Worüber in Rio nicht nur gesprochen, sondern laut und heftig gestritten wird

Gipfel der Völker in Rio: In der Mitte des Panels Achim Steiner, Chef des VN-Umweltprogramms, Bild: Heike Löschmann, Heinrich-Böll-Stiftung, Lizenz: CC-BY-SA

19. Juni 2012
Heike Löschmann

Es ist der 16. Juni. Wir sind in Rio de Janeiro, im Aterro do Flamengo, dem Austragungsort des Gipfels der Völker. Es ist 18 Uhr. Gerade ist im Zelt mit der Nummer 33 eine Veranstaltung zu Ende gegangen, auf der ´Zeugen´ aus acht Ländern über die Auswirkungen von marktbasierten Instrumenten zur Finanzialisierung von Natur in ihren Gemeinschaften berichteten. Da geht die Nachricht um, dass Achim Steiner, Chef der Umweltorganisation der Vereinten Nationen, UNEP, sich am Vortag an die Organisatoren des Alternativgipfels mit der Bitte um einen Dialog zum Konzept der Grünen Ökonomie gerichtet hatte. Sie wird im Flamengo-Park heftig kritisiert und abgelehnt. Gegen sie richtet sich am 20. Juni im Stadtzentrum von Rio auch der Protest im großen Marsch der Völker.

Das UNEP-Dilemma: Gefangen zwischen nationalen Regierungen und Globalisierung

Steiner muss gewusst haben, dass er sich nicht zu einem Parkspaziergang verabredet hat, und für seinen Mut, sich der Auseinandersetzung zu stellen, gebührt ihm Respekt! Er wird später auch begründen, warum er sich zu diesem Schritt entschlossen hat und zugleich sein ureigenes Dilemma als Chef der Umweltorganisation kennzeichnen: Regierungen könnten die Welt nicht mehr allein regieren, UNEP aber sei von Regierungen geschaffen und mandatiert worden. Und UNEP spiegele die Machtverhältnisse und Interessen derjenigen wider, die Nationalstaaten regieren (und die nicht überall auch gewählte Vertreter des Volkes sind oder wenig von dessen Mitsprache zulassen). Er sei gekommen, weil es anderer „Change Agents“ (Träger des Wandels) bedürfe, die er ernst nehme und deren Stimme und Kritik nicht untergehen dürften. Es wird ihm auch darum gehen, Fehlinterpretationen und einseitige Sichtweisen auf den Vorschlag des VN-Umweltprogrammes für eine grüne Ökonomie zu relativieren, die Kritik zu differenzieren und über die Fortschritte seit 1992 zu sprechen. Er wird es als Verhandlungserfolg werten, dass die Regierungen sich jetzt weitgehend einig seien, dass der derzeitige fossile Entwicklungspfad nicht zukunftsfähig sei, sondern umgesteuert werden müsse. Dafür werde der offizielle Gipfel Impulse setzen und Vereinbarungen zu treffen haben.

Die Frage ist nicht mehr welche, denn die Grüne Ökonomie ist gesetzt. Die Frage ist auch nicht, ob wir sie hier in Rio noch aufhalten können. Die große Sorge aber ist, dass sie ein weiterer Beitrag zur Zerstörung des Planeten und zur Vertiefung sozialer Ungleichheit und ungerechter Lebenschancen ist.

Mit diesen Gedanken wechseln wir also in ein weit größeres Zelt, das sich bald bis auf den letzten Platz füllt, und sind gespannt. Steiner wird auf dem Panel links und rechts jeweils von Gruppen mit je vier Sprecher/innen eingerahmt, deren Zusammensetzung im politischen Proporz von den Organisatoren zuvor hart verhandelt worden sein muss: Es sind Männer und Frauen, die eine große brasilianische Menschenrechtsorganisation, Bauernorganisationen, die Gewerkschaften, die Indigenen und traditionellen Völker sowie schwarze Frauenorganisationen vertreten, aber auch Think Tanks wie die ETC Group oder Focus on the Global South.

Grüne Ökonomie als neue Gefahr für Indigene Völker und Gemeinschaften?

