Das Mikroplastikproblem

Die Bilder von durch Plastikmüll verschmutzten Stränden, von Seevögeln, die an Plastikteilen zugrunde gegangen sind, sind heute allgegenwärtig. Doch ebenso sehen wir Bilder von Menschen, die Strände säubern, hören von Ingenieursplänen, die die Ozeane wieder reinigen wollen. Also alles auf dem Weg zur Besserung?  

Infografik aus dem Meeresatlas 2017: Die Top-20-Länder mit dem schlechtesten Plastikabfall-Management
Teaser Bild Untertitel
(Ausschnitt aus kompletter Grafik unten)

Auf der Welt werden jährlich 300 Millionen Tonnen Plastik produziert, etwa zwei Prozent davon, ungefähr 8 Millionen Tonnen, landen im Meer. Eine gewaltige Menge – jedoch: Nur ein Prozent davon ist an der Meeresoberfläche tatsächlich auffindbar. Wiederum die Hälfte davon, also nur 0,5 Prozent, findet sich in den sogenannten Müllstrudeln, die durch die Ozeanzirkulation gebildet werden.

Wo ist der Rest? Wo sind die anderen 99 Prozent? Für die Wissenschaft tatsächlich ein Rätsel, dem man nur langsam auf die Spur kam. Erst um die Jahrtausendwende wurde klar, dass man es mit einem bisher unbekannten Phänomen zu tun hat: Mikroplastik. 80 Prozent des Plastikmülls gelangen – oft mit den Flüssen – ins Meer, 20 Prozent werden von Schiffen geworfen. Ein Teil des Plastikmülls wird mit den Meeresströmungen weit hinausgetrieben und sammelt sich teilweise in den großen Strudeln wie dem Great Pacific Garbage Patch im Nordpazifischen Wirbel.

Auf dieser Reise, die bis zu zehn Jahre dauern kann, werden die großen Plastikteile zerrieben, durch Sonnenstrahlung zersetzt und von Bakterien zerfressen – der Müll wird zu Mikroplastik, also zu Teilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind. Die Plastikmüllstrudel darf man sich daher auch nicht als massive Müllinseln, die sich im Meer drehen, vorstellen. Man könnte sie durchschwimmen, ohne das Mikroplastik zu bemerken, aus dem sie sich zusammensetzen – in einer zwar sehr hohen, aber immer noch mit dem Auge nicht wahrnehmbaren Konzentration. Größere Plastikelemente finden sich relativ selten.

Die restlichen 99 Prozent des Mülls, der vor den Küsten seine Reise begann, erreichen die Müllstrudel nie. Das Mikroplastik verteilt sich im Meer, sinkt letztlich ab, hinab in die kalten Tiefen des Ozeans. Dort, auf dem Tiefseeboden, ist die Plastikkonzentration um das 1.000-fache höher als an der Meeresoberfläche. Dort lagert sich das Mikroplastik ab, wird in die Sedimente eingebettet und bildet dort allmählich eine neue geologische Schicht, den Plastikhorizont, den Forscherinnen und Forscher der Zukunft dereinst unserer Zeit zurechnen werden. Die traurige Wahrheit: Wir nutzen die Tiefsee als gigantische Müllkippe und profitieren davon, dass sie den Großteil des Mülls scheinbar auf Dauer verschwinden lässt, ohne ihn uns wieder vor die Füße zu spülen.

Eine weitere „Plastiksenke“ ist das schwimmende Meereis – auch in ihm findet sich Mikroplastik in höchsten Konzentrationen. Doch es ist kein so stabiler Speicher wie der Meeresboden: Das beschleunigte Abschmelzen des Eises als Folge des Klimawandels könnte in den nächsten Jahren 1.000 Milliarden Plastikpartikel freisetzen, das 200-Fache dessen, das wir zur Zeit im Meer vorfinden.

Dabei ist schon jetzt der geringe Anteil Mikroplastik, der nicht absinkt, ein großes Problem: Fische halten ihn für Plankton – kein Wunder, findet sich doch an manchen Stellen schon sechsmal mehr Plastik als Plankton im Meerwasser. Sehr kleine verschluckte Teile können durch die Darmwände der Fische ins umgebende Gewebe gelangen und sich dort ablagern. Damit gelangen sie in die Nahrungsnetze und zuletzt auf unsere Teller und in unsere Mägen. Die Folgen, die der Verzehr von Mikroplastik haben kann, sind noch nicht erforscht – erst seit 2007 ist Mikroplastik überhaupt ein Thema der Forschung. Ein Ergebnis gibt Anlass zur Sorge: Die Plastikoberfläche wirkt wie ein Schwamm für Schadstoffe, hier reichern sich besonders gut Umweltgifte wie zum Beispiel PCB oder auch Krankheitserreger an, die sich so verbreiten und ganze Fischbestände bedrohen.

Ist das Plastik erst einmal im Meer, bekommt man es nicht mehr heraus. Denn den weitaus größten Anteil – das Mikroplastik – könnte man nur herausfiltern, und das ist keine Option: Zurück bliebe von allem Leben befreites Meerwasser. Bleiben die größeren Objekte, die gerade für größere Tiere so gefährlich sind. Hier wird an vielen technischen Lösungen gearbeitet – Stichwort „Ocean Cleanup“. Auch dabei muss man die ökologischen Folgen gegen den Nutzen aufrechnen, denn hierbei plant man, den Müll großflächig abzufischen, und dabei kommt es wie bei der herkömmlichen Fischerei zwangsläufig zu Beifang. Man muss fragen: Wie groß ist der Nutzen im Verhältnis zu dem Schaden, der dadurch entsteht?

Das Problem kann vor allem an Land gelöst werden. An Küsten und Flussmündungen, auf Märkten und in Haushalten. Und das ist die gute Nachricht: Wir haben es wirklich selbst in der Hand. Ein Teil des Plastikmülls im Meer stammt von Verpackungen – hier können wir direkt durch unseren Konsum Einfluss nehmen. Mikroplastik in Kosmetikprodukten sollte verboten werden. Vor allem aber gilt es, eine weltweit funktionierende Recyclingwirtschaft aufzubauen, damit weniger neue Kunststoffe erzeugt und weniger unkontrolliert entsorgt werden. Hier ist politisches Engagement der Hebel, damit die richtigen Anreize gesetzt werden. Die Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft ist vor allem eine Frage des politischen Willens.

» Den gesamten Meeresatlas können Sie hier herunterladen.