Die Klimaverhandlungen sind längst keine reinen Umweltkonferenzen mehr. Sie sind zu dem Forum aufgestiegen, welches die Regeln für Fairness in der Weltgesellschaft festlegt. Nicht umsonst sprechen inzwischen fast alle Parteien von der Notwendigkeit eines „fairen Deals“ und einer „gerechten Lastenteilung“. Ein Tableau der laufenden UN-Klimaverhandlungen und ihrer verschiedenen Themenstränge unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeit.
Anpassung: Vorbereitung auf das Unvermeidbare
Schon lange ist klar, dass auch bei extrem ambitionierten Klimaschutzzielen nicht alle Folgen der globalen Erwärmung vermieden werden können. Vor allem in den Entwicklungsländern sind die negativen Auswirkungen bereits jetzt enorm und sie treffen insbesondere die ohnehin verwundbarsten Gruppen (Arme, Frauen, Kleinbäuerinnen und -bauern). Ohne einen Schwerpunkt auf Anpassung wird Klimapolitik nie gerecht sein können. Konkrete Vorschläge zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen sowie Berechnungen des Finanzierungsbedarfs liegen vor.
Dennoch gehen die Verhandlungen nur schleppend voran. Wo werden Fragen der Gerechtigkeit besonders berührt? Anpassung wird nicht in allen Fällen möglich sein. An manche Folgen (etwa an dem Untergang kleiner Inseln) kann man sich nicht anpassen. Hier muss es um Kompensationszahlungen für den Schaden gehen. Aber um diese Frage drücken sich die Verursacherstaaten.
Eng damit zusammen hängt die Frage der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen: Im Unterschied zur Entwicklungshilfe geht es hier nicht um Wohltätigkeit, sondern um Ausgleichszahlungen. Die Gelder dürfen in keinem Fall als Kredite zur Verfügung gestellt werden, sie müssen zusätzlich zu den jetzigen Zusagen öffentlicher Entwicklungshilfe gezahlt werden.
Wer soll diese Gelder bekommen? Und geht es nur um die verwundbarsten Staaten, da die UN-Verhandlungen zwischen Regierungen laufen? Wie kann der Zugang für gefährdete Gruppen innerhalb dieser Länder gewährleistet werden? Wie können Schäden für den Ernstfall versichert werden?
Ein neues Klimaabkommen tritt erst 2013 in Kraft. Doch bereits jetzt sind die Schäden groß. Die ärmsten Entwicklungsländer haben nationale Aktionsprogramme erstellt. Doch sogar die Finanzierung dieser Maßnahmen, die global nur rund zwei Milliarden US-Dollar kosten würden, ist nicht gegeben.
Minderung: Der Norden muss weiterhin vorangehen
Die Industrieländer müssen voranschreiten, wenn es um ehrgeizige Ziele der Emissionsreduktion geht. Sie sind für den Großteil der Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich und bei den aktuellen Pro-Kopf-Emissionen immer noch führend. Was bislang auf dem Tisch liegt, genügt bei Weitem nicht, um gefährliche Klimaveränderungen zu verhindern. Je weniger aber die Industrieländer tun, desto mehr müssen die Schwellenländer sich engagieren – oder die Auswirkungen werden gravierender und treffen auch wieder die Ärmeren. Ambitionierte Minderungsziele der Industrieländer sind daher eine Grundbedingung internationaler Gerechtigkeit.
Sodann ist es auch eine Frage der Gerechtigkeit, wie die Industrieländer untereinander ihre gesammelten Minderungspflichten aufteilen und sicherstellen, dass die ärmeren Gruppen in ihren eigenen Ländern nicht übermäßig belastet werden. Tun die USA beispielsweise gegenwärtig genug? Im Vergleich zur Bush-Ära beobachten wir einen Quantensprung in der amerikanischen Klimapolitik. Für ein globales Klimaschutzziel von höchstens 2° C reicht es nicht.
Wichtig aus Nord-Süd-Perspektive ist zudem, welchen Teil ihrer Minderungspflichten die Industrieländer national erbringen und welchen sie durch Finanzierung internationaler Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern anrechnen dürfen. Für diese Art eines Nord-Süd-Transfers gibt es einen enormen Bedarf. Aber es muss sich dabei deutlich um eine zusätzliche Pflicht der Industrieländer handeln, nicht um einen Ablasshandel, der die so dringend notwendige energiepolitische Trendwende im Norden hinauszögern würde.
Minderung: Wie viel kann vom Süden verlangt werden?
Während die Industrieländer vorangehen müssen, sind die Zeiten vorbei, in denen die Schwellen- und Entwicklungsländer die Hände in den Schoß legen dürfen. Alle Länder müssen Klimaschutz betreiben, egal, wie arm sie sind – dies schon allein aus Eigennutz. Außerdem lassen sich etliche Klimaschutzmaßnahmen aufs Beste mit Armutsreduktion verbinden – man denke nur an Solarkocher, um die Abholzung für Brennholz zu vermeiden, oder den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, um allen gleichermaßen Mobilität zu ermöglichen. Dennoch ist klar: Die meisten Entwicklungsländer können und sollen in Kopenhagen noch keine Verpflichtungen eingehen. Sie sollten aber bereits Pläne entwickeln, wie auch sie Klimaschutz umsetzen werden. Und sie können mit diesen Plänen Finanztransfer vom Norden beantragen, um Maßnahmen mit Mehrkosten durchzuführen.
Anders sieht dies für die Schwellenländer aus. Einige, so etwa Südkorea, Saudi-Arabien, Singapur, sollten gar nicht mehr zu dieser Gruppe gezählt werden; gemessen am Pro-Kopf-Einkommen oder an Pro-Kopf-Emissionen sind sie inzwischen Industrieländer geworden. Aber selbst Schwellenländer, in denen Armut noch weit verbreitet ist, werden sich in Kopenhagen zu einer aktiven Klimaschutzpolitik verpflichten müssen. In China, Mexiko, Brasilien, Südafrika und weiteren Schwellenländern ist eine globale Konsumentenklasse herangewachsen, die die Kapazität hat, ihre Treibhausgase deutlich zu reduzieren, und die dafür auch Verantwortung übernehmen muss.
Die USA würden von diesen Ländern in Kopenhagen gern absolute Reduktionsverpflichtungen sehen. Aber sie haben kein Recht, dies zu fordern, weil sie selber trotz Rio und Kyoto nichts unternommen haben. Denkbar für die Schwellenländer wäre allerdings eine verpflichtende Deckelung der Emissionen in der Zukunft. Denkbar wären ferner relative Ziele, so dass die Emissionsintensität am Bruttosozialprodukt sinkt. China hat solch ein Ziel bereits als Selbstverpflichtung ausgerufen. Denkbar wäre schließlich auch, dass die Schwellenländer sich verpflichten, einen Satz effektiver Klimaschutzinstrumente einzuführen, wie Ökosteuern, Effizienzstandards, Emissionshandel, Erneuerbare-Energien-Einspeisegesetze usw.
Clean Development Mechanism: Gerechtigkeit auf dem Kohlenstoffmarkt
Der Clean Development Mechanism (CDM) dient vor allem zwei Zielen: Einerseits soll er den Ländern des Nordens Flexibilität bei der Erfüllung ihrer Emissionsminderungspflichten bescheren: Sie können über CDM die Vermeidung von Treibhausgasen in die Länder des Südens abschieben. Andererseits soll CDM dem Süden über Projekte den Einstieg in einen erneuerbaren Entwicklungspfad finanzieren und einen Transfer klimafreundlicher Technologien organisieren. In der Praxis der letzten zwölf Jahre zeigt CDM aber erhebliche Schwächen. Vor allem wird seine ökologische Integrität kritisiert. Es mehren sich wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass viele CDM-Projekte netto gar keine Emissionsminderungen bringen. Trägt CDM überhaupt zu einer nachhaltigen Entwicklung der Länder des Südens bei?
Mit Blick auf Gerechtigkeit können noch weitere Punkte kritisiert werden. Erstens ist die regionale Verteilung der CDM-Projekte extrem ungleich. Rund achtzig Prozent aller Projekte werden in nur fünf Ländern durchgeführt: China, Indien, Brasilien, Mexiko, Malaysia. Die meisten Entwicklungsländer gehen leer aus. Zweitens bietet CDM in der Praxis nicht wie erhofft Anreize für einen Technologietransfer; die Mehrzahl der Projekte verfolgt noch nicht einmal in ihrer Selbstbeschreibung dieses Ziel. So wundert es nicht, dass CDM in den gegenwärtigen Verhandlungen zur Disposition steht.
Die Vorschläge reichen von „gänzlich abschaffen“ bis „grundlegend reformieren“. Für letzteres liegen Optionen auf dem Tisch. So könnte CDM in Zukunft von einzelnen Projekten auf ganze Wirtschaftssektoren ausgedehnt werden, etwa den Stahl- oder Zementsektor (sectoral CDM). Oder er könnte die Einführung von Politiken und Maßnahmen auf nationaler Ebene umfassen (policy CDM). Doch bei diesen Vorschlägen geht es in erster Linie darum, neue Reduktionspotentiale im Süden zu erschließen. Sie erscheinen indessen ungeeignet, um eine gerechtere Verteilung von privatwirtschaftlichen Finanzen auf alle Länder des Südens und einen verbesserten Technologietransfer über den Kohlenstoffmarkt zu erzielen. Besonders problematisch wäre eine direkte Finanzierung von Tropenwaldschutz über den Emissionshandel, da es hier um große Minderungspotentiale geht, die sehr billig zu haben sind. Sie vermindern dann die Anreize, im Industrie- und Verkehrssektor die Energiewende einzuleiten.
Finanzierung: Wer zahlt’s? Wer kriegt’s?