Einige der in der ersten Debattenrunde vorgebrachten Argumente hatten wir in der vorausgegangenen Veranstaltung bereits gehört: Wir bräuchten einen Wandel der Produktions- und Konsummatrix, der Extraktivismus, der als zivilisatorischer Makel an uns klebt, und die Landnahme zerstörten die Lebensgrundlagen der Indigenen, und zwar seit 500 Jahren - seit der Ankunft von Christopher Columbus. Mentale Monokultur und der mit ihr verbundene Fortschrittsglaube führten dazu, dass sich die Geschichte immer aufs Neue wiederhole. Finanzialisierung der Natur, das Herzstück der Grünen Ökonomie, stehe im Dienste eben jenes monokulturellen Entwicklungspfades, der die Rechte der Natur oder das Recht von Gemeinschaften, ihre Ressourcen selbst zu managen, aus den Vorstellungen der Policy Maker völlig ausblende. Der Amazonas habe in den Indigenen diejenigen Experten, die seit Jahrhunderten in und von ihm leben und ihn zu schützen wissen.

Die Grüne Ökonomie wird als eine neue Gefahr für Landnahme, Privatisierung und moderne Einhegung der Commons, aber auch als Spaltungsgefahr und Kulturzerstörung innerhalb der Indigenen Völker und Gemeinschaften geschildert. Die Analyse einer Menschenrechtsvertreterin: Grüne Ökonomie folge auf die zerstörerische braune Ökonomie, die den Markt für die grüne erst geschaffen habe. Je mehr Zerstörung und Raubbau, desto mehr steige der Wert des in der Logik der grünen Ökonomie verankerten Ablasshandels für Naturverschmutzung durch die markbasierten Offset-Mechanismen, wie sie bereits in REDD und REDD+ angelegt seien (siehe dazu das REDD special im jüngst erschienenen boellthema 1/2012). Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen und andere neue kreative Geldschöpfungsinstrumente, die erdacht werden, seien weitere Instrumente, die der gleichen Logik folgen. Brasilien sei dafür ein grenzenloses Experimentierfeld. Vor wenigen Tagen wurde wenige Meter vom Veranstaltungsort des Gipfels der Völker entfernt die weltweit erste Grüne Börse eingeweiht. Dazu finden sich hier Informationen von Stefan Tuschen vom EED, der eine Informationsveranstaltung dazu besucht hat. Grüne Ökonomie verstärke die beiden Kernmechanismen des kapitalistischen Marktes: Privatisierung und Verknappung. Erst eine künstliche Verknappung (caps) im Namen des Umweltschutzes schaffe jene neuen Märkte der grünen Ökonomie.

Es seien eben nicht nur der Bergbau oder die Ölexplorationen, die möglicherweise künftig mit umweltfreundlicheren Technologien in „unseren Territorien“ stattfinden würden, so ein Bauernvertreter, sondern alles, das gesamte Überleben von Ureinwohnern und Bauern, stehe auf dem Spiel. Die grüne Ökonomie sei so grün wie der Dollar, nicht wie der Amazonas, den sie zu schützen vorgibt, schloss der Bauernführer auf dem Panel seinen Redebeitrag. Sie beschleunige die Bedrohung der Lebensgrundlagen, und müsse deshalb bekämpft werden. Ein Indianerführer hatte im anderen Zelt zuvor seine anklagende Rede gegen die Grüne Ökonomie mit diesem Satz beendet: „Ich und mein Volk, wir sind kein Markt, nehmt das zur Kenntnis!“

Was heißt "grüne Technologie" in der Grünen Ökonomie?

