Die Zwei-Staaten-Lösung lebt. Um sie umzusetzen bedarf es jedoch anderer Wege, als den über Paris

Israel and Palestine

Die israelische Führungsriege ist, gelinde gesagt, vom am Sonntag anstehenden Nahostgipfel in Paris wenig begeistert. Die Reaktionen schwanken zwischen Gleichgültigkeit und Resignation. Ohne auch nur zu zögern, weigerte sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kategorisch, an dem Gipfeltreffen teilzunehmen, wusste er doch nur zu gut, sowohl die israelische Öffentlichkeit, wie auch die Mitte-Links-Opposition würden dies achselzuckend abtun. Was aber bedeutet diese fast durchgehende Skepsis, die in Israel dem anstehenden Friedensgipfel entgegenschlägt, für die Chancen, den Konflikt mit den Palästinensern durch eine Zwei-Staaten-Lösung zu beenden?

Déjà-vu

Ungefähr drei Jahre, nachdem die 2013/14 unter Leitung von US-Außenminister John Kerry stehenden Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern abgebrochen wurden, werden am kommenden Sonntag, den 15. Januar 2017, Diplomaten/innen aus voraussichtlich etwa 70 Ländern zu einem Gipfel in Paris zusammenkommen, der im Rahmen der von Frankreich angestoßenen Nahost-Friedensinitiative stattfindet. Da immer öfter die Frage zu hören ist, ob eine Zwei-Staaten-Lösung prinzipiell je gangbar sein kann, und ob sich mit der neuerlichen Initiative überhaupt etwas erreichen lässt, hat Frankreich das Ziel von Anbeginn an niedrig gesteckt und klargestellt, dass es bei dem Gipfel in erster Linie darum gehen soll, die Zwei-Staaten-Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts am Leben zu erhalten.

Die französische Initiative enthält die folgenden Eckpunkte: Grenzen entsprechend der von 1967, wobei faire Gebietstausche vereinbart werden sollen; Sicherheitsregelungen, durch welche die Souveränität des zukünftigen palästinensischen Staats ebenso abgesichert werden, wie die Sicherheit Israels; eine gerechte und ehrliche Verhandlungslösung für die Flüchtlingsfrage; und, zu guter Letzt, eine Übereinkunft, durch die Jerusalem zur Hauptstadt beider Staaten wird.

Von dieser neuerlichen internationalen Initiative war die israelische Regierung jedoch alles andere als begeistert. Die Reaktion des Büros des israelischen Premiers schien sowohl jenen Skeptikern recht zu geben, die der französischen Initiative keine Chance geben, als auch, in gewissem Maß, die Annahmen zu bestätigen, auf denen diese Initiative fußt. Das Büro des Premiers jedenfalls, lehnte eine Teilnahme am Gipfel ab, betonte, man halte die Konferenz für einen Schritt in die verkehrte Richtung und erklärte, man sehe sich an Beschlüsse dieser Konferenz nicht gebunden. Netanjahu sagte: „Diese Konferenz wird von außen gelenkt – gelenkt von den Palästinensern unter dem Schutz Frankreichs –, um weitere israelfeindliche Positionen zu verabschieden.“

Theoretisch könnte die Tatsache, dass Netanjahu die französische Initiative ablehnt, im politisch zutiefst gespaltenen Israel von der Opposition scharf kritisiert werden. Ein weiterer Affront der internationalen Gemeinschaft, und das kurz nach der Schlappe, welche die jüngste Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen darstellte, könnte Netanjahus politischen Gegner Munition liefern – beispielsweise, dass die israelische Regierung ein friedenswidriges Signal an die internationale Gemeinschaft schickt und dass sie eine weitere Chance verpasst, die an dem politischen Prozess mit den Palästinenser/innen gebundenen ökonomischen und Sicherheitsfragen, die für die Zukunft des Landes entscheidend sind, zum Thema zu machen.

Es trat jedoch das Gegenteil ein, und Netanjahus Weigerung, an diesem Gipfel teilzunehmen, sorgte für keinen Streit. Viele Israelis scheinen Netanjahus Entschluss, den Gipfel zu boykottieren, zu unterstützen, und die Opposition hat beschlossen, die Angelegenheit nicht an die große Glocke zu hängen.

