City Tax für Beginner

Ballhaus Auguststraße
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Die freie Szene hofft auf mehr Geld aus der Bettensteuer / Ballhaus Auguststraße

Achtung, das Geld kommt! Erstmals fließen Einnahmen aus der City Tax in die Berliner Freie Szene. Es geht um 1,37 Millionen Euro. Die Verteilung ist schon einmütig beschlossen. Doch wie geht es weiter?

Der regierende Kultursenator Klaus Wowereit war seinerzeit klug genug, sich nicht auf Zahlen festzulegen. Zur Causa City Tax ließ er im Kulturausschuss am 16. September 2013 verlauten: "Von den zusätzlichen Einnahmen wird ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kultur zugute kommen. Davon wird auch die freie Szene profitieren".

Seit dem 1. Januar 2014 hat Berlin wie andere Metropolen weltweit auch die Bettensteuer für Touristen, die sogenannte City Tax. Vorausgegangen ist der Einführung ein zweijähriger Kampf der freien Szene um 50 Prozent der Einnahmen. Erst befeuert durch Versprechen des vormaligen Kulturstaatssekretärs André Schmitz, dann spektakulär ausgebremst durch eine Volte des damaligen Finanzsenators Ulrich Nußbaum, der am 20. November 2013 im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses eine 25-Millionen-Bremse durchsetzte. Was bedeutet: Nur die Einnahmen ab 25 Millionen Euro können zu je einem Drittel der Kultur, dem Sport sowie touristischen Zwecken zufließen. Das war besonders für die freie Szene ein harter Schlag.

Zahlen auf dem Tisch

Welche Konsequenz dieser Handstreich in Zahlen hat, weiß man erst jetzt. Nach einer erwartbaren Musterklage gegen die City Tax durch Berliner Hoteliers wurden die Mittel vorerst zurückgehalten. Am 4. Juni 2015 aber gab der Berliner Finanzsenat in einer Presseerklärung  bekannt, dass das Finanzgericht Berlin die Klage auf "Aussetzung der Vollziehung" zurückgewiesen habe. In erster Instanz jedenfalls. Woraufhin Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen erklärte: "Wir geben jetzt die bisher im Haushalt gesperrten 4,1 Millionen Euro aus der Übernachtungssteuer des Jahres 2014 frei, die für kulturelle, touristische und sportbezogene Vorhaben verwendet werden sollen".
Macht für die Kultur 1,37 Millionen. Nicht unbeträchtlich? Doch sehr relativ.

Die gute Nachricht immerhin: Die Mittel aus 2014 sollen ausschließlich der freien Szene zugute kommen. Für Kulturstaatssekretär Tim Renner die erste Gelegenheit, sein Bekenntnis zu den freien Künsten in bar auszudrücken. Die Kultursenatsverwaltung hat auch schon konkrete Pläne, wie das Geld eingesetzt werden soll.

  • Man will spartenübergreifend Künstler-Stipendien schaffen. Für Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Tanz, Musik und Literatur. Die Rede ist von 8.000 Euro pro Stipendium.
  • Es soll in Preise für Projekträume investiert werden. Zurzeit bekommen sieben Projekträume jeweils 30.000 Euro pro Jahr. Nun könnten es 14 werden. Zur Debatte steht aber auch eine Art Basisförderung für Projekträume, die für zwei Jahre Planungssicherheit verspräche.

Wenig spektakulär – was klar ist angesichts der vergleichsweise geringen Summe. Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der freien Szene, begrüßt die Entscheidungen durchaus. Zumal die Koalition beratend in die Überlegungen der Senatskulturverwaltung eingebunden war. Für die City Tax Mittel aus 2014 musste eine pragmatische Lösung gefunden werden, die unmittelbar den produzierenden Künstler zugute kommt.