Ein weiterer Kritikpunkt, der in der Steinerdebatte vorgetragen wurde, betrifft die Technologien, die Grüne Ökonomie besonders fördern soll. Der Irrweg Atomkraft wurde im Zelt der Stiftung schon an den Tagen zuvor intensiv debattiert. Die Abschaltung von 54 Atomkraftwerken in Japan, ohne dass dort die Lichter ausgehen, sei eine Sensation, die weder ausreichend gewürdigt wurde noch zu entsprechenden Konsequenzen in den Debatten um die Zukunft des Planeten geführt habe. Genmanipulierte Pflanzen werden als ein weiteres Problemfeld benannt, wir sind schließlich in Brasilien, und da gibt es riesige Anbauflächen mit genetisch manipuliertem Soja. Es müsse klare Definitionen geben, was grüne Technologie im Rahmen der Grünen Ökonomie normativ umfasst. Später in der Debatte kritisiert Steiner, dass man sich immer wieder nur an den GMOs abarbeite. Es sei wichtig, den Blick auch auf die erneuerbaren Energietechnologien zu richten und erfolgreiche Politikansätze wie Einspeisungsgesetze und Tarifpolitik zu würdigen, die sie breit marktfähig machen. Einigkeit entsteht an einem anderen Punkt der Debatte, als Pat Mooney über Nanotechnologien, synthetische Biologie und Bionik spricht: Hier komme es darauf an, wer diese Technologien kontrolliert. Dazu sei der gerade erschienene Report von ETC Group und hbs „Die Macht der Biomas(s)ters: Wer kontrolliert die Grüne Ökonomie?“ sehr empfohlen.

Moderne Umwelttechnologie werde ein wesentlicher Bestandteil der Ausrichtung des Konzeptes der Grünen Ökonomie sein. Im Rahmen eines „Toxic Tour Programms“ werden in diesen Tagen von brasilianischen NRO Besuche in verschiedene Gemeinden angeboten, um über die Zerstörung von Lebensgrundlagen und –umwelt der Bevölkerung zu informieren. Über das Beispiel einer Stahlfabrik von Thyssen- Krupp in einem brasilianischen Joint Venture unweit von Rio hat Lili Fuhr hier gebloggt. Erschreckend ist nicht nur das Ausmaß der dort beschriebenen Verluste, sondern auch die gesundheitliche Belastungen, denen die Anwohner im Umfeld des Werkes durch sogenannten toxischen Silberregen und austretende Gase ausgesetzt sind. Diese Folgen entstehen trotz des angeblichen Einsatzes modernster Technologie. Petitionsmechanismen gegen Umweltbelastungen bedürfen demokratischer Rahmenbedingungen, doch diese fehlen. Stattdessen werden Mediziner, die über ihre Diagnosen offen reden, bedroht und müssen die Region verlassen.

Was Lateinamerika und die Lausitz gemeinsam haben

Nachdem vier der Panelist/innen ihre Positionen und Argumente vorgetragen haben, gab es für Achim Steiner Gelegenheit, das Wort zu ergreifen. Er beginnt mit mehreren Fragen: Was ist falsch an der Grünen Ökonomie? Was ist eigentlich Grüne Ökonomie? Und vor allem, wie wird sie verstanden und interpretiert? Er stellt dann fest, dass der Blick auf das Konzept von Kontext zu Kontext, Land zu Land sehr verschieden sei. Das beträfe die Erfolgsbedingungen ebenso wie die Rezeption. In Brasilien und anderswo in Lateinamerika sei die Landrechtsfrage und die der Rechte der Indigenen vorherrschend. Aber nicht überall stellten sich diese Fragen. Wir müssten eher über konkrete Bedingungen zum Gelingen der Grünen Ökonomie, also auch über Demokratie reden. Er hat damit nicht unrecht. Meine Gedanken schweifen in die Lausitz, wo die Sorben leben, die als traditionelles Volk anerkannt sind: „Der liebe Gott hat die Lausitz geschaffen, und der Teufel hat die Braunkohle drunter gebuddelt“. Das ist ein geflügeltes Wort in der Region, das den Ressourcenfluch der Sorben umreißt. Ihre Kultur ist ebenfalls bedroht, weil sie in den vergangenen 40 Jahren ca. 130 Dörfer verlassen mussten. Der Einigungsvertrag lässt das alte Bodenrecht der DDR fortleben, wonach alles, was unter der Erde ist, dem Staat gehörte. So haben die Sorben nicht einmal das Recht auf Teilhabe an den Gewinnen aus dem Kohleabbau, wie es im Gebiet der alten Bundesrepublik der Fall wäre. Sie sind von den Umweltbelastungen und dem Verlust ihres Lebens- und Kulturraumes ebenso betroffen wie die Menschen in Lateinamerika.

