Israel nach dem Krieg und vor den Wahlen

Lesedauer: 22 Minuten

Die Herzliya-Konferenz ist die größte außen- und sicherheitspolitische Konferenz in Israel. Veranstalter ist das Institut für Politik und Strategie am Interdisciplinary Center Herzliya (IDC), einer privaten Hochschule. An der Konferenz nehmen zahlreiche internationale Referenten und Besucher teil. Politisch ist sie im Mitte-Rechts-Spektrum angesiedelt, bietet aber auch Raum für kontroverse Diskussionen.
Die 9. Herzliya-Konferenz fand vom 2. bis 4. Februar 2009 statt.

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2. Februar                                                                                                                             ↑zum Anfang

Nachlese zum Gaza-Krieg

Professor Uzi Arad, Ex-General und Präsident der Herzliya-Konferenz, beleuchtet zum Auftakt der Konferenz das Dilemma des "asymmetrischen Kriegs". Im Gaza kämpfte eine hochgerüstete High-Tec-Armee gegen eine Guerillatruppe, die sich in einem urbanen Umfeld bewegt und die Zivilbevölkerung als Schutzschild benutzt. Je mehr die israelischen Streitkräfte versuchen, eigene Verluste zu minimieren, desto mehr Feuerkraft müssen sie einsetzen. Damit wachsen aber unvermeidlich die Zerstörungen und die Zahl der zivilen Opfer auf der palästinensischen Seite. In der Konsequenz fällt Israel der militärische Erfolg politisch auf die Füße, und die wachsende Empörung der internationalen Öffentlichkeit erzwingt ein Ende der militärischen Operationen.

Die politische und militärische Führung Israels hält die Anwendung überproportionaler Gewalt (disproportionate force) für notwendig, um die Hamas von weiteren Raketenangriffen abzuschrecken und ihre militärischen Möglichkeiten zu dezimieren. Diese Strategie mag kurzfristig ihre Wirkung entfalten. Für die Hamas mag die Übermacht der israelischen Armee – und ihre eigene Ohnmacht – ein Schock gewesen sein. Ihre Kommando- und Kommunikationsstrukturen sind empfindlich getroffen. Sie verhandelt über einen neuen Waffenstillstand mit dem Rücken zur Wand.

Aber die politischen und menschlichen Kosten der israelischen Abschreckungsstrategie sind  zu hoch, um sie auf  Dauer ignorieren zu können. Sie kollidiert mit dem Völkerrecht, das den Einsatz "unverhältnismäßiger Gewalt" verbietet und die Schonung von Zivilisten fordert, sie ruiniert Israels moralische Reputation und sie treibt den radikal-islamischen Gruppen neue Anhänger zu.

Ein militärischer Ausweg aus diesem Dilemma wurde nicht sichtbar. Immerhin öffnet der sich abzeichnende Waffenstillstand Raum für Politik und Diplomatie. Wird er nicht genutzt, ist eine Neuauflage des Krieges nur eine Frage der Zeit. Dass keine israelische Regierung die Aufrüstung der Hamas mit Raketen wachsender Reichweite und die ständige Bedrohung von fast einer Million Menschen im Süden des Landes hinnehmen kann, ist jedenfalls nationaler Konsens in Israel. Der Streit geht darum, wie diese Gefahr abgewehrt werden kann.

Dazu wusste ein anderer Ex-General am folgenden Tag erhellendes zu sagen. Danny Rothschild erinnerte daran, dass die Hamas nicht wegen ihrer islamistischen Ideologie gewählt wurde. Sie gewann die Unterstützung der Bevölkerung, weil sie über Jahre hinweg ein Netzwerk an sozialen Leistungen und Abhängigkeiten aufgebaut hatte. Sie füllte damit ein Vakuum, das sowohl die von der Fatah kontrollierte palästinensische Verwaltung wie Israel als Besatzungsmacht entstehen ließen.

In einer patriarchal verfassten Gesellschaft gehört die Loyalität demjenigen, der sich um Schulen, Wohnungen, Gesundheitsversorgung und Einkommen seiner Schutzbefohlenen kümmert. Deshalb, so die Schlussfolgerung des Generals, sei es entscheidend, wer jetzt Gaza wieder aufbaut: wird das die Hamas mit Unterstützung des Iran sein oder die palästinensische Regierung mit Unterstützung Israels, der EU und der UN?
Nachdem die Hamas in anderthalbjähriger Gewaltherrschaft alle konkurrierenden Organisationen ausgeschaltet oder  unter ihre Kontrolle gebracht habe, hänge alles davon ab, ob neue Strukturen geschaffen werden könnten, um die Lebenssituation der Bevölkerung zu verbessern. Im Interesse seiner langfristigen Sicherheit müsse Israel deshalb Kompromisse bei der Öffnung der Grenzübergänge eingehen und mit der internationalen Gemeinschaft kooperieren. Eine rigide Blockade spiele nur der Hamas und dem Iran in die Hände.

Gleichzeitig müsse Israel alles daran setzen, das Leben in der Westbank zu erleichtern und eine Zwei-Staaten-Lösung herbeizuführen, um damit der Hamas ihre Legitimation in der palästinensischen Gesellschaft zu entziehen.

Man hatte im Verlauf der Konferenz nicht den Eindruck, dass Rothschild sich mit diesen Positionen im Hauptstrom des israelischen Establishments bewegt. Aber sein Auftritt – kraftvoll, präzise und offensiv – hat viele beeindruckt.


Rede von Staatspräsident Shimon Peres

Peres wirkt inzwischen wie eine biblische Figur, ein Denkmal seiner selbst, souverän, immer  noch hellwach und schlagfertig. Er beginnt mit einem Appell an alle Bürger Israels: geht zu den Wahlurnen und stärkt die  Demokratie!

Dann kommt er ohne Umwege auf das beherrschende Thema dieser Wahlen. Israel müsse Krieg gegen die Hamas führen und gleichzeitig mit der PLO über eine politische Lösung verhandeln: "Wir müssen wohl beides zugleich tun und mit diesem Paradox leben."

Israel sei großen Bedrohungen ausgesetzt, aber "im Schatten großer Probleme wächst die Gelegenheit für große Lösungen". Die nächsten Jahre müssten Jahre der Verhandlungen, des Aufbaus und des Friedens sein. Zwar sei der Preis für eine Verständigung mit den Palästinensern hoch, aber später könnte er noch höher sein. Er hebt die Bereitschaft der meisten arabischen Staaten hervor, Seite an Seite mit Israel zu leben. Die arabische Friedensinitiative von Riad sei ein positives Signal, auch im Hinblick auf das Problem der palästinensischen Flüchtlinge, das nur auf dem Weg von Verhandlungen und im Konsens gelöst werden könne.

Eine Verständigung mit Syrien sei erstrebenswert, aber schwierig zu erreichen: bisher fordere Damaskus lediglich die Rückgabe der Golan-Höhen ohne jede Gegenleistung.
 
Im Inneren müsse die Gleichberechtigung der arabischen Israelis gefördert werden – öffentliche Positionen müssten allen Bürgern offenstehen, Investitionen in arabischen Gemeinden verstärkt werden.
 
Die Zukunft Israels liege nicht nur in der Stärke seiner Armee, sondern in der Qualität seiner Kindergärten, Schulen und Universitäten. Und die ökonomische Krise sei eine Chance für neue Technologien: erneuerbare Energien, Wassertechnologie, Stammzellentherapie, Nanotechnologie, interaktives Lernen. Israel müsse seine Stärke als Standort für Forschung und Entwicklung ausbauen.


Rede von Zipi Livni
Außenministerin und Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin


Forscher Auftritt, selbstbewusste Körpersprache, kräftiger Ton: eine Demonstration von Führungsstärke. Sie nimmt zu Beginn ein Motiv von Shimon Peres auf: Wir müssen den Gefahren ins Auge sehen, dürfen aber nicht die Möglichkeiten übersehen, die sich uns bieten.

Der Charakter Israels als jüdischer und demokratischer Staat müsse durch seine jüdische Mehrheit auf alle Zeiten garantiert werden.

Im Zentrum der Bedrohungen Israels stehe der Iran mit seinen Satelliten Hezbollah und Hamas. Gleichzeitig gebe es aber ermutigende Veränderungen in der arabischen Welt – eine ganze Reihe von Staaten sehe nicht mehr Israel als ihren Hauptgegner, sondern den Iran. Der alte Gegensatz zwischen Israel und der arabischen Welt definiere die politische Landkarte des Nahen Ostens nicht mehr.

