Ankunft in Lampedusa

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Vermeintliche Idylle: der Hafen in Lampedusa

In diesen Tagen beginnt die Mission der Sea Watch: Eine Crew von Freiwilligen befährt das Mittelmeer, um in Seenot geratenen Flüchtlingen zu helfen. Unser Autor an Bord über seine ersten Eindrücke.

Logbuch Eintrag eins

Lampedusa; Donnerstag 02. Juli:

Vor vier Tagen bin ich auf Lampedusa gelandet.  Die Insel  liegt 205 Kilometer südlich von Sizilien, und ist etwa 105 Km von Tunesien und 250 Kilometer von Libyen entfernt. Wir liegen heute noch im Hafen und bereiten die Sea Watch auf ihre erste lange Ausfahrt vor. Der Testlauf vor einer Woche war erfolgreich, doch nun wollen wir zehn Tage auf See sein und dort kreuzen, wo die meisten Boote mit flüchtenden Menschen vorbeikommen. Das bedeutet, dass wir für mehrere Tage den lybischen Hoheitsgewässern sehr nahe sein werden. Die Statistiken zeigen, dass ein Großteil der Flüchtlingsschiffe und –boote  auf einem nur 80 Meilen breiten Stück Meer in Seenot geraten. Ein direkter Bezugspunkt scheint für viele Schiffsführer die libysche Bohrinsel El Buri zu sein, auf der ständig ein gut sichtbares Gasfeuer brennt.  

Die Lage von Lampedusa (gekennzeichnet als roter Fleck)
Morgen wollen wir auslaufen mit Ziel El Buri. Hier im Hafen herrscht momentan eine surreale Szenerie: Seit zwei Tagen wird ein Film gedreht über das schreckliche Fährunglück der Costa Concordia vor drei Jahren. Es wird gefilmt mit allem, was sich auf dem Wasser bewegen kann. Die Küstenwache ist aktiv, genauso wie die Fähre, die sonst die Menschen, die in den Tagen zuvor hierher gebracht wurden zum Festland bringt. Die adrett gekleideten Schiffscrews freuen sich offenbar über die Abwechslung. Alles findet in Ruhe und unaufgeregt statt.

Gleichzeitig kommen weiterhin morgens die Busse an. Sie bringen zwischen 50 und 150 Menschen aus dem Auffanglager hier zum Anleger, wo die Guardia Costiera sie in Empfang nimmt und auf die Fähre zum Festland geleitet. Auch das geht ohne viel Aufregung einher.

In der Brühe aus Benzin und Meerwasser

Fast jeden Tag bringen die Schiffe Menschen, die mittlerweile vor allem aus Krisen- und Kriegsgebieten stammen. Sie fliehen aus Syrien, Eritrea, Somalia, aber auch aus Bangladesch. Anders als in den vergangenen Jahren sind es nicht mehr nur die jungen Männer, die kommen. Auch Familien, schwangere Frauen und allein reisende Jugendliche wagen die Überfahrt. Der Hintergrund der Flüchtenden habe sich über die vergangenen Jahre deutlich verändert, so Doktor Pedro. Er ist der verantwortliche Arzt in dem Auffanglager auf Lampedusa und arbeitet hier seit 1991. Erschreckend sei, dass nach wie vor keine Lösung oder auch nur Verbesserung geschaffen wurde, um legal nach Europa zu gelangen.

Die Beschwerden, die Pedro am häufigsten behandelt, entstehen durch die Reisebedingungen: Akuter Wassermangel und Unterkühlung. Beim Transport in Schlauchbooten kommt es aber auch immer wieder zu Verbrennungssymptomen, da sich beim Nachfüllen verschüttetes Benzin und Meerwasser vermischen. Das lange Sitzen in dieser Brühe führt dann dazu, dass sich beim Ausziehen Teile der Haut unter Schmerzen ablösen.

