Geflüchtete im Libanon: Was die internationale Gemeinschaft jetzt tun muss

Syrische Flüchtlinge im Libanon
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Syrische Flüchtlinge im libanesischen Arsal, aufgenommen im November 2013

1,1 Millionen Syrer/innen sind in den Libanon geflohen. Ein großer Teil der Bevölkerung sieht deshalb die Sicherheit des Landes bedroht. Welche Maßnahmen müssen der Libanon und die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Geflüchteten jetzt ergreifen?

Seit Beginn des Kriegs haben im Libanon syrische Flüchtlinge Zuflucht gesucht. Die Zahl der Fliehenden hing dabei in erster Linie von den Ereignissen jenseits der Grenze ab. Die Schlachten um Homs und Aleppo, die Belagerung von Jarmuk, die Kämpfe bei Kalamun, Zusammenstöße in Damaskus und andere Auseinandersetzungen ließen die Zahl der syrischen Flüchtlinge jeweils dramatisch ansteigen. Im Libanon leben Flüchlinge aus Syrien in Städten wie Dörfern – an insgesamt etwa 1.600 Orten.

Die Lage der Flüchtlinge im Libanon ist schwierig. Wie groß die Herausforderung ist, zeigen die nackten Zahlen: Die 1,1 Millionen Menschen, die aus Syrien geflohen sind, machen zusammen mit syrischen Migrant/innen und palästinensischen Flüchlingen ein Viertel der Bevölkerung des Libanon aus. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat die registrierten Flüchtlinge im Lande überprüft und vielen den Status als Flüchtling aberkannt. Die Krise wird dadurch verschärft, dass die rechtlichen Bestimmungen für syrische Flüchtlinge im Libanon vage sind und sich auf eine Reihe von internationalen Regelungen und Körperschaften beziehen. Der Libanon hat die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nie unterzeichnet, weshalb die rechtliche Lage der syrischen Flüchtlinge unklar ist. In Folge dessen fehlt es im Libanon an allgemeingültigen Regeln für den Umgang mit Flüchtlingen, und vielfach wird nationales Ausländerrecht angewandt sowie Regelungen für syrische Staatsangehörige. Diese rechtlichen Lücken bedeuten jedoch nicht, die Flüchtlinge lebten in einem juristischen Vakuum, denn auch im Libanon gelten internationale Regeln und Normen. Neben dem Grundsatz der Nichtzurückweisung ist der Libanon auch an die Regelungen für Hilfsleistungen sowie für die Aufnahme und den Schutz von Flüchtlingen und Asylsuchenden gebunden.

Im Libanon hat diese Krise dazu geführt, dass sich Infrastruktur und Sicherheitslage, die bereits zuvor labil waren, weiter verschlechterten. Die Menschen im Lande neigen dazu, den Flüchtlingen die Schuld an mangelnder Entwicklung und fehlenden staatlichen Dienstleistungen zu geben. Ein großer Teil der Bevölkerung sieht durch die Flüchtlingskrise die Sicherheit des Landes in Gefahr. Kurz gesagt hat dies dazu geführt, dass viele Regierungsstellen auf landes- wie kommunaler Ebene durchgreifen und beispielsweise Ausgangssperren verhängen und Bildungs- und Gesundheitsleistungen einschränken.

Syrische Flüchtlinge im Libanon – ein Überblick

Nach drei Jahren der Krise verabschiedete die libanesische Regierung (mit breiter Zustimmung des Kabinetts) ein Paket von Maßnahmen. Ziel dieser Regelungen ist es, den Zufluss syrischer Flüchtlinge zu steuern und einzuschränken. Regierungsvertreter erklärten, Hauptziel der Maßnahmen sei es, für mehr Sicherheit zu sorgen und die Grenzübergänge stärker zu überwachen. Formuliert wurden diese Regeln in einem Grundsatzpapier der Regierung vom Oktober 2014, einem Papier, das befürchten lässt, man wolle sich über menschen- und flüchtlingsrechtliche Regelungen hinwegsetzen (konkret heißt es darin zum Beispiel man wolle "Zustrom und Vertreibung beenden").

Laut der libanesischen Tageszeitung Al Akhbar erklärte Minister Rashid Derbas, Ziel der ab 5. Januar 2015 greifenden Einschränkungen bei der Vergabe von Visa ist es, 'Syrer von der Flucht in den Libanon abzuhalten' und 'den Grenzübertritt von Syrern genauer zu regeln'. Derartige Aussagen von Regierungsvertretern sowie die Tatsache, dass in dem Papier von Flüchtlingspolitik keine Rede ist, lassen befürchten, die humanitäre Lage der Flüchtliche werde sich weiter verschlechtern. In den vergangenen Monaten hat die libanesische Regierung wiederholt fallweise Entscheidungen getroffen, die gegen internationales Recht und Menschenrechte verstoßen. Auf den Streit über die ab 5. Januar 2015 gültigen Regeln für Flüchtlinge reagierten Regierungsvertreter indem sie erklärten, die Regelung solle noch um humanitäre Kriterien zum Schutz von besonders gefährdeten Gruppen ergänzt werden.

