Sprache in Medien und Literatur: Wo beginnt Rassismus?

Die Heinrich-Böll-Stiftung und die taz haben auf die Kontroverse um rassistische Begriffe und Rassismus in Literatur und Medien mit einer Podiumsdiskussion reagiert. Deniz Utlu fasst die Ergebnisse zusammen.

Allen Podiumsteilnehmenden an diesem Abend kommt eine besondere Rolle im Rassismusdiskurs zu. Mekonnen Mesghena, Leiter des Referats "Migration und Diversity" der Heinrich-Böll-Stiftung, brach mit einem Brief an den Thienemann Verlag im Frühjahr 2013 eine Debatte über das N-Wort los. Nach Mesghenas Kritik entschlossen sich Otfried Preußler, Autor des Kinderbuch-Klassikers „die kleine Hexe”, und sein Verlag Wörter wie „Neger“, "Zigeuner", "Eskimo", etc. aus der überarbeiteten Neuauflage zu streichen, die im Sommer 2013 erscheint. Daraufhin kam es zu einer Debatte im deutschen Feuilleton, die vom Spiegel bis zur Titelseite der ZEIT reichte.

Die taz hatte mit ihrem Artikel vom 4. Januar die Streitdebatte mit angestoßen, geriet zuletzt aber auch unter heftige Kritik: Bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Liebe N-Wörter und -Innen“ am 20. April 2013 kam es auf dem Kongress taz.lab 2013 zu einer verbalen Eskalation zwischen dem Moderator, einem Podiumsgast und einigen Menschen aus dem Publikum. Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) schrieb daraufhin einen öffentlichen Brief an die taz und forderte sie auf zu den Ereignissen Stellung zu beziehen.

Mutlu Ergün ist Trainer bei Phoenix e.V., einem Verein, der das Format des Anti-Rassismus- und des Empowerment Trainings (aus England) in den deutschen Kontext übersetzt hat. Außerdem schrieb Ergün den Roman „Kara Günlük. Die geheimen Tagebücher des Sesperado“ , in dem er postkoloniale Theorien, Critical Whiteness auf humorvolle Weise mit einer Liebes- und Revolutionsfiktion verwob und so einen unprätentiösen Zugang in den oft kryptischen Theorierahmen von Rassismus schuf.

Die Motivation der Heinrich-Böll-Stiftung mit diesem Panel einen Beitrag zur Debatte um Sprache und Rassismus zu leisten, so Mesghena in seiner Einführung, sei die Bedeutung von Sprache und Kommunikation für eine demokratische Kultur auf der einen Seite und Medien als öffentliche Güter auf der anderen Seite. Im ersten Zusammenhang gehe es darum, dass Sprache, je nachdem, ob sie inkludierend oder ausgrenzend sei, sich „identitätsstiftend“ oder „spaltend“ auf die Entstehung einer demokratischen Gemeinschaft auswirke. Im zweiten Zusammenhang müsse gefragt werden, welche Gruppen in der Gesellschaft in welchem Maße Zugang zu Ressourcen hätten: „Wer hat Zugang zu Medien, wer ist mit welcher Repräsentanz an den Medien beteiligt?“

Die Ebene der Kinderbuchdebatte verlassen

Mesghena erklärte, dass „Rassismus“ in Deutschland meist in einem anderen historischen Kontext diskutiert werde als global üblich, was den Zugang zu dem Thema erschwere. So müsse beispielsweise, wer sprachlich-rassistische Missstände anprangere, damit rechnen, dass sein Gegenüber dies als Angriff auf die eigene Person empfindet. Entsprechend heftig sei der Widerstand gewesen, den Mesghena und andere erfuhren, wenn sie Rassismus thematisierten. Immer wieder werde mit persönlicher Betroffenheit und persönlichem Angriff reagiert.

Mesghena illustrierte dies mit den Erfahrungen, die er bei der Kinderbuchdebatte gemacht habe: Viele hätten ihn angeschrieben und gefragt, ob sie denn jetzt auch rassistisch seien, weil auch sie ihre Kindheit mit diesen Kinderbüchern verbanden. Anstatt also Struktur und Kontext kritisch zu befragen, gerate das Selbst in den Fokus und zwar nicht in Form von Selbstreflexion, im Gegenteil soll der Ich-Bezug Beleg für die Falschheit und Empörung über die geäußerte Kritik sein: „Bin etwa ich rassistisch?“

Auf die Frage von Bilgin Ayata, wie er sich seinen Erfolg erkläre mit einem Brief an einen Verlag tatsächlich etwas verändert zu haben, antwortet Mesghena: „Ich habe hunderte Hass-Mails bekommen, für jede Hass Mail habe ich zehn Unterstützer-Mails bekommen.“ Diese Zustimmung zeige, dass Intervention erfolgreich sein könne, wenn ihr ein gewisser Wertewandel in der Gesellschaft vorausgehe. Vor dem besagten Brief hätte es bereits zahlreiche Versuche von anderen Menschen gegeben, die vorerst gescheitert seien – nicht nur ein Brief also, sondern eine Kette der Kommunikation habe letztlich Wirkung gezeigt.

