Erste Anzeichen einer Implosion: Proteste in Simbabwe

Ein Graffiti an einem Haus in Simbabwe prangert die Zustände im Land an: Kein Essen, keine Jobs, keine Medizin, Mugabe.
Teaser Bild Untertitel
Ein Graffiti bringt die kritische Lage Simbabwes auf den Punkt

Die gegen einen verhängten Importstopp gerichteten Demonstrationen in Simbabwes Hauptstadt Harare weiten sich zu einer Protestbewegung um den Pastor Evan Mawarire gegen die Regierung aus. Der repressive Machtzirkel um Präsident Mugabe gerät unter Druck.

Damit hat der 92-jährige Robert Mugabe wohl kaum noch gerechnet: Zum ersten Mal in der fast dreißigjährigen Dauer seiner Macht legt die Wut der Bürger Simbabwes die Hauptstadt des Landes vollkommen lahm. Was mit Protesten gegen den Importstopp auf einige südafrikanische Produkte am vergangenen Freitag in zwei Grenzstädten begann, weitete sich rasch auf Harare aus. Beamte, die vergeblich auf ihre Gehaltszahlungen warten, begannen am Montag einen Streik unter dem Slogan, dass sie keine Sklaven seien.

Der charismatische Pastor Evan Mawarire, der zu Beginn des Jahres die Bewegung #ThisFlag gründete und innerhalb weniger Monate Tausende von Unterstützern gewann, fordert seine Mitbürger auf, das Land zu einem Stillstand zu bringen, um gegen die „durch die Regierung verursachte Korruption, Ungerechtigkeit und Armut zu protestieren“. Bürger und zivilgesellschaftliche Gruppen die sich unter dem Hashtag #Tajamuka! (Wir haben genug!) organisieren, rufen inzwischen nach Mugabes Rücktritt.

Die brutale Reaktion der Sicherheitskräfte und die zeitweilige Lahmlegung von WhatsApp scheint ihre Entschlossenheit nur noch zu steigern. Promise Mkwananzi, Sprecher von #Tajamuka! beharrt darauf, dass die Demonstranten friedlich seien und Gewalt lediglich von der Regierung ausgehe. Versuche der Regierung, die Demonstranten als „Marionetten der britischen und amerikanischen Imperialisten“ zu verunglimpfen, die es auf „Regime-Change“ abgesehen haben, verhallen ohne breitere Resonanz.

Auch wenn eine an die Bilder vom Tahrir-Platz gewöhnte Weltöffentlichkeit die Geschehnisse in Simbabwe nur nebenbei wahrzunehmen scheint, könnten sie kaum bedeutungsvoller sein. Denn obwohl niemand eine Revolte zu dem jetzigen Zeitpunkt vorausgesagt hat, erscheint sie kaum überraschend.

Importstopp verschärft finanzielle Krise im Land

Simbabwe fehlt es an Geld. Das ist der Funke, an dem sich die Proteste entzündeten. „Wir bekommen keine Jobs“, sagt Mawarire, „und wenn wir Jobs haben, kriegen wir unser Geld nicht aus der Bank.“ Die Regierung verfügt kaum noch über US-Dollar, die derzeit wichtigste Währung im Land. Aufgrund der eigenen Zahlungsunfähigkeit ist sie nicht mehr imstande, Gehälter im öffentlichen Sektor zu zahlen. Diese machen offiziell ca. 66 Prozent der staatlichen Ausgaben aus, einige sprechen sogar von 80 Prozent.

Kürzlich kündigte die Regierung an, die Limits für Geldabhebungen von täglich 1.000 auf wöchentlich 500 US-Dollar einzuschränken und sog. bond-notes einzuführen, eine Währung die nur innerhalb Simbabwes Gültigkeit hätte. Daraufhin hoben viele Simbabwer aus Angst um ihre mageren Ersparnisse massenhaft Geld ab, was die Cash-Krise noch verschärfte. Ein Grund für die Krise ist Simbabwes Handelsdefizit, das sich von ca. 400 Millionen vor zehn Jahren auf ca. 2.5 Milliarden US-Dollar in 2015 mehr als versechsfacht hat.

Simbabwe importiert weitaus mehr als es exportiert; es verlässt also mehr Geld das Land als hineinfließt. Der abrupt eingeführte und wenig durchdachte Importstopp für alltägliche Konsumgüter seitens der Regierung, wurde schnell zur Existenzkrise für die simbabwischen Händler, die ihren Lebensunterhalt mit dem Weiterverkauf dieser Güter verdienen.