Die 1990er sind endgültig vorbei

Was aber besagt die fast durchgehende Skepsis, die in Israel dem anstehenden Friedensgipfel entgegenschlägt, über die Bereitschaft der Israelis, den Friedensprozess auf Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung voranzutreiben? Bedeutet es, in Jerusalem gibt es kein Interesse mehr daran, den Konflikt mit den Palästinenser/innen durch eine Zwei-Staaten-Lösung zu beenden?

Fürwahr findet die Konferenz von Paris zu einer Zeit statt, da die Hoffnung, der Konflikt könne friedlich gelöst werden, an einem Tiefpunkt angelangt ist. Immer mehr Anhänger/innen von Friedensbewegungen aus aller Welt und auch in Israel scheinen sich von der Hoffnung verabschiedet zu haben, der israelisch-palästinensische Konflikt lasse sich nachhaltig beenden, indem man die beiden Völker in zwei Staaten aufteilt. In Israel ist die Hoffnungslosigkeit besonders deutlich im einst so dynamischen Lager der Friedensfreund. Diese Gruppe, zu der sich zu Beginn der 1990er Jahre etwa die Hälfte der Bevölkerung Israels bekannte, ist zersplittert und heute entweder teilnahmslos – oder sie hofft, der internationalen Gemeinschaft werde das gelingen, woran sie gescheitert ist, soll heißen, sie könne der Regierung Israels eine Zwei-Staaten-Lösung irgendwie aufzwingen.

Die Zwei-Staaten-Lösung und das Lager der Friedenswilligen sind nicht ein und dasselbe

Ist eine Zwei-Staaten-Lösung aber wirklich ein Ding der Vergangenheit?

Jene, die sagen, eine Zwei-Staaten-Lösung habe keine Aussicht auf Erfolg, lassen sich häufig von zwei irrigen Annahmen leiten:

  1. Die Mehrheit der Israelis hat kein Interesse mehr an einem Friedensvertrag mit den Palästinensern und Palästinenserinnen, der zu einer Teilung des Landes führt – was sich daran zeigt, dass sie wieder und wieder rechte Regierungen wählen, die eine Zwei-Staaten-Lösung vermehrt ablehnen.
  2. Der Siedlungsbau, den es seit Jahrzehnten gibt, ist ein fester Bestandteil der Gesellschaft geworden und steht der Gründung eines Palästinenserstaats im Weg.

Beschäftigen wir uns mit der ersten Annahme, nämlich, dass die Israelis kein Interesse mehr an einer Zwei-Staaten-Lösung haben. Es stimmt, die israelische Linke ist ein Scherbenhaufen, und das einst florierende Lager der Friedensfreunde gibt es nicht mehr. Auch stimmt, dass die lautstärksten Politiker/innen in der Knesset einen Friedensvertrag mit den Palästinenser/innen und die Gründung eines Palästinenserstaats wieder und wieder ablehnen.

Die Zahl der Menschen, die für eine Zwei-Staaten-Lösung ist, darf man aber nicht gleichsetzen mit der Stärke des politischen Lagers der Friedensfreunde. Zwar ist richtig, dass letzteres eine Reihe von Rückschlägen erlitten hat, von denen es sich bislang auch nicht erholen konnte, aber die Frage, wie viele Menschen eine Zwei-Staaten-Lösung unterstützen, steht auf einem ganz anderen Blatt.

In der tief gespaltenen israelischen Gesellschaft ist die Zwei-Staaten-Lösung ein politisches Modell, das sich seit drei Jahrzehnten anhaltender, großer Zustimmung erfreut. Dabei handelt es sich keineswegs um ein linkes Thema oder um eine Position, die allein die Friedensfreunde vertreten. Vielmehr erfreut sich dieses Modell eben deshalb so großer Zustimmung, weil es – und das aus einer Vielzahl von Gründen –, von Menschen aus fast allen Teilen des politischen Spektrums unterstützt wird. Die Spannweite reicht dabei von kleinen linken Gruppen, die aus moralischer Überzeugung die Besetzung grundsätzlich ablehnen, bis hin zu Wähler/innen der Rechten, die nicht möchten, dass zahlreiche Palästinenser/innen in Israel leben – sei es aus wirtschaftlichen oder aus Sicherheitsgründen, oder weil sie einfach nur so wenig Palästinenser/innen wie möglich in Israel haben wollen.

