„Darauf sind wir stolz“

Margit Gottstein
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Margit Gottstein ist Staatssekretärin im Integrationsministerium Rheinland-Pfalz

Das rot-grün regierte Rheinland-Pfalz - so behauptet jedenfalls die CDU - schiebt nicht konsequent genug ab. Ist das ein Problem des Ressortzuschnitts in Ihrem „Ministerium für Willkommenskultur und Abschiebung“, dass abgelehnte Asylbewerber nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden und den wirklich Schutzbedürftigen den Platz wegnehmen?

Gottstein: Dieser Vorwurf der CDU ist Unsinn, denn er fokussiert auf Abschiebung, also auf zwangsweise Rückführung. Was wir in den Vordergrund stellen, ist die Rückführung insgesamt. Wenn man Vergleiche zieht, auch mit anderen Bundesländern, dann muss man sich die gesamte Rückführungsquote anschauen. Und die besteht aus Abschiebungen, aber auch aus freiwilligen und finanziell geförderten Rückführungen. Und es ist unser Anliegen, und dafür stehen wir politisch - auch gerade dieses Ministerium - die Rückführung zu ermöglichen und zu fördern, aber eben so gut es geht auf freiwilliger Ebene. Wir haben im Moment Zahlen, die sagen, dass mehr als neunzig Prozent der Rückführungen im Land freiwillig erfolgen und nur etwa zehn Prozent zwangsweise, und darauf sind wir stolz.

„Freiwillige“ Rückkehr, die abgelehnte Asylsuchende unter der Drohung von Abschiebung unterzeichnen – kann man die wirklich freiwillig nennen? Es gibt Flüchtlingsberater der Wohlfahrtsverbände, die das bezweifeln.

Also, wenn Sie die Menschen fragen würden oder könnten, wollt ihr bleiben oder gehen – wenn das die Frage der Freiwilligkeit ist, dann würden sie natürlich in  aller Regel sagen, wir wollen bleiben. Aber wir stehen ja vor der Situation, dass wir es mit einer vollziehbaren Ausreisepflicht zu tun haben. Das heißt, der Asylantrag ist geprüft und abgelehnt, und es gibt keine sonstigen Gründe, warum jemand bleiben kann, zum Beispiel Risikoschwangerschaft oder andere Dinge, die eine Rückkehr unmöglich machen würden. Das heißt, wir müssen eine Ausreisepflicht umsetzen. Und unter dieser Voraussetzung ist es dann immer der bessere Weg, wenn die Menschen nicht durch eine Polizeiaktion zwangsweise gehen müssen, sondern wenn sie mit einem Ticket in der Hand, das ihnen bezahlt wird, freiwillig das Land verlassen können.

Sie haben selbst problematisiert, dass in Deutschland die Anerkennungsquoten für Roma aus den Westbalkanländern wesentlich niedriger liegen als in den BENELUX-Ländern und der Schweiz. Das ist in Rheinland-Pfalz auch so. Heißt das, dass hier genau die gleiche Praxis besteht, Roma in äußerst diskriminierende Umstände zurückzuschicken, vielleicht sogar in Verfolgung?

Das ist richtig, die Praxis besteht in Rheinland-Pfalz genauso wie in allen anderen Bundesländern, denn die Entscheidung, wer hier Asyl bekommt, trifft nicht ein Land, sondern der Bund, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Und ich bin persönlich durchaus der Auffassung, dass man sehr ins Grübeln kommen kann, warum wir Anerkennungsquoten von Menschen aus dem Westbalkan haben, darunter viele Roma, die in Ländern wie Frankreich, Belgien oder der Schweiz zum Teil über zehn Prozent liegen. Und warum wir in Deutschland eine Anerkennungsquote haben, die unter einem Prozent liegt. Das heißt, es werden Menschen aus diesen Ländern in Deutschland anerkannt, aber vergleichsweise viel zu wenige. Und wir haben keinerlei Hinweise, dass sich andere Teile der Bevölkerung auf die Flucht in die Schweiz begeben als etwa nach Deutschland. Insofern glaube ich, dass die Debatte über die sogenannten „sicheren Herkunftsländer“ tatsächlich dazu geführt hat, dass sehr schnell und möglicherweise auch nach Mustern entschieden wird und dass viele Menschen, die schutzbedürftig wären, diesen Schutz leider nicht bekommen, obwohl sie ihn verdient hätten und in anderen Ländern auch bekommen hätten.

