Bosnien-Herzegowina: Die Auflösung von Monopolen beim Übergang in eine grüne Wirtschaft

Analyse

Bosnien-Herzegowina will bis 2050 aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Für das weitgehend von Kohle abhängige Land ist das ein gravierender Wendepunkt. Allerdings ist das für diesen Prozess häufig benutzte Wort „Wende“ in der Bevölkerung ziemlich verhasst, denn dieser wird nicht mit Gleichberechtigung und Gerechtigkeit assoziiert, sondern mit einer sich bereichernden politischen Elite.

Photo by Chris 861

Zwei Trends werden den Rest unseres Lebens prägen: die Ökologisierung und die Digitalisierung von allem und jedem. Während die Digitalisierung vielleicht noch eine Frage komfortabler Neuerungen und des freien Willens ist, so ist der grüne Übergang eine absolute Notwendigkeit, eine Frage von „Sein oder Nichtsein“. Dennoch scheinen beide Trends miteinander einherzugehen. Die Europäische Union hat den europäischen Grünen Deal auf den Weg gebracht, um das Leben und die Wirtschaft durch den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und treibhausgasintensiven Industrien zu verbessern und die sozioökonomischen Kosten des Übergangs abzufedern. Das ist der Pfad zu einer emissions- und kohlenstofffreien Wirtschaft bis 2050. Mit diesem Plan wurde auch ein Fonds eingerichtet, aus dem Gemeinwesen unterstützt werden sollen, die von der Stilllegung der Kohle- und anderer CO2-intensiver Industrien am meisten betroffen sind. Aus dem Fonds werden Vorhaben unterstützt, die eine Schließung von Kohlebergwerken und die Umschulung von Arbeitskräften zum Ziel haben.

Von einem grünen zu einem gerechten Übergang auf dem Balkan

Einige Zeit danach wurde der Grüne Deal auf den Westbalkan angepasst und diese „Grüne Agenda für den Westbalkan“ wurde von den westlichen Balkanstaaten angenommen. Die Erklärung von Sofia 2020 stellte die Weichen für das große Finale: Die Dekarbonisierung wurde auch für diejenigen Länder des Westbalkans (darunter Bosnien-Herzegowina) auf das Jahr 2050 festgelegt, die zuvor noch nicht den Mut hatten, ein Datum für den Kohleausstieg zu nennen. Bei dieser Gelegenheit wurden EU-Finanzhilfen für die Balkanländer freigegeben, mit denen der grüne Übergang finanziert werden soll.

Die kürzlich auf den Weg gebrachte EU-Initiative „Plattform für Kohleregionen im Wandel im Westbalkan und in der Ukraine“ ist Teil eines Mechanismus, über den einige der größten Finanzinstitutionen im Zeitraum 2021-2027 mindestens 100 Mrd. Euro an Finanzhilfen für den Wandel in den Regionen und Sektoren bereitstellen wollen, für die der Übergang in eine grüne Wirtschaft am schwierigsten ist. Von dem Gesamtpaket sind rund 9 Mrd. Euro für die westlichen Balkanländer vorgesehen. Ein wie großes Stück von dem Kuchen jedes einzelne Land tatsächlich erhält, hängt davon ab, wie ehrgeizig es den grünen Übergang anstrebt.