Mit Präsident Abbas und der PLO habe Israel einen Partner, mit dem Frieden möglich sei (eine Absage an das Mantra "There is no partner for peace"). Dann kommt ein Schlüsselsatz, mit dem sie sich vom rechten Lager absetzt: "I don’t accept the wrong choice between peace and security."

Die Regierung müsse eine Doppelstrategie aus militärischer Stärke und Diplomatie verfolgen. Aber keine Verhandlungen mit, keine Anerkennung von Hamas: "Wenn nötig, werden wir sie weiterhin attackieren – bis sie ihre Lektion gelernt haben."

Israel werde seine Souveränität wahren und keinen Friedensplan akzeptieren, der ihm von außen aufgezwungen werden soll. Botschaft an die internationale Politik: "Mischt euch nicht ein, lasst Israelis und Palästinenser ihre Angelegenheiten selbst regeln!"

Es gebe Befürchtungen, die neue amerikanische Regierung werde Israel unter Druck setzen, um ein Friedensabkommen zu erreichen. Aber "Frieden ist keine Drohung für uns, Frieden ist willkommen." Mit der richtigen Regierung (also mit ihr als Premierministerin) werde Israel seine strategische Partnerschaft mit den USA erneuern.

Es liege nicht allein an Israel, ob es zu einer friedlichen Lösung komme. "Aber wir sind ein wichtiger Teil dieser Lösung." Israel zahle heute einen hohen Preis dafür, dass seine Regierungen in der Vergangenheit "das eine gesagt und das andere getan haben" (soll wohl heißen: vom Frieden geredet und neue Siedlungen gebaut).
 
Eine politische Lösung sei in Reichweite. "Wir müssen aufpassen, dass der alte Spruch über die Palästinenser 'Sie verpassen keine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen' nicht auf uns zutrifft."


3. Februar                                                                                                  ↑zum Anfang
Rede Ehud Barak
Ehemaliger Premierminister, jetzt Minister für Verteidigung und Kandidat für das Amt des Regierungschefs

Keine lange Vorrede, energischer Auftritt: Hamas sei die Vorhut des Terrors gegen Israel mit dem Iran als Hinterland – deshalb musste die Operation "Cast Lead" begonnen werden. Es sei ein erfolgreicher Krieg gewesen: "Hamas wird nie wieder die Bedrohung für uns sein wie vor dem Krieg."

"Wir stehen zu unserem Versprechen an unsere Landsleute im Süden, dass sie in Ruhe leben können"; die militärischen Einsätze im Gaza würden so lange weitergehen, bis die Hamas die Lektion begriffen habe.

Barak formulierte eine harsche Absage an alle Stimmen, die Verhandlungen mit der Hamas fordern: "Wir sprechen nicht mit Hamas, wir schließen keine Verträge mit Hamas, Hamas ist kein Partner für uns. Mögen andere den Kopf in den Sand stecken und sich Illusionen über Hamas machen, aber sie sollen aufhören, uns Sand in die Augen zu werfen."

Gleichzeitig sprach er davon, dass ein Waffenstillstand im Gaza (also mit der Hamas) in greifbare Nähe gerückt sei, und zwar zu für Israel günstigeren Bedingungen als zuvor. Das klingt nach "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass": Israel verhandelt nicht direkt mit der Hamas, sondern überlässt das den Ägyptern, aber am Ende steht eine trilaterale Vereinbarung, auch wenn sie nicht mit der Unterschrift aller drei Parteien besiegelt wird. Nicht anders wird es sein, wenn die Vereinbarung zur Überwachung des Grenzübergangs Rafah (zwischen Ägypten und dem Gaza) wieder reaktiviert wird – auch dafür braucht es eine Verständigung zwischen Israel, der Hamas, Ägypten und der EU.

Zum Erfolg von Cast Lead gehört nach Barak die Erneuerung der israelischen Abschreckungsfähigkeit: die IDF habe demonstriert, wozu sie notfalls in der Lage sei (ein zweideutiger Satz).