„Eine ausgesprochen schwierige Entscheidung“

Die Grünen haben sich allerdings daran beteiligt, die „sicheren Herkunftsländer“ im „Asylbeschleunigungspaket“ mit durchzuwinken.

Die Grünen haben dem zugestimmt, auch die Grünen in Rheinland-Pfalz, weil das Teil eines größer angelegten Kompromisses war. In diesem Paket befinden sich auch andere Dinge. Genannt wird häufig die Finanzzusage des Bundes, die ist auch wichtig, aber genannt sei beispielsweise auch, dass erstmalig eine kleine Möglichkeit geschaffen wurde, dass Menschen aus dem Westbalkan aus dem Ausland heraus einen Antrag auf Einreise zur Erwerbstätigkeit stellen können. Das ist im Nukleus der Beginn eines Einwanderungsgesetzes. Und es ist den Grünen in Rheinland-Pfalz und den anderen Ländern äußerst schwer gefallen, diesem Kompromiss zuzustimmen, gerade wegen des Konzepts der „sicheren Herkunftsländer“. Das lehnen die Grünen weiterhin in der Sache ab. Also, würden wir isoliert nur über diese Frage zu entscheiden haben, würden wir es ablehnen, aber wir sind in der Politik und müssen manchmal Kompromisse machen, und der gehört eben leider dazu.

„Es war klar, dass die Grünen umfallen würden“, hat CDU-Oppositionschefin Klöckner gehöhnt. „Die Grünen hätten nicht zustimmen dürfen“, kommentierte der Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz. Hat sich das „Umfallen“ für den „Beginn eines Einwanderungsgesetzes“, von dem Sie sprechen, gelohnt?

Es ist eine ausgesprochen schwierige Entscheidung gewesen. Das muss man einfach klar so sagen. Nicht, weil diese Entscheidung das Grundrecht auf Asyl in Frage stellen würde, so wie wir es derzeit im Grundgesetz haben, denn dort gibt es das Konzept der „sicheren Herkunftsländer“ bereits. Aber schwierig deshalb, weil wir wissen, dass wir den Schutz von Menschen in Frage stellen. Und dennoch sind der Arbeitskreis Asyl und Pro Asyl bundesweit in einer anderen Situation als Menschen, die Politik machen. Die Flüchtlingsorganisationen können isoliert zu einzelnen Fragen eine Pro- und Contra-Haltung vermitteln. Wer allerdings in der Politik unterwegs ist, muss den einen oder anderen Kompromiss eingehen, um etwas zu bekommen, was man sonst nicht bekommen würde. Und ich könnte auch umgekehrt sagen: Der Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist der Preis, den die CDU bezahlt hat.

Am 13. März 2016 sind Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz. Warum sollte jemand, der darauf pocht, dass das Asylrecht nicht ausgehöhlt wird, grün wählen? Welchen Grund gibt es?

Der Grund ist, dass die Grünen ja nicht ihre Grundpositionen geändert haben, sondern die Partei sind, die weiterhin sehr darauf achtet, dass der Schutz von Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, eine ganz, ganz hohe Priorität hat. Der weitere Grund ist, dass wir von Anfang an in der Flüchtlingspolitik alles, was uns möglich war, in die Wege geleitet haben, um Menschen einen sicheren Aufenthalt zu gewähren und sie auch menschenwürdig zu behandeln. Das fängt an mit der Abschaffung der sogenannten „Landesunterkunft für Ausreisepflichtige“, die wir noch in Trier hatten, als wir hier 2011 angetreten sind. Das geht weiter über die menschenwürdige Ausgestaltung der Abschiebehaft, die wir im Übrigen auch eigentlich gern abschaffen würden. Aber das ist uns einfach aufgrund der Kräfte, die wir in der Politik haben, nicht möglich. Denn auch da müssten Bundestag und Bundesrat zustimmen. Aber es ist die Perspektive, die wir weiter vertreten. Und wer unsere Kraft stärken will, so dass wir den einen oder anderen Kampf gewinnen, und die Kompromisse, die wir schließen müssen, eher für Flüchtlinge ausgehen, dem kann ich nur empfehlen, uns seine Stimme zu geben.

Margit Gottstein, seit 2011 Staatssekretärin im Integrationsministerium Rheinland-Pfalz. Das ist u.a. zuständig für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Aber auch für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber, die üblicherweise den Innenressorts der Länder obliegt. Seit fast dreißig Jahren arbeitet die 55jährige Diplom-Politologin in der Flüchtlingspolitik, Ende der achtziger Jahre war sie in der Flüchtlingsberatung tätig.

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Rheinland-Pfalz finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).