Ein neuer spät einsetzender Wandel in Bosnien-Herzegowina

Bosnien-Herzegowina ist ein Land, das zwar theoretisch verschiedene Reformen eingeführt, aber nicht wirklich in die Praxis umgesetzt hat. In der Region findet schon seit den 1990er-Jahren ein Übergang statt. Allerdings ist das für diesen Prozess häufig benutzte Wort „Wende“ in der Bevölkerung ziemlich verhasst, denn dieser wird nicht mit Gleichberechtigung und Gerechtigkeit assoziiert, sondern mit einer sich bereichernden politischen Elite. Seit einiger Zeit ist nun immer häufiger von einer Energiewende die Rede und die Zeit der fossilen Brennstoffe soll bis 2050 abgelaufen sein. Für ein weitgehend von Kohle abhängiges Land ist das ein gravierender Wendepunkt. Den meisten Menschen scheint das Jahr 2050 vermutlich Lichtjahre entfernt, wobei nicht zu vergessen ist, dass 2050 von heute aus gesehen fast genauso weit in der Zukunft liegt wie die unglückseligen 1990er-Jahre in der Vergangenheit liegen. Mit welcher Intensität die Systemtransformation, die gerade weltweit zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels erfolgt, in den einzelnen Ländern vorangetrieben wird, hängt davon ab, inwieweit die jeweiligen politisch Verantwortlichen sich der Klimakrise bewusst und in Sorge über sie sind. In Bosnien-Herzegowina nehmen weder die Medien, noch die Öffentlichkeit oder die politisch Verantwortlichen die Existenz und Folgen der Klimakrise wahr und sehen sie auch nicht als mögliche Ursache für Wetterextreme. Anders gesagt, gibt es hier keinen Raum und keine Zeit für eine rationale Kausalität. Daher überrascht es nicht, dass die Klimakrise nur als eine weitere in einer ganzen Reihe von Krisen in Verbindung mit der allgegenwärtigen politischen Krise wahrgenommen wird.

Von ​​​​​​​der grünen Agenda zur grünen Energiewende

Um der Erfüllung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, der Erklärung von Sofia und der Grünen Agenda für den Westbalkan näherzukommen und um die eigenen CO2-Emissionen zu reduzieren und damit zur Abmilderung des Klimawandels beizutragen, hätte Bosnien-Herzegowina längst die Energiewende in die Wege leiten müssen. In dem Land ist die Energieerzeugung für über 60 Prozent des Treibhausgasausstoßes verantwortlich – mit Emissionen von 7,1 t/CO2 pro Kopf. Zur Abhängigkeit von Kohle ist festzuhalten, dass 2020 insgesamt 67,9 Prozent des Stroms in kohlebetriebenen Wärmekraftwerken erzeugt wurde. Deshalb ist die Energiewende, vor allem in der Energieerzeugung, der erste und möglicherweise wichtigste Schritt.

Werfen wir einen Blick auf die Postulate im Zusammenhang mit der Energiewende: Diese sollte nicht nur grün, sondern auch gerecht sein. Es geht um den Prozess der Dekarbonisierung, um das Erreichen von Energieeffizienz und um die beschleunigte Nutzung von erneuerbaren Energien, aber auch um die Inklusion aller Betroffenen. Sie basiert auf drei Säulen: Demokratisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung – die „3D“ der Energiewende. Eine Voraussetzung der Demokratisierung der Energiewende beruht auf die Idee, dass die Menschen und private Unternehmen nicht nur Konsumenten, sondern auch Produzenten von Energie – sogenannte Prosumenten – sein sollten. Das wäre sozusagen ein revolutionärer „Wechselstrom“, bei dem alle Menschen mehr Mitspracherecht und einen größeren Anteil am Energiesystem hätten, indem sie zum Energiestrom innerhalb des Versorgungsnetzes beitragen.

Wer ​​​​​​​hat in Bosnien-Herzegowina das Monopol bei der gegenwärtigen Energiewende zu erneuerbaren Energien?