Hohe Arbeitslosigkeit, marode Strukturen und Korruption

Die Gründe für die Proteste liegen jedoch tiefer. Jahrzehnte der arroganten Politik und fehlgeleiteten Wirtschaftsmaßnahmen Mugabes und seines Machtzirkels bewirkten, dass der Großteil der vergleichsweise gebildeten Simbabwer arbeitslos und verarmt sind. Die Arbeitslosenrate ist unbekannt, da verlässliche Daten fehlen. Verschiedene Quellen geben Raten von 4 bis 95 Prozent an.

Eine anhaltende Dürre hat die ohnehin schon eingeschränkte lokale Nahrungsmittelproduktion in der ehemaligen „Kornkammer“ des südlichen Afrikas dezimiert. Zahlreiche Banken schlossen in den vergangenen Jahren ihre Türen, lokale Industrien sind kaum noch existent. Das Gesundheitssystem ist marode und die Korruption nimmt absurde Formen an. Im Jahr 2013 berichtete Transparency International in Simbabwe, dass einige Krankenhäuser werdenden Müttern 5 US-Dollar pro Schrei berechnen, den sie während des Geburtsvorgangs von sich geben.

Mugabes Regime steht in ihrem völligen Versagen allein da

Es mag daher rätselhaft erscheinen, warum die Simbabwer nicht schon vor Jahren auf die Straße gegangen sind. Es gibt jedoch Antworten: Auch wenn sich die ZANU-PF von einer Befreiungsbewegung in einen autoritären Dinosaurier entwickelt hat, fällt ihre sich aus Befreiungsheroismus, staatlicher Souveränität und lokalem Empowerment zusammensetzende Botschaft teilweise noch auf fruchtbaren Boden. Mithilfe ihrer Patronagepolitik und Seilschaften konnte sich die Partei dort machtvolle politische Loyalitäten sichern, wo die Opposition weniger Zugang genoss: Im Bergbau, in wachsenden informellen Wirtschaftszweigen und auf dem Land.

Brutale Repression, der lange Arm der Geheimdienste, und der Einsatz teils massiver Gewalt taten ihr Übriges, um offenen Widerstand zu entmutigen. Es wurde bis heute eine Kultur der Angst aufrechterhalten, die schon seit den frühen 1980er Jahren besteht, als tausende Menschen Mugabes Fünfter Brigade zum Opfer fielen. Und schließlich weckte die Formierung einer politischen Opposition in Form der Movements for Democratic Change (MDC) und die Bildung einer für fünf Jahre vorgesehenen Einheitsregierung mit der regierenden ZANU-PF im Jahr 2009 die Hoffnung, dass demokratischer Wandel doch möglich sei.

In der Realität jedoch beherrschte die ZANU-PF die staatlichen Institutionen weiter und blockierte rechtliche und politische Reformen, die am Ende der Einheitsregierung stehen sollten. Ergebnis des gescheiterten Prozesses war eine völlig paralysierte Opposition, und ein überwältigender Sieg Mugabes in den vergangenen Wahlen im Jahr 2013.

Angesichts der gegenwärtigen Proteste erscheint dieser im Nachhinein jedoch als Pyrrhussieg: Anders als zuvor kann die Regierung die Opposition nicht mehr als Sündenbock für die Krise vorschieben. Auch die Sanktionen des Westens, nun weitgehend abgebaut, eignen sich nicht mehr als Prügelknabe. Das Versprechen, dass für die Bürger alles besser werde, wurde nicht eingelöst, eher im Gegenteil. In ihrem völligen Versagen steht die Regierung nun allein da.

Rückkehr in das internationale Finanzsystem geplant

Die verzweifelte budgetäre Lage hatte bereits nach der Wahl schizophrene politische Erklärungen zur Folge. So erklärte Finanzminister Patrick Chinamasa im Mai 2014 im Widerspruch zur eigenen „Look East“-Politik, der zufolge die Partei ihre Handels- und Investitionsbeziehungen nach China orientierte, um sich vom imperialistischen Westen unabhängig zu machen, dass Simbabwe offen sei für Investitionen aus aller Welt und sich in die globale Ökonomie reintegrieren wolle.

