Der politische Übergang in Myanmar von einer militärischen zu einer zivilen Regierung verspricht, politische Räume für zuvor gesellschaftlich Ausgegrenzte zu öffnen. Für die LSBTI-Gemeinschaft scheinen die Früchte des Demokratisierungsprozesses allerdings noch in weiter Ferne.
Im Gespräch mit der Heinrich-Böll-Stiftung Myanmar äußert Yaya Aye Myat, Ständige Sekretärin der nationalen Transgender-Vereinigung, ihr Bedauern, dass die LSBTI-Gemeinschaft keinerlei Schutz durch das Gesetz erhält. Die Verfassung von 2008 garantiere zwar allen Menschen die gleichen Rechte und einheitlichen Rechtsschutz, aber das gelte nicht für die LSBTI, weil diese wie "Bürger_innen zweiter Klasse" behandelt würden. Das kann auch Zar Li Aye bestätigen, die Rechtsberaterin bei der Internationalen Juristenkommission ist.
In der Öffentlichkeit macht sich die Diskriminierung gegen die LSBTI, insbesondere gegen so leicht erkennbare Mitglieder der Gemeinschaft wie Transgender-Frauen, hauptsächlich in Form von gezielten polizeilichen Schikanen, Erpressung und Verhaftungen bemerkbar. Im Jahr 2013 sorgte ein Vorfall für große Empörung in der LSBTI-Gemeinschaft von Myanmar: Eine Gruppe von Schwulen und Transgender wurde von der Polizei angegriffen, willkürlich verhaftet und im Polizeigewahrsam gefoltert.
Auf einer Parlamentssitzung zu dem Vorfall befragt, antwortete der Minister für Grenz- und Sicherheitsfragen der Region Mandalay, Myint Kyu: "Schwule Männer, die sich für Frauen halten, sind nicht hinnehmbar. Deshalb gehen wir ständig gegen sie vor, halten sie auf den Polizeiwachen fest, wirken erzieherisch auf sie ein und übergeben sie dann ihren Eltern … [W]ir werden für diese Problematik einen Sonderarbeitsbereich einrichten." Der Polizeisprecher Soe Nyein äußerte gegenüber den Medien, dass die Polizei der Öffentlichkeit einen Dienst erweise, wenn sie die [LSBTI-]Gemeinschaft daran hindere, sich zu treffen.
Nach Angaben des Netzwerks für die Rechte von LSBT in Myanmar wurden die Inhaftierten erst freigelassen, nachdem sie mit ihrer Unterschrift zugesichert hatten, zukünftig keine Frauenkleider mehr zu tragen und sich nicht mehr im südöstlichen Bereich des Stadtgrabens von Mandalay aufzuhalten, wo sie verhaftet worden waren. Dies ist durchaus kein Einzelfall und deutet auf die institutionellen Strukturen hin, die Verletzungen der Menschenrechte von LSBTI auch unter der neuen Regierung ermöglichen.
Gesetzliche Bestimmungen setzen verfassungsmäßige Rechte außer Kraft
Hla Myat, Programmleiter von Myanmars LSBTI-Organisation Colors Rainbow, stellte fest, dass sich der Umgang der Polizei mit der LSBTI-Gemeinschaft kaum verbessert habe, denn: „Die Regierung hat sich zwar verändert, aber die Beamten und Funktionäre an der Basis, wie die Polizei, sind immer noch dieselben.“ Ebenso wenig wurden die gesetzlichen Bestimmungen geändert, mit denen seit Jahren die Verhaftung von LSBTI begründet wird.
Neben Artikel 377 des Strafgesetzbuchs von 1860, das gleichgeschlechtlichen Sex als Straftat definiert, werden häufig auch das Polizeigesetz von Rangun aus dem Jahr 1899 und das Polizeigesetz von 1945 herangezogen. Nach diesen Gesetzen können alle Personen verhaftet werden, die "zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang" bei "verdächtigen" Aktivitäten beobachtet oder mit "verhülltem oder auf andere Art maskiertem Gesicht"[1] angetroffen werden. Die drei Gesetze scheinen sich über die in der Verfassung garantierten Rechte auf Achtung der Privat- und Intimsphäre, auf rechtlichen Beistand und auf Schutz vor Freiheitsentzug von mehr als 24 Stunden ohne richterlichen Beschluss hinwegzusetzen.
Die verfassungsrechtliche Einschränkung, dass das Recht auf Meinungsfreiheit sowie auf friedliche Versammlung und Vereinigung nicht gegen die Gesetze verstoßen dürfe, "die für die Sicherheit des Landes, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Ruhe und des Friedens in der Gemeinschaft sowie der öffentlichen Moral erlassen wurden"[2], versetzt die LSBTI-Gemeinschaft allerdings in eine prekäre Lage, in der ihre verfassungsmäßigen Rechte nur allzu leicht willkürlich verletzt werden können.