Dass nicht mehr als 10 israelische Soldaten und 3 israelische Zivilisten im Verlauf der Kämpfe getötet wurden, zeige, dass die Schonung des Lebens der Soldaten zu den höchsten Prinzipien der Streitkräfte gehöre.

Israel habe keinen Krieg gegen Zivilisten geführt, vielmehr habe Hamas die Bevölkerung als Geisel genommen. Welche andere Armee habe die Zivilbevölkerung mit Flugblättern, Telefonanrufen und Lautsprecherdurchsagen vor den Kampfhandlungen gewarnt?
Israel werde keine moralischen Belehrungen entgegennehmen, weder von Spanien noch von jemand anderem.

Militärische Stärke sei auch künftig unverzichtbar als Lebensversicherung für Israel.
Ein atomarer Iran sei eine Gefahr nicht nur für den jüdischen Staat, sondern für die Region und die ganze Welt. Die internationale Gemeinschaft müsse sich zu energischen Sanktionen aufraffen und keine Gegenmaßnahmen ausschließen: "keep all options on the table".

Kleiner Seitenhieb gegen Netanjahu: "True leadership doesn’t require inflammatory words, but responsible decisions."

Gemeinsam mit Präsident Peres arbeite er an einem „Israelischen Plan“ für eine umfassende politische Konfliktlösung für die Region. Sie müsse durch Verhandlungen mit den Palästinensern und Syrien erzielt und durch die internationale Gemeinschaft mit diplomatischen Mitteln und ökonomischen Programmen gefördert werden. Die arabische Initiative sei dafür ein guter Bezugspunkt, auch wenn sie nicht in allen Details übernommen werden könne.

Dann ein klares Bekenntnis: "Two states for two nations – this is the only possible solution, there is no alternative to that."  Man würde natürlich gern konkreter wissen, welche Schlussfolgerungen Barak aus dem Scheitern der Friedensverhandlungen von Camp David gezogen hat – außer dem berühmt-berüchtigten Slogan, dass es auf der palästinensischen Seite keinen Partner für ein Friedensabkommen gebe, der mit den Jahren den Charakter einer "self fulfilling prophecy" angenommen hat.

Finale: Die Zukunft Israels könne nicht nur mit militärischen Mitteln gesichert werden – das Land müsse alle seine ökonomischen und kulturellen Potentiale mobilisieren, den Sinn für Solidarität und Gemeinschaft, seine technologische Kompetenz, Bildung und Wissenschaft.

Im Unterschied zu Shimon Peres sparte sich Barak jede Referenz an die israelischen Araber (Peres sprach von gleichen Chancen für alle Bürger Israels), und nur am Ende gestattete er sich einen kurzen Ausflug zu gesellschaftlichen und innenpolitischen Themen, die in diesem Wahlkampf (wieder einmal) nur eine Randrolle spielen.


Friedensverhandlungen mit Syrien: Mehr als Wunschdenken?

Nach Baraks Auftritt kam es zu einer erstaunlich offenen, kontroversen Diskussion über die Möglichkeiten eines Friedensvertrags mit Syrien. Hauptkontrahenten waren zwei  hochkarätige Generäle: Danny Yatom, ehemaliger Chef des Mossad, und Giora Eiland, früherer Chef des Nationalen Sicherheitsrats.
 
Streitpunkte: Ist eine "Normalisierung" des Verhältnisses zu Syrien analog dem ägyptischen Beispiel realistisch? Angesichts der Unfähigkeit Ägyptens, den Waffenschmuggel der Hamas zu unterbinden, was spricht dafür, dass Syrien die Aufrüstung der Hizbollah unterbinden würde? Was könnte Israel politisch für die Rückgabe des Golan gewinnen? Und welche Auswirkungen hätte ein Rückzug vom Golan für Israels militärische Sicherheit?

Yatom und Eiland vertreten gegensätzliche Einschätzungen der Bereitschaft des syrischen Regimes, seine nukleare Zusammenarbeit mit dem Iran zu beenden und die Unterstützung von Hezbollah und Hamas zu stoppen (Eiland: "wishful thinking").