Nicht vergleichbar? Ja und nein! Nachdenken darüber lohnt dennoch, es ist der gleiche Extraktivismus, der hier wie dort zu Konflikten und Verlust von Kultur, Selbstbestimmung und Lebensraum führt - im Namen von Entwicklung und Wohlstand. Die demokratischen Rahmenbedingungen, sich damit auseinanderzusetzen, sind ein entscheidender Unterschied. Darauf hatte Steiner indirekt verwiesen und die Einhaltung des Rechtes Indigener zu einem Imperativ erhoben. Immerhin! Aber was nützt ihnen das bei den bestehenden Machtverhältnissen? Wasseraktivist/innen machen hier in Rio grade darauf aufmerksam, dass im derzeitigen Verhandlungsentwurf für die Rio-Deklaration versucht wird, das Menschenrecht auf Wasser im Wortsinn zu verwässern. Sie fordern für den Rio-Resolutionstext der Vereinten Nationen den Bezug auf die VN-Resolution vom 28. 7. 2010, die das Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Wasser und Abwassersystemen festschreibt. Man meint, das sei eine Selbstverständlichkeit. Ist es aber nicht! Dem Thema Wasser wird nicht einmal ein eigenes Kapitel im Entwurfstext gewidmet, sondern unter Landwirtschaft und Ernährungssicherheit subsumiert.

Von der Tragik der Allmende infiziert

Aber zurück zur Debatte mit Steiner. Er versuchte dann, aus seiner Sicht falsche oder zumindest einseitige Interpretationen des Green Economy-Models zu adressieren: UNEP sage nicht, dass man Naturerhalt dem Markt überlassen solle, denn „dann würden wir nicht erfolgreich sein können“. Märkte seien soziale Konstruktionen, und UNEP fordere die rationalen Grundprämissen der Marktwirtschaft heraus, aber das sei nicht einfach, weil man sich ständig an den gegebenen politischen Verhältnissen reiben müsse (siehe oben den Umgang mit der Wasserresolution). Um zu zeigen, wie zäh sich die Fortschritte bei Verhandlungen gestalteten, führte Steiner den historischen Vergleich mit den Debatten im britischen Parlament an, als es um die Abschaffung der Sklaverei ging. Es hätte sich damals normativ bereits durchgesetzt, dass dem Menschenhandel ein Ende gesetzt werden müsse. Da dies aber der Entwicklung der Wirtschaft hätte schaden können, habe sich das Ende der Sklaverei dann doch noch einige Zeit hingezogen. So ähnlich sei das heute mit den Verhandlungen um Kohlenstoffreduktionsziele und damit verbundenes Handeln. Märkte könnten nicht die Bedingungen für nachhaltiges Wirtschaften schaffen. Sie müssten entsprechend gesteuert werden, und Grüne Ökonomie müsse auch nicht zwingend mit kapitalistischer Ökonomie gleichgesetzt werden. Die Idee, der Natur einen Wert zu geben, könne auch, und er betonte auch (also nicht nur), mit marktbasierten Instrumenten verbunden werden. Der Natur einen Wert Null zu geben, Externalisierung von Umweltkosten also, könne dagegen nicht die Lösung sein. UNEP habe sich immer wieder mit dem Argument auseinandersetzen müssen, dass entweder die Indigenen oder die Naturschützer der Entwicklung im Weg stünden. Wenn nun z.B. der Wert des Amazonas als die kraftvollste Wasserpumpe und die größte Kohlenstoffsenke dieser Erde mit einem Wert versehen würde, hieße das ja noch lange nicht, dass man damit auf den heutigen Märkten Handel treiben müsse. Man könne aber die Interessen von Umweltschutz und Indigenen dadurch einbinden. Politik müsse steuern, damit Grüne Ökonomie keine zerstörerischen Wirkungen habe. Die Not des Zauberlehrlings kommt erneut in den Sinn, denn die Geister, die er da ruft, wird er nie mehr los. Vor allem wird er sie nie beherrschen können! Über diese Geister, den Zusammenhang von Finanzialisierung, den Zustand der heutigen Finanzmärkte, das Ende des demokratischen Kapitalismus auf der einen und die Einpreisungsfalle und die damit verbundenen Eigendynamiken auf der anderen Seite, habe ich in der neusten Ausgabe von boellthema geschrieben).

