Das Internationale Tribunal der Rechte der Natur, initiiert von der Global Alliance for the Rights of Nature (GARN), ist eine wegweisende zivilgesellschaftliche Initiative. 2014 ins Leben gerufen, dient es als öffentliches Forum, um die weit verbreitete Zerstörung der Erde zu thematisieren, und setzt sich für eine systemische Alternative zu konventionellem Umweltschutz und Gesetzen ein.

Als internationales Forum ermöglicht es Menschen aus aller Welt, im Namen der Natur zu sprechen und Empfehlungen auszusprechen für den Schutz und die Wiederherstellung des Planeten. Dabei soll insbesondere indigenen Gruppen die Möglichkeit gegeben werden, ihre spezifischen Anliegen und Lösungsansätze in Bezug auf Land, Wasser und Kultur mit der globalen Gemeinschaft zu teilen.
Das Tribunal, das sich aus renommierten Anwält:innen und führenden Vertreter:innen der Earth Jurisprudence (Rechtsprechung im Namen der Erde) zusammensetzt, befasst sich mit exemplarischen Fällen, vom Klimawandel bis hin zu einzelnen Umweltverstößen. Ihre Urteile und Empfehlungen werden auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Rechte von Mutter Erde formuliert. Sie zielen darauf ab, Änderungsvorschläge für eine Anerkennung des Verbrechens des Ökozids im Rahmen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs voranzubringen.
Geschichte der Tribunale und ihre Auswirkungen
Das Internationale Tribunal der Rechte der Natur ist bis dato bereits fünfmal zusammengetreten:
- Januar 2014, Quito, Ecuador, unter Vorsitz von Dr. Vandana Shiva,
- Dezember 2014, Lima, Peru, unter Vorsitz von Alberto Acosta,
- Dezember 2015, Paris, Frankreich, unter Vorsitz von Cormac Cullinan, während der COP21,
- November 2017, Bonn, Deutschland, unter Vorsitz von Tom Goldtooth, während der COP23,
- November 2021, Glasgow, Schottland, unter Vorsitz von Leonardo Boff, während der COP26.
Parallel dazu verhandeln und entscheiden die vom Earth Law Center und seinen Partner:innen organisierten internationalen Rights of Nature People's Tribunals („Volkstribunale der Rechte der Natur“) Fälle aus den Bereichen Umwelt und soziale Gerechtigkeit im Kontext der RdN.
Obwohl diese Tribunale keine formale rechtliche Befugnis haben, bieten sie differenzierte juristische Analysen, empfehlen Strategien zur Schadensbegrenzung auf der Grundlage der RdN und klären verschiedene Interessengruppen über die Prinzipien der RdN auf.
Ziel ist es, auf der Grundlage bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen und der Allgemeinen Erklärung der Rechte von Mutter Erde global formale Autorität zu erlangen, um wirksam gegen Verletzungen der Rechte der Natur vorzugehen.
Die Entstehung der Rechte der Natur-Tribunale geht auf eine Vision von GARN zurück, die von internationalen Tribunalen um Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen inspiriert wurde. Die Tribunale sollen gesellschaftlichen Druck ausüben, die Entwicklung und Umsetzung eines internationalen RdN-Rechts voranbringen und einen allgemeinen Bewusstseinswandel herbeiführen. Die noch junge Geschichte der Internationalen RdN-Tribunale umfasst Versammlungen an verschiedenen Orten der Welt, die jeweils von prominenten Persönlichkeiten der Umweltjustiz geleitet werden.
Obwohl die Tribunale nicht bindend sind, zeigt sich doch ihr Potenzial, Ergebnisse zu beeinflussen. Das vierte Tribunal, das 2017 in Bonn stattfand, befasste sich mit dem Fall einer geplanten Straße durch das bolivianische Nationalpark-Indigenenschutzgebiet TIPNIS („Territorio Indígena y parque nacional Isiboro Sécure“). Dieser Fall war besonders öffentlichkeitswirksam: Aufgrund der ausgelösten Medienberichterstattung stoppte der bolivianische Präsident Evo Morales das Straßenprojekt (vorübergehend). Im August 2018 entsandte das Tribunal eine Kommission von RdN-Experten von GARN zum TIPNIS, um die Bedingungen vor Ort zu untersuchen. Diese veröffentlichten schließlich einen Bericht über die Auswirkungen des vorgeschlagenen Straßenprojekts, der im Kontext der Allgemeinen Erklärung der Rechte von Mutter Erdeund anderer relevanter RdN-Dokumente vorgelegt wurde.
