Was Berlin aus seiner Beteiligungskultur macht

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"Noch viel Luft nach oben in Berlin" - hier am Tempelhofer Feld

Unter dem Titel „Berlin – Hauptstadt partizipativer Stadtentwicklung?“ diskutierten verschiedene Podiumsgäste am 24. Juni 2015 die Zukunft der Bürgerbeteiligung.

Der Titel ''Berlin – Hauptstadt partizipativer Stadtentwicklung?'' sei nicht ohne Grund mit einem Fragezeichen versehen – so leitete Anne Ulrich, Moderatorin des Podiums, die Diskussion ein. Denn die Bewertung, ob Berlin bei diesem Thema nun Vorreiterin sei oder ''die rote Laterne am Ende hochhält'', ist umstritten, was auch die zeitweise hitzige Diskussion an diesem Abend zeigte. Auf dem Podium diskutierten Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende und stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin, Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie e.V., Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär für Bauen und Wohnen des Berliner Senats,  und Joachim Fahrun, Chefreporter der Berliner Morgenpost.

"Die Beteiligungskultur in Berlin muss sich ändern"

Etwas überraschend begann Oliver Wiedmann die Diskussion mit der Einschätzung, Berlin sei auf einem guten Weg. Er bezog sich damit aber ausschließlich auf die direktdemokratischen Verfahren. Zwei Volksentscheide von 26 Volksbegehren waren erfolgreich. Die Volksbegehren seien aber auch dazu da, dass Themen in der Stadt überhaupt erst diskutiert werden. So hätte der Volksentscheid zur Offenlegung der "Wasserverträge" erst dazu geführt, dass die Wasserbetriebe zurückgekauft worden seien. Sein Fazit: "Die direkte Demokratie ist eine wesentlicher Bestandteil der politischen Kultur in der Stadt".

Joachim Fahrun sah die Bürgerbeteiligung in Berlin mehr als Konfliktfeld. Der SPD fehle es an Respekt vor der Bürgerbeteiligung. Die Sozialdemokraten gingen mit der Haltung "Bei uns ist das Gemeinwohl schon gut aufgehoben" an die Sache heran.

Antje Kapek knüpfte noch einmal an die Erfahrungen mit dem Volksentscheid Tempelhofer Feld an. Die Bebauung des Tempelhofer Feldes sei an schlechter Beteiligung gescheitert. Es gebe in Berlin aber auch gute Beteiligungsprozesse wie z.B. zur Gestaltung des Gleisdreiecks und zur Neuen Mitte. Kernproblem sei aber, dass der Senat nicht klar mache, was mit den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung geschehen solle. Es mangele an Verbindlichkeit. Die Beteiligungskultur in Berlin müsse sich ändern.

"Der Senat hat die gesamtstädtische Verantwortung"

Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär für Bauen und Wohnen in Berlin, bestätigte in seiner Replik, dass Berlin die Hauptstadt der Bürgerinitiativen sei. Dem würde durch die Politik auch Rechnung getragen, etwa, indem sich die Liegenschaftspolitik geändert habe. Er verwies auch auf dreißig Stadterneuerungen, in denen sich Menschen ohne viel Aufhebens engagiert hätten.

Er sagte allerdings auch: "Wir sind eine riesige Stadt." Die Beteiligung in einer Dreieinhalb-Millionen-Stadt zu organisieren sei ungleich schwerer als in Städten wie Heidelberg, das nicht mal die Einwohner/innenzahl eines einzelnen Berliner Bezirkes aufweise. Es stelle sich deshalb die Frage, wie politische Verantwortung wahrgenommen werden solle.

Lütke Daldrup kritisierte, dass die Politik sich zu oft wegducke und zwar gern moderiere, aber ungern entscheide: "Der Senats hat die gesamtstädtische Verantwortung." Er führte einige Beispiele an, bei denen bezirkliche Initiativen gegen Bebauungen oder Nutzungen lediglich Partikularinteressen der dort Wohnenden ausdrückten. Es käme heute darauf an, möglichst schnell möglichst viel bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

"Das gesamtstädtische Interesse ist nicht ausreichend definiert"

Um das gesamtstädtische Interesse und demokratische Entscheidungsebenen ging es dann schwerpunktmäßig in der nachfolgenden Diskussion. Oliver Wiedmann entgegnete auf Daldrup, wenn die Argumente für den Wohnungsbau so gut seien, könne man damit auch Bürgerentscheide gewinnen. Er entkräftete auch dem Vorurteil, Volksbegehren seien unflexibel.