Leider lassen die derzeit geltenden Gesetze in Bosnien-Herzegowina keinen Raum für „Energie im Besitz der Gesellschaft“ („Civic Energy“) – für Prosumenten oder gemeinschaftlich erzeugte erneuerbare Energien. So ein Konzept würde es Bürger:innen, Wohnungseigentümer:innen oder Mitgliedern von Gemeinschaften ermöglichen, gemeinsam in den Bau kleiner Solaranlagen auf den Dächern von Wohnhäusern oder auf ungenutztem staatlichen oder privaten Land zu investieren. Die gesetzliche Hürde hindert die Menschen jedoch daran, es mit Selbstversorgung, Kostenminderung und einem rationelleren Stromverbrauch zu versuchen. Die Menschen werden gehindert, Über- und Unterkapazitäten in der Stromversorgung auszugleichen. Damit schützt die Regierung die Monopolstellung der von den politischen Parteien umworbenen Energieunternehmen und verhindert eine echte Öffnung des Strommarktes, wie es im Rahmen des Vertrags zur Gründung einer Energiegemeinschaft eigentlich vorgesehen ist.

​​​​​​​Erneuerbare Energien sind eine Möglichkeit, die Macht der „großen Fische“ noch zu verstärken

Angesichts der Tatsache, dass die Gesetze den Staat entschieden zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen führen sollten, kam (und kommt) der Gesetzgebung in Bosnien-Herzegowina eine sehr wichtige Bedeutung zu. Darüber hinaus sollten die Gesetze eine aktive Beteiligung der Menschen an der Erzeugung von „sauberem“ Strom ermöglichen (Demokratisierung der Stromerzeugung) und dazu beitragen, die Abhängigkeit der Wirtschaft von der Kohle zu reduzieren. Am verhängnisvollsten am geltenden Gesetz ist jedoch, dass es vor dem Hintergrund eines ohnehin schon korrupten Staatsapparats ungerechtfertigt hohe Anreize für Strom aus erneuerbaren Energien schafft und es so den Großindustriellen der erneuerbaren Energien, allen voran den in Wasserkraft und Sonnenenergie Investierenden, großzügig ermöglicht, ihr Kapital schnell zu vermehren. Das Gesetz schuf ein System staatlich garantierter Preise – und zwar auf Kosten der steuerzahlenden Bevölkerung, der es weitgehend verwehrt ist, sich aktiv an der Energieerzeugung zu beteiligen. Das heißt, die Möglichkeit, das Konzept der Civic Energy in die Tat umzusetzen, ist in keiner Weise erhöht worden.

Dazu kommt, dass eine weitere der fundamentalen Ideen des obengenannten 3D-Konzepts der Energiewende blockiert wird: Eigentlich sollten viele Menschen in lokalen Gemeinschaften mit der Erzeugung von Strom im kleinen Rahmen dazu beitragen, Verluste zu reduzieren, aber stattdessen erhalten diejenigen Zuschüsse, die in Großindustrien der erneuerbaren Energien investieren. So wird der Kuchen der staatlichen Anreize ausschließlich unter den großen Fischen mit politischen Verbindungen, Geld und Macht aufgeteilt. Zudem können sich diese Strom-Mogule immer weiter bereichern, denn die Anreize nehmen kein Ende; das heißt, dass sie für jedes Kraftwerk, das sie bauen, 12 bis 15 Jahre lang garantierte Zahlungen erhalten. Am schlimmsten ist jedoch, dass sie umweltschädliche Auswirkungen völlig ignorieren: Fehlplanungen beim Bau kleiner Wasserkraftwerke, die zur Austrocknung von Flussbetten führen, richten in Bosnien-Herzegowina nicht nur verheerende Umweltschäden an, sondern haben auch eine grundsätzlich negative Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber erneuerbaren Energien zur Folge.