Was soll Vorrang genießen: Verhandlungen mit Syrien oder mit den Palästinensern? Yatom: Ein Interessenausgleich mit Syrien erleichtere eine Lösung für den Konflikt mit den Palästinensern, weil damit die radikalen Fraktionen in der Westbank und im Gaza geschwächt würden. Eiland: Irrtum - Frieden mit den Palästinensern habe absolute Priorität und könne unabhängig von Syrien erreicht werden. Es wäre fatal, sich stattdessen auf Damaskus zu konzentrieren und den Palästinensern das Gefühl zu geben, ihre Belange würden wieder auf die lange Bank geschoben: das werde eine dritte Intifada provozieren.

Eiland wird assistiert von dem Politikwissenschaftler Schueftan: Das allevitische Regime in Syrien habe seine Position in der arabischen Welt auf das Bündnis mit den radikalen Gruppen aufgebaut  – eine andere Rolle habe es nicht. Seine innere Stabilität hänge von dieser Achse ab. Es sei deshalb völlig irreal zu hoffen, dass ein Abkommen mit Israel das Regime veranlassen werde, diese Verbindungen zu kappen und sich damit seinen Sturz zu riskieren. Israel gewinne nicht an Sicherheit durch einen Friedensvertrag mit Syrien; vielmehr würde damit indirekt eine Machtergreifung radikal-islamischer Gruppen in Damaskus gefördert (!).

Laut Eiland ist es grundfalsch, dass die Golanhöhen militärisch bedeutungslos geworden seien – in einem Panzerkrieg sei die Kontrolle des Golan ein entscheidender Vorteil. Außerdem seien die Golan-Höhen integraler Bestandteil des israelischen Frühwarn- und Überwachungssystems. Falls sich Israel heute zurückziehe, müsse es morgen den Golan wieder besetzen, sobald es ernste Anzeichen für Kriegsvorbereitungen auf der syrischen Seite gebe – das wäre in einer gespannten Situation ein Brandbeschleuniger, der den Krieg vollends auslösen würde.

Syrien halte die größten Bestände an chemischen Waffen im ganzen Nahen Osten. Israel müsse deshalb in der Lage sein, in einem militärischen Konflikt in sehr kurzer Zeit die syrischen Raketenbasen und Luftwaffenstützpunkte zu zerstören, statt Zeit mit der Eroberung des Golan zu verlieren.

Die Schatten der iranischen Bombe

Amos Gilead, Chef des Politisch-Militärischen Büros und strategischer Kopf im Verteidigungsministerium, bezog eine mittlere Position. Statt so zu tun, als könne man schon genau voraussagen, was mit Syrien möglich sei und was nicht, müsse Israel die Bereitschaft des Regimes zu einer friedlichen Koexistenz testen, ohne sich Illusionen über seinen Charakter zu machen. Syrien sei in den letzten Jahren im Zusammenspiel mit dem Iran zu einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit Israels geworden – von der Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen und der nuklearen Kooperation mit Teheran bis zu seiner Rolle als Drehscheibe für die Aufrüstung von Hezbollah und Hamas mit iranischen Waffen.
 
Die Sicherheitslage im Nahen Osten werde sich noch einmal dramatisch verschärfen, falls Iran zur Atommacht werde. Das wäre eine neue Bedrohungsqualität nicht nur für Israel, zumal man einkalkulieren müsse, dass Teheran nukleare Proliferation betreiben (sprich: seine Verbündeten mit atomaren Waffen ausrüsten) werde.

Um eine nukleare Achse Iran-Syrien zu verhindern, müsse deshalb versucht werden, ein politisches Arrangement mit Damaskus zu erreichen. Ein kritischer Punkt sei, dass Syrien nicht länger als Sponsor für Hezbollah und Hamas auftrete. Die Waffenlieferungen an Hezbollah seien der Dreh- und Angelpunkt für das künftige bilaterale Verhältnis.

Falls ein solches Abkommen scheitere, werde Israel beim nächsten größeren Raketenangriff aus dem Libanon den großen Bruder in Syrien nicht außen vor lassen können. Das berge die Gefahr eines großen Krieges, in dessen Folge das jetzige Regime durch noch radikalere Kräfte abgelöst werde. Das Zeitfenster für Verhandlungen sei begrenzt – ein oder zwei Jahre (analog zu der noch bleibenden Frist für die iranische Atombombe). Danach müsse man sich neu orientieren.