Antje Kapek widersprach vehement dem indirekten Vorwurf an die Bürger/innen: "Ihr seid ja alle gegen Wohnungsbau", den sie bei Lütke Daldrup herausgehört hatte. Sie bemerkte, dass die Argumente, mit denen die Initiator/innen den Volksentscheid "100% Tempelhof" gewonnen hätten, ziemlich exakt den Einwendungen aus dem Bebauungsplanverfahren entsprochen hätten. Die Menschen hätten dem Entscheid zugestimmt, weil sie nicht wahrgenommen hätten, dass ihre Einsprüche ernst genommen wurden. Das gesamtstädtische Interesse sei nicht ausreichend definiert.

Die Debatte bezieht sich auf eine Änderung des Ausführungsgesetzes zum Baugesetzbuch, wonach der Senat bei allen Bauvorhaben mit über 200 Wohneinheiten das Verfahren an sich ziehen kann. Es sind dann keine bezirklichen Bürgerentscheide gegen die Vorhaben mehr möglich. In letzter Zeit wurde das zum Beispiel für eine Bebauung am Mauerpark angekündigt. Mit einem Demokratiedefizit sieht sich aber laut Kapek auch das Berliner Abgeordnetenhaus konfrontiert: Die Bebauungspläne würden den Abgeordneten erst vorgelegt, wenn es kaum noch die Möglichkeit gibt, etwas daran zu ändern.

Ein Teil der Diskussion drehte sich darum, wo 'Diskurse über Stadt'' noch stattfinden können. Die Redaktionen der Zeitungen, die über Politik in den Bezirken schreiben, seien stark ausgedünnt, so Joachim Fahrun. Von daher gebe es wenig öffentliche Diskurse in den Bezirken, die für sich selber genommen ja Großstädte seien. Die Bezirksparlamente seien zu schwach, im Abgeordnetenhaus fände aber auch die Stadtdebatte nicht statt, so Fahrun. Er warf dem Senat außerdem ''Geheimniskrämerei'' vor.  

"Selbst das beste Verfahren kann die Interessengegensätze nicht auflösen"

Der letzte Teil des Diskussionsabends wurde darauf verwandt, nach Lösungen und Instrumenten für bessere Beteiligung in Berlin zu suchen. Berlin, so waren sich eigentlich alle Podiumsgäste einig, hat einen Sonderstatus insofern, dass es eine große Kommune und Bundesland gleichzeitig sei. Sich darauf zu beziehen und schleierhaft von ''gesamtstädtischen Interesse'' zu sprechen, kann jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Man muss das Rad nicht neu erfinden'', so die Grüne Kapek.

Viele Kommunen verwenden bereits innovative Instrumente der Bürgerbeteiligung. Konkrete Forderungen für Berlin können sein, dass mehr Transparenz und Information über das Verwaltungshandeln verfügbar ist. Bei jedem angewandten Verfahren muss von Beginn an klar sein, was mit der Beteiligung geschieht. Kapek beobachtete gerade bei den Verfahren, die im Vorfeld beim Tempelhofer-Feld liefen und die aktuell zur Entwicklung der ''Neuen Mitte Berlin'' laufen, das zwar viele Dialoge und Verfahren realisiert würden, dabei aber unklar bleibe, was mit den Ergebnisse geschieht.

Engelbert Lütke Daldrup blieb bei seinem Einwand, dass selbst das beste Verfahren nicht die Interessengegensätze auflösen könne. Er warf den Initiator/innen des Mietenvolksentscheids vor, den Bürger/innen Mitentscheidungsmöglichkeiten über bezahlbaren Wohnraum vorzugaukeln, die es gar nicht gebe, und so eine "Illusion der Beteiligung" zu erzeugen. Antje Kapek erwiderte darauf, es gebe immer Gruppen, die Partikularinteressen verfolgen. "Für alle anderen helfen Regeln".

''Es ist also noch viel Luft nach oben in Berlin'' so das Resümee der Moderatorin, Anne Ulrich. Ob Bürgerbeteiligung tatsächlich gewollt ist, bleibt auch davon abhängig, ob es die politische Führung durchsetzen möchte. Antje Kapek brachte zum Ende noch das Beispiel Baden-Württemberg ein, wo erstmals durch die grün-rote Landesregierung eine Staatssekretärin für Bürgerbeteiligung eingesetzt wurde. Dort wird jetzt systematisch in allen relevanten Bereichen die Verwaltung durch Leitlinien auf die Bürgerbeteiligung verpflichtet.