Deutschlands Israel

Zwei Studien haben die Einstellungen in der Bevölkerung untersucht: Während Deutschland einen guten Ruf als Reiseziel und verlässlicher Verbündeter genießt, dominieren hierzulande die Kritik an Israel und eine historische Schlussstrichmentalität.

Teaser Bild Untertitel
Auf dem Weg nach Hause - Berlin im Jahr 2007

Was bindet und verbindet die beiden Länder also über diese Unterschiede hinaus miteinander? Es ist das, was in den Sonntagsreden immer wieder heraufbeschworen wird: die Vergangenheit

Als Amos Oz vor 10 Jahren zum 40. Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel schrieb, dass es niemals normale Beziehungen zwischen den beiden Ländern geben könne, dass dies nicht möglich und auch nicht angemessen sei, hätte ihm kaum jemand widersprochen. Auch heute wird niemand von einer normalen Beziehung zwischen den beiden Staaten sprechen wollen, obwohl in den letzten Jahren spürbare Veränderungen in der gegenseitigen Wahrnehmung zu beobachten sind.

Die offiziellen Beziehungen Deutschlands zu Israel sind von dem aus der Geschichte abgeleiteten Imperativ des „Nie wieder“ geprägt und von der, wie von offizieller Seite immer wieder betont wird, besonderen Beziehung der beiden Länder zueinander. Das Verhältnis zu Israel ist daher ein fester Bestandteil der deutschen Erinnerungslandschaft nach dem Holocaust und kann als ein Indiz für eine Geschichtspolitik angesehen werden, die Deutschland auf internationaler Bühne wieder zu Ansehen verholfen hat.

Zwei Studien über das deutsch-israelische Verhältnis

Zwei Untersuchungen, eine der Konrad-Adenauer-Stiftung und eine der Bertelsmann-Stiftung, haben im Vorfeld des 50-jährigen Jubiläums die Einstellungen der Deutschen gegenüber Israel und die der Israelis gegenüber Deutschland anhand von wissenschaftlichen Erhebungen auf eine empirische Grundlage gestellt. Das Ergebnis ist ebenso überraschend wie erklärungsbedürftig. Beide Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Israelis eine sehr positive Einstellung gegenüber Deutschland und den Deutschen haben. Deutschland genießt nicht nur einen guten Ruf als Reiseziel, sondern gilt auch als ein verlässlicher Verbündeter in der internationalen Politik und im Nahostkonflikt. Demgegenüber ist auf deutscher Seite eine wachsende Kritik an Israel und besonders gegenüber der israelischen Politik zu konstatieren.

Dieses Ergebnis ist interpretationsbedürftig. Offensichtlich überwiegt bei einer Mehrzahl der Deutschen die Kritik an wesentlichen Kernpunkten der israelischen Politik und Gesellschaft. Hierin wird die Gegensätzlichkeit der zentralen Grundkoordinaten, die beide Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten geleitet haben, manifest.

Das wäre eine Interpretation. Die andere sieht in der negativen Haltung vieler Deutscher gegenüber Israel ein (moralisches) Versagen der deutschen Erinnerungspolitik und ein mögliches Indiz dafür, dass die dritte Generation nach dem Holocaust sich nicht mehr an die Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel, der zum Schutz aller Juden dieser Welt gegründet wurde, gebunden fühlt.

Doch stimmt diese Annahme, dass wir es mit einer grundsätzlichen Revision des Verhältnisses zwischen den beiden Ländern zu tun haben? Ist der Staat Israel, wie Michael Wolffsohn bereits vor 10 Jahren schrieb, für die meisten Deutschen ein Staat wie jeder andere geworden? Und was sagt das über die deutsche Erinnerungskultur aus?

Deutschland und Israel - unterschiedliche nationale Identitäten

Die Bertelsmann-Studie gibt Aufschluss über die Parameter, die die nationale Identität der beiden Länder im Kern begründen. Während Deutschland seine Staatlichkeit nach 1945 durch die Abkehr vom heroischen Nationalismus legitimierte und sich universellen Werten verpflichtete, basiert das Fundament Israels auf dem jüdischen Charakter des Staates. Um dessen konkrete Ausformung wird zwar bis heute immer wieder gerungen, die enge Beziehung zu dem nationalen Narrativ, die Heimstatt aller Juden nach dem Holocaust zu sein, ist und bleibt aber der Kern der israelischen politischen Identität.

