Die europapolitischen Herausforderungen im Osten

Eine  Menschenmenge, die Plakate mit dem Slogan für die Integration der Republik Moldawien in die EU hochhält: "Wir kämpfen für Europa", und vielen Botschaften an, Štefan Füle: "Ich danke Ihnen, Herr Füle"
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Chişinău, Moldawien: Menschen demonstrieren für einen EU-Beitritt. Wichtige Teile der Östlichen Nachbarschaftspolitik fußen auf dem unklaren Versprechen einer Integration in die EU

Die Krise in der Ukraine mit all ihren Folgen kommt zu einer Zeit, da das europäische Projekt geschwächt ist und weltweit die Unsicherheit wächst. In der Folge muss sich die Östliche Nachbarschaftspolitik ändern.

Es ist schwer zu sagen, ob sich die Mitgliedsstaaten der EU bei auch nur einem ihrer Schwerpunktthemen einig sind. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von Punkten, die die Mitgliedsstaaten, Spitzenpolitiker, EU-Organe und Lobbyisten, fragt man sie, gleichermaßen als wesentliche Herausforderungen des europäischen Projekts benennen – die Eurozone festigen, Wachstum fördern, der Union wieder Legitimität geben, den Binnenmarkt und digitalen Wandel ankurbeln sowie dem Niedergang des europäischen Einflusses in aller Welt Einhalt gebieten. Zu diesen Themen und vielen Aspekten, die mit ihnen zusammenhängen, wird regelmäßig verhandelt, und man schließt Kompromisse und steckt Geld in Maßnahmen.

Es gibt viele Gründe, warum es der EU nicht gelingt, sich auf nur zwei oder drei strategische Ziele zu konzentrieren, dies dafür aber nachhaltig. Das dem nicht so ist, hat Folgen für die Innen- wie Außenpolitik der EU. Die Europäer tun sich schwer damit, an zwei Fronten den Erfordernissen gerecht zu werden, nämlich sowohl den wirtschaftlichen wie politischen Turbulenzen in vielen Mitgliedstaaten, als auch den europafeindlichen Kräften und außenpolitischen Herausforderungen (in der Ukraine, Syrien, Lybien usw.).

Hinzu kommt, dass man sich oft nicht auf Schwerpunkte einigen kann. Man denke nur an die Spannungen innerhalb der Eurozone (hier Wachstum, dort Konsolidierung der Haushalte) oder die Verlegenheiten, in die man im Süden wie Osten durch die Nachbarschaftsprogramme kommt – zu einer Zeit, in der Europas Interessen in beiden Regionen bedroht sind.

Über Ziele, die konkreter sind als ein blumiges „Stabilität fördern“ und „Frieden wahren“, wird allzeit gestritten, da es innerhalb der EU unterschiedliche Schwerpunkte und Interessen gibt – und entsprechend auch jeweils anderen außenpolitischen Ansätzen der Vorzug gegeben wird (man denke nur an die Diskussion um Waffenlieferungen an Kiew).

Hinzu kommt, dass sich außenpolitische Schwerpunkte oft verschieben, da Krisen zeitgleich auftreten und Regierungshandeln sowie Sicherheitsmechanismen nicht aus einem Guss sind. Der Rat für Auswärtige Angelegenheiten (RAB) der EU beschäftigt sich regelmäßig mit den Krisen im Nahen Osten, Nordafrika und der Ukraine. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten jedoch geben oft innenpolitischen Fragen den Vorzug, wodurch Initiativen der EU verwässert werden. Die Folge ist, dass es der EU an einer übergreifenden Strategie gebricht und sie rein taktisch agiert.


Die Östliche Partnerschaft der EU – ein Ausblick

1. Die Östliche Partnerschaft an sich

In Folge der Krise in der Ukraine, muss sich die Östliche Nachbarschaftspolitik in folgenden Bereichen ändern:

  • Für Russland stellt die Östliche Nachbarschaftspolitik den Versuch der EU dar, ihren geopolitischen Einfluss auszudehnen. Russland hat gezeigt, dass man gewillt ist hier gegenzuhalten – selbst auf Kosten eines Kriegs. In der Region hat dies zu einer Neuausrichtung geführt (z.B. in Armenien und Weißrussland).
  • Allerdings gibt es mehrere Widersprüche. In einem angrenzenden Gebiet, in dem Integrationsmechanismen nicht zur Verfügung stehen, die anderswo gegriffen haben, ist ein normativer Ansatz notwendig von begrenzter Wirksamkeit (dies gilt für die Länder des Südens). Es wäre töricht, würde Europa, ganz gleich was die Umstände, stets auf die selbe Art und Weise vorgehen. Die EU muss über eine große Bandbreite von Ansätzen und Strategien verfügen – und zwar jenseits der Nachbarschaftspolitik und der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen. Die NATO, die OSZE und die Partnerschaft von EU und USA müssen wieder ins Zentrum der Außenpolitik rücken.
  • Zudem darf man die Östliche Nachbarschaftspolitik nicht länger getrennt von der Sicherheitspolitik in Osteuropa (und Eurasien) betrachten, d.h. von der NATO und den Positionen zu alten, ungelösten Konflikten.
  • Auch wenn es den Eliten in Brüssel missfallen mag, die aktuelle Krise hat gezeigt, dass die EU über einen gewissen geopoltischen Einfluss verfügt. Allerdings sind die Folgen ihres Handelns assymetrisch (was Russland und einige andere Mächte angeht). Maßnahmen der EU haben strategische und geopolitische Folgen (z.B. Freihandelsabkommen oder Sanktionen), jedoch führt der nur lockere Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft dazu, dass es schwierig ist, einen gewissen Druck aufrechtzuerhalten, oder auf Lagen zu reagieren, die die EU zwar mitverursacht hat, die sich aber zu einem Gutteil ihrer Kontrolle entziehen. Die Krise in der Ukraine zeigt diesen Widerspruch auf.
  • Ein weiteres, entscheidendes Problem ist das Spannungsverhältnis zwischen den geopolitischen Zielen der EU und ihrer Transformations- und Demokratisierungs-Agenda. Das wirkungsvollste geopolitische Mittel, über das Europa verfügt ist, dass es auf andere Länder und Gesellschaften anziehend wirkt. Daraus ergibt sich aber, dass man in der EU häufig über tiefgreifende strukturelle Probleme (wie schlechte Regierungsführung oder fehlenden Pluralismus) hinwegsieht und Probleme (wie z.B. die Rolle der Eliten) übergeht, um die jeweiligen Länder nur rasch an „Europa“ zu binden.

2. Die Östliche Partnerschaft und die Binnendynamik der EU

Die Krise in der Ukraine mit all ihren Folgen kommt zu einer Zeit, da das europäische Projekt sehr geschwächt ist und weltweit die Unsicherheit wächst.

Es gibt eine Reihe von Herausforderungen:

  • Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität. Wenn das Wachstum lahmt, wird wirtschaftliche Stabilität immer sehr wichtig. Nach dem Angriff auf Charlie Hebdo und aus Furcht vor einem hausgemachten Dschihadismus im Gefolge von ISIS könnte sich das ändern, aber selbst wenn das geschähe, bedeutete es noch lange nicht, dass Europa die Ukraine wichtiger nimmt; eher wird man sich in diesem Fall auf jene Sicherheitsprobleme konzentrieren, die die Menschen in der EU stärker beschäftigen.
  • Einige jener Bewegungen, welche der EU Versäumnisse vorwerfen und mehr Demokratie fordern (das allerdings in der Regel aus rein nationaler Sicht) lehnen auch die Östliche Partnerschaft ab – so UKIP, Syriza, Podemos in Spanien und die Nationale Front in Frankreich. Einige solche Parteien haben zuletzt in Kernländern der EU an Einfluss gewonnen (oder es könnte ihnen bald gelingen).
  • Politisch wie auch gesellschaftlich hat sich der Abstand zwischen der Ukraine und Europa zuletzt vergrößerst, es gibt eine neuerliche Spaltung zwischen Ost und West. Mehrere ost- und mitteleuropäische Länder wie die Slowakei, Ungarn, Österreich und Tschechien stehen nicht voll hinter der Östlichen Nachbarschaftspolitik. Auch in einigen südeuropäischen Ländern wie Spanien ist das so, dort jedoch hat die Krise in der Ukraine zu zahlreichen außenpolitischen Diskussionen geführt.
  • Wichtige Teile der Östlichen Nachbarschaft (die in Kernländern wie der Ukraine, Moldawien und Georgien entscheidend sind) fußen auf dem unklaren Versprechen einer Integration in die EU – etwas, das manche Mitgliedstaaten und deren Bevölkerung nicht unterstützen. Man muss sich fragen, ob eine Nachbarschaftspolitik ohne Beitrittsperspektive Aussicht auf Erfolg haben kann.

Ich bin mir nicht sicher, wie sich diese Herausforderungen lösen, diese konkurrierenden Interessen miteinander vereinbaren lassen. Diskussionen im Europaparlament und den nationalen Parlamenten haben gezeigt, die Distanz zwischen Europas Eliten und den Bürger/inne/n wächst. Letzte Woche hat die Konfrontation zwischen Syriza und dem Rest der Eurozone zudem gezeigt, wie vielschichtig die Mischung aus innen- und außenpolitischen Motiven werden kann.

Im Idealfall wird all das zu mehr Wachstum führen, wird zeigen, dass die EU einen stärkeren institutionellen Rahmen benötigt, und es wird die europäische Erzählung aus ihrer Nabelschau befreien und ihr neue, gemeinsame Ziele weisen. Entscheidend hierfür wird der Gedanke des europäischen Zusammenhalts und der Solidarität sein.

3. Die Östliche Nachbarschaftspolitik und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)

Die Regierungen vieler europäischer Staaten werden regelmäßig von innenpolitischen Problemen ausgebremst. Das ist der Grund, warum GASP keine echte strategische Vision hat.

Innerhalb der EU gibt es miteinander konkurrierende Schwerpunkte (Östliche oder Südliche Nachbarschaft) sowie konkurrierende Visionen vom Europa der Zukunft. Ehrgeizige Ziele der Östlichen Nachbarschaft wie die Integration der Ukraine, Georgiens und Moldawiens werden nur von manchen Mitgliedsstaaten unterstützt. In Zukunft wird dies sicher zu Spannungen führen.

Hinzu kommt, die neuesten Terroranschläge in Paris und Kopenhagen werden wahrscheinlich das Thema Innere Sicherheit europapolitisch aufwerten – was sich nachteilig auf die langfristigen Ziele der Östlichen Nachbarschaftspolitk auswirken kann. Mehrere Mitgliedsstaaten wollen, dass sich die EU stärker stabilisierend im Süden engagiert (damit Gewalt von dort nicht nach Europa schwappt) und ziehen dies einem Engagement in der Ukraine klar vor.

Wie lassen sich gegensätzliche Belange und strategische Interessen in der EU miteinander vereinbaren?

Das Monnet-Modell, das vorsieht, eine gemeinsame Politik schrittweise aufzubauen, hat in der Außen- und Sicherheitspolitik entscheidende Nachteile. Es genügt nicht, einen strategischen Einklang dadurch herstellen zu wollen, dass man von oben durchregiert; in Krisen wie aktuell in der Ukraine werden die Unzulänglichkeiten eines solchen Ansatzes schnell klar. Die EU verfügt über Instrumente um außenpolitische Kompromisse zu finden, und wenn Mitgliedsstaaten miteinander feilschen, hilft das, die jeweiligen Interessenlagen klarer herauszuarbeiten. In einer gewachsenen EU jedoch und angesichts von Krisen, reicht das nicht aus. Dazu kommt, dass die institutionelle Basis von GASP wenig dazu getan hat, eine gemeinsame strategische Kultur in Europa zu entwickeln.

Nationale Interessen, strategisches Tamtam und die verschiedenen politischen Kulturen werden uns erhalten bleiben, ganz gleich wie es mit GASP weitergeht – man denke nur an die Zerwürfnisse, zu denen die Eurokrise geführt hat. Der Eindruck, wesentliche nationale Sicherheitsinteressen seien in Gefahr, wird die strategischen Missklänge und den Zerfall der Sicherheitspolitik nur weiter verstärken.

Ein Ausweg wäre eine viel tiefer gehende politische Integration. Das scheint aktuell aber mehr als unwahrscheinlich – es sei denn, eine Existenzkrise bringt die Kernstaaten zusammen (die Krise in der Eurozone hat dies nicht bewirkt). Wirklichkeitsnäher wäre der Ansatz, Synergien zwischen jenen Staaten zu fördern, die unterschiedliche Interessen verfolgen, und so von der Basis aus für eine strategische Annäherung zu sorgen. Ein vorrangiges Ziel müsste es dabei sein, die Differenzen zwischen einigen ost- und südeuropäischen Staaten abzubauen (die Ost-Süd-Kluft), indem man einen strategischen Dialog über Sicherheitsfragen und eine stärkere diplomatische, sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit führt. Als Ansatz würden sich bi- oder trilaterale Synergien anbieten, beispielsweise zwischen Spanien und Polen, zwei Ländern, deren strategische Ansichten sehr verschieden sind, die sich aber beide an Projekten beteiligen, die für ganz Europa von entscheidender strategischer Bedeutung sind (wie die Energieunion).

Eine kurzfristige strategische Annäherung wird so nicht entstehen und auch kein „Strategic Europe“. Wenn aber solche Ansätze mit Anstrengungen in anderen Bereichen einhergehen, kann es sein, dass wir diesem Ziel einige Schritte näher kommen.