Lokale Wohnungspolitik in Barcelona

Wohnraumprobleme sind besonders in den Millionenstädten des Globalen Südens weit verbreitet, existieren jedoch auch in den Industrieländern des Nordens. Spanien ist ein extremes Beispiel dafür. In Barcelona kann man beobachten, was Bürgerbewegungen und eine progressive, verantwortungsvolle Stadtregierung gemeinsam bewegen können, um das soziale Recht auf angemessenen Wohnraum umzusetzen.

Wohnhaus in Barcelona
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Spanien ist ein Land, in dem die Wohnkosten den Hauptanteil der Ausgaben privater Haushalte ausmachen, und wo privates Wohneigentum über viele Jahre hinweg als nahezu einzige Form des Wohnens vorangetrieben wurde

Die internationale Gipfelkonferenz HABITAT III in Quito steht kurz bevor. Sie wird, zum wiederholten Male und im Rahmen neuer globaler Verpflichtungen zur Bekämpfung der Armut und des Klimawandels, das „Recht auf angemessenen Wohnraum für alle“ als wichtigsten Faktor für ein menschenwürdiges Leben hervorheben.

Das Recht auf Wohnen wird, logischerweise, in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich definiert. Auf internationaler Ebene müssen die Belange der ärmeren Länder und der Gruppen, die auf globaler Ebene besonders schutzbedürftig sind – wie zum Beispiel Flüchtlinge – Vorrang genießen. Doch der Kampf um das Recht auf Wohnen ist auch in Europa ein geradezu dramatisch aktuelles Thema. In Spanien war Zugang zu Wohnraum für viele Gruppen ohnehin schon ein nicht unproblematisches Bestreben, aber die Wirtschaftskrise verschärfte die Probleme auf extreme Weise.

Der Fall Spanien

Viele Jahre lang lebte Spanien von einem spekulativen Wirtschaftsmodell, das hauptsächlich auf der Bauwirtschaft beruhte und auf leichtes, schnelles und kurzfristiges Wachstum setzte. Es wurde mehr neuer Wohnraum errichtet als in Ländern wie Deutschland, Italien und Frankreich zusammengenommen. Diese Überproduktion bedeutete jedoch keineswegs, dass Wohnraum für die Bevölkerung insgesamt erschwinglicher wurde – im Gegenteil, die Preise stiegen und stiegen, bis Spanien zu den Ländern der Europäischen Union gehörte, in denen Zugang zu Wohnraum am teuersten war. Doch wie konnte es dazu kommen? Einerseits waren die Zinssätze sehr niedrig, und es erfolgte eine Liberalisierung von Krediten und Darlehen; andererseits ermöglichte gerade diese Entwicklung es, Millionen von Wohnungen leerstehen zu lassen und ohne negative Konsequenzen als Spekulationsobjekte zu nutzen. Dieses Modell förderte eine gedankliche Vermischung zwischen dem Recht auf Wohnen und dem Recht auf Kredit, und privates Wohneigentum wurde um den Preis der Überschuldung eines Großteils der Bevölkerung über jede vernünftige Grenze hinaus angekurbelt.

Jahrelang hörte die Bevölkerung die immer gleiche Botschaft von Immobilienhändlern, Finanzinstituten, der öffentlichen Verwaltung und den Medien: Immobilienpreise fallen nie. Wohnungsbauminister wiederholten Jahr für Jahr dasselbe Mantra: „Jetzt ist der beste Moment für den Immobilienerwerb.“ Noch befördert wurde dies durch eine Steuerpolitik, die Steuerermäßigungen für den bloßen Erwerb einer Immobilie gewährte, und eine Siedlungspolitik, die Spekulationen anheizte, indem der Mietwohnungsmarkt liberalisiert wurde, sodass Mietwohnungen keine echte Alternative zu Wohneigentum darstellten, sowie einen unzureichenden Bestand an Sozialwohnungen. Trotz eines ausdrücklichen Auftrags in Artikel 47 der spanischen Verfassung setzte Spanien das Recht auf Wohnen nicht in entsprechende politische Richtlinien um, sondern beschränkte sich darauf, eine Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die die Kommodifizierung des Wohnraums als üppig sprudelnde Einkommensquelle für bestimmte Teile der Privatwirtschaft und die Verwaltung selbst ermöglichte.

Doch Blasen platzen, und mit Einbruch der Krise wurde das Problem des Zugriffs auf Wohnraum durch den Wohnungsverlust tausender Menschen verschärft, die bis zu diesem Moment und den Statistiken zufolge ihre Wohnraumfrage vorgeblich ein für alle Mal gelöst hatten.

Dabei muss berücksichtigt werden, dass Spanien ein Land ist, in dem die Wohnkosten den Hauptanteil der Ausgaben privater Haushalte ausmachen, und wo privates Wohneigentum über viele Jahre hinweg als nahezu einzige Form des Wohnens vorangetrieben wurde (und 2006 neunzig Prozent des gesamten Wohnraumbestands erreichte). Wenn die Einkommen sinken, sind die Raten für den Haus- oder Wohnungskredit daher die erste Ausgabe, die nicht mehr bedient werden kann. Angesichts einer Arbeitslosenquote von zeitweise mehr als 27 Prozent lässt sich das Ausmaß der Zwangvollstreckungstragödie unschwer erahnen. Im Mietwohnungsbereich sah es nicht besser aus.

