Ausgerutscht beim WTO-Tango: Argentiniens schlechter Start in die G20-Präsidentschaft

Die argentinische Regierung verweigert NGOs den Zugang zur WTO-Ministerkonferenz. Der Ausschluss der Zivilgesellschaft ist kein gutes Zeichen für die G20-Präsidentschaft, die Argentinien am 1. Dezember 2017 übernommen hat.

Eröffnungspressekonferenz der WTO-Ministerkonferenz 2017
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Eröffnungspressekonferenz: Mit WTO-Sprecher Keith Rockwell, General-Direktor Roberto Azevêdo und MC11-Vorsitzende Susana Malcorra am 10. Dezember 2017

Das hat es noch nie gegeben, noch nicht einmal 2001 in Katar: Argentinien als Gastgeber der WTO-Ministerkonferenz verweigerte die Akkreditierung und Einreise von 65 Vertreter/innen von etwa 20 Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Gewerkschaften, darunter langjährige Beobachter der WTO-Verhandlungen. Betroffen waren auch deutsche Organisationen, darunter Ernst-Christoph Stolper, stellvertretender Vorsitzender des BUND und von 2011 bis 2012 grüner Staatssekretär in Rheinland-Pfalz. Die meisten betroffenen Organisationen sind im weltweiten Netzwerk “Our World ist not for Sale” organisiert, das schon seit vielen Jahren die globalen Handelsverhandlungen kritisch begleitet.

Begründet wurde die Annullierung der bereits erfolgten Akkreditierungen in einem Schreiben des Außenministeriums zunächst mit Sicherheitsargumenten. Die betroffenen Personen und Organisationen hätten angeblich in sozialen Netzwerken zur Gewalt aufgerufen, um eine Atmosphäre der Einschüchterung und des Chaos zu erzeugen, so das argentinische Außenministerium. Belege für diese Behauptungen blieben die argentinischen Behörden bis heute schuldig. Die Anwälte des Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) legten Rechtsmittel für die Betroffenen ein. Für Petter Titland (Attac Norwegen) und die britische Journalistin Sally Burch, die zu Big Data arbeitet, kamen die Rechtsmittel zu spät. Beiden wurden die Einreise am Flughafen verweigert und sie flogen daher zurück.

Weitere Vertreter/innen der Zivilgesellschaft, darunter auch Partnerorganisationen der Heinrich-Böll-Stiftung trafen die Entscheidung, aufgrund der unsicheren Lage, ihre Teilnahme abzusagen.

Ein diplomatisches und PR-Desaster

Dem WTO-Sekretariat war der Vorgang sichtlich peinlich. In ihrem Schreiben an die bereits akkreditierten NGO-Vertreter versuchte sich das Sekretariat der Organisation so weit als möglich zu distanzieren. “Fragen Sie das argentinische Außenministerium” war die lapidare Botschaft der WTO-Akkreditierungsstelle an die betroffenen NGO-Vertreter/innen.

E-Mail des WTO-Sekretariats an die bereits akkreditierten NGO-Vertreter/innen

Das beispiellose Vorgehen wuchs sich zum PR-Desaster für die argentinische Regierung aus: Sowohl die Financial Times wie auch die New York Times kritisierten das Vorgehen der argentinischen Regierung. Die argentinischen Nichtregierungsorganisationen, darunter die von der Regierung selbst als C-20 Vorsitzende eingesetzte Organisation Poder Ciudadano, äußerten ihre Kritik in einem Offenen Brief an die Regierung. Die WTO-kritischen Nichtregierungsorganisationen erhielten plötzlich eine ungeahnte Aufmerksamkeit der internationalen Presse für ihre Stellungnahmen.

Zum PR-Desaster gesellte sich ein diplomatisches Debakel: Die EU-Handelskommissarin Malmström schrieb einen Brief an den argentinischen Außenminister, in dem sie die Rücknahme der Entscheidung forderte. Berichten zufolge protestierten die Botschaften Deutschlands, Frankreichs, Kanadas, Brasiliens und die EU-Delegation bei der argentinischen Regierung aufgrund der Zurücknahme der Akkreditierung ihrer Staatsbürger.

Zurückrudern und weitere Einschränkungen

Diplomatische Proteste und Rechtsmittel zeigten Wirkung. Zahlreiche Aktivist/innen wurden zwar auf dem Flughafen aufgehalten, konnten aber nach Intervention der Botschaften einreisen. Auch die Einreiseverbote gegen Ernst-Christoph Stolper, Petter Titland und Sally Burch wurde aufgehoben. Titland reiste daraufhin am Sonntagnachmittag ein, Burch entschied sich jedoch gegen eine erneute Reise nach Buenos Aires.

Nach Angaben der Regierung blieben am Ende 42 Personen ohne Akkreditierung. Abgelehnt wurden auch die Rechtsmittel, die das CELS eingelegt hatte. Die NGO-Vertreter/innen seien nicht aufgrund politischer Motive, sondern wegen Verletzungen der Einreisebestimmungen abgelehnt worden - eine nachgeschobene Begründung, die im offensichtlichen Widerspruch zur vorherigen Presserklärung des argentinischen Außenministeriums steht.