Anfangs habe sich auch hier durchaus bestätigt, dass wer Rassismus entlarve mit einem Abwehrreflex rechnen müsse: Preußler habe sich lange Zeit geweigert etwas zu verändern. Schließlich habe er eingesehen, wie verletzend und gefährlich Worte sein können. Die Einsicht des Autors hätten die Medien leider kaum thematisiert. Wichtig sei es, die Ebene der Kinderbuchdebatte zu verlassen und die Frage zu stellen, wer eigentlich die „Definitionsmacht über die gemeinsame Sprache“ haben solle.

Die Schwierigkeit, über Rassismus zu sprechen

Mutlu Ergün bestätigte Mesghenas Beobachtung, dass es schwierig sei über Rassismus zu sprechen. Das erlebe er immer wieder in seiner Arbeit als Anti-Rassismus-Trainer. Um das Phänomen besser zu erklären, zitierte Ergün den Sozialpsychologen Farhad Dalal: „And finally, it is shown that the structures of society are reflected in the structures of the psyche, and if the first of these is colour coded, then so will be the second.“

Dass die Gesellschaft rassisch strukturiert sei, lasse sich an Statistiken ablesen, die zeigten, welche Gruppen in der Gesellschaft Zugang zu welchen Ressourcen hätten. Die Schwierigkeit, auf die Dalals Gleichung hinweise, bestehe in einem „endemischen Rassismus“. Vor diesem Hintergrund könnte die Veranstaltung laut Ergün auch heißen: ‘Wo hört Rassismus auf?’, statt ‘Wo fängt Rassismus an?’

Womit Ergün auf die in früher Bildung „gemachte Differenz“ anspielt. Wenn die Psyche eines Kindes von Anfang an, so strukturieret werde, dass es in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft funktioniert, in dem Sinne, dass es gelernt hat, Differenzen zu sehen und zu bewerten, müsse gefragt werden, welche Konsequenzen das für das Kind habe? Die „rassische“ Identität, so Ergün, sei ähnlich wie die sexuelle Identität tief verankert in den Menschen. Von dieser Seite aus werde das Problem in den Medien nicht thematisiert, was einen gesellschaftlichen Umgang mit „Rassismus“ erschwere.

Schwache deutsche Protestkultur

Ergün, der lange in London gelebt hat und dort akademisch nach wie vor aktiv ist, habe durch den Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland viel über die Funktionsweise der deutschen Gesellschaft gelernt. Die Auffassung, Großbritannien sei weniger rassistisch, teile er keineswegs. Allerdings werde der Rassismus in Großbritannien auf „englische Art“ mit „einer Tasse Tee und Zucker serviert“, während er in Deutschland weniger subtil sei.

Deshalb habe Ergün von Schwarzen Menschen häufig gehört, dass sie ganz froh seien, in Großbritannien nicht als x, y und z bezeichnet zu werden, sondern dass jene Bezeichnungen, die sie für sich gewählt hätten, akzeptiert würden. Eine stärker ausgeprägte „Protestkultur der Nichtweißen Gesellschaft“ könnte aber auch ein Grund dafür sein, weshalb Rassismus in Großbritannien weniger salonfähig sei, so Ergün: „Wir sind hier aufgewachsen und haben die Protestkultur hier aufgesogen und die ist in Großbritannien stärker als in Deutschland.” Ergün erwähnte die so genannten "Race Riots", die Aufstände in den 60er Jahren. Diese stünden durchaus in einer britischen, demokratischen Tradition, die wesentlich älter sei als in Deutschland.

Institutionelle Veränderungen allein reichen nicht

Ines Pohl vertritt wie Mekonnen Mesghena und Mutlu Ergün die Meinung, dass es schwierig sei in Deutschland über Rassismus zu reden, weil sich die Menschen hier schneller angegriffen fühlten, als etwa in den USA. Dort habe sie erlebt, wie Rassismuskritik als Gesprächsangebot gewürdigt werde. In Deutschland könnten Medien eine wichtige Rolle dabei spielen, einen Umgang mit Rassismus zu finden: Sie sollten an ihre Grenzen kommen, Begriffe weiter entwickeln und in der Lage sein, Fehler einzugestehen und falsche Annahmen zu revidieren.

Bilgin Ayatas Frage, ob die Medien dieses Ziel nicht auch durch institutionelle Veränderungen verfolgen sollten, entgegnete die taz-Chefredakteurin mit einem Verweis auf die Kooperation mit der Böll-Stiftung bei der Vergabe von Praktikant/innenstellen für Journalismus-Stipendiat/innen sowie auf einige Redakteure und Redakteurinnen in der taz, deren Eltern nicht in Deutschland geboren seien. „Wir müssen versuchen“, sagte sie, „Menschen in feste Anstellungen zu bringen und gezielt Praktikant/innen suchen und dafür sorgen, dass der Newsroom bunter und vielfältiger wird“ – damit meine sie auch den sozialen Hintergrund.

Mesghena erinnerte sich, dass es auf dem Podium der Stiftung etliche Kontroversen mit Medienvertretern, etwa vom Spiegel oder der ARD gegeben habe. Immer wieder habe es geheißen: „Wir müssen an die Vermarktung denken?“ Mesghena würde aber gerne wissen, wie ein Medium ein „Code of Conduct“ entwickeln könne. Ist dies angesichts der Wichtigkeit von Einschaltquoten in Funk und Fernsehen und einer Leserschaft, die größtenteils dem „Weißen Mainstream“ angehöre, möglich? Die Verordnung von oben sei bei der taz schwierig, antwortete Pohl. Stattdessen konfrontiere sich die taz mit Widersprüchen in der Redaktion. Wichtig sei, das Gespräch immer weiter zu führen, deshalb gebe es in der taz nun eine Debattenserie zu Rassismus und Sprache.

Auch Ergün glaubt mehr an die Arbeit an der eigenen Einstellung als an ein „Code of Conduct“. Ergün sei zwar überzeugt davon, dass die strukturelle Ebene sehr wichtig sei, allerdings hänge die Wirkmächtigkeit eines Statuts von seiner Umsetzung ab. Er beobachte oft eine Divergenz zwischen der „Intention des Antirassismus“ und „antirassistischem Handeln“. Um diesen Unterschied zu erklären, bemühte Ergün eine Allegorie: „Ich kann mir auch das Label geben, ein Pazifist zu sein. Und wenn ich Menschen schlage, sagen sie 'das ist Gewalt', ich sage aber: Hey, ich bin Pazifist, ich kann gar nicht gewalttätig sein.“ Wichtig seien also neben solchen äußerlichen Bedingungen, die Einstellungen der Personen, die die Statuten oder „Codes of Conduct“ verfolgen sollen.

Echte und scheinbare Tabubrüche

Um ein Beispiel dafür zu geben, wo Rassismus reproduziert wurde, ließ Moderatorin Bilgin Ayata ein Bild einblenden. Dabei handelte es sich um die Titelseite der taz vom 5. Juni 2008. Kurz vor dem Wahlsieg von Barack Obama druckt die taz den Titel „Onkel Baracks Hütte“ über einem Bild des Weißen Hauses. Unter sechzig taz-Titelseiten wurde diese von den Lesenden auf Platz 9 gewählt. Mesghena sagt, dass er viele Überschriften der taz möge, weil sie den Finger in die Wunde legten. Bei einigen Themen, sollte es aber gesellschaftlichen Konsens geben. Hier werde eine Person mit Sicherheit nicht aufgrund ihrer Position oder ihres Amtes erwähnt.

Pohl hätte mit dem Redakteur gesprochen. Dieser hätte das „nicht so gemeint, sondern ganz schlicht für lustig befunden“. „Ist das lustig?“, fragt sich Pohl, „ich glaube schon, dass viele darüber schmunzeln.“ Allerdings sei ein Tabubruch immer nur dann sinnvoll, wenn er einen neuen Erkenntnisgewinn herstelle. Wenn dies der Fall sei, könne und müsse man weit gehen, denn die Tabuisierung von manchen Fragestellungen und Zuspitzungen verhindere, dass sich die Gesellschaft mit bestimmten Themen auseinandersetzt. „Wenn so eine Zeile dazu führen würde, dass wir uns mit unserem eigenen Rassismus auseinandersetzen, dann wäre das gut“, so Pohl. Das hier hätte sie allerdings vermutlich nicht erlaubt.