Neben den akuten Symptomen sind vor allem die psychischen Traumata massiv und kommen in unterschiedlichsten Formen über die Zeit zum Vorschein. Die Wege der Menschen sind, bis sie gerettet werden, in jedem Fall mit enormen Belastungen verbunden.

Obwohl die Vorgänge eigentlich öffentlich sind, bleiben sie vielen italienischen Touristen verborgen. Wer sich interessiert kann natürlich fragen und bekommt auch Antworten. Allerdings ist nur Wenigen bekannt, dass es noch immer ein Auffanglager auf dieser Insel von gerade mal 8 mal 3 Kilometer Durchmesser gibt. In dem Lager mit einer eigentlichen Kapazität von 400 Menschen sollen etwa doppelt so viele untergebracht sein. Männer und Frauen mit Kindern sind hier getrennt voneinander und bleiben meist nur für wenige Tage. Die Schiffe vom Zoll oder die Schnellboote der Guardia Costiera, der Küstenwache, brachten sie hierher, nach dem sie auf dem Weg von Libyen nach Europa in Seenot gerieten.

Die eigentliche Bevölkerung von Lampedusa, die nicht mehr als 5.000 Menschen ausmacht, aber im Sommer zur Touristenzeit deutlich anwächst, scheint oberflächlich betrachtet eine wohlwollende Haltung gegenüber  den Flüchtenden und auch den Helfenden zu haben.

Kein Zugang zum Auffanglager

Gestern machten wir die Bekanntschaft von Livia, einer bekannten Ärztin hier, die schon länger mit anderen Crewmitgliedern in Kontakt war. Livia hat viel von der Welt gesehen und sich in einigen Krisenländern engagiert. Sie war von Anfang an begeistert von der Idee Menschen zu begleiten, bis die „Rettung“ stattfinden kann.

Diese grundsätzlich andere Herangehensweise der Sea Watch an die Situation in Not geratener Menschen ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass das Boot mit seinen gerade mal 21 Metern Länge gar nicht in der Lage wäre viele Menschen aufzunehmen. Das Konzept füllt gerade damit eine wichtige Lücke, denn die vielen großen Schiffe werden häufig direkt in die zentral koordinierten Seenotrettungspläne eingebunden und können kaum eigenständig in Gebieten agieren, in denen sonst keine Hilfe vorhanden ist.  

Als Zeichen der Wertschätzung lud Livia kurzentschlossen die gesamte Crew zum Kennenlernen auf einen Aperitif im Restaurant ein. Ein großartiges Ereignis, welches uns Kontakte verschaffte und enorm motivierte. Immer wieder kommen auch Interessierte zum Boot um nachzufragen, was wir denn so machen. Wir erklären uns dann und händigen Informationsmaterial in den jeweiligen Sprachen aus. Auch die Bundespolizei, die hier im Rahmen der Frontex-Aktivitäten mit einem blauen Helikopter durch die Gegend knattert, zeigte schon Interesse. Allerdings blieb es bei einem unverbindlichen kurzen Gespräch.

Heute Nacht sind wieder sechzig Menschen aus einem umgebauten, kenternden Kutter gerettet und hierher gebracht worden. Was mit seinen Insassen geschehen ist, werden wir nicht erfahren. Es ist nicht möglich, direkten Zugang in das  Auffanglager zu erhalten, da es dem Innenministerium untersteht.

Das Leben auf unserem kleinen Boot ist recht schwierig und beengend. Allerdings können wir hier noch immer an Land gehen und werden mit einem gut gewarteten, hochseetauglichen Boot in See stechen.

Unvorstellbar mit hunderten anderer auf einer solchen Nussschale in desolatem Zustand dieses große Meer zu überqueren. Freiwillig macht das keiner.

 

In unserem Logbuch Mittelmeer berichten Crewmitglieder der MS Sea-Watch von ihrem Einsatz an Bord und ihrer Mission vor der libyschen Küste. Die private Initiative um das Rettungsschiff leistet selbst Nothilfe und fordert die Rettung von Flüchtlingsbooten in Seenot ein.