Hunderttausende Menschen wurden in Stalag XB gefangen gehalten, 46.000 russische Soldaten ermordet. Nach Kriegsende wollte sich im Landkreis niemand an die eigene Geschichte erinnern.
Stalag X B bezeichnete während des 2. Weltkrieges das Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager B im Wehrkreis X in Sandbostel, nordöstlich von Bremen. Dort wurden Hunderttausende Kriegsgefangene, Militär- und Zivilinternierte, und Tausende KZ- Häftlinge, aus insgesamt 55 Nationen gefangen gehalten. Aufgrund der unmenschlichen Zustände im KZ-Bereich des Stalag X B Sandbostel, wird von den Überlebenden der Begriff Sterbelager bevorzugt. Von 1939 bis 1945 war die Wehrmacht für das Kriegsgefangenenlager verantwortlich, Kriegsgefangene und Zivilinternierte waren nach Nationalität und Dienstgrad in einzelne Lagerbereiche durch Umzäunung unterteilt, der Kontakt untereinander war verboten.
Die Inhaftierten wurden entsprechend der Rassenideologie behandelt, dies äusserte sich in Unterbringung, Verpflegungsmengen, Arbeitseinsätzen, medizinischer Versorgung und anderen Methoden. Die westeuropäischen Kriegsgefangenen und hochrangige Militärs wurden formal nach Genfer Konvention behandelt (real wurde systematisch gegen sie verstoßen, beispielsweise bei der Ernährung und Unterbringung) , dies galt nicht für die sowjetischen Gefangenen. Die hygienischen Zustände waren katastrophal, die Gefangenen erhielten kaum Nahrung, viele starben an Hunger, Entkräftung, Fleckfieber und Tuberkulose, es gab keine medizinische Versorgung. Eine Baracke war für 250 Gefangene geplant, wurde aber teilweise mit bis zu 360 Menschen überbelegt.
Roger Cottyn und Ernest Sharrock sprechen davon in den Interviews. Sergej Litwin erzählt im Interview aus der Gedenkstätte von der Situation der russischen Kriegsgefangenen. 1944 wurde das Lager der SS unterstellt. Im März 1945 wurde das KZ Neuengamme und seine Nebenlager, bei Hamburg, geräumt. In Stalag X B kamen auch Häftlinge an, sie wurden in Todesmärschen kreuz und quer durch das Land gebracht, ohne Versorgung mit Lebensmitteln.
Auf den Transporten starb oft schon die Hälfte der Gefangenen, am 12. April 1945 erreichten die ersten Gefangenen aus Neuengamme und den elf Außenlagern, das Lager Sandbostel. Dort wurden die insegsamt ca. 9.500 KZ-Häftlinge im „Malag“ , ein Lager im Lager, abgezäunt und streng bewacht. Es gab keine Latrinen, kein Wasser und keine Nahrung und keine medizinische Versorgung, die KZ Häftlinge wurden noch bis zum 15. April 1945 mit etwas Nahrung versorgt, danach wurden sie völlig abgeschlossen und sich selbst überlassen.
Die Wachleute schossen auf jeden, der das „Malag“ verlassen wollte und auf jeden anderen Gefangen, der Essen zu den KZ Häftlingen schmuggeln wollte. Aufgrund dieser furchtbaren Zustände grassierten Typhus und andere Epidemien. Das Malag ist heute ein Maisfeld. Der Eigentümer gestattet den Überlebenden nicht, dort ein Gedenkschild anzubringen.
Am 20. April 1945 kam es zu einer "Hungerrevolte" der Häftlinge, sie brachen aus dem „Malag“ aus und versuchten, in die Lagerküche mit Vorräten zu gelangen. Die Meisten starben sofort, da sie bereits, durch die Transporte und die Zeit im Lager ohne Lebensmittelversorgung, so unterernährt waren, dass sie normale Nahrung nicht aufnehmen konnten. Raymond Gourlin und Pascal Vallicioni erzählen davon. In derselben Nacht brachte die SS etwa 400 Häftlinge nach Norden und der bisherige Kommandant Oberst Lühe, die SS und einige andere Wehrmachtsangehörige flohen. Die anderen Bewacher waren bis zur Befreiung da und gingen am 30.4. 1945 in die britische Gefangenschaft.
7000 KZ-Häftlinge und 14.000 Kriegsgefangene erlebten am 29. April 1945 die Befreiung durch Soldaten der britischen Armee, doch sie konnten für viele der ausgemergelten KZ Häftlinge nichts mehr tun. Noch nach der Befreiung starben viele hundert an den Folgen der Unternäherung und an Krankheiten. 1948 bis 1952 wurde das Lager vom Justizministerium Niedersachsen als Justizanstalt genutzt. 1952 übernahm das Bundesvertriebenenministerium das Gelände, und brachte dort männliche jugendliche DDR-Flüchtlinge unter. 1956 wurde das sowjetische Ehrenmal auf dem Lagerfriedhof in Sandbostel im Auftrag der niedersächsischen Landesregierung gesprengt, da sie mit der angegebenen Zahl von 46000 russischen Toten nicht einverstanden war. Zwischen 1954 und 1956 wurden die toten KZ-Häftlinge, die zunächst um in mehreren Massengräbern um das Stalag X B herum bestattet wurden, exhumniert und auf den Lagerfriedhof umgebettet.
1963 übernahm die Bundeswehr den noch vorhandenen Bereich des ehemaligen Lagers und nutzte die Baracken für die Lagerung von Sanitätsmaterial. Das Lagergelände wurde privatisiert, 1974 wurde das Gewerbegebiet „Immenhain“ mit Straßenmeisterei, Holzhandlung und Ferienhof eingerichtet. Es existiert bis heute mit Hundepension, Militarien- und Baustoffhandel.
Die Vorkommnisse zur Zeit des 2. Weltkrieges wurden in der Region um Sandbostel nicht mehr erwähnt. Anfang der 80er wurde das Lager erstmalig in der Zeitschrift ehemaliger französischer Kriegsgefangener „Le Lien“ diskutiert, da die Geschichte des Lagers Sandbostel in der Jubiläumsschrift „400 Jahre Dorf Sandbostel“ allzu verklärt dargestellt wurde.
1991 veröffentlichten die Geschichtslehrer Werner Borgsen und Klaus Volland die erste Monographie zur Geschichte des Lagers. 2005 und 2008 erwarb die Ende 2004 gegründete Stiftung Lager Sandbostel insgesamt 3,2 Hektar des ehemaligen Lagergeländes mit 11 erhaltenen historischen Gebäuden, um dort eine Dokumentations-, Gedenk- und Begegnungsstätte aufzubauen. Es gab erste ehrenamtlich organisierte historische Grabungen.
Von 2007 bis 2013 wurde der historische Gebäudestand saniert, zwei Gebäude zu Ausstellungsgebäuden umgebaut und eine Dauerausstellung zur Geschichte und Nachgeschichte des Stalag X B erarbeitet. Am 29.4.2013 wurde die neugestaltete Gedänkstätte Lager Sandbostel im Beisein mehrerer Überlebender, Angehöriger und 700 Gästen eröffnet. Erreichbar über www.stiftung-lager-sandbostel.de.