Dieses Jahr war es nun soweit: Die Regierung bereitete sich auf eine Einigung vor, 1.86 Milliarden US-Dollar an Forderungen an multilaterale Finanzinstitutionen zurückzuzahlen. Nach fast zwei Dekaden sollte dieser Schritt die Rückkehr des Landes in das internationale Finanzsystem ermöglichen und seine Isolation beenden. Im September dieses Jahres ist ein Treffen der Vorstände vom Internationalen Währungsfond, der Weltbank und der African Development Bank anberaumt, um alle ausstehenden Zahlungen und neue Darlehen zu diskutieren.

Auch wenn neue Darlehen nicht an demokratische Reformen und Menschenrechte geknüpft werden sollen, würden die Forderungen nach finanziellen Reformen der Regierung weitgehende Zugeständnisse abverlangen und ihre Stellung schwächen. Tiefe Einschnitte in die Gehaltszahlungen im öffentlichen Sektor, die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die wirtschaftliche Prüfung staatlicher Institutionen und eine unternehmerfreundliche Politik könnten die Folge sein.

Niemand glaubt mehr an leere Versprechen

Vertreter der EU unterstützen das Finanzabkommen, verlangen aber tiefergehende politische und verfassungsmäßige Reformen. Insbesondere sind es jedoch die USA, die explizit einfordern, dass die Regierung nicht nur das Vertrauen der internationalen Finanzinstitutionen zurückgewinnen muss, sondern vor allem das der simbabwischen Bevölkerung.

Dafür erscheint es jedoch nun zu spät. Ausgerechnet im Vorfeld der Regierungsbemühungen um eine offenere Devisenpolitik, reißt der Bevölkerung der Geduldsfaden.  Niemand scheint mehr an leere Versprechen zu glauben. Dem nationalen Entwicklungplan „ZimAsset“, der nach den vergangenen Wahlen mit viel Tamtam angekündigt wurde und sowohl Infrastruktur als auch Arbeitsplätze schaffen sollte, fehlte letztendlich die Finanzierung.

Auch ist fraglich, wie das derzeitige „Economic Revival and Transformation Programme“ umgesetzt werden soll, mithilfe dessen die Regierung den Finanz, Banken- und Landwirtschaftssektor reformieren will. Innerhalb der regierenden ZANU-PF gibt es starken Widerstand gegen jegliche Einschnitte in den öffentlichen Sektor, prüfende Maßnahmen und die Kompensation enteigneter weißer Farmer. Die politische Opposition beschuldigt die ZANU-PF, einen Deal mit IMF und Weltbank abzumachen, um sich besser für die nächsten Wahlen im Jahr 2018 zu positionieren.

Welche Rolle wird die politische Opposition spielen?

Es ist unklar, wie sich die Proteste weiter entwickeln werden. Entscheidend wird sein, ob die Protestbewegung ihr Momentum aufrechterhalten kann und wie die Regierung reagiert. Brachialgewalt könnte die Proteste bald abwürgen, ebenso wie eine rasche Zahlung der staatlichen Gehälter. Offen ist derzeit noch die Rolle der politischen Opposition, die dieses Mal nicht der Protagonist ist.

Falls sie sich mit frischer Energie formieren und Unterstützung für eine breite Revolte mobilisieren kann, wird sich die die politische Landschaft Simbabwes im Vorfeld der Wahlen tatsächlich verändern können. Die Regierungspartei ist geschwächt. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie von der Macht ablassen wird. Eine lange Phase des internen Machtkamps um die Nachfolge Mugabes hat die ZANU-PF fragmentiert und in verschiedene Interessensgruppen und Loyalitäten gespalten.

Ein Zerfall der ZANU-PF kann durchaus gefährlich sein, insbesondere wenn verschiedene, um die Macht konkurrierende Flügel Teile der Armee und Sicherheitskräfte hinter sich versammeln. Mugabe wird nicht mehr lange leben, das ist allen klar. Die Frage ist jedoch, wieviel Instabilität sein Tod in der gegenwärtigen Situation auslösen kann. Ein anonymer Simbabwer brachte es in einer nach Beginn der Proteste ausgestrahlten südafrikanischen Radiosendung auf den Punkt: „Mein Großvater ist 85 Jahre alt. Er vergisst ständig, wo er seine Pfeile hat liegen lassen. Und wir glauben immer noch, dass ein 92-Jähriger unsere Regierungsgeschäfte in der Hand hat… ich frage Euch: Wer regiert unser Land eigentlich?“

Trotz der schwierigen Situation im Land, scheinen die Simbabwer ihren Humor nicht zu verlieren, wie dieses Interview auf This Week, ein von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstütztes Projekt, zeigt.