Zar Li Aye, der LSBTI-Klienten vor Gericht vertrat, wies darauf hin, dass sich die Diskriminierung durch Behörden nicht auf die Polizei beschränke. Auch bei Gerichtsverfahren seien verschiedene Vorurteile unübersehbar und die Unschuldsvermutung scheine nicht für Angeklagte aus der LSBTI-Gemeinschaft zu gelten. Die meisten LSBTI würden überhaupt nicht gerichtlich dagegen vorgehen, wenn ihre Menschenrechte verletzt wurden, und viele würden es nicht einmal den Menschenrechtsaktivisten vor Ort oder dem LSBTI-Netzwerk berichten.
Dazu habe ein homosexueller Klient ihm einmal erklärt: „Wir sind Schwule. Artikel 377 [des Strafgesetzbuches] kriminalisiert LSBTI. Wie können wir uns da ans Gericht oder an die Polizei wenden?“ Auch Hla Myat hat viele Kommentare dieser Art gehört und sagte: „Ihnen [den LSBTI] ist nicht klar, dass das Netzwerk Veränderungen bewirken kann, weil sie im Zusammenhang mit den von der neuen Regierung versprochenen Gesetzesreformen keinerlei Verbesserungen für sich erleben. Sie glauben, dass man sich als LSBTI an Verhaftungen gewöhnen muss.“ Diese Ernüchterung und Enttäuschung macht die LSBTI-Gemeinschaft noch anfälliger für Menschenrechtsverletzungen durch die Gesellschaft.
Die Nationale Liga für Demokratie schweigt, wenn es um die Rechte von LSBTI geht
Obwohl die Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie versprochen hatte, sich für Vielfalt und Demokratie stark zu machen, zeichnet sich ihre Haltung zu LSBTI-Fragen durch Stillschweigen aus: ein Schweigen, das für die LSBTI-Gemeinschaft ohrenbetäubend ist. Das LSBTI-Netzwerk hofft, dass ihr Kampf für die Rechte, durch offizielle und inoffizielle Kanäle, nicht nur zu positiven Veränderungen bei den gesetzlichen Regelungen führen, sondern auch der gesellschaftlichen Stigmatisierung entgegenwirken wird. Das Netzwerk setzt sich für die Abschaffung von Artikel 377 des Strafgesetzbuches ein und arbeitet auch zusammen mit anderen Randgruppen an dem Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz, das die Diskriminierung unter anderem aufgrund des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit und der sexuellen Orientierung verbieten würde. Auch wenn diese Bemühungen die LSBTI-Gemeinschaft beflügeln, muss die Regierung von Myanmar als Hüter der Rechte ihrer Bürger_innen noch viel tun.
Myanmars Nationale Menschenrechtskommission ist in ihren Möglichkeiten, den Menschenrechtsverletzungen gegen die LSBTI-Gemeinschaft entgegenzuwirken, durch homophobe Einstellungen von einigen Kommissionsmitgliedern gehemmt. Yaya Aye Myat erklärte, dass die Kommission zwar unabhängig und in einem gewissen Maße auch aufgeschlossen sei, aber auf Anweisungen der Regierung arbeite. Sie wies die Heinrich-Böll-Stiftung auf ein Gespräch aus dem Jahr 2016 hin, bei dem Win Htein, ein leitender Berater von Aung San Suu Kyi, gegenüber Colors Rainbow äußerte: "Das [LSBTI-Thema] interessiert mich nicht. Dieser Thematik können wir keine Priorität einräumen. Wir haben Tausende und Abertausende von Problemen und diese Genderfragen sind nicht wichtig."
Auch wenn die Priorität der Regierung auf Frieden und Sicherheit im Land liegt, sollte ihr doch klar sein, dass ihre Prioritäten sich gegenseitig bedingen. Eine alle Bevölkerungsgruppen einbeziehende Demokratie, die allen Bürger_innen ohne Unterschied die Menschenrechte garantiert, wird zu einem nachhaltigen Frieden im Land beitragen. Als Aung San Suu Kyi 2012 von UNAIDS zur globalen Sonderbotschafterin für Null-Diskriminierung berufen wurde, sagte sie:
„Es ist für mich eine große Ehre, als Verteidigerin der Menschen ausgewählt worden zu sein, die am Rand der Gesellschaft leben und jeden Tag darum kämpfen müssen, ihre Würde und ihre grundlegenden Menschenrechte zu bewahren. Ich möchte die Stimme der Stimmlosen sein.“
Die LSBTI-Gemeinschaft in Myanmar braucht diese Stimme.
Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers "Wie LSBTI-Menschen weltweit für ihre Rechte kämpfen".
[1]Polizeigesetz von Rangun (Burma Act IV, 1899), Artikel 30 c und d, sowie das Polizeigesetz (Burma Act VI, 1945) Artikel 35 c und d.
[2] Verfassung der Republik der Union Myanmar (2008), Artikel 347.