The Case of Jewish Refugees from Arab Countries

Eröffnet wurde die Veranstaltung mit Ausschnitten aus einem Dokumentarfilm des israelischen Regisseurs Michael Grynszpan von 2005: "Produced by the David Project and Isra TV, The Forgotten Refugees explores the history and destruction of indigenous Jewish communities in the Middle East and North Africa. Some of these Jewish cultures had existed for over 2500 years, yet all were extinguished in response to the creation of Israel. Using the testimony of refugees from Egypt, Yemen, Libya, Iraq and Morocco, the film brings to light the stories of joy and suffering carried for so long by nearly a million Jewish refugees. The film (..) tells the story of how and why the Arab world’s Jewish population declined from almost one million in 1945 to only a few thousand today."

Pogrome gegen jüdische Gemeinden im arabischen Raum gab es bereits vor dem Teilungsbeschluss der UN und der Ausrufung des jüdischen Staates. Einer ersten Welle in den 20er Jahren folgte eine zweite von 1936-1939, bis es dann zu einer Zuspitzung im Zusammenhang mit der Staatsgründung von 1948 kam. In Palästina gab es 1947/48 – noch vor der Ausrufung des jüdischen Staates - organisierte Pogrome in Jerusalem und anderen Orten des Landes. Eine israelische Historikerin berichtete, dass etwa 40-50.000 Menschen evakuiert werden mussten, darunter die Bewohner des jüdischen Quartiers der Altstadt von Jerusalem.

Die jüdische Bevölkerung in den arabischen Ländern wurde zur Geisel des nationalen Konflikts um Palästina. Es war nicht nur der aufgehetzte Mob, der jüdische Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen stürmte, plünderte, brandschatzte und sein Mütchen an Kindern, Frauen und Männern kühlte. Vielmehr gab es eine systematische Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Minderheiten durch die Regierungen, z.B. Todesurteile wegen "Spionage" oder „Handel mit dem zionistischen Feind“. Nach deutschem Vorbild wurden Juden aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben gedrängt.

Im Irak wurden nach der Machtübernahme durch die Baath-Partei gelbe Spezialausweise an die alteingesessenen Juden verteilt. Auf einem zentralen Platz Bagdads hingen über Tage die Leichen von "jüdischen Spionen", die öffentlich gehenkt worden waren. Sie trugen ein Schild mit der Aufschrift "Jude" um den Hals.

Höhepunkt der Veranstaltung war die hoch emotionale und politisch scharfe Rede von Edwin Shuker, der als in London lebender "businessman, philantropist and President of Justice for Jews of Arab Countries" (einer Lobbyorganisation) vorgestellt wurde. Shuker, 1955 in Bagdad als Sproß einer Familie "mit einer 2500-jährigen Geschichte in Mesopotamien" geboren, floh Anfang der 70er mit seiner Familie über den Iran nach England. Er appellierte an die Knesset, die Resolution des amerikanischen Kongresses zu übernehmen, in der gefordert wird, die jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern den palästinensischen Flüchtlingen von 1948 gleichzustellen.

Keiner der Redner legitimierte die Vertreibung der Palästinenser unter Verweis auf die Leiden der jüdischen Flüchtlinge. Was gefordert wurde, war die "symmetrische Behandlung" beider Gruppen. Geschichtspolitisch wurde der palästinensischen Erzählung von Flucht und Vertreibung die Erzählung von der Austreibung des Judentums aus arabischen Ländern gegenübergestellt. Hier wie dort geht es nicht nur um politische und finanzielle Forderungen, die aus der Vertreibung abgeleitet werden, sondern um die Anerkennung von Unrecht. Man spürte die Erbitterung der Betroffenen im Saal, dass die israelische Regierung ihre Sache nicht offensiver vertritt und der arabischen Welt den Spiegel vorhält.