Das Ergebnis war ein dramatischer Anstieg in der Anzahl der Zwangsräumungen und der Obdachlosen sowie eine ständig wachsende Zahl von Menschen, die es aufgrund der exorbitant gestiegenen Kosten immer schwerer haben, ein Dach über dem Kopf zu finden. Dies gilt insbesondere für die junge Generation, die es infolgedessen nicht schafft, sich von den Eltern abzunabeln, und für viele ältere Leute, die aufgrund von zunehmendem Marktdruck die Wohnungen verlassen müssen, in denen sie ein Leben lang zu Hause waren. In Barcelona stellen Immobilien zudem ein sehr attraktives Spekulationsobjekt dar, insbesondere in den bei Touristen beliebten Vierteln. Dieser Prozess schließt breite Schichten der Bevölkerung vom Zugang zu Wohnraum aus und führt so zu Gentrifizierung.

Bürgerinitiativen und der Kampf gegen Zwangsräumungen

Angesichts dieses Gesamtbilds wurde die Zivilgesellschaft aktiv. Im Jahr 2006, als die Verwaltung, die Banken, die Immobilienhändler und die Medien die Existenz einer Immobilienblase noch bestritten, machten Tausende Menschen dennoch mobil und gingen auf die Straße. Dies führte zur Geburt der Bewegung „V de Vivienda“ (in etwa „W wie Wohnraum“). Später widmete sich die im Februar 2009 in Barcelona gegründete Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH) den Problemen der Hypothekenschuldner und machte als Erste die Wohnraumkrise sichtbar, die durch das Platzen der offiziell nicht existierenden Blase entstanden war. Beginnend mit dem 15. Mai 2011 (daher die Bezeichnung „Bewegung 15-M“) führte eine starke Bürgerbewegung den Kampf gegen Zwangsräumungen und für das Recht auf Wohnen.

In den vergangenen vier Jahren ist die Bewegung weiter gewachsen, formte Bündnisse und entwickelte effektive Antworten. Zum einen – basierend auf der Überzeugung, dass das Problem grundlegender Natur ist – sind ihre Aktionen darauf ausgerichtet, Änderungen einer offensichtlich ungerechten Gesetzgebung zu bewirken. Zum anderen – angesichts der Dimensionen der Tragödie und im Bewusstsein der Tatsache, dass die Betroffenen unmöglich auf eine Gesetzesänderung warten können – wurden Ermächtigungsräume geschaffen und Aktionen organisiert, um die Banken zu Verhandlungen auf Einzelfallbasis zu zwingen. Wo diese Aktionen nicht ausreichten und auch keine Reaktion der Verwaltung erfolgte, stärkte dies das Konzept des zivilen Ungehorsams als legitime und effektive Antwort.

Von allem anderen abgesehen, hat der Kampf gegen die Zwangsräumungen bereits einen unbestreitbaren Doppelsieg errungen. Zum einen transformierte er auf der symbolischen Ebene die kollektive Vorstellungskraft. Er beendete die Angst und die Resignation, die einen Großteil der Bevölkerung lähmten, und verwandelte das, was die Konsumgesellschaft als persönliches Versagen stigmatisiert hatte, in einen Akt der Würde und der Solidarität: Mittlerweile ist das Aufhalten einer Zwangsräumung nicht nur zu einer normalen Handlung geworden, sondern erfüllt die Bürgerschaft insgesamt mit Stolz. Zum zweiten, auf der persönlichen und praktischen Ebene, stellt das Aufhalten der Zwangsräumungen für die Betroffenen eine Reaktion auf ein spezifisches und sehr dringliches Problem dar – nicht auf der Straße zu landen.

Die Wohnungspolitik der neuen Lokalregierung von Barcelona

Wohnungspolitik sollte weitreichende öffentliche Politik sein, und zwar auf der nationalen, der regionalen und der lokalen Ebene. Es ist jedoch so, dass sich die beschriebenen Probleme vor allem in den Vierteln unserer Großstädte und Städte manifestieren und eine Reaktion der Stadtverwaltungen erfordern; oft, ohne dass diesen die Ressourcen oder die gesetzgeberische Kompetenz zur Verfügung stünden, mittels Vorschriften den Markt zu beeinflussen.

Die derzeitige Regierung von Barcelona wird von einer politischen Vereinigung gestellt, die sich aus linken Kräften und sozialen Bewegungen zusammensetzt, von denen einige sehr aktiv im Kampf gegen Zwangsräumungen und für sozialen Wohnraum waren. Daher stellt die Wohnungspolitik eines der wichtigsten Anliegen der gegenwärtigen kommunalen Politik dar.

