Grüne Sünden

Die Landenge von Tehuantepec im Süden Mexikos ist der einzige Ort auf dem amerikanischen Kontinent, wo keine Bergkette Atlantik und Pazifik trennt. Der Wind weht konstant und kräftig. Ein idealer Standort also für Windparks. 1200 Windräder stehen schon, bis 2014 sollen es 5000 sein. Die Investoren kommen aus Spanien und Mexiko; die Energie ist unter anderem für den mexikanischen Coca-Cola-Abfüller Femsa und für die Heineken-Brauerei bestimmt.

Eine kleine Energiewende also in Mittelamerika – wer soll das schlecht finden? Doch in der Bevölkerung regt sich Widerstand, die Kleinbauern sehen sich betrogen. Die meisten Windparks stehen auf indigenen Ländereien. Sie seien über den Tisch gezogen worden, klagen die Bewohner. Die gezahlte Pacht sei lächerlich, Landwirtschaft nicht mehr möglich, die Bevölkerung heute ärmer als früher. Die Bauern fordern die Stornierung der Pachtverträge. Demonstrieren sie, werden sie als Kriminelle hingestellt. Viele Bauern dürfen ihren Boden nicht mehr betreten.

Ökologie und Ökonomie passen, ja gehören zusammen, damit haben viele Ökologen und auch einige Ökonomen lange geworben. Nun aber wird die „Grüne Ökonomie“ zunehmend zum Kampfplatz politischer Auseinandersetzungen. Sie ist in Wahrheit „Green Washing“, sagen Kritiker. Sie hängt einer knallharten Geschäftspolitik ein grünes Mäntelchen um.

Vertrieben für den Solarpark

Beispiele dafür gibt es genug. Indiens Premierminister Manmohan Singh verkündet 2008 einen Nationalen Aktionsplan zum Klimaschutz. Unter anderem sah er vor, das bis 2022 insgesamt 22 000 Megawatt Strom aus Solarenergie bezogen werden sollten. Eine gute Nachricht für den Klimaschutz – nicht unbedingt aber für die arme ländliche Bevölkerung. Auch hier häufen sich die Fälle, in denen arme und ärmste Bevölkerungsschichten von ihrem Land vertrieben werden, damit Solarparks gebaut werden können. Eine indische Umweltorganisation hat gerade einen Bericht vorgelegt, der zeigt, dass Indien zwar ehrgeizige erneuerbare Ausbauziele hat, aber keinen Plan, wie dieses Ziel sozial gerecht und in einem demokratischen Rahmen erreicht werden kann.

Wer von den Investitionen profitieren soll – und auch wer verliert –, das sind die Fragen, die sich immer dringlicher stellen. Wer sichert zu, dass nicht im Namen der „Grünen Ökonomie“ Menschen von ihrem Gemeinde- und Ackerland vertrieben werden? Dass der Begriff völkerrechtlich nicht definiert ist, macht die Sache zusätzlich schwierig. Ein Versuch bei der Rio+20-Konferenz scheiterte im Juni. Das Abschlussdokument der Konferenz bleibt zur Grünen Ökonomie nichtssagend, ein klassischer UN-Formelkompromiss.

Immerhin wurde der Konflikt zwischen Ökologie und Gerechtigkeit außerhalb der Konferenz sichtbar: Slogans, Poster und T-Shirts machten auf den Demonstrationen in Rio gegen die Grüne Ökonomie mobil. Dass in Brasilien der Widerstand besonders heftig ist, verwundert nicht: Die brasilianische Regierung verkauft ihre Großstaudämme in Amazonien und den weiteren Ausbau von Zuckerrohr für Agrartreibstoffe als besonders gelungene Beispiele für eine Grüne Ökonomie. Für das waldreiche Brasilien, gesegnet mit höchster biologischer Vielfalt, kommt noch hinzu, dass es zum Experimentierfeld für neue ökonomische Instrumente geworden ist.

Deren Sichtweise geht so: Der Wert der Natur ist ökonomisch unterbewertet. Um das zu ändern, muss die Natur wie eine Dienstleistung betrachtet und das Naturkapital für die Märkte, inklusive Finanzmärkte, erschlossen werden. Diese Position wird vor allem vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) propagiert. Das empört viele Menschen im Süden, vor allem in Lateinamerika. Die Ökonomisierung der Natur wird als neue Etappe der Privatisierung und Kommerzialisierung von Natur angeprangert. Die Umwandlung von Natur in Handelsgüter und in Privateigentum – auch die Kohlenstoff speichernde Humusschicht oder das Blatt am Baum – führe dazu, dass vor allem gemeinwirtschaftlich lebende Bevölkerungsgruppen vertrieben und enteignet würden. Es ist ja nicht die fleißige Natur, die für ihre Dienstleistungen bezahlt wird, sondern der Besitzer des Bodens.

Die Grüne Ökonomie versteht sich für die Mehrzahl ihrer Protagonisten als Antwort auf den Klimawandel und die weltweite Ressourcenknappheit. Wenn diese Themen bei Wirtschaft und Regierung tatsächlich ankommen, ist das nur gut. Doch die Wege dorthin sind umstritten. Die Wirtschaftsverbände singen das Hohelied der Technologie, der Innovation und Effizienz. Die soziale, politische und demokratische Dimension des Wirtschaftens kommen bestenfalls am Rande vor. Dabei werden die Schattenseiten auch der Grünen Ökonomie immer deutlicher sichtbar, die sozialen und ökologischen Probleme zum Beispiel, die der Rohstoffabbau von Lithium oder Seltenen Erden mit sich bringt, die für Solarmodule, Batterien von Hybridautos oder Windräder gebraucht werden.

Die Steigerung der Effizienz ist Teil jeder Strategie, die eine Transformation der jetzigen fossilen und ressourcenfressenden Ökonomie anstrebt. Effizienz braucht Innovation und Technologien. Aber es muss geklärt sein, wer von ihnen profitiert und welche Mitsprachemöglichkeiten es für die Betroffenen gibt. Dafür braucht es Beteiligung – und nicht allein wirtschaftspolitisch getriebene Entscheidungen. Denn Innovation und Technologie sind nur so gut, wie sie sozial und ökologisch gerecht eingesetzt werden. Das Misstrauen und der Widerstand gegen sie wachsen, wenn sie blind gegenüber ihren negativen Folgen eingesetzt werden.

Hinzu kommt, dass auch Hochrisikotechnologien wie Hightech im Weltall, die Ozeandüngung, Agrardiesel und selbst die Atomkraft im Namen des Klimaschutzes als „Grüne Wirtschaft“ verkauft werden. Auch dies droht das ganze Konzept in Misskredit zu bringen.

Die Grüne Ökonomie braucht Grenzen und soziale Standards. Für die Wirtschaft ist sie bislang nur ein neues und bislang eher zusätzliches Geschäftsfeld, denn das fossile, braune, ineffiziente Wirtschaften dominiert die Weltwirtschaft. Diese ist trotz des weltweiten Ausbaus erneuerbarer Energien zu 97 Prozent fossil und nuklear. Das muss sich dringend und vor allem ändern. Aber es muss auch mit der Illusion aufgeräumt werden, dass alles, was kohlenstofffrei ist, auch sozialundökologisch verträglich ist. Auch das neue, kohlenstoffarme Business muss sich überall seiner Menschenrechts- und sozialen Verantwortung stellen. Nur dann ist Grüne Ökonomie eine neue Vision und wäre ein echter Paradigmenwechsel.
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Portrait: Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.