In einer Umfrage vom Dezember 2016 sprachen sich 61 Prozent aller Israelis für eine Zwei-Staaten-Lösung aus – und das trotz mehrerer rechter Regierungen in Folge, einer Reihe von Gewalteskalationen und der Tatsache, dass es internationalen Initiativen nicht gelungen ist, eine Friedenslösung auszuhandeln. Sieht man sich die Umfrageergebnisse im Einzelnen an, sieht man, im Lager der Linken unterstützen 75 Prozent der Wähler/innen der zentristischen Partei Jesch Atid eine Zwei-Staaten-Lösung, während es bei der Zionistischen Union 92 Prozent sind. Besonders interessant ist aber vielleicht, dass auch 49 Prozent der Likud-Wähler/innen für eine Teilung des Landes und die Schaffung eines Palästinenserstaates sind.

Wie aber sieht es mit den Siedlungen aus? Kommt hier eine Zwei-Staaten-Lösung nicht zu spät? Kann es sein, dass die Siedlungspolitik ein zu fester Bestandteil Israels geworden ist, und ein Palästinensischer Staat in den Grenzen von 1967 also nicht mehr möglich ist?

Dem Siedlungsbau die Aura nehmen

Dem Mythos, der israelische Siedlungsbau sei ein Projekt, das nicht mehr rückgängig zu machen ist, muss die Aura genommen werden. Diese Vorstellung ist allein deswegen so verbreitet, da die Propaganda für die Siedlungen so erfolgreich war und keine wichtige politische Kraft diese Behauptung ernsthaft in Frage stellt.

Im Jahr 2017 leben im Westjordanland ganz überwiegend Palästinenser/innen, nämlich zu 82 Prozent. Hinzu kommt, 80 Prozent der Israelis, die sich jenseits der Grenzen von 1967 angesiedelt haben, konzentrieren sich auf nur vier Prozent dieses Gebiets – und die entsprechenden Gebiete würden im Rahmen eines Gebietstausches, zu dem es bei einer Zwei-Staaten-Lösung käme, Israel zugeschlagen. Entsprechend wird es gar nicht notwendig sein, zirka eine halbe Million Menschen umzusiedeln.

Wirtschaftsdaten zeigen zudem, die Siedlungen können aus eigener Kraft auf keinen Fall überleben. Sie werden von der Regierung im großen Stil subventioniert – und trotz dieser Zahlungen sank der Zuwachs an Siedlern von 10,4 Prozent auf zuletzt vier Prozent. Schließlich gibt es im Westjordanland so gut wie keine israelischen Betriebe, und die meisten Siedler pendeln zu Arbeitsplätzen in Israel.

Es fehlt die politische Kraft, die eine Zwei-Staaten-Lösung umsetzen kann

Die Zwei-Staaten-Lösung ist also alles andere als tot. Die Mehrheit der Israelis unterstützt diesen Ansatz, und die Siedlungen stehen dem nicht im Wege.

Was also ist das Problem?

Die anhaltende Kluft zwischen der recht breiten öffentlichen Unterstützung für eine derartige Lösung, einerseits, und dem politischen Stillstand, andererseits, führt zu dem irrigen Eindruck, die Lage sei ausweglos. Dabei fehlt in Israel allein eine politische Kraft, die anziehend und glaubhaft genug ist, um diese öffentliche Meinungsmehrheit auch in ein konkretes Programm umzusetzen.

Wie konnte das geschehen?

Einer der Gründe für dieses Versagen ist, dass jene politischen Kräfte, die sich in den vergangenen Jahren in Israel für eine Zwei-Staaten-Lösung engagiert haben, dies vor allem im Rahmen einer Kampagne taten, die, anstatt die Vorzüge einer Zwei-Staaten-Lösung herauszustreichen, entweder davor warnte, das Land treibe in die internationale Isolation, oder aber aus rein moralischen Gründen die Besetzung an sich verurteilten.

Während die moralische Haltung aber einfach nur wirkungslos blieb, war die Strategie, mit der internationalen Gemeinschaft zu drohen und dem, was sie möglicherweise in Zukunft gegen Israel unternehmen würde, kontraproduktiv und schadete den Fürsprechern einer Zwei-Staaten-Lösung.

