Über nachhaltige Investitionspolitik in Deutschland, Afrika und anderswo

Das Modell öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) wird im Rahmen der Infrastruktur-Investitionspolitik der G20 als eine Art Wundermittel – für Wachstum und Wohlstand und zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele – angesehen und weltweit systematisch gefördert. Doch was haben Privatisierungspläne in Deutschland mit Modellen für globales Wirtschaftswachstum und Investitionspolitik zu tun?

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Öffentliche Infrastruktur: Wer investiert? Wer profitiert? Und wer zahlt?

Warum diese Studie am Vorabend des G20-Gipfels in Hamburg?

Die Kooperation mit den Autor/innen des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand und die Idee zu dieser Studie entstanden im Rahmen unserer internationalen Arbeit zur kritischen Begleitung der Investitionspolitik der G20. Die Präsidentschaft dieses informellen Klubs von 19 der stärksten Wirtschaftsmächte und der EU hat Deutschland am 1. Dezember 2016 übernommen.

Das mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Da ist einerseits die Arbeit eines privatisierungskritischen Bürger/innennetzwerkes in Deutschland. Es klärt über verschiedene Formen von Privatisierung nach dem Modell der öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) auf und schafft Öffentlichkeit, um zu verhindern, dass Steuermittel und Gebühren in Erhalt, Ausbau und Betrieb von öffentlich finanzierten Infrastrukturen der Daseinsvorsorge fließen, während die Gewinne daraus privat angeeignet werden können. Das aktuelle Beispiel ist die Debatte um die Infrastrukturgesellschaft, die in Zukunft die Verwaltung und den Betrieb von Autobahnen in Deutschland übernehmen soll. Doch das könnte erst der Anfang sein: Das zugrundeliegende Modell kann auch auf jeden anderen Bereich der Daseinsvorsorge, wie z.B. den Schulbau, übertragen werden.

Da ist andererseits die jahrelange kontinuierliche Beobachtungsarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung zu den politischen Bemühungen der G20, einen globalen Konsens zur Infrastruktur-Investitionspolitik herbeizuführen. Das ÖPP-Modell wird dabei als eine Art Wundermittel – für Wachstum und Wohlstand und zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele – angesehen und weltweit systematisch gefördert.

Was also hat das eine mit dem anderen zu tun? Wie greifen nationale und internationale Ebene ineinander?

Die Autor/innen beleuchten die aktuellen Entwicklungen von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPPs) in Deutschland und ordnen sie historisch ein. Die Ergebnisse dieser kritischen Aufarbeitung fügen sich nahtlos in das Bild unserer internationalen Beobachtungen zur Modellentwicklung für die Investitionspolitik der G20: Sie setzt auf Infrastrukturinvestitionen, um das globale Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Die Idee ist, öffentliches Geld – ob aus Steuergeldern, aus Nutzungsgebühren wie der Maut oder aus Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit – einzusetzen und institutionelle Anleger (wie Pensionsfonds, Versicherer oder Staatsfonds) für eine Kofinanzierung von Infrastrukturinvestitionen im Rahmen von ÖPPs zu gewinnen.

Die 2016 im Ergebnis der chinesischen G20-Präsidentschaft gegründete „Global Infrastructure Connectivity Alliance“ will diese Pläne unterstützen und miteinander verzahnen, etwa den „Juncker-Plan“ in Europa, das afrikanische „Program for Infrastructure Development in Africa“ (PIDA) oder das chinesische Seidenstraßen-Projekt, das China mit Europa, Nahost und Afrika unter Einsatz eines Investitionsvolumens von 900 Milliarden US-Dollar verbinden soll. Nationale, regionale und multilaterale öffentliche Banken, mehrheitlich unter der Kontrolle von G20-Mitgliedsstaaten, haben sich zusammengeschlossen, um den Investitionsbedarf zu decken, den die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Christine Lagarde kürzlich auf 90 Billionen US-Dollar bezifferte. Diese Banken konzentrieren ihre Investitionen auf die wirtschaftlich relevanten Sektoren Energie, Transport, Wasser und Informationstechnologie. Geplant sind Megakorridore, die den Handel innerhalb und zwischen den Kontinenten beflügeln sollen. Standardisierte Projektvorbereitungsprozesse und die Bereitstellung entsprechender Vertragsmuster sollen diesen Prozess international beschleunigen und Pipelines von bankfähigen Projekten entstehen lassen. Wir befinden uns also in einer Ära in der „Entwicklung“ sich stark an Infrastrukturinvestitionspolitik ausrichtet.