Knoch gibt aber auch zu bedenken, dass Stipendien eher für Soloarbeiter wie Bildende Künstler oder Autoren Sinn ergeben. Kaum für die Kollektivkünstler anderer Genres. Er betont, dass das „nicht die Lösung des Problems“ sei. Kein wirksames Mittel jedenfalls gegen die strukturelle Unterfinanzierung der Szene. Preise und Stipendien seien für eine unterbesetzte Verwaltung vor allem ein Weg, Gelder ohne großen Aufwand an die Künstlerinnen und Künstler zu bringen. „Große Hoffnungen“, so Knoch, „setzen wir aber in die Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2016/2017“.

Was sagt der Rat für die Künste?

Spannend – und möglicherweise auch konfliktreicher – wird die Lage, wenn ab 2015 höhere Summen aus der City Tax fließen. Nach Schätzungen könnte sich das Kultur-Drittel auf vier Millionen Euro oder mehr belaufen. Diese Mittel sind dann aber nicht mehr ausschließlich für die freie Szene gedacht, wie der Sprecher der Senatskulturverwaltung Günther Kolodziej sagt. Brechen dann die alten Gräben zwischen freier Szene und Institutionen wieder auf?

Wird es vorbei sein mit der lange demonstrierten Solidarität und der Beteuerung, sich schließlich in einer gemeinsamen Berliner Kulturlandschaft zu bewegen? Andreas Altenhof, Sprecher des Rates für die Künste, in dem als Vertreter auch die Leiter großer Institutionen sitzen (darunter der Intendant des Deutschen Theaters Berlin Ulrich Khuon oder die Direktorin der Kunsthochschule Weißensee Leonie Baumann), versichert: "Ich erwarte keine Kannibalisierungs-Diskussionen". Die seien zuletzt auch ausgeblieben, als es um die Tariferhöhungen für die Opern-Stiftung und die Sprechtheater gegangen sei.

Auch Altenhof betont, dass die Investitionen ausschließlich in Stipendien und Projekträume kein Zukunftsmodell sein können. Weswegen es im Statement des Rates ausdrücklich heißt: "Der erste Schritt ist getan".

Altenhof zufolge sollten Ankerinstitutionen, also wichtige Produktions-Plattformen für die freie Szene wie beispielsweise die Sophiensäle oder die Kunstwerke, besser ausgestattet werden. In die Strukturen zu investieren, hält er schon deshalb für geboten, "weil in der freien Szene heute völlig andere Produktionsverhältnisse herrschen als noch vor zehn Jahren". Nicht zuletzt stellt Altenhof Nußbaums 25-Millionen-Marke in Frage. „Vor dieser Entscheidung gab es einen politischen Konsens, 50 Prozent der City-Tax-Einnahmen in die Kultur fließen zu lassen. Warum soll diese Schranke ein Naturgesetz sein?“

Was plant die freie Szene?

Wo größere Summen fließen, wachsen so oder so die Begehrlichkeiten. Auf allen Seiten. Wäre es nicht denkbar, dass die zuletzt in den Haushalt eingestellten zusätzlichen Mittel für die freie Szene in Höhe von rund 3 Millionen Euro schlicht durch City-Tax-Gelder ersetzt werden? Die Haushälter freuen sich über jeden gewonnenen Euro.

Christophe Knoch glaubt nicht daran. Zumal der Nachtragshaushalt für 2015 ja beschlossen sei. Der sieht unter anderem vor, das "Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt (SIWA)" mit rund 500 Millionen Euro auszustatten. Der Spielraum für die Kultur sei dagegen – so Finanzsenator Kollatz-Ahnen – durch die Kostenexplosion bei der Staatsopern-Sanierung "mehr als verbraucht". Was der Rat für die Künste in einem offenen Brief kritisiert.

Auch in der Koalition der freien Szene sieht man im Nachtragshaushalt die Chance verpasst, die Haushaltsmittel für die Kultur entscheidend aufzustocken. Nach wie vor, so Knoch, habe der 10-Punkte-Plan der Koalition Gültigkeit, der einen Fehlbedarf von 18 Millionen Euro ermittelt. Zu den Forderungen zählt hier neben einem Eigenmittel- und einem Wiederaufnahmefonds (die es mittlerweile gibt) auch ein Recherchefonds, der mit 500.000 Euro jährlich angesetzt wird. Er soll Forschung, Recherche, Künstlerresidenzen sowie Kuration, Vermittlung, Dokumentation und Publikation fördern. Freilich sind Fonds aufwendiger zu verwalten als Zeitstipendien, die über die bestehenden Senats-Jurys vergeben werden können.

Was für eine paradoxe Situation: Die Senatskulturverwaltung muss höhere Mittel aus der City Tax fürchten, weil sie nicht das Personal und die Kapazitäten hätte, diese zu verwalten.

Eine Chance für den Hauptstadtkulturfonds?

Natürlich könnten mit den erwartbaren Einnahmen auch bestehende Fördertöpfe aufgestockt werden. Beziehungsweise: von Altlasten befreit. Eine Forderung, die die Berliner Kulturschaffenden schon lange erheben, lautet, den Hauptstadtkulturfonds (HKF) von den festen Posten zu bereinigen. Da kämen auf einen Schlag beachtliche Summen für die freie Szene zusammen. Aus dem HKF werden regelmäßig versorgt: Das internationale literaturfestival berlin (350.000 Euro), das Poesiefestival Berlin (350.000 Euro), Tanz im August (400.000 Euro), die Compagnie Sasha Waltz & Guests (875.000 Euro), das Musikfestival young euro classic (150.000 Euro) sowie das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam (100.000 Euro). Insgesamt würde es also 2.225.000 Euro kosten, im HKF "aufzuräumen" und die genannten Festivals und Companys stattdessen aus City-Tax-Mittel zu subventionieren. Wobei natürlich die Frage lautet, was geschieht, wenn am Ende keine Touristen kommen. Wer zahlt dann für Sasha Waltz und Co?

Nicht zuletzt muss natürlich geklärt werden, wer zukünftig überhaupt entscheiden soll, was mit den City-Tax-Einnahmen geschieht. Senatsjurys? Die Koalition der freien Szene? Tim Renner? Für den Kulturstaatssekretär ist die City Tax – gerade mit Blick auf die im Herbst anstehenden Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2016/2017 – eines der entscheidenden (und wenigen) Profilierungsfelder, die ihm bleiben. Er betreibt als Herzens-Projekt die Digitalisierung der Kulturlandschaft – die natürlich auch finanziert werden will. Ebenfalls sucht er den Schulterschluss mit der freien Szene, unter anderem mit einem "Call for Ideas", der ihm auch die Kritik eingebracht hat, "umsonst" Ideen abschöpfen zu wollen. Und zuletzt im April 2015 auch mit einem Workshop zum Thema Räume für die Kunst, an dem auch die Koalition der freien Szene beteiligt war. Dem Vernehmen nach waren sich dabei beide Seiten in ihren Vorstellungen – auch finanziell – sehr nahe.

Für Renner muss es darum gehen, sich im Politikstil von Amtsvorgänger André Schmitz abzusetzen. Dessen Bemühen um Kontakt zur freien Szene gipfelte bekanntlich im berüchtigten K2-Event – einem 50.0000 Euro teuren Workshop-Wochenende, bei dem die von den Künstlerinnen und Künstlern produzierten Ideen komplett in der Versenkung verschwanden. Also: "Call for ideas" statt K2? Mal schauen.

In jedem Fall ist Transparenz geboten bei der Mittelvergabe. Die Koalition der freien Szene wird derweil aufrüsten zur nächsten City-Tax-Kampagne. Auch hier gilt der Slogan, den in anderem Zusammenhang der vormalige Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck für Berlin ausgegeben hat: „Nichts ist erledigt“.