Zudem machte sie es israelischen Friedensaktivist/innen schwer, in dieser Sache mit der internationalen Gemeinschaft zu arbeiten. Zum einen lag das daran, dass mit diesem Ansatz versucht wurde, Druck für eine Zwei-Staaten-Lösung zu machen, indem man das Bild eines international auf sich allein gestellten Israel an die Wand malte, und so der Zwei-Staaten-Lösung all die positiven Folgen nahm, die sie für das Land hätte. Zum anderen wurde hierdurch, bedenkt man die Gefahr von Sanktionen, der Eindruck erweckt, dass die internationale Gemeinschaft durch ihre Beteiligung am Friedensprozess Israel möglicherweise bedrohe, und das machte es der Rechten einfach, die internationale Gemeinschaft als Quertreiber darzustellen und jene Israelis, die sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, als deren Helfershelfer.

Ein weiterer Grund ist, wie die israelische Rechte mit ihren Phrasen die Art und Weise beeinflusst, in der gewöhnliche Israelis die Frage der Siedlungspolitik sehen. Die Politik Israels hat ihre Wurzeln in der traumatischen Geschichte des jüdischen Volks. Nach einem seit fast sieben Jahrzehnte andauernden Konflikt mit den Nachbarstaaten, ist die israelische Politik untrennbar damit verbunden, wie man im Lande die eigenen Sicherheitsbedürfnisse wahrnimmt. Sicherheit ist der entscheidende Gesichtspunkt, geht es um Politik allgemein – und das ganz besonders dann, wenn die politische Führung und die Öffentlichkeit über ein mögliches Abkommen mit den Palästinensern nachdenken. Dass in der inner-israelischen Debatte das Argument der Sicherheit nicht zugunsten einer Zwei-Staaten-Lösung ins Feld geführt wird, noch darauf hingewiesen wird, dass jede Fortsetzung der Siedlungspolitik der nationalen Sicherheit schadet, hat den Befürworter/innen der Siedlungspolitik entscheidend dabei geholfen, die Siedlungen als Sicherheitspuffer für ein Israel in den Grenzen von 1967 zu verkaufen, und jede Art von Palästinenserstaat als ein Sicherheitsrisiko hinzustellen.

Das Problem mit der Konferenz von Paris

Die ablehnende Art, in der die israelische Regierung auf die französische Friedensinitiative reagiert hat, war von Beginn an Teil eines inzwischen sehr weitreichenden Trends in Israel, jede internationale Beteiligung am Friedensprozess zu verwerfen. Diese ablehnende Haltung ist das unmittelbare Ergebnis der oben beschriebenen politischen Bewegungen, welche die internationale Gemeinschaft als parteiischen Vermittler darstellten, der ausländische Interessen verfolgt. Dementsprechend gilt in Israel ein multilateraler und internationaler Ansatz, den Konflikt zu lösen, als Preisgabe der eigenen Souveränität und als Kniefall vor ausländischen Interessen – und dies obgleich es für die Zwei-Staaten-Lösung an sich breite Unterstützung gibt.

Es wird in Paris nicht gelingen, die Zwei-Staaten-Lösung voranzutreiben – aber nicht etwa, weil die französische Initiative schlecht ist (neue Vorschläge werden darin nicht gemacht), sondern weil die internationale Gemeinschaft in Israel so schlecht angesehen ist. Die Gründe hierfür sind wiederum dieselben, wie jene dafür, dass es in Israel kein stimmiges politisches Programm zugunsten einer Zwei-Staaten-Lösung gibt. Es fehlt in Israel eine fundierte politische Bewegung, welche israelische Interessen vertritt und gleichzeitig auf eine Zwei-Staaten-Lösung drängt.

Resümee

Die Vorstellung, dass die beiden Völker in zwei getrennten Staaten leben sollen, ist in der israelischen Geschichte eine der wirkmächtigsten und beliebtesten politischen Forderungen. Da jedoch im Lande heute eine politische Kraft fehlt, die ein solches Programm wirksam vertritt, kann keine Friedenskonferenz und kann kein internationaler Friedensgipfel den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern voranbringen. Keine internationale Initiative kann leisten, was eine Partei in Israel tun müsste, nämlich ein nachhaltiges Abkommen mit den Palästinenser/innen vorantreiben. Dies gilt umso mehr in einer Zeit, in der das Ansehen der internationalen Gemeinschaft auf einem Tiefpunkt angelangt ist, da es ihr nicht gelingt, die anderen, drängenden Gräuel im Nahen Osten in den Griff zu bekommen.