerschaft der Union und nicht zuletzt mit ihr selbst umspringt.“ (10.1.2010) Damit wird eine Neuauflage des „Koch und Kellner“-Spielchens angemahnt, in dem im Unterschied zu Joschka Fischer sich Außenminister Steinmeier in der großen Koalition nie herumschlagen musste. Noch hat Angela Merkel kein Interesse an diesem Gerangel.

Es sei frappierend, meint Kohler, dass ausgerechnet der gelernte Innenpolitiker Westerwelle die innenpolitische Rolle der causa Erika Steinbach nach Kräften ignoriere. Doch so frappierend ist das nicht, wenn man sich klar macht, wie sehr Westerwelles Erfolg in der Doppelrolle als dogmatischer Einpeitscher einer steuerpolitischen Lobbypolitik und besonnener Akteur auf der internationalen Bühne von der strikten Trennung von Innen- und Außenpolitik abhängt. So wies er die Kritiker seines Türkeiauftritts zurecht, was die CSU aufführe, sei Innenpolitik. „Das hat mit Außenpolitik nichts zu tun.“ (SZ 9.1.2010) Im Unterschied zur Innenpolitik ist sie von Ressentiments freizuhalten. So wies Staatsminister Hoyer den CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der gemeint hatte, es sei klar, dass es bei den Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei um „eine Partnerschaft“ gehe, vehement zurecht: „Es ist politisch legitim, wenn Herr Dobrindt sich das wünscht, aber es zeigt, dass er von keinerlei Sachkenntnis getrübt ist.“ Westerwelle greift in diesem Zusammenhang gern auf ein lateinisches Zitat zurück, mit dem der CSU-Guru Franz Josef Strauß sich öfters aus der Affäre zog: Pacta sunt servanda, Verträge müssen eingehalten werden.


Was zu klären wäre

Falls es gelingen sollte, den Streit mit und um Erika Steinbach so zu beenden, dass kein außenpolitisches Porzellan zerschlagen wird, lassen sich die weiterreichenden Streitfragen in der EU und zwischen Polen und der Bundesrepublik hoffentlich nüchtern angehen: In erster Linie dreht sich der Streit immer noch um eine gemeinsame Politik gegenüber Osteuropa. Osteuropa meint die Staaten, die aus der Auflösung der Sowjetunion hervorgegangen sind und ob sie wollen oder nicht mit Russland mehr schlecht als recht verbunden bleiben. Vielleicht hat sich auf polnischer Seite inzwischen die trügerische Hoffnung gelegt, man könne dieses Problem durch Subtraktion lösen, indem man einen Staat nach dem anderen in die EU und die NATO hinüberzieht bis schließlich Russland allein übrig bleibt. Aus vielen Gründen bleibt Osteuropa eine kompakte Realität, die sich den Verfahren der einfachen Mathematik entzieht. In der Ukraine und Weißrussland wie in Georgien ist der homo sovieticus genauso wie in Russland selbst kein bloßes Gespenst. Er agiert vor noch älterem zaristischem und orthodoxem Hintergrund. Doch wie ist dann das Wiedererstehen einer russischen Hegemonialmacht in Osteuropa zu verhindern? Das ist der richtige Kern des polnischen Misstrauens gegenüber einer kritiklosen Hinwendung zu Russland als größter osteuropäischer Macht. Hier ist natürlich auch Frau Ashton als Ideengeberin und Moderatorin einer gemeinsamen Außenpolitik der EU gefragt.

Im Verhältnis zur Türkei bleibt fraglich, wie in dem unvermeidlich sich länger hinziehenden Beitrittsprozess vermieden werden kann, dass sich die türkische Führung in osmanischer Tradition und aus Frust über die EU den Staat zunehmend als solitäre Regionalmacht mit hegemonialen Fähigkeiten begreift. Die Chancen einer EU-Integration wären verspielt. Neue Reibungsflächen in unmittelbarer Nachbarschaft der EU würden entstehen. Auch eine bloße Partnerschaft könnte dann sehr schwierig werden. Auch hier wäre Aussitzen keine Lösung.

Diese Probleme sind dem Auswärtigen Amt natürlich bewusst. Aber aus dem Auswärtigen Amt heraus werden solche Probleme nicht öffentlich zur Diskussion gestellt. Dafür braucht es die Minister. Kann man da von Westerwelle viel erwarten?

 

Es bleibt kompliziert

Manches spricht dagegen. Außenpolitisch scheint er dazu zu neigen, Widersprüche zu verschleiern und sich selbst ein X für ein U vorzumachen. So verkündete er im Zuge seiner Chinareise, die Interessen der deutschen Wirtschaft und das Eintreten für Menschenrechte ließen sich leicht unter einen Hut bringen, wenn man nur höflich auftrete. Das ist eine Illusion. Von Leichtigkeit kann keine Rede sein. Die Wirtschaft tickt anders als eine werteorientierte Außenpolitik. Die kann sich aber keinen Erfolg versprechen, wenn die Integration Chinas in den Weltmarkt nicht weiter vorankommt. Es bleibt also kompliziert.

Ein grundlegender Fehler liegt in Westerwelles Ansatz, Innen- und Außenpolitik systematisch auseinander halten zu wollen. Es ist sein Versuch mit seiner Doppelrolle zurecht zu kommen: In der Außenpolitik muss er allgemeine Interessen vertreten, nicht nur die einer engen Klientel. In der Innenpolitik aber ist es seine Spezialität grenzwertig zu agieren, um die nötigen Prozente für eine Regierungsbeteiligung einzuheimsen.

Der sachliche Zusammenhang zwischen Innen- und Außenpolitik wird durch die Globalisierung immer enger, der politische Zusammenhang ist in der Demokratie begründet: Auf Dauer wird leidenschaftlich verfolgte innere Klientelpolitik sich nicht mit einer vernünftigen Außenpolitik überzeugend verbinden lassen. Von Anfang an macht Westerwelles Doppelrolle es ihm schwer, die so dringend nötige Diskussion über Deutschlands internationale Politik in einer globalisierten und zugleich von Chaos und Gewalt bedrohten Welt offen und öffentlich zu führen. Leerformeln helfen da nicht weiter.

Joscha Schmierer

 
 
 

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.
 

 

 
 
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