Wer investiert? Zu welchem Zweck?  

Deutschland hat im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft einen Afrika-Schwerpunkt gesetzt und bereitet mit der Verknüpfung eines „Marschallplans für Afrika“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und einem „Compact mit Afrika“, einer Investitionsinitiative des Bundesfinanzministeriums (BMF), bilaterale Partnerschaften mit Ländern vor, in denen man bereits ausreichend gute Rahmenbedingungen für Investoren sieht. Diese Investitionsinitiative des Bundesfinanzministeriums ordnet sich in die Logik des Infrastruktur-Investitionskonsenses der G20 und der multilateralen Banken ein. So sollen, wenn es nach der Weltbank geht, künftig Rentner/innen im Vereinigten Königreich davon profitieren können, wenn Menschen im tansanischen Dar es Salaam Mautgebühren zahlen.

In den Ländern des globalen Südens geht es vielerorts zunächst um nachholende Entwicklung. In den alten Industrieländern, so auch in Deutschland, bedarf es umfangreicher Investitionen in den Erhalt und Ausbau und in den ökologischen Umbau bestehender Infrastrukturen. Der Anlagewert der öffentlichen Infrastrukturen in Deutschland beträgt rund zwei Billionen Euro, allein der jährliche Ersatzbedarf dafür liegt bei 50 bis 67 Milliarden Euro. Die OECD beziffert den weltweiten Finanzierungsbedarf für Infrastrukturen auf rund zwei Billionen US-Dollar pro Jahr. Es wird aber nur rund eine Billion US-Dollar jährlich investiert, vorwiegend durch die öffentliche Hand. Es besteht also kein Zweifel, dass eine gut durchdachte Investitionspolitik eine globale Aufgabe ist.

Das Design von Infrastrukturfinanzierungen hat weitreichende Auswirkungen auf Umwelt, soziale Gerechtigkeit, Entwicklung und öffentliche Haushalte. Mit den 2015 auf UN-Ebene verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitszielen verbindet sich die Hoffnung auf Fortschritt durch Infrastrukturinvestitionen, die an die globalen Herausforderungen zur Bekämpfung des Klimawandels und der Armut angepasst sind. Die negativen Auswirkungen von Infrastrukturinvestitionen auf Mensch und Umwelt sind jedoch ebenfalls bekannt: Von Großstaudämmen über Bergbau-, Öl- und Gasprojekte bis hin zu Straßen und Häfen haben Großprojekte in der Vergangenheit dazu geführt, dass Menschen vertrieben und ihrer Lebensgrundlagen beraubt, Ökosysteme zerstört und grundlegende Menschenrechte verletzt wurden.

Die entscheidenden Fragen für eine kritische Begleitung jeglicher Infrastrukturpolitik – national wie international – sind deshalb: Wer investiert? Zu welchem Zweck? Wer profitiert? Wer zahlt? Und schließlich: Wem gehört die so entstehende Infrastruktur, und wer kontrolliert ihr Gedeihen und eine nachhaltige Bewirtschaftung?

Bei der Analyse der bevorzugten Finanzierungsmodelle sind wir sowohl in Deutschland als auch in unserer internationalen Arbeit überall auf das Modell öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPPs) gestoßen. Die Argumente dafür sind immer dieselben: Die öffentlichen Kassen sind leer; gut verpackt kann man mit ÖPPs die tatsächlichen öffentlichen Schulden schönen; Finanzmarktakteure finden neue Anlagemöglichkeiten. Tatsächlich sind Investitionen in Infrastrukturprojekte für sie wegen eines geringen Risikos und vergleichsweise hoher Renditen in Zeiten von Niedrigzinspolitik besonders interessant. ÖPPs und Infrastrukturgesellschaften repräsentieren also eine vermeintliche Win-win-Situation: Wohlstand und Entwicklung im globalen Süden, sichere Renditen im reichen Norden.