Das hat weitreichende Folgen. Die Fragilität der Nation, die zu einem sehr viel späteren historischen Zeitpunkt zu einem Nationalstaat wurde und als liberale Demokratie Zugehörigkeit immer wieder neu begründete und nach den historischen Erfahrungen des beispiellos übersteigerten Nationalismus auch auf Abwehr stößt, zeigt sich in einem emotionalisierten Bekenntnis zur israelischen Nation, das den Deutschen fremd geworden ist. Hinzu kommt die unterschiedliche geopolitische Lage der beiden Länder: Deutschland liegt in der Mitte eines befriedeten Kontinents, fernab von gewalttätigen Konflikten mit gesicherten Grenzen. Israel ist ein schmaler Landstreifen umgeben von Nachbarn, die seine Existenz in Frage stellen und seine Legitimität bisher grundsätzlich nicht anerkannt haben.

Diese existentielle Unsicherheit unterscheidet Israel sehr markant von dem heutigen Deutschland. Trotzdem stößt die Entscheidung, das Existenzrecht auch durch militärische Gewalt abzusichern, besonders in Deutschland auf Unverständnis. Was bindet und verbindet die beiden Länder also über diese Unterschiede hinaus miteinander? Es ist das, was in den Sonntagsreden immer wieder heraufbeschworen wird: die Vergangenheit.

Deutschlands Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ist ein hohes moralisches Gut, beweist es doch immer wieder, dass es ein anderes Deutschland gibt, dass die Nation, die auf den Trümmern des Nationalsozialismus eine neue Legitimität begründet hat, diese immer wieder bestätigte, indem sie den Schutz des jüdischen Staates zur Staatsräson erhob.

Deutsches Selbstverständnis und Israels Sicherheitspolitik

Die Umfragen zeigen, dass es in beiden Ländern einen signifikanten Unterschied gibt: Zwar sieht die überwiegende Mehrzahl der Deutschen den Holocaust als „ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte“, er wird von einer Mehrheit aber nicht als ein wesentlicher Teil der nationalen Identität angesehen. Die Exkulpierung des Nationalsozialismus als „anormales Ereignis“ in der deutschen Geschichte macht es erst möglich, eine positive nationale Identität zu bilden.

Dazu gehört nicht nur die Aussage, einen Schlussstrich unter dieses Kapitel zu ziehen, sondern eben auch die Beziehungen zu Israel zu „normalisieren“. Die Vorbehalte, auf die dieses Bemühen auf der anderen Seite stößt, sind die in letzter Zeit immer deutlicher werdenden Reibungsflächen im Verhältnis der Deutschen zu Israel.

Dan Diner hat in seiner Analyse der Bertelsmann-Studie zwar darauf hingewiesen, dass von einer strukturellen und einer normativen Konstanz gesprochen werden kann. In den immer wieder aufschäumenden und hoch emotionalisierten Kontroversen stellt er allerdings eine Ambivalenz fest. Es gibt immer wieder „Wegmarken einer sich über Jahrzehnte hinziehenden Chronik skandalisierter Auffälligkeiten“.

Diese rühren, so seine These, aus den unterschiedlichen Kernbeständen des jeweiligen eigenen Selbstverständnisses. Das deutsche Selbstbild fühlt sich durch die israelische Politik immer wieder herausgefordert. Während Deutschland sich gerne einer postnationalen europäischen Identität anzupassen bemüht, sieht sich Israel durch seine Geschichte und seine geostrategische Lage in einer permanenten nationalen Sinnsuche.

Die Parameter der deutschen Nachkriegsordnung, also gesicherte Grenzen, das Versprechen einer Friedensordnung in Europa und die Abkehr vom militarisierten Nationalismus, treffen auf einen Staat, dessen Selbstbehauptungswille und dessen gesamte prekäre Existenz einer permanenten Bedrohung ausgesetzt sind und der daher Sicherheit und (militärische) Stärke zu seinen obersten politischen Wertbeständen erklärt hat.

Wiedergutmachung – das Luxemburger Abkommen 1952

Diese Herausforderung durchzieht die deutsch-israelischen Beziehungen von Anfang an. Bereits in dem Zustandekommen des Luxemburger Abkommens von 1952, das die Wiedergutmachungsabkommen zwischen Deutschland und Israel regelte, spiegeln sich die jeweiligen Legitimitätsstränge der beiden Staaten wider. In dieser „rituellen Distanz“, mit der sich die beiden Delegationen begegneten, manifestiert sich das grundlegende Missverständnis über die jeweiligen Intentionen beider Seiten: Für die israelische Delegation markierte das Luxemburger Abkommen den Übergang zu einer Interessen-geleiteten Politik Israels, einer Politik, die in Israel von massiven Protesten begleitet wurde und sich insgesamt als ein schmerzlicher Prozess auf dem Weg in die neue Staatlichkeit herausstellte. Die deutsche Seite interpretierte diese Verhandlungsbereitschaft als Geste der Versöhnung, als eine Geste, die einer Normalisierung der Beziehungen den Weg ebnen sollte.

In einem jüngst erschienen Werk zur Wiedergutmachung, das von Norbert Frei, Jose Brunner und Constantin Goschler herausgegeben wurde, haben deutsche und israelische Historiker den bis heute andauernden Versuch der Wiedergutmachung von durch den Nationalsozialismus erfahrenen Leids als einen Lernprozess auf der deutschen Seite beschrieben. Er verlief parallel zu den allgemeinen Veränderungen im Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik.

Auch hier wurde bereits in der Frühphase der Verhandlungen die Bereitschaft mit Deutschland Gespräche zu führen als Exkulpierung von Schuld gedeutet. Bereits die Semantik verweist auf die sehr unterschiedliche Ausgangsposition. Der deutsche Begriff Wiedergutmachung enthält einen „potentiell moralisch überspitzten Anspruch“, wie die Herausgeber zurückhaltend formulieren. Obwohl die Wiedergutmachungsleistungen als ein Ausdruck des moralischen Selbstverständnisses einer aufgeklärten Zivilgesellschaft betrachtet werden können, waren sie in der deutschen Öffentlichkeit äußerst unpopulär. Dies kann man als ein Indiz der zitierten Rekonstruktion eines positiven Nationalbewusstseins deuten, das auf Schuldanklagen von außen, wie sie sich in den Reparationsforderungen manifestierten, bis heute mit aggressiver Abwehr reagiert.

Deutsche Schlussstrichmentalität

Wenn die Bertelsmann- Studie heute eine Schlussstrichmentalität, besonders unter jungen Deutschen, ausmacht, was sagt das über die deutsche politische Kultur aus und was soll man daraus für das zukünftige deutsch-israelische Verhältnis schließen?

Von einer Normalisierung kann auch heute nicht die Rede sein. Dennoch hat sich das Verhältnis in den letzten Jahren verändert. Deutschland ist nachwievor einer der engsten politischen und wirtschaftlichen Partner Israels. Die Netzwerke kultureller und sozialer Kontakte haben sich bei den jüngeren Generationen eher noch intensiviert. Um das zu unterstreichen wird von deutscher Seite oft die Berlin-Begeisterung der jungen Israelis ins Feld geführt. Bis zu 30.000 Israelis leben heute – geschätzt – in der deutschen Hauptstadt. Dass dabei nicht nur Lebenshaltungskosten eine Rolle spielen, sondern manchmal die Suche nach familiären Wurzeln ist ein neues Phänomen. Die meisten Deutschen, wenn sie es denn registrieren, reagieren darauf mit einer gewissen ratlosen Indifferenz.

Nachwievor fehlt es auf deutscher Seite an Bereitschaft, die Implikationen der jüdisch-israelischen Geschichte ernst zu nehmen. So wird häufig übersehen, dass die zunehmenden antisemitischen Zwischenfälle und Anschläge sowie Skandale, die jüdische Mitbürger/innen oder jüdische Israelis betreffen, selbstverständlich auch die historischen Bilder wieder wachrufen. Die islamistischen Anschläge in Frankreich und in anderen europäischen Zentren haben auf israelischer Seite neue Vorbehalte gegenüber Europa geweckt. Ihnen liegt die Deutung zugrunde, dass Europa während der Katastrophe des 20. Jahrhunderts insgesamt versagt hat und auch weiterhin die Gefahr besteht, dass sich die Geschichte wiederholt. Dass die Israelis nun ausgerechnet in den Deutschen den Partner sehen, der ihre Interessen in Europa und international am stärksten vertritt, gehört zu den ironischen Volten der Geschichte.

Kritische Solidarität als Weg für die Zukunft

Normal wird das Verhältnis zwischen den beiden Ländern nie sein, auch 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht. Gleichzeitig wandeln sich beide Gesellschaften. Israels heroische Erzählung seiner Existenzgründung wird brüchig: Die Widersprüche, eine liberale Demokratie und gleichzeitig ein jüdischer Staat zu sein, die Militärbesatzung und die Siedlungspolitik, all das stellt neue Herausforderungen für die politische Kultur des Landes dar.

Auch Deutschlands moralischer Imperativ des „Nie wieder“ trifft auf neue Realitäten und eine neue Generation definiert nationale Verantwortung anders. Die Deutschen müssen sich daher mit dem real existierenden Land am Rande des östlichen Mittelmeers auseinander setzen. Projektionen deutscher Schuldverschiebung taugen dazu wenig. Kritische Solidarität schon eher.