Osteuropa auf dem Weg zur Energiewende

Veranstaltungsbericht

Der weitgehende Umstieg auf erneuerbare Energieträger bis 2050 ist auch für die Ukraine und Belarus technisch möglich und ökonomisch sinnvoll. Zu diesem Schluss gelangen die nach anerkannten wissenschaftlichen Modellen berechneten Szenarien, deren Ergebnisse am 8. Dezember 2017 in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin präsentiert und diskutiert wurden.

Solarpark
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Solarpark Starokozache im Gebiet Odessa, Ukraine

Sowohl in Belarus als auch in der Ukraine formierten sich vor zwei Jahren Koalitionen von Nichtregierungsorganisationen, Instituten und Verbänden, um gemeinsam die Daten für die Modellierung zusammenzutragen und Annahmen für die Zukunft zu diskutieren.

Ziel war es, nach der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens durch beide Länder Schwung in die nationalen Debatten über die praktische Realisierbarkeit von erheblichen Emissionsminderungen zu bringen.

Für Belarus übernahm das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Modellierung nach dem Muster des für Greenpeace schon mehrfach umgesetzten „Energy [R]Evolution Scenario“, für die Ukraine das Nationale Institut für Wirtschaft und Prognose der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, nach dem sogenannten TIMES-Modell. Beide unabhängig voneinander durchgeführten Projekte waren von der Kiewer Vertretung der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt worden.

Vor allem durch Effizienzsteigerungen insbesondere im Wärmesektor lässt sich laut beiden Untersuchungen der Primärenergiebedarf um mehr als ein Viertel reduzieren - trotz Annahme eines stetigen Wirtschaftswachstums bis 2050. Fossile Treib- und Brennstoffe im Wärme- und Transportsektor können dabei durch kostengünstig erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien – und hier vor allem Wind und Photovoltaik – ersetzt werden.

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Deshalb würde der Strombedarf in beiden Ländern steigen. Investiert werden müsste zwar mehr als im Falle der Referenzszenarien, die eine Fortschreibung der bisherigen Energiepolitik annehmen. Dieser zusätzliche Investitionsbedarf ist aber deutlich niedriger als die Einsparungen durch den Wegfall des Einkaufs von fossilen Energierohstoffen – daher würde sich der Umstieg auf Erneuerbare auch volkswirtschaftlich für die beiden Länder lohnen.

Weniger Abhängigkeit vom Import von Energieträgern

Und vor allem wäre auch die klimapolitische Zielsetzung auf diese Weise zu erfüllen: Treibhausgasemissionen können bis 2050 auf ca. ein Zehntel reduziert werden, wobei bis dahin ein Auslaufen aller derzeit noch laufenden ukrainischen sowie des einen kurz vor der Fertigstellung stehenden belarusischen Atomreaktoren angenommen wurde. Ein noch wichtigeres Motiv für eine solche Transformation des Energiesektors.

Neben diesen Parallelen in den Zielszenarien bis 2050 für beide Länder sollte aber vor allem die steigende Energiesicherheit aufgrund der reduzierten Abhängigkeit vom Import von Energieträgern als entscheidende Motivation zur Kenntnis genommen werden. Darauf verwies Ivan Filiutsich, Analyst am Institut für Energietechnik der Belarusischen Akademie der Wissenschaften und Leiter der an der Belarus-Studie beteiligten belarusischen Expertengruppe, gleich zu Beginn seiner Präsentation der wichtigsten Ergebnisse.

Ansonsten unterschieden sich die Ausgangsbedingungen beider Länder doch erheblich. Filiutsich würdigte den in Belarus durch nationale Politikanstrengungen bereits erreichten Fortschritt bei der Steigerung der Energieeffizienz, unterstrich aber gleichzeitig die weiterhin bestehenden Einsparpotenziale.

Obwohl Sonneneinstrahlung und Windgeschwindigkeiten in Belarus im Vergleich zu vielen anderen Ländern ungünstiger ausfielen, seien die rentablen Potenziale dennoch groß genug. Im errechneten Szenario für 2050 erreichen die Erneuerbaren einen Anteil von 80 Prozent am Primärenergiebedarf des Landes, im Stromsektor allein sogar 92 Prozent.

Die bevorstehende Inbetriebnahme des neuen Atomkraftwerks von Ostrowjets ist die größte Herausforderung

Irina Sukhi, Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Ecodom“ und Koordinatorin der für die Studie gebildeten zivilgesellschaftlichen Beratergruppe, sieht gute Chancen, mit den Ergebnissen an die Diskussion prioritärer politischer Projekte der Regierung wie der Nachhaltigkeitsstrategie und die Konzeption für Energiesicherheit anknüpfen und auch die 2018 bevorstehende Überarbeitung des belarusischen Beitrags zu können.

Bislang umgesetzte Maßnahmen zur Förderung Erneuerbarer würden das Wachstum der Erneuerbaren aufgrund der geltenden Quoten allerdings eher begrenzen. Die wohl größte Herausforderung sei aber die voraussichtlich 2020/-21 bevorstehende Inbetriebnahme des ersten Blocks des neuen Atomkraftwerks von Ostrowjets.

Gasbasierte Stromerzeugung kann damit kaum ersetzt werden, da diese mit der Wärmeversorgung verbunden sei. Es entstünde ein erheblicher Stromüberschuss im belarusischen Netz, und für den Zubau von Wind- und Sonnenstromkapazitäten bestünde entsprechend wenig Bedarf.

Die Ergebnisse der Berechnungen für die Ukraine stellte Yuliia Oharenko vor. Die unabhängige Analystin zu Fragen der Energiewirtschaft und Ko-Autorin der Studie hob hervor, dass auch in den Berechnungen für das „Revolutionäre Szenario“ ein verbleibend hoher Anteil von energieintensiver Industrie - etwa in der Chemie- und der Metallurgie-Branche angenommen wurde.

Selbst unter dieser Maßgabe sei ein Umschwenken auf eine im Jahr 2050 zu 91% auf heimisch erzeugten erneuerbaren Energien basierende Wirtschaft technisch machbar und ökonomisch sinnvoll. Die umfangreichen Investitionen könnten geradezu wie ein zusätzliches Konjunkturprogramm wirken.

Die energiepolitische Einordnung der Studienergebnisse

Die Wirtschaftlichkeit der Dekarbonisierung würde noch steigen, wenn, wie international erwogen, Preise für CO2-Emissionen in die Kalkulation einbezogen würden. Insgesamt basiere damit das „Revolutionäre Szenario“ auf eher konservativen Annahmen, sodass sogar eine noch günstigere Bilanz nicht unwahrscheinlich wäre.

Die energiepolitische Einordnung der Studienergebnisse übernahm Iryna Holovko, Energieexpertin der Umweltorganisation „Ecoaction“ aus Kiew. Sie unterstrich zunächst den produktiven Charakter der Diskussionsprozesse im