Die vorgebrachte Kritik der Panelist/innen, so Steiner, sei eine Kritik an den Konzepten der Vergangenheit, die er ja eben mit Zukunftspolitik reformieren wolle. Der 700seitige UNEP-Bericht verweise auf eine Reihe von Erfolgsgeschichten, an denen man sich orientieren könne. Dazu müsse er aber gelesen werden, fordert er die Zuhörerschaft auf. Wer Marktorientierung kritisiere, müsse auch zur Kenntnis nehmen, dass staatliche Regulierung eben auch immer wieder versagt habe. Steiner bleibt hier im Markt-Staat-Duopol stecken. Das verwundert nicht. Er ist wie viele andere UNEP-Kollegen auch von der Tragik der Allmende infiziert und übersieht dabei die Alternativen: Commonsbasiertes Wirtschaften, die sozialen Praktiken des Commoning jenseits von Markt und Staat, und die dafür nötigen Rahmenbedingungen, die ein ermöglichender Staat zum Schutz der Commons schaffen muss. Von diesen Alternativen ist auf dem Panel allerdings kaum gesprochen worden. Das ist schade, zumal sich die Debatte im Zelt des zweiten Themenstranges des Gipfels der Völker mit dem Banner “In Verteidigung der Commons und gegen Kommodifizierung” im Hintergrund abspielte.

Zum Abschluss seines ersten Redebeitrages fordert Steiner auf, dass Zivilgesellschaften rote Ampeln aufstellen und dazu in den Dialog mit ihren jeweiligen Regierungen treten müssten. Am 20. Juni werden einige Ampeln in Rios Innenstadt auf rot gestellt, wenn der Protestmarsch „Gegen EURE grüne Ökonomie“ durch die Innenstadt zieht. Das wird die Verhandlungsergebnisse im 20 km entfernten Rio Centro nicht beeindrucken, aber mit Gewissheit zu erbitterten Kämpfen und Konflikten in der Zukunft führen.

Nach der Biopiraterie: die Furcht vor Biomas(s)ters

In der zweiten Debattenrunde beginnt Pat Mooney von der ETC Group. Es gebe eine Reihe richtungsweisender und positiver Aussagen im UNEP Report. Aber: Was auf dem Papier stehe, sei das eine, wie es sich dann in der Realität umsetzen lasse, das andere. Er verwies auf die Asymmetrien von Verhandlungsmacht zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft in Zeiten großer Legitimationskrisen von Regierungsmandaten. Diese adressiert die Stiftung auch im parallel laufenden G20-Gipfel. Die Folgen der Verhandlungsergebnisse von Los Cabos und von Rio müssen schließlich jene ausbaden, die auf den Gipfeln der Völker in diesen Tagen in Mexiko City, Baja California und hier in Rio versammelt sind. Mooney kritisiert, dass die notwendige Frage nach den Grenzen des Wachstums und der Veränderung des Konsummodells mit der Grünen Ökonomie nicht gestellt würde. Grüne Ökonomie sei ein Weg, den krisengeschüttelten Wachstumspfad mit neuer Energie zu befeuern. Mooney weist darauf hin, dass die Zivilgesellschaft in Rio vor 20 Jahren die Gefahr von Biopiraterie adressiert hat, also die Enteignung von Biodiversität durch Patentierungspolitik. Heute seien es nicht mehr nur die Biopiraten, vor denen wir uns fürchten müssten, sondern die Biosmas(s)ters. Biomasse sei das neue Handelsgut der Zukunft.