Es ​​​​​​​braucht einen politischen Machtwechsel

Da sich die Medien überhaupt nicht dazu äußern und die Mehrheit der Menschen sich der Wichtigkeit einer zukünftig grünen Energie nicht bewusst ist, wurde diesen Gesetzen noch nicht die öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, die sie verdient hätten. Tatsächlich scheint sich kaum jemand um sie zu scheren, was allerdings nicht weiter überrascht in einem Land, das von Braindrain und Instabilität in fast allen gesellschaftlichen Bereichen betroffen ist und in dem sich ein Großteil der Bevölkerung mit finanzieller Unsicherheit konfrontiert sieht. Die Energiegemeinschaft fordert nun jedoch die notwendigen Reformen und eine neue Gesetzgebung, um sich der Energie- und Klimapolitik der EU anzupassen. Nachdem sie zwei Jahre lang an die EU-Richtlinien zu erneuerbaren Energien, zum marktwirtschaftlichen Grundsatz kostengünstiger Produkte und zum Konzept der Bürgerenergie angeglichen wurden, sind in den neuen Gesetze über die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen mehrere wichtige und positive Veränderungen vorgesehen, die sie näher an die in den EU-Ländern geltenden Gesetze zur Förderung neuer Energien bringen würden.

Am wichtigsten wäre, nicht länger zu dulden, dass die Gewinne in private Taschen fließen, und die Einbindung der Bevölkerung in die Energieerzeugung, denn ohne sie kann es keinen gerechten grünen Übergang geben. Damit würde im ganzen Land Bürger:innen und privaten Unternehmen die Möglichkeit gegeben, Strom nicht nur zu verbrauchen, sondern ihn auch zu produzieren – Prosumenten zu werden.

Und schließlich sollte mit der Gesetzesänderung auch das Konzept von Energiegemeinschaften eingeführt werden, von denen es in der Region schon sehr viele gibt. Weil die Bevölkerung ständig vom Gesetzgebungsprozess ausgeschlossen wird, erhalten auch diese Gesetze nicht die nötige öffentliche Aufmerksamkeit. Zudem sieht die Bevölkerung, die zu Recht unzufrieden darüber ist, dass ihr Geld in die Taschen schamloser politischer Tycoons und/oder Parteien fließt und gleichzeitig ihre Umwelt weiter belastet wird, in Gesetzen eher eine „Tatwaffe“ als eine Möglichkeit, ihre eigene Macht zu stärken.

Gibt ​​​​​​​es einen grünen Ausweg für Bosnien-Herzegowina?

Es darf kein weiteres Wirtschaftswachstum zu Lasten des Planeten und auf Kosten der Menschen geben. Mit der Annahme der Grünen Agenda für den Westbalkan haben die Länder in der Region, darunter auch Bosnien-Herzegowina, zugestimmt, die Agenda umzusetzen. Anfang Juni einigten sich das Europäische Parlament und der Europäische Rat auf ein neues Instrument für Heranführungshilfe (IPA III) mit einem Gesamtbudget von über 14 Mrd. Euro für den Zeitraum 2021-2027, wovon ein Großteil für die Grüne Agenda vorgesehen ist. Die Leitlinien zur Schaffung und Umsetzung von politischen Maßnahmen auf EU-Ebene, die politischen Verpflichtungen des Westbalkans und Bosnien-Herzegowinas sowie die Finanzierungsinstrumente für den Wandel sind nur dann einzuhalten bzw. abzurufen, wenn wir nicht länger die Fakten ignorieren, sondern die Transformation akzeptieren. Der grüne Übergang ist ein Thema, das über eine ideologische Etikettierung hinausgeht und in den Blickpunkt der Gesellschaft rücken muss. Nicht nur als Gesellschaft, sondern auch als Einzelpersonen, lokale Gemeinschaften, politisch Verantwortliche, NROs, Unternehmen und Wissenschaftler:innen sind wir verantwortlich für den Zustand der Umwelt, in der wir leben; wir haben aber auch die Macht, Gegebenheiten zu verbessern. Beim grünen Übergang sollte niemand zurückgelassen werden, aber es sollte auch niemand zulassen, dass er bzw. sie selbst oder irgendjemand anders zurückgelassen wird.

Der Text ist Teil der nächsten Ausgabe der englischsprachigen Perspectives Südosteuropa „just green transition“. Aus dem Englischen übersetzt von Ina Goertz.​​​​​​​