Regionale und lokale Initiativen
Zusätzlich zu den vier internationalen Gerichten haben zwei regionale und acht lokale Tribunale Anhörungen durchgeführt. Zu diesen gehören:
- Zwei Anhörungen in Quito zum Yasuní-ITT-Nationalpark in Ecuador (11. April 2014 - geleitet von Boaventura de Sousa Santos; und 15. August 2014, geleitet von George Caffentzis);
- Zwei Anhörungen in der San Francisco Bay Area, die erste gegen Chevron (5. Oktober 2014, geleitet von Anuradha Mittal) und die zweite für das Delta-Ökosystem (20. April 2016, unter Beteiligung von Pennie Opal Plant, Liz Hosked, Gary Mulcahy und Tim Stroshane); und
- Eine erste Anhörung in Brisbane, Australien, zum Great Barrier Reef (15. Oktober 2014, unter Beteiligung prominenter australischer Wissenschaftler:innen und Jurist:innen).
- Das Europäische Tribunal for the Rights of Aquatic Ecosystems(„Tribunal für die Rechte aquatischer Ökosysteme“) fand 2021 statt und verhandelte fünf Fälle: Mer de Glace, Französisch-Guayana, den Vätternsee, die Flüsse des Balkans, und Marseille.
- Die Einrichtung eines ständigen regionalen Tribunals in Australien, das am 22. Oktober 2016 seine erste vollständige Anhörung abhielt. Dieses Tribunal ist einzigartig in Australien: Es ist das erste Mal, dass indigene und nicht-indigene Völker gemeinsam für die Natur eintreten und eine Änderung des Rechtssystems fordern, um die RdN anzuerkennen.
- Eine lokale Anhörung in Yucatan, Mexiko, vom 9. bis 14. März 2023 zum Fall des Tren Maya-Eisenbahnprojekts. Die geplante Erschließung der Eisenbahnstrecken stellt eine ernste Gefahr für die lokalen Ökosysteme und Gemeinschaften dar.
Das Internationale Tribunal der Rechte der Natur stellt eine transformative Kraft in der Umwelt-Interessensvertretung dar. Das Tribunal hat Stimmen auf der ganzen Welt, insbesondere indigene Gruppen, dazu ermächtigt, von Umweltzerstörungen in ihren Kontexten zu berichten. Mit seinem ganzheitlichen Ansatz, der die intrinsischen Rechte der Ökosysteme anerkennt und sich an der Allgemeinen Erklärung der Rechte von Mutter Erde orientiert, schafft es wirkungsvolle Präzedenzfälle. Dieses Engagement für die Stärkung der internationalen RdN-Rechtssprechung, und damit für die Wahrung der Lebensqualität des Planeten, die Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Dynamik der Ökosysteme ist zentral für das fortlaufende Vermächtnis des Tribunals.
Stand Anfang 2024. Aktuelle Entwicklungen um die Rechte der Natur sind auf der Open-Access-Plattform des EcoJurisprudence Monitor zu finden.
Aus dem Englischen übersetzt von Imke Horstmannshoff.
Links & Literatur
- Allgemeine Erklärung der Rechte der Mutter Erde
- Earth Law Centre [EN]
- European Tribunal for the Rights of Aquatic Ecosystems [EN]
- Maloney, M. (2015). “Finally Being Heard: The Great Barrier Reef and the International Rights of Nature Tribunal”. Griffith Journal of Law & Human Dignity. Vol. 3 No. 1. [EN]
- Lokales Tribunal der Rechte der Natur: Tren Maya [EN]
- Richter:innen der Internationalen Tribunale (Auswahl):