Andere internationale Flüchtlingskrisen lassen jedoch Schlussfolgerungen zu, die auch auf den Libanon zutreffen. Zum Einen ist nicht entscheidend, ob ein Staat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat oder nicht, denn auf eine Krise kann man auch ohne rechtlichen Rahmen reagieren. Zum Anderen müssen Flüchtlinge in dem Land, in das sie zuerst geflohen sind zumindest vorübergehend Schutz genießen, worauf allerdings, um die Lasten besser zu teilen, eine internationale Lösung inklusive Umsiedlung folgen muss.

Internationale Solidarität und Flüchtlingskrise

Fraglos hat die gegenwärtige Krise für den Libanon und andere Aufnahmeländer in der Region gravierende Folgen. Diese Krise fordert ein hohes Maß an internationaler Solidarität in Form von Lastenteilung. Geschehen kann dies durch Umsiedlung, Familienzusammenführung, Evakuierungen sowie indem man Gemeinden, die Flüchtlinge aufgenommen haben, finanziell unterstützt. Das Prinzip der Lastenteilung ist nicht neu; es ist Teil der Genfer Flüchtlingskonvention und wesentlicher Bestandteil jeder dauerhaften Lösung. In der Präambel der Genfer Flüchtlingskonvention heißt es:

"... in der Erwägung,  dass sich aus der Gewährung des Asylrechts nicht zumutbare schwere Belastungen für einzelne Länder ergeben können und dass eine befriedigende Lösung des Problems, dessen internationalen Umfang und Charakter die Organisation der Vereinten Nationen anerkannt hat, ohne internationale Zusammenarbeit unter diesen Umständen nicht erreicht werden kann."

Hierauf aufbauend hat das Exekutivkommittee des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) Eckpunkte für eine Verteilung der Lasten formuliert und festgestellt, dass

  • der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen bestimmte Länder unverhältnismäßig belasten kann und ohne internationale Zusammenarbeit keine befriedigende Lösung möglich ist,
  • Staaten im Rahmen der internationalen Solidarität und Lastenteilung alle zur Unterstützung erforderlichen Maßnahmen ergreifen sollen, wenn Staaten, die vom massenhaften Zustrom von Flüchtlingen betroffen sind, sie darum bitten.

Entsprechend soll eine Verteilung der Lasten helfen, Probleme der Aufnahmeländer zu lösen, speziell die Folgen von Migration, die wirtschafliche, ökologische und sozialpolitische Lage sowie Frieden und Sicherheit wahren. Eine solche Verteilung der Lasten sollte je nach Fall erfolgen, damit auf spezielle Risiken und Herausforderungen in den Erstasylländer reagiert werden kann. Hierzu gehört nicht nur, die damit befassten Organisationen zu unterstützen (was zunehmend der Fall ist), sondern es sollte auch Personal zur Verfügung gestellt werden, und Flüchtlinge sollten zeitweise aufgenommen oder umgesiedelt werden.

Wie der Westen mit der Krise umgeht

Zum 1. Mai 2015 hatte das UNHCR 87.350 Aufnahmeplätze für syrische Flüchtlinge (seit 2013) erfasst. Im Verhältnis zur Zahl der Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge ist dies verschwindend gering – selbst für die 1,1 Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon bedeutete dies, dass nur für 8 Prozent der Betroffenen ein Platz zur Verfügung stünde. Auch andere Formen der Lastenteilung werden zu wenig unterstützt. Von den 3,7 Milliarden US-Dollar, die der "Regional Response Plan" (RRP6) vorsieht sind nur 54 Prozent durch Zusagen gedeckt, und für den "Regional Resilience and Response Plan" (3RP) waren bis zum 24. April 2015 nur 19 Prozent der nötigen Mittel eingetroffen. Insgesamt trägt der Westen nur einen geringen Teil der Lasten, wodurch sich die humanitäre Lage in den Gastländern verschlechtert, es in der Region zu Unmut kommt, und auch die Chance schwindet, dauerhafte Lösungen zu finden.

Andererseits – und ergänzend zu einer Teilung der Lasten – muss die internationale Gemeinschaft versuchen, die Ursachen der syrischen Flüchtlingskrise zu bekämpfen. Hierher gehören Ansätze zur Konfliktvermeidung und -lösung, zur Armutsbekämpfung und zur Wahrung der Menschenrechte.

Die Migrationspolitik der EU ist menschenrechtlich problematisch, da die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten begrenzt sind und es in den jeweiligen Staaten zu unterschiedlichen Verstößen kommt. Die Regelungen der EU müssen hier jedenfalls überdacht und reformiert werden, um grundlose Festnahmen zu vermeiden. Erst wenn dies geschieht wird die EU jenes moralische Gewicht haben, das nötig ist, um wirksam an einer Verteilung der Lasten teilzuhaben.

Empfehlungen

An die Behörden im Libanon:

1)    kurzfristig

  • Um die Lage der syrischen Flüchtlinge zu verbessern, muss der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung ausnahmslos bekräftigt werden.
  • Die Entscheidung, neuen syrischen Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus zu verweigern, sollte mit internationalem Recht abgeglichen werden. Zudem sollte geprüft werden, ob entsprechend der Grundsätze des UNHCR und der internationalen Rechtsprechung, Flüchtlinge in andere Länder verbracht werden können.
  • Es muss sichergestellt werden, dass die Überprüfung des Status von Flüchtlingen, die sich bereits im Libanon befinden, internationalen Normen genügt und jeweils auf Fallbasis erfolgt – auch dann, wenn es darum geht, Flüchtlinge umzusiedeln oder freiwillig in ihre Heimat zurückzuführen.
  • Die Praxis der libanesischen Sicherheitskräfte, von Fall zu Fall zu entscheiden, muss beendet werden, führt sie doch zu einem willkürlichen Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen.
  • Eine nationale Stategie zum Umgang mit Flüchtlingen muss auf den Weg gebracht werden, und zwar in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie dem UNHCR und unter Berücksichtigung der Diskussionen über eine Absichtserklärung.
  • Hierbei sollten auch die Flüchtlinge einbezogen werden, um ihren Interessen Gehör zu verschaffen.
  • Um sicherzustellen, dass beim Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden aus Syrien internationale Rechtsnormen eingehalten werden, müssen örtliche Beamte sowie Grenzer in Zusammenarbeit mit dem UNHCR in Sachen Flüchtlings- und Menschenrechte weitergebildet werden.
  • Es soll (in Absprache mit dem UNHCR) geprüft werden, ob man Gemeinden bei der Anerkennung von Flüchtlingen ein größeres Mitspracherecht geben kann.
  • Das Konzept des 'Befristeten Flüchtlingsschutzes' muss im Libanon in Regeln gefasst werden – und zwar entsprechend internationalen Rechts.

2)    langfristig

  • Es sollte, gemäß internationaler Normen und gemeinsam mit dem UNHCR und der internationalen Gemeinschaft, erwogen werden, kleinere Flüchtlingslager einzurichten. Derartige Lager machen es leichter, den Menschen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen, und es stärkt die Sicherheit, da sich so verhindern lässt, dass sich Terroristen unter den Flüchtlingen verstecken.

An das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen

  • Die Anstrengungen, den Status syrischer Flüchtlinge zu prüfen, müssen weitergehen und beschleunigt werden und zwar gemäß den Regeln des UNHCR und gemeinsam mit den libanesischen Behörden.
  • Die libanesischen Behörden müssen dazu angeregt und dabei unterstützt werden, einen landesweiten Maßnahmenplan zur syrischen Flüchtlingskrise aufzustellen.
  • Die libanesischen Behörden müssen dabei unterstützt werden, örtliche Beamte und Grenzer in Fragen der Menschen- und Flüchtlingsrechte auszubilden.
  • Es bedarf weiterer, verstärkter Lobbyarbeit um zu erreichen, dass andere Staaten mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen, sei es als Umsiedler oder aus humanitären Gründen.

An die internationale Gemeinschaft

  • Angesichts der schweren Folgen, welche die syrische Flücktlingskrise für den Libanon hat, soll die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung gerecht werden und dem Libanon jene Mittel zur Verfügung stellen, die erforderlich sind, um die Bedürfnisse der Flüchtlinge zu befriedigen. Dazu gehört auch Entwicklungshilfe, mit der die Infrastruktur des Libanon so gestärkt wird, so dass es gelingen kann, den Zustrom an Flüchtlingen und die damit einhergehenden Sorgen der Bevölkerung zu bewältigen.
  • Verstärkt muss versucht werden, die weltweite Zahl an Aufnahmeplätzen für syrische Flüchtlinge zu erhöhen, speziell durch eine zeitlich begrenzte EU-Richtlinie, die die vorübergehende Aufnahme syrischer Flüchtlinge durch EU-Staaten regelt.
  • Damit sie von Spenden und Zuwendungen weniger abhängig werden, muss syrischen Flüchtlingen verstärkt Hilfe zur Selbsthilfe angeboten werden.

Dieses Papier wurde eingereicht für die Konferenz „Syrien in der Sackgasse? Vier Jahre nach Beginn des Aufstandes – Ansätze und Perspektiven für eine politische Lösung des Konflikts“, die am 28. Mai 2015 in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand. Hier der Mitschnitt des 3. Panels zur "Situation der Flüchtlinge und der Verantwortung des Westens" - weitere Videos finden Sie in unserer Youtube-Playlist zur Konferenz.

Syrien in der Sackgasse? Panel 3: Die Situation der Flüchtlinge und die Verantwortung des Westens - Heinrich-Böll-Stiftung

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