Jens Althoff: "Abgestimmte politische Strategie nötig"

Trauer an der Rues Bichat
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Trauer an der Rues Bichat

Jens Althoff leitet das neue Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Paris . Die Terroranschläge erlebte er hautnah, denn seine Wohnung befindet sich in unmittelbarer Nähe zum "Bataclan", einem der Tatorte der Anschläge. Gruene.de hat am vergangenen Montag mit Jens darüber gesprochen, wie er die letzten Tage erlebt hat und wie er die Situation politisch einschätzt.

Wie ist die Stimmung in Paris drei Tage nach den Anschlägen?  

Die Menschen hier in Paris versuchen, zu ihrem Alltag zurückzukehren. Die Stimmung ist gedrückt, angespannt, verunsichert. Bei dem kleinsten Vorfall oder Geräusch in der Metro schrecken alle sofort auf. Aber es gibt auch viel Trotz und Entschlossenheit, sich nicht das Pariser Leben, la vie parisienne, verbieten zu lassen und vielmehr zu den eigenen Lebensformen und -vorstellungen zu stehen. Das 11. und 12. Arrondissement, in dem die Anschläge in Paris stattgefunden haben, gilt als das Viertel der Stadt, in dem noch unverfälscht ein Leben im echten Pariser Geist stattfindet, es wird auch als Saint-Germain von heute bezeichnet, mit vielen Restaurants, Bars, Cafés, Veranstaltungsorten, Märkten und Geschäften. Viele Pariserinnen und Pariser kommen in ihrer Freizeit in diesen Teil der Stadt. Mit ihren furchtbaren Anschlägen haben die Terroristen die Stadt in ihrem Herzen getroffen. Aber das wollen sich die Menschen nicht gefallen lassen. Es gibt zahlreiche Ideen und Aktionen, dem zu begegnen, zum Beispiel mit der Aktion „Alle in die Bistros“, die heute Abend stattfindet. Die Cafés und ihre Terrassen, wo die Menschen hinterhältig ermordet sind, sind auch ein Markenzeichen der Stadt an der Seine. Die amerikanische Schriftstellerin Djuna Barnes hat sie einmal liebevoll als „erweiterte Wohnzimmer“ der Stadtbewohner beschrieben.

 

Jens Althoff, Büroleiter der Stiftung in Paris

Welche politische Folgen für Frankreich sind absehbar?  

Präsident Hollande hat den Ausnahmezustand verhängt und spricht von Krieg. Die Äußerungen des Präsidenten und seiner Regierung unter Premierminister Valls erscheinen darauf ausgerichtet zu sein, die Menschen hier auf eine längere Auseinandersetzung wie in einem Krieg einzustimmen. Präsident Hollande hat in seiner Rede gestern vor dem Kongress in Versailles, die Versammlung aller Abgeordneten des Parlaments, der Assemblée Nationale, und der zweiten Kammer, des Senats eine Ausweitung des Ausnahmezustandes auf drei Monate, schärfere Sicherheitsgesetze und sogar eine Verfassungsänderung für mehr Rechte der Exekutive in solchen Krisensituation angekündigt. Die Einberufung dieses Kongresses zeigt den Ernst der Lage, diese fand überhaupt erst zum zweiten Mal statt in der fünften Republik. Die Einsätze gegen den IS im Syrien und Irak wurden verstärkt und ausgeweitet. Allerdings hat Hollande nicht wie seinerzeit Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York den Nato-Bündnisfall nach Artikel 5 ausgerufen, obwohl er von Krieg spricht. Dafür hat die französische Regierung heute erstmals nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages die EU-Partner gebeten, dem Land beizustehen. Zwar hat Präsident Hollande gestern auch darauf verwiesen, Franzosen hätten Franzosen getötet, aber der Fokus liegt nach diesen furchtbaren Anschlägen in Frankreich ganz klar auf der Bekämpfung des IS im Nahen Osten und ein rigoroses Vorgehen der Sicherheitskräfte im Innern – dafür haben sie durch den Ausnahmezustand nahezu uneingeschränkte Rechte.

Ist die Situation vergleichbar mit der im Januar nach den Anschlägen auf die Redaktionsräume der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“?

Im Unterschied zu den Anschlägen im Januar war die nationale Einheit diesmal in Frankreich schnell vorbei und wurden Präsident Hollande und Premierminister Valls unmittelbar nach den Anschlägen von konservativer und rechtsextremer Seite für ihre vermeintliche laxe und nicht ausreichende Sicherheitspolitik nach den letzten Anschlägen angegriffen. Der rechtsextreme Front National und Teile der bürgerlich-konservativen Opposition versuchen auch, einen Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen nach Europa zu konstruieren. Demgegenüber hat Präsident Hollande aber sehr deutlich gemacht, dass bei allen geplanten Verschärfungen das Asylrecht nicht angetastet werden soll.

Welche Auswirkungen siehst Du für Deutschland und Europa?

Wichtig erscheint mir, dass das nicht Anschläge auf die Bewohnerinnen und Bewohner von Paris und auf Frankreich waren. Das waren sehr klar Anschläge auf alle Europäerinnen und Europäer, auf ihre Werte und Vorstellungen, wie sie leben möchten. Aus meiner Sicht ist das deshalb auch keine Situation, die Frankreich alleine lösen kann und alleine lösen sollte. Da sind nun wirklich auch Partner, die gesamte Europäische Union gefragt. Frankreich wird jetzt sehr genau darauf schauen, wie die angeforderte Unterstützung der europäischen Partner aussehen wird, insbesondere von seinem wichtigsten und engsten Partner Deutschland. Nötig sind nun weit größere Anstrengungen einer gemeinsamen, europäischen Außenpolitik für eine politische Lösung vor allem in Syrien, aber auch in Libyen und im Irak. Alleine militärisch, auch mit einer internationalen Allianz, wird der Terrorismus des IS kaum zu besiegen sein. Rasant verbreitet sich hier in den sozialen Netzwerken gerade ein Interview mit dem früheren, konservativen Außen- und Premierminister Dominique de Villepin, das schon im September 2014 geführt wurde: Dort analysiert er die Lage im Nahen Osten und den bereits seinerzeit ausgerufenen Kampf gegen Terrorismus des IS sehr nüchtern und zieht den Schluss, dass ein Krieg gegen Terror nicht rein militärisch gewonnen werden kann, dass es gerade zur Bekämpfung des IS, der durch einen Teufelskreis politischer Fehlentscheidungen und –entwicklungen entstanden ist, eine abgestimmte politische Strategie benötigt wird, die insbesondere auch darauf abzielt, jegliche Unterstützung der IS-Dschihadisten auszutrocknen.

Dieses Interview erschien zuerst auf gruene.de.