Appell an die Staats- und Regierungschefs der G20

Statement

Die massive Repression und Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume muss gerade jetzt prominent auf die Agenda des G20 Gipfels. Das allgemeine Lippenbekenntnis zur demokratischen Teilhabe der Bundesregierung als Gastgeberin reicht hier nicht aus. Ein Statement zur Bundespressekonferenz am 03. Juli 2017 von Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung an die Staats- und Regierungschef der G20.

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stftung

Wenn in dieser Woche die Regierungschefs der 19 Mitglieder der G20 und die EU nach Hamburg kommen, lässt sich mit aller Klarheit festhalten: von China bis Mexiko, von der Türkei bis Russland, von Saudi-Arabien bis Indien, werden diese fundamentalen Menschenrechte nicht mehr garantiert. Das gilt auch für einige Mitglieder der EU wie Ungarn oder Polen.

Die Versammlungs-, Meinungs-, und Vereinigungsfreiheit sind universelle Menschenrechte, geltendes Völkerrecht, und das Rückgrat einer jeden Demokratie die ihren Namen wert ist. Sie sind die Voraussetzung für ein Leben in Würde und die Gestaltung einer zukunftstauglichen Welt.

Wir erleben eine beispiellose Repressionswelle gegen zivilgesellschaftliche Aktivist/innen, Menschenrechtsverteidiger/innen, Journalist/innen und Blogger/innen, Gewerkschafter/innen und gegen politische Opposition – ihre Handlungsspielräume werden eingeschränkt. Shrinking Space ist ein verharmlosender Terminus - es handelt sich längst um Closed Space.

Laut der internationalen Organisation CIVICUS kann die Zivilgesellschaft nur in 26 von 195 Ländern noch frei agieren – das sind nur 3 Prozent der Weltbevölkerung!

Kritische Stimmen gegen herrschende Politik, gegen Korruption und politische Willkür, gegen Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit, werden in G20 Ländern wie Russland, China, Saudi-Arabien oder der Türkei mundtot gemacht.

Die Mittel der Wahl sind vielfältig: Diffamierungs-und Hetzkampagnen, Bezichtigung als Terroristen, Zensur, Überwachung und Zensur von online-Plattformen und Kommunikation.

Alleine 2015 wurden in 65 Ländern NGO-Gesetze mit einschränkenden Maßnahmen beschlossen. Diese Gesetze zielen vor allem darauf ab, die Finanzierung von außen massiv zu reglementieren. Organisationen wird so die Existenzgrundlage entzogen, sie werden als „westliche Agenten“ (Russland, Israel) diffamiert und unter Generalverdacht gestellt, gegen die nationalen Interessen eines Landes zu arbeiten.

Als Vorwand führen Regierungen für gewöhnlich die nationale Sicherheit ihres Landes und die Bewahrung traditioneller Werte und Kultur an: So werden z.B. in der Türkei und Russland Lesben, Schwule und Transgender verfolgt.

Doch Repressionen sind nicht nur durch autoritäre Regime der G20 zu erleben: Auch in Brasilien, Mexiko, Indien oder Indonesien werden Journalist/innen und Aktivist/innen, die sich für ihre Rechte und gegen Umweltzerstörungen durch Bergbau und Infrastrukturprojekte, und gegen politische Willkür zur Wehr setzen, eingeschüchtert oder gleich mit dem Leben bedroht und auch getötet.

In Indien werden Frauen, Indigene, Muslime und Christen im Namen des Hindu-nationalismus diskriminiert und Organisationen und Aktivist/innen die – oft mit internationaler solidarischer Unterstützung - für Menschenrechte eintreten, als Volksverräter/innen diffamiert und kriminalisiert.

In Mexico wurden zwischen Januar 2015 und Juli 2016 12 Personen, unter ihnen Menschenrechtsverteidiger/innen, Journalist/innen und Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen, bespitzelt. Außerdem ist Mexiko nach Syrien das Land mit der höchsten Todesrate durch vorsätzliche Gewalt: Seit 2006 sind dort rund 185.000 Menschen umgekommen, seit 2000 wurden 106 Journalist/innen ermordet.

Ähnliche Trends lassen sich im globalen Kampf um natürliche Lebensgrundlagen und Ressourcen beobachten: laut der Organisation Global Witness war 2015 Brasilien das tödlichste Land für Umwelt- und Landaktivist/innen – 185 Menschen sind in 16 Ländern umgekommen, davon alleine 50 in Brasilien.

Jede Form der Kritik an den politischen, sozialen und ökologischen Verhältnissen soll im Keim erstickt werden. Es geht um Privilegien und Machterhalt ökonomischer und politischer Eliten. Der Anspruch auf demokratische Teilhabe und fundamentale Grundreche werden der Zivilgesellschaft und der politischen Opposition verwehrt.

Alle G20 Länder haben die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterschrieben. Wir und die deutsche Präsidentschaft sollten die Regierungschefs der G20 daran erinnern und einfordern, dass die G20-Regierungen sich damit verpflichtet haben, die Menschenrechte zu garantieren und zu schützen.

Sie stehen gemeinsam in der Verantwortung, auch die Handels- und Investitionspolitik nicht losgelöst von Menschenrechtsfragen und demokratischer Teilhabe zu gestalten. Hier haben auch die demokratischen G20-Länder massiven Nachholbedarf.

Neo-liberale Sparprogramme und große Investitionsprojekte in Infrastruktur haben nämlich schwerwiegende soziale und ökologische Folgen, gegen die Menschen protestieren und Einspruch einlegen dürfen müssen. Das ist ihr Menschenrecht und ein Grundpfeiler demokratischer Teilhabe.

Die massive Repression und Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume muss prominent auf die Agenda des G20 Gipfels. Das allgemeine Lippenbekenntnis zur demokratischen Teilhabe der Bundesregierung als Gastgeberin reicht hier nicht aus.

Sie tritt das Transparenz- und Teilhabegebot selbst mit Füßen, wenn sie bilaterale Handelsabkommen wie das jüngst bekannte mit der EU- und Japan hinter verschlossenen Türen und ohne jede öffentliche Debatte abzuschließen versucht. Oder wenn sie Überwachungstechnologien an offen repressive Regime liefert, die gegen politische Opposition und Aktivist/innen eingesetzt wird.

Glaubwürdigkeit sieht anders aus.


Weitere Statements auf der Bundespressekonferenz am 03. Juli 2017: