Wurzeln des Problems
Wäre das alles vermeidbar gewesen, wird der palästinensische Politikwissenschaftler Ali Jarbawi in der jüngsten Ausgabe des Internet Rundbriefes „bitterlemons“ gefragt. Er verneint. Den Palästinensern attestiert Jarbawi zwei ergebnislose Strategien im Umgang mit der israelischen Besatzung: endlose Verhandlungen einerseits und Widerstand ohne einen politischen Rahmen andererseits. Die Wurzel des Problems sieht er jedoch im israelischen Verhalten. Israel sei nie an einem verhandelten Abkommen interessiert gewesen, sondern wollte den Palästinensern eine Regelung aufzwingen.
Damit liegt seine Position nicht weit von der des Haaretz Kolumnisten Akiva Eldar entfernt. Dieser verweist darauf, dass der israelische Verteidigungsminister Barak vor einigen Monaten bei einem Gespräch mit Nahostexperten das Paradigma der Zwei-Staaten-Regelung in Zweifel gezogen habe. Deshalb sei die „neue Sicherheitsrealität“, die die israelische Regierung im Süden Israels erreichen wolle auch nichts mehr, als eine ausgeklügelte linguistische Verschleierung der alten kolonialistischen Realität. Nur wenn es zu einer diplomatischen Übereinkunft mit der säkularen und pragmatischen Führung der Palästinenser in den besetzten Gebieten geführt hätte, wäre es geboten gewesen, Hamas auf die Knie zu zwingen. Ebenso wenig wie allen ihren Vorgängern stehe jedoch zu erwarten, dass die nächsten israelischen Regierungen bereit wären, auf Ariel, Givat Ze’ev oder gar die Altstadt von Jerusalem zu verzichten.
Wiederbesetzung oder Abkommen?
Drei Tage nach Beginn der israelischen Bodenoffensive und nach dem Besuch der EU-Troika und des französischen Präsidenten ist immer noch kein Ende des Krieges in Sicht. Steht Israel damit vor der Entscheidung, entweder weiterzumarschieren und damit letztlich auf die Wiederbesetzung des Gazastreifens zuzugehen oder sich jetzt ohne falsche Hoffnung auf ein Abkommen ohne Hamas-Beteiligung zurückzuziehen?
Der Journalist und ehemalige palästinensische Minister Ghassan Khatib sieht in der bereits zitieren Ausgabe von „bitterlemons“ die Ironie der Lage darin, dass die Ziele beider Seiten sich nicht gegenseitig ausschlössen. Danach will die Hamas ihre Rolle als diejenige palästinensische Kraft erhalten, die über Krieg oder Frieden mit Israel entscheidet. Israel will die Fähigkeit von Hamas, das Land mit Raketen zu beschießen, beenden oder wenigstens soviel militärischen Druck ausüben, dass Hamas damit aufhört. Gleichzeitig verstehe Israel aber auch, dass es bei einer Aufrechterhaltung seiner Abriegelung des Gazastreifens keine Aussicht auf ein Ende des Schmuggels durch die Tunnel gibt. Das werde Israel nur erreichen können, wenn es auf eine Schlüsselforderung von Hamas eingehe, nämlich das Ende der Abriegelung des Gazastreifens. In einem solchen Szenario würden beide Seiten den Sieg beanspruchen.
Waffenstillstande durch internationale Truppen?
In immer mehr Artikeln ist die Rede von der Notwendigkeit der Absicherung eines Waffenstillstandes durch internationale Truppen. Gleichzeitig gibt es widersprüchliche Darstellungen über die Motivationslage der unterschiedlichen Akteure innerhalb der israelischen Regierung.
Ministerpräsident Olmert soll dem französischen Präsidenten Sarkozy gegenüber erklärt haben, Hamas müsse nicht nur aufhören, Raketen abzufeuern, sondern dürfe auch nicht mehr dazu in der Lage sein. Das klingt danach, als spiele er mit dem Gedanken, Hamas müsse zerschlagen werden. Andererseits erklärte er der israelischen Tageszeitung Haaretz, je früher die Operation beendet werden könne, desto besser. Verteidigungsminister Barak, der die Zurückweisung des französischen Vorschlages für eine vertane Gelegenheit zur Beendigung der Operation gesehen haben soll, will nun angeblich weitermachen. Aus dem Stab von Barak wird behauptet, dass im Fall einer mehrmonatigen Fortdauer des Waffenstillstandes Hamas Raketen erhalten, mit denen Tel Aviv erreicht werden könne. Merkwürdigerweise spielt dieses Argument in der Rechtfertigung des Krieges keine große Rolle.
Demonstrationen gegen den Krieg
Innerhalb Israels kommt es verstärkt zu Auseinandersetzungen bei Demonstrationen gegen den Krieg. Heute gab es Handreiflichkeiten zwischen jüdischen und arabischen Studenten an den Universitäten Jerusalem und Haifa. Bei Demonstrationen wurden insgesamt 500 Personen verhaftet, davon etwa die Hälfte im Norden Israels, also wohl mehrheitlich arabische Bürger Israels. Doch bereits im Vorfeld von Demonstrationen werden Sicherheitsbehörden aktiv. Zunehmend bestellt der Inlandsgeheimdienst arabische Bürger Israels zu Gesprächen ein bzw. warnt sie vor der Teilnahme an Demonstrationen gegen die israelische Militärintervention. Die Zeitung Haaretz sah sich daraufhin veranlasst, in einem Editorial darauf hinzuweisen, dass ein derartiges Vorgehen nicht nur Grenzen überschreitet, sondern sich darüber hinaus auch als kontraproduktiv erwiesen hat.
Süden Israels wider Militärintervention
In den von den Hamas-Raketen betroffenen Regionen im Süden Israels gibt es keine Demonstrationen gegen das Vorgehen der Armee. Doch auch hier sind keineswegs alle mit dem eingeschlagenen Weg einverstanden In einem Artikel in Haaretz kommen zwei solcher Stimmen zu Wort. Eine Frau, die seit 22 Jahren in Sderot lebt, berichtet von telefonischen Kontakten zu Menschen in Gaza. Auch Projektpartner der Stiftung, die in Beer Sheva und in einem Kibbuz unmittelbar an der Grenze zum Gazastreifen leben und am Sapir College in Sderot arbeiten, sind gegen die Militärintervention. Ein Bewohner des Sajaia Flüchtlingslagers im Gazastreifen sowie ein Bewohner von Sderot schreiben in einem seit 2008 existierenden Blog über laufende Gewalttätigkeit zwischen Israel und Gaza.
Jörn Böhme ist Büroleiter des Büros Israel der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv.
Quellen:
Haaretz (Englische Ausgabe)
Jerusalem Post (Online Edition)
Y net news.com
bitterlemons.org
Dossier
Krise in Gaza
Am 27. Dezember 2008 begann mit Luftangriffen auf den Gaza-Streifen Israels Offensive „Gegossenes Blei”. Zwar herrscht seit dem 18. Januar 2009 eine Waffenruhe, aber eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht. Hintergründe und Stimmen zu dem Konflikt finden Sie in unserem Dossier.Übersicht der Beiträge von Jörn Böhme zur Situation in Israel und Gaza
- 2. Januar 2009: Notizen zur Situation in Israel und Gaza I, Jörn Böhme, Tel Aviv
- 4. Januar 2009: Notizen zur Lage in Israel und im Gazastreifen II, Jörn Böhme, Tel Aviv
- 6. Januar 2009: Notizen zur Situation in Israel und Gaza III, Jörn Böhme, Tel Aviv