Minderung, Anpassung und Technologiekooperationen kosten Geld. Ein globales Klimaschutzabkommen wird es nicht ohne einen massiven Finanztransfer von Nord nach Süd geben. Im Kern handelt es sich auch hier um eine Frage gerechter Lastenteilung: Welches Land soll welchen Anteil der globalen Kosten übernehmen? Eine Kostenschätzung ist dabei äußerst schwierig. Die Industrieländer haben sich verpflichtet, die vollständigen „inkrementellen Kosten“ – sprich die Mehrkosten gegenüber preiswerteren, klimaschädlichen Investitionen – aller Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern zu tragen. Sollen die Hauptverursacher am meisten zahlen, weil sie die größte historische Schuld tragen? Oder sollen die reichen Länder mehr als die weniger reichen zahlen, weil sie aktuell die größten finanziellen Kapazitäten haben?
Gerechtigkeitsfragen stellen sich ebenfalls bei der Ausgabe der Mittel. Welches Land erhält wie viel Geld? Die Antworten sind nicht eindeutig: Sollen China, Mexiko oder Brasilien Geld erhalten, weil hier die größten Vermeidungspotentiale schlummern und das Geld für den Klimaschutz am effektivsten eingesetzt wäre? Oder soll China wenig bis gar nichts erhalten, weil es ein Umschwenken aus eigener Kraft schaffen kann? Dann hätten die weniger reichen Entwicklungsländer und die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) Anrecht auf das meiste Geld. Davon abgesehen ist es problematisch, dass die Diskussion über Klimafinanzierung derzeit hauptsächlich geschlechterblind verläuft. Frauen werden bei der Entwicklung moderner Finanzierungsmechanismen wenig berücksichtigt, obwohl bekannt ist, dass gerade sie in Entwicklungsländern oft schlechteren Zugang zu Märkten und Kapital besitzen als Männer.
Institutionen: Neuer Wein und alte Schläuche?
Hilfe zur Anpassung, Unterstützung von Minderungsaktivitäten, Reform des Kohlenstoffmarkts, ein groß angelegter Technologietransfer – so oder so werden die Klimaverhandlungen dazu führen, dass die internationale Kooperation in Wirtschaft und Politik zunimmt. Welche Institutionen sollen diese Kooperation organisieren? Viele Vorschläge, die von Ländern in die aktuellen Verhandlungen eingebracht wurden, laufen auf die Gründung neuer Institutionen hinaus. So plädiert die Gruppe der Entwicklungsländer für ein neues Exekutivorgan zum Technologietransfer und die EU für eine zentrale Kontrollinstanz, die die nationalen Klimaschutzpläne aller Entwicklungsländer überprüfen soll. Insbesondere über das Management der über hundert Milliarden Euro, die in Zukunft womöglich fließen werden, ist ein Konflikt entbrannt. Welche Institution(en) sollen die Gelder verteilen? Eine neue, unabhängige und mindestens paritätisch aus Nord und Süd besetzte Finanzinstitution, die nicht nur die Interessen der Geldgeber vertritt, fordern viele Entwicklungsländer; die Weltbank soll ausgebaut und reformiert werden, um mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung diese Summen effektiv abwickeln zu können, meinen die meisten Industrieländer. Im Streit werden oft die am meisten betroffenen Gemeinschaften wie auch die Privatwirtschaft vergessen, diese sollten möglichst unbürokratisch und nach einem fairen Verteilungsschlüssel auf die Gelder zugreifen können.
Repräsentation und Mitsprache: Komplexität gegen Demokratie
Je näher die Klimakonferenz in Kopenhagen rückt, desto komplizierter scheinen die Verhandlungen zu werden. In verschiedenen Arbeitsgruppen wird oft parallel über äußerst komplexe technische Details verhandelt, während die großen politischen Fragen woanders entschieden werden. Die Delegationen der ärmeren Entwicklungsländer stellt das vor große Herausforderungen. Sie bestehen oft nur aus wenigen Personen, Expertise und Beratung müssen eingekauft werden. Häufig fehlt die innenpolitische Rückendeckung, die den Verhandlungen Bedeutung einräumt. Erfahrungswissen ist rar. Dem Verhandlungsmarathon können die kleinen Delegationen nur sehr begrenzt folgen und dementsprechend wenig Einfluss auf seinen Verlauf nehmen – eine unschöne Erfahrung, die vielen aus der WTO bekannt ist. Hinzukommt, dass genau diese Länder in den (informellen) Gremien und Foren, in denen politische Weichenstellungen beschlossen werden, nicht vertreten sind – weder in der G8, der G20 oder dem von Bush einberufenen und von Obama fortgeführten Major Economies Forum (MEF) der 17 größten Emittenten-Länder. Je (kosten-)aufwendiger und komplexer der Verhandlungsprozess wird, desto mehr geraten Klimaschutz und Demokratie miteinander in Konflikt. Und wenn schon Regierungen des Südens die Flut an Themen und Verhandlungstreffen kaum mehr bewältigen können, wie können dann noch Betroffene und die Zivilgesellschaft angemessen mitsprechen?