Der Rechtsanwalt Diego Morales, der die Klage im Namen von CELS eingereicht hatte, kommentierte die richterliche Entscheidung kritisch: “Der argentinische Staat hat nach wie vor nicht erklärt, wie und mit welchen Kriterien die Liste erarbeitet wurde”. Außer den beiden Personen, die zurückgewiesen worden sei, habe die Regierung weiteren Personen die für eine Teilnahme am WTO-Prozess notwendigen Visa verweigert. Hier dränge sich der Verdacht auf, dass angebliche Verletzungen der Einreiseregeln selektiv auf politisch unerwünschte Personen angewandt wurden.

Erwähnenswert, wenn auch eher symbolisch bedeutsam ist in diesem Kontext, dass den Nichtregierungsorganisationen die Teilnahme an der offiziellen Eröffnung der Ministerkonferenz im Kongresszentrum von Buenos Aires verwehrt wurde. Deborah James, Koordinatorin des Netzwerks “Our world is not for sale” berichtet, dass üblicherweise in der Vergangenheit 50 Plätze in der Eröffnungssitzung für NGOs reserviert waren. Nun also Ausschluss - und die NGOs im mehrere Kilometer entfernten Konferenzgebäude “Centro Cultural Kirchner” wurden per Eil-Mail um 14:15 Uhr zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert, um ab 15 Uhr die Vorbereitungen für einen hochrangigen Empfang in den Abendstunden zu ermöglichen.

Schrumpfende Spielräume für die Zivilgesellschaft in Argentinien

In Buenos Aires wird gerätselt, was das ausgesprochen plumpe Vorgehen der argentinischen Regierung motiviert, welches so offensichtlich das von Präsident Macri gepflegte Selbstbild eines weltoffenen Argentiniens demontiert. Ist es einfach nur Unfähigkeit der Sicherheitsorgane, die angesichts einer im Vorfeld geschürten Angst vor gewalttätigen Protesten blindlings jedwede Organisation unter Generalverdacht stellten, die sich schon einmal durch WTO-Kritik hervorgetan hat?

Das Geschehen rund um die WTO-Konferenz fügt sich jedenfalls ein in eine Serie von beunruhigenden Ereignissen der letzten Tage. Am 3. Dezember erfolgte ein Einbruch in die Büroräume der Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung Observatorio Petrolero Sur (OPSUR), die sich kritisch mit Fracking befasst. Zwei fünf Jahre alte Laptop-Computer und etwas Bargeld wurden entwendet, wohingegen die Büros benachbarter Organisationen unberührt blieben. Man kann nur spekulieren, dass die Diebe es weniger auf den kommerziellen Wert der Computer als auf die darauf befindlichen Informationen abgesehen hatten.

Die Spielräume für die argentinische Zivilgesellschaft verschlechtern sich im zweiten Jahr von Macris Präsidentschaft spürbar. Während staatliche Institutionen im Jahr 2016 soziale Konflikte eher auf dem Verhandlungsweg zu lösen versuchten, verschärfte sich in diesem Jahr die Polizeigewalt, rechtlich abgefedert durch neue Sicherheitsprotokolle und Gesetzesentwürfe. Eine jüngere Studie des renommierten Instituts CELS spricht von besorgniserregenden Einschränkungen des Demonstrationsrechts.

Menschenrechtsorganisationen zeigen sich ferner besorgt über zwei Todesfälle, die im Zusammenhang mit Konflikten um indigene Ländereien stehen: Santiago Maldonado und Rafael Nahuel. Sie weisen darauf hin, dass die Regierung gegenüber Mapuche-Organisationen eine Politik der harten Hand anwendet und befürchten, dass sich der Trend der Militarisierung indigener Konflikte 2018 noch verstärken dürfte, da an Land und Ressourcenkonflikten beteiligte Mapuche-Organisationen zunehmend als Terroristen diffamiert würden.

Auch wenn nun letztlich ein Großteil der Zivilgesellschaft an den Aktivitäten im Rahmen der WTO-Konferenz teilnehmen kann, bleibt ein schlechter Nachgeschmack angesichts des willkürlichen Ausschlusses von mehr als 40 Vertreter/innen. Argentinien hat sich mit diesem Vorfall kräftig blamiert. Damit setzt das Land keine guten Vorzeichen für seine G20-Präsidentschaft, die es am 1. Dezember 2017 von Deutschland übernommen hat. Dass die als C-20 organisierte Zivilgesellschaft auch keinen Cent an Unterstützung erhalten soll, ist ein weiterer Pinselstrich im Bild einer Regierung, die mit zivilgesellschaftlicher Kritik auf Kriegsfuß steht und in zunehmendem Maße auf repressive Maßnahmen zurückgreift, um kritische Stimmen einzudämmen.