Als Zuhörer war man hin- und hergerissen zwischen der Empathie für die Vertriebenen und der Ahnung, dass die wechselseitige Beschwörung des Leidens der Vergangenheit in einen Teufelskreis der Aufrechnung führt, der den Weg zu einem friedlichen Zusammenleben eher verstellt. Ich ertappte mich bei der Frage, ob der allseits beliebte Spruch, dass es ohne Erinnerung keine Zukunft gibt, womöglich grundverkehrt ist. Es wäre vermutlich nicht nur im Nahen Osten ein Segen, wenn alle Völker einer kollektiven Amnesie anheimfielen und ihre Energien auf eine bessere Zukunft werfen müssten, statt sich mit den Dämonen der Vergangenheit zu plagen.


4. Februar                                                                                                                                         ↑zum Anfang

Rede Benjamin Netanjahu
Likud-Vorsitzender, ehemaliger Premierminister und aussichtsreichster Anwärter bei den bevorstehenden Wahlen

Er tritt schon als der kommende Regierungschef auf: „In wenigen Tagen werden die israelischen Bürger die Ära der Illusionen und der Schwäche beenden und eine neue Ära der Stärke in allen Aspekten einleiten: Bildung und Erziehung, Ökonomie und Militär.“

Wie bei allen anderen steht im Zentrum seines Bedrohungsszenarios der Iran. Teheran, Hezbollah und Hamas, das sei die wahre „Achse des Bösen.“ Er erinnert an seine Opposition gegen den einseitigen Abzug aus dem Gaza, eine Politik, die von der anderen Seite als bloße Schwäche verstanden worden sei: „Wir haben Hamas die Gelegenheit und die Zeit gegeben, gegen Israel aufzurüsten.“

Die Armee habe im Gaza einen hervorragenden Job gemacht, „aber die Regierung hat sie zu früh gestoppt.“ Hamas sei durch vereinzelte Schläge nicht zu beeindrucken: „Wenn wir die Gefahr für Israel beseitigen wollen, dann haben wir keine andere Wahl als die Hamas-Regierung im Gaza zu beseitigen.“

Er verweist auf den jüngsten Raketentest Irans: wozu brauche das Regime Mittelstreckenraketen und Atomwaffen? Wer könnte ignorieren, dass das mit der Drohung zu tun habe, Israel von der Landkarte auszuradieren? Ein religiös-fanatisches Regime im Besitz der Atombombe sei eine neue Qualität der Bedrohung für Israel und die internationale Gemeinschaft. 

Economic Peace
Die bisherige Vorstellung von „Land gegen Frieden“ funktioniere angesichts der neuen Lage nicht mehr. Wenn die israelische Armee abziehe, werde Hamas nachrücken und die Westbank in eine Raketenbasis gegen Israel verwandeln. Die Fatah sei ist nicht stark genug, um sie daran zu hindern.

Option 2, die bloße Verlängerung des status quo, sei ebenso illusionär.

Es gebe einen anderen Weg: die Stärkung der ökonomischen Entwicklung und des Aufbaus der palästinensischen Polizei parallel zu den politischen Verhandlungen. Das sei der einzige Weg, der verhindern könne, dass die Westbank nach einem israelischen Rückzug zur leichten Beute der Hamas werde. Der „ökonomische Friede“ sei keine Alternative zu einem politischen Frieden, sondern seine Voraussetzung. Ökonomischer Fortschritt werde politischen Fortschritt beflügeln.

Israel werde von der Wirtschaftskrise aufgrund seiner Verflechtung mit dem Weltmarkt hart getroffen. Ziel staatlicher Interventionen müsse sein, die Wettbewerbsfähigkeit der israelischen Wirtschaft zu verbessern und mehr ausländische Investitionen anzuziehen. Netanjahu redet wie der letzte Mohikaner des Neoliberalismus, inklusive Steuersenkungen für Unternehmen. Alles zielt darauf, durch eine angebotsorientierte Politik das Wachstum anzukurbeln – dann würden auch Steuereinnahmen und Beschäftigung wieder anziehen. 