Unsere wichtigsten Ziele dabei sind:

  1. Zuallererst die Vermeidung und Behebung akuter Notfälle für verschiedene Zielgruppen (Obdachlose, zwangsgeräumte Familien usw.), die dringend Unterkunft benötigen. Die wichtigste Veränderung hierbei ist das Gewicht, das auf die Vermeidung gelegt wird. Wir sind der Auffassung, dass der beste Umgang mit einem Notfall ist, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen. Dabei nutzen wir verschiedene Wege. Wir verhindern neue Zwangsräumungen zum einen durch Verhandlungen mit den Banken (und prüfen die Einhaltung der Pflicht des Angebots einer sozialverträglichen Miete vor Beginn des Räumungsverfahrens) und zum anderen durch Kommunikation mit dem Gericht und der Förderung einer Kultur der Schlichtung zur Vermeidung von Räumungen. Es wurde ein spezielles Referat gegründet, das sich der Vermeidung von Zwangsräumungen und des Ausschlusses vom Wohnungsmarkt widmet. Unter den ergriffenen Maßnahmen sind besonders hervorzuheben: Gespräche und Verhandlungen mit den Eigentümern des Wohnraums, um die beste Lösung in jedem Einzelfall zu finden; Koordination mit den anderen involvierten kommunalen Diensten (Wohnungsämtern, Sozialämtern, Notfallhilfezentren) und Zentralisierung aller Daten, um den Verlust von Wohnraum zu verhindern und die Effektivität der behördlichen Intervention zu verbessern; Einsatz der notwendigen Maßnahmen, um in den Fällen, in denen ein Wohnungsverlust nicht zu verhindern war (1278 Fälle im ersten Halbjahr 2016), seine Auswirkungen zu mindern; Stärkung der Mietbeihilfen (im Jahr 2015 erhielten fast 3000 Familien Unterstützung) und die Anpassung der Notverordnungen.
     
  2. Zweitens die Vergrößerung des Bestands an Sozialwohnungen durch Einbeziehung leerstehender Wohnungen. Eine der Slogans der Bürgerbewegung brachte die Absurdität der Situation auf den Punkt: „Warum gibt es Häuser ohne Menschen und Menschen ohne Häuser?“ Um diese Situation zu ändern, schließen wir Vereinbarungen mit den Finanzinstitutionen (über die Überlassung von 200 Wohneinheiten) ab und nutzen unser Vorkaufsrecht zum Erwerb von Wohnraum (bisher 137 Wohnungen erworben, 332 in Erwägung). Darüber hinaus haben wir ein „Programm zum Erwerb leerstehender Wohnungen“ eingerichtet (231 Wohnungen saniert, die nun für Notfälle zur Verfügung stehen). Eine Richtung, in der wir bisher noch keine Erfolge erzielen konnten, ist die Umwandlung von durch die Stadt nicht genehmigten Ferienwohnungen in Wohnungen mit Mietpreisbindung.
     
  3. Drittens die Förderung proaktiver Sanierung durch den Stadtrat, um Funktionsfähigkeit, Barrierefreiheit und Energieeffizienz des Wohnbestands zu steigern, Arbeit zu schaffen und die Nutzung von Wohnraum als Spekulationsobjekt zu verhindern. Für diesen Plan haben wir für die kommenden vier Jahre einen Etat von 80 Millionen Euro bereitgestellt. Diese Sanierungsbemühungen entsprechen zudem unseren Umweltschutzzielen (da die Sanierung bestehenden Wohnraums weniger Ressourcen und Land verbraucht, als dies bei Neubauten der Fall ist) und dem Effizienzprogramm, das wir zur Bekämpfung der Energiearmut aufgelegt haben.
     
  4. Viertens die Stärkung der kommunalen Wohnraumbehörde als Ort der Bürgerbeteiligung, an dem alle Stakeholder die Wohnungspolitik formen und bewerten.

Dies sind einige der wichtigsten Richtungen, in denen wir tätig sind. Sie werden ergänzt durch Maßnahmen wie den Erwerb privaten Wohnraums und eine Zusammenarbeit zur Förderung privater Vermietung sowie die Schaffung einer Wohnraumerfassungsstelle für Barcelona und die Erarbeitung einer Übersicht leerstehenden Wohnraums.

Entscheidend ist meines Erachtens die Tatsache, dass wir die Wohnungspolitik ins Zentrum der kommunalen Aktivitäten gestellt haben, und während wir uns der enormen Hindernisse – rechtlicher und ökonomischer Natur und im Hinblick auf Zuständigkeiten – auf unserem Weg durchaus bewusst sind, sind wir der Überzeugung, dass Aufgeben keine gute Strategie darstellt und wir die Änderung der Marktstrukturen in Angriff nehmen müssen. Es ist jedoch notwendig, dass sich nicht nur die Städte, sondern auch andere Institutionen, auch auf europäischer Ebene, engagieren, wenn wir unserem Ziel, dem „Recht auf angemessenen Wohnraum für alle“ näher kommen wollen.

Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers: Habitat III - Nachhaltige Stadtentwicklung