Ergün habe diesen taz-Titel bei der Edutainment-Attacke, einer antirassistischen Satire-Show, von ihm und der Künstlerin Noah Sow, verwendet. Die Frage sei, so Ergün, wofür Humor eingesetzt werde: Um eine Ideologie, z. B. Rassismus, zu reproduzieren oder um Machtstrukturen aufzuzeigen und aufzubrechen? Von Tabubruch könne bei dem Titel genauso wenig die Rede sein, wie bei Sarrazin. Der habe nur, im Sinne von Dalal, ein Denken bestätigt, das nach Rasse strukturiert werde, weil auch die Gesellschaft so strukturiert sei: Bestimmte Gruppen von Menschen würden in seinem Buch als kulturell (in vorherigen Ausgaben seines Buches: genetisch) minderwertig bezeichnet und daraus werde der Untergang Deutschlands abgeleitet. Diese Thesen seien deshalb von großen Teilen der Gesellschaft angenommen worden, weil Sarrazin ausgesprochen hätte, was im „Weißen Denken“ Konsens sei.

Dieser Konsens, konkretisierte Mesghena, basiere nicht auf Erfahrung, sondern auf tradierte, auch sprachlich tradierte Vorurteile und Bilder von „markierten“ Minderheiten wie Schwarzen und Deutschtürken. Erfahrung sei eben nie objektiv, sondern in einem Kontext von Bildern und Positionen eingebettet, die in der Gesellschaft herrschten. Deshalb fühlten sich Teile der Gesellschaft auch dann bestätigt, beispielsweise von Sarrazin, obwohl sie gar keine Erfahrung mit den besprochenen Gruppen gemacht hätten.

Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus

Die Fragestellung, was rassistisch durchdrungen sei, gehe quer durch die taz, erklärte Pohl. Was darunter falle und wie Entscheidungen getroffen würden, sei kompliziert. Dies illustrierte sie mit dem deutschtürkischen Redakteur Deniz Yücel, der die umstrittene Podiumsdiskussion auf dem taz.lab Kongress moderiert hatte. Yücel sei sicher auch mit Rassismus konfrontiert und erachte es als eine Form der Selbstermächtigung, sich nicht von der Weißen Mehrheitsgesellschaft erklären zu lassen, was rassistisch sei und was nicht. Welche Rolle spielt das Phänomen der Aneignung von Begriffen? Diese Diskussionen sollten möglich sein, allerdings nicht ohne Vereinbarungen. Wie etwa bei dem N-Wort, an dessen Verwendung nichts produktives sei. Hier müsse Bewusstsein geschaffen werden.

Ergün warf ein, dass Selbstermächtigung, die auf Kosten anderer Gruppen gehe, keine Selbstermächtigung sei. Er bezog sich damit ebenfalls auf den taz.lab Kongress und Moderator Yücel. Die Autorin Sharon Otoo, die das Podium verlassen habe, sei „eben nicht Teil der Weißen Mehrheitsgesellschaft“. Um den Punkt der Selbstermächtigung zu verdeutlichen, erzählte Ergün von seinen Erfahrungen als Anti-Rassismus-Trainer. In den Trainings gehe es an einer Stelle darum, dass die Teilnehmenden Bilder sammeln, die sie rassistisch geprägt hätten – ein einschneidendes Erlebnis für Ergün: „Ich stellte fest – ich lebe nicht in einem Vakuum, sondern ich bin mit diesen rassistischen Bildern der Mehrheitsgesellschaft sozialisiert worden.“ Es genüge also nicht, dass jemand Rassismuserfahrungen gemacht habe, um nicht rassistisch zu handeln. „Ich muss mich mit meinem eigenen Rassismus auseinandersetzen.“

Zum Abschluss bezog sich Ergün auf die Philosophin Judith Butler. Nach Butler würden Menschen, die die Möglichkeit haben sich selbst in den Medien zu repräsentieren, als volle Menschen wahrgenommen und denen, die nicht repräsentiert werden, fehle diese volle Wahrnehmung oft. Deshalb fragt Ergün: Reagieren wir, wenn etwas schiefläuft oder sind wir proaktiv und schauen, wie eine Zeitung so strukturiert wird, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen sich dort repräsentieren? Wie können Menschen, die durch Strukturen privilegiert sind, so sensibilisiert werden im Wahrnehmen und Handeln, dass Rassismus nicht reproduziert wird?

Dass solche Diskussionen nicht unmittelbar zum Sinneswandel führen, bewies der taz-Kommentar "Welcome, Mr. President" am Tag nach der Veranstaltung, anlässlich des Besuchs von Barack Obama in Deutschland. Statt eines Fotos des US-Präsidenten wurde ein Bild des Sängers Roberto Blanco abgebildet und mit Zitaten aus seinen Liedern eine Präsidenten-Rede gestrickt. Schwarzer Präsident, Schwarzer Schlagersänger: Wenn das mal nicht eine Satire wert ist?