Als dritte große Herausforderung nennt er Bildung und Erziehung. Es gehe darum, die Strukturen zu ändern: Mehr Wettbewerb, höhere Qualitätsstandards, bessere Grundlagenausbildung, mehr individuelle Förderung von schwachen Schülern, Konzentration auf  Kernfächer. Und es gehe um die Vermittlung patriotischer Werte: „Wir müssen unsere Jugend lehren, weshalb wir hier sind, unsere Geschichte und die Fundamente des Staates Israel.“ Für andere Sichtweisen ist in diesem Konzept kein Platz: „Unter meiner Regierung werden wir nicht die Nakba (das palästinensische Narrativ der Gründung Israels als nationale Katastrophe) unterrichten!“ (Beifall)

Abschließend verspricht er, die politischen Kräfte Israels in einer „Regierung der nationalen Einheit“ zu bündeln. Nach der Wahl werde er zunächst die traditionellen Verbündeten im „nationalen Lager“ ansprechen. Darüber hinaus werde er allen „zionistischen Parteien“ anbieten, sich an der Regierung zu beteiligen.

Aussichten
Zuerst also Verhandlungen mit Liebermann (der mit anti-arabischen Ressentiments auf Stimmenfang geht) und mit der orthodoxen Shas-Partei, dann Erweiterung der Koalition Richtung Mitte? Es könnte sein, dass Ehud Barak sich auf eine solche Allianz einlässt, um weiter Verteidigungsminister zu bleiben. Manche Auguren sagen sogar voraus, dass eine „patriotische Koalition“ eher in der Lage sein wird, unter dem Druck der USA einen historischen Kompromiss mit den Palästinensern zu schließen als eine Mitte-Links-Regierung. Ob das mehr ist als verzweifelter Optimismus, wird sich zeigen.

Die Aussichten auf eine politische Konfliktregelung sind in den letzten Jahren gesunken. Die palästinensische Seite ist tief gespalten, die Autorität der Fatah zerfällt (und mit ihr der säkulare palästinensische Nationalismus), das politische und militärische Potential des Iran und seiner Alliierten wächst. In Israel verschiebt sich das Parteiensystem nach rechts, wo vor allem in Kategorien militärischer Stärke gedacht wird. Während die „Friedensgespräche“ vor sich hindümpeln, geht der Siedlungsbau weiter. Weit und breit sind keine politischen Führer sichtbar, die willens und in der Lage wären, ihren Völkern den Preis zuzumuten, den beide Seiten für den Frieden zu zahlen haben. Stattdessen mehren sich die Stimmen, die offen oder hinter vorgehaltener Hand sagen, dass eine Zwei-Staaten-Lösung zwar wünschbar, aber völlig irreal sei.

Wenn man dem Chefstrategen des Verteidigungsministeriums, General Amos Gilead, Glauben schenkt, dann steht die Region vor der Alternative einer umfassenden Konfliktlösung – Syrien eingeschlossen – oder eines neuen Krieges, der zum Flächenbrand zu werden droht.

Das sollte uns Grund genug sein, alle Kräfte zu mobilisieren, um eine Wende zum Besseren herbeizuführen. Es reicht nicht, sich hier und da dem einen oder anderen Konfliktherd im Nahen Osten zu widmen. Vielmehr ist es höchste Eisenbahn für ein umfassendes, mit großer Entschlossenheit betriebenes Konfliktmanagement, das alle Krisenherde zugleich adressiert, vom Gaza bis zur iranischen Atomrüstung. Die USA müssen wohl oder übel die Führung unternehmen, aber sie können diesen Kraftakt nicht alleine stemmen. Nötig ist eine konzertierte Aktion mit Europa und den moderaten arabischen Staaten. Dazu gehört auch die  Bereitschaft, politische Konfliktlösungen mit Truppen vor Ort zu flankieren. Billiger ist eine Befriedung der heißesten Konfliktzone des Globus nicht zu haben.



* Die Herzliya-Konferenz ist die größte außen- und sicherheitspolitische Konferenz in Israel. Veranstalter ist das Institut für Politik und Strategie am Interdisciplinary Center Herzliya (IDC), einer privaten Hochschule. An der Konferenz nehmen zahlreiche internationale Referenten und Besucher teil.

Ralf Fücks ist Mitglied des Vorstands der Heinrich-Böll-Stiftung.

 
 
 

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

 

 
 
 

Dossier

Krise in Gaza

Am 27. Dezember 2008 begann mit Luftangriffen auf den Gaza-Streifen Israels Offensive „Gegossenes Blei”. Zwar herrscht seit dem 18. Januar 2009 eine Waffenruhe, aber eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht. Hintergründe und Stimmen zu dem Konflikt finden Sie in unserem Dossier.