Das Kernproblem von Rio 1992, so erinnert dann Pablo Solon von Focus on the Global South, bestehe darin, dass man die Menschheit einseitig in den Mittelpunkt gestellt habe. Dies sei die Folge eines fatalen Verständnisses des Mensch-Natur-Verhältnisses. Und man kann hinzufügen, dass es den Eroberern der neuen Welt ebenso zu Eigen war, wie es ihren Nachfahren, den späteren Biopiraten und den heutigen Biomas(s)stern, noch immer zu eigen ist. Dieser Fehler werde aber nicht dadurch korrigierbar, dass nach dem Humankapital nun das Naturkapital an den Finanzmärkten gehandelt werden kann.

Fast zeitgleich zu den Debatten des Tages um die Grüne Ökonomie und die Finanzialisierung von Natur wird auf dem ebenfalls parallel tagenden Business Gipfel in Rio die „Natural Capital Declaration“ (NCD) verabschiedet. Dabei handelt es sich um eine Erklärung zum Engagement des Finanzsektors als Beitrag zum Rio-Gipfel, verbunden mit dem Ziel, Naturkapital in die Kreditvergabe, die Investitionen und Versicherung von Produkten und Dienstleistungen zu integrieren. Ziel ist es u.a. die Bewertung von Naturkapital und die Bilanzierung von Ökosystemdienstleistungen zu novellieren. Es würde aber auch möglich, den Wert von Natur oder ihren Dienstleistungen als Schuldensicherung für Kredite und Versicherungsprodukte einzusetzen. Verwandte Ideen bestehen im Übrigen auch darin, Patentinhabern anzubieten, ihre Patente als Schuldabsicherung bei der Kreditvergabe anzubieten. Der Handel mit immateriellen Werten wird damit vorangetrieben als Teil der Ideen, ein krankes System wieder zu beleben. Darüber hinaus findet sich in der Deklaration die Aufforderung von Finanzinstitutionen an die Regierungen, die nötigen juristischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um Firmen- und Bankgeschäfte zu beleben. UNEP´s Finanzinitiative (UNEP FI) hat mit weiteren Partnern diese Initiative auf den Weg gebracht. Für einen High Level Dialog um die NCD wird am 20. Juni eine Eröffnungsrede der brasilianischen Präsidentin erwartet. Großbritannien und die Weltbank sind neben UNEP FI und ihren Partnern die Träger des Events. Das alles ist Ausdruck dafür, dass diese Deklaration politische Unterstützung findet.

Widersprüche zwischen den Realitäten im Zelt und draußen

Angesichts dieser Entwicklungen ist nachvollziehbar, dass Solon sich in einer wütenden Rede verliert und Steiner auch persönlich attackiert. Der Widerspruch zwischen den Realitäten draußen und den teilweise naiv klingenden Aussagen Steiners, der die Finanzialisierung von Natur offensichtlich für politisch regulierbar hält, ist so krass, dass er Steiner auffordert, uns, die Zivilgesellschaft, also alle, die wir im Zelt sitzen und ihm zuhören, nicht wie Kinder zu behandeln und uns die Wahrheit zu sagen.

Lili Fuhr hat zu ihren Eindrücken von der Debatte hier gebloggt und sich auch zur hitzigen Atmosphäre geäußert und die Frage nach der Fairness der Debattenkultur gestellt. Respekt gebührt Steiner, das stand am Eingang dieses Berichtes. Aber man kann einen Politiker wie ihn nicht aus seiner persönlichen Mitverantwortung für die Politik entlassen, die er als Chef der Umweltbehörde mitträgt. Das erklärt, aber rechtfertigt die persönliche Attacke Solons nicht. Teil dieser Verantwortung ist es auch, sich ein nächstes und übernächstes Mal den Realitäten und Wortgefechten in einer Konstellation wie der am Abend des 16. Juni in der Zeltstadt des Gipfels der Völker zu stellen!

Es geht schließlich um eine andere Dimension von Fairness, um das Zusammenleben auf unserem Planeten für kommende Generationen.

 

 

Dossier

20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel wird sich die Weltgemeinschaft vom 4. bis 6. Juni 2012 erneut in Rio de Janeiro treffen. Für die Stiftung ist Rio 2012 Anlass und Gebot, sich aktiv in die politischen Debatten und die Suche nach Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit einzumischen.