Das ÖPP-Modell wird deshalb nicht nur für deutsche Autobahnen bevorzugt, sondern auch im Rahmen der G20. Es wird darüber hinaus aber auch von der UN stark gefördert. ÖPPs sind im Nachhaltigkeitsziel 17 verankert. Dort werden die Mittel zur Umsetzung der 16 anderen Ziele dargelegt. Selbst in den Indikatoren zur Umsetzung dieses Zieles wird die reine Anzahl von ÖPPs – ohne Hinterlegung qualitativer Kriterien entlang der oben formulierten Fragen! – als ein Erfolgskriterium genannt. Das Modell findet sich auch im Rahmen der sogenannten Addis Abeba-Agenda der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung wieder. Dort wird ebenfalls stark auf die Mobilisierung privaten Kapitals für Entwicklungsaufgaben gesetzt. Im Rahmen der Diskussionen um das Nachhaltigkeitsziel 17 wurde zeitweilig sogar über ÖPP-Pools und die Bündelung verschiedener Vorhaben nachgedacht, um die Risiken zu moderieren. Die Idee: Anlagen weniger risikobehafteter Projekte sollen mit solchen „gebündelt“ werden, bei denen das Risiko größer ist.

Klingt vertraut? Kein Wunder: Hier finden sich altbekannte Muster, die zur Finanzkrise 2008 beigetragen haben. Es geht um die Finanzialisierung von Infrastrukturprojekten als neue Anlageformen. Die G20 erhofft sich damit die Wiederbelebung und Stabilisierung der Finanzmärkte – eines ihrer wesentlichen selbstgesetzten Ziele nach der Krise von 2008.

Keine Pauschalkritik an der Einbeziehung des Privatsektors, aber…

Aufgrund des weltweit sehr hohen Investitionsbedarfs sind ÖPPs die modernste Form umfangreicher Privatisierung. In der vorliegenden Studie finden sich zahlreiche Argumente, warum eine Privilegierung des ÖPP-Modells in Deutschland gegenüber der öffentlichen Vergabe für die anstehenden nötigen Investitionen nicht angemessen ist: weil darüber Gewinne privatisiert und Risiken sozialisiert werden, weil die Kosten, die ÖPPs verursachen, für die Allgemeinheit langfristig nicht niedriger, sondern höher sind, und weil Politik und öffentliche Verwaltungen an Einfluss verlieren und Kernkompetenzen, etwa an private Beratungsfirmen übertragen und große Konzerne Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Mittelstand erlangen können.

Und, es stellt sich eine Kernfrage der Demokratie: Durch einseitige Verträge wird das Recht des Staates, im Interesse von Mensch und Umwelt zu regulieren, eingeschränkt, damit die Rechte von Investoren Vorfahrt haben. International passiert genau das gerade im Rahmen der Erarbeitung von Standard-Vertragsentwürfen für ÖPP-Vorhaben durch die Weltbank. Während der Protest gegen den Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus im Rahmen von TTIP noch nicht verklungen ist, sollen das Prinzip der Privilegierung der Rechte von Investoren und Garantiezusagen zum Schutz ihrer Investitionen künftig in jedem einzelnen ÖPP-Vertrag festgeschrieben werden. Das führt nicht nur zu einem Kontrollverlust der Parlamente, wo sie denn überhaupt effektiv arbeiten können, sondern zerstört darüber hinaus einen Sozialvertrag des Staates mit seinen Bürger/innen im Interesse von Rechtsstaatlichkeit und Regulierungshoheit zugunsten von nationalen Sozial- und Umweltstandards und zum Schutz der Menschenrechte.

Es geht uns nicht um eine Pauschalkritik gegen die Mobilisierung des Privatsektors für die anstehenden enormen Zukunftsaufgaben. Aber das global favorisierte Design für öffentlich-private Partnerschaften ist nicht zukunftsfähig – nicht in Deutschland, wo Bürger/innen und die Oppositionsparteien den Plänen zur Schaffung einer „Infrastrukturgesellschaft Autobahnen“ widersprochen haben, - und nirgendwo. Es belastet die Steuerzahler/innen und insbesondere künftige Generationen mit Schattenhaushalten und Risiken. Denn sie sind es, die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge im Krisenfall „retten“ müssen – mit tiefgreifenden Folgen, wie die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat. Dazu verengt das Investitionsmodell die Möglichkeiten für eine verbesserte Umwelt- und Sozialgesetzgebung, es gefährdet demokratische Errungenschaften wie öffentliche Kontrolle und Mitbestimmungsrechte – bei uns und anderswo.

Das können wir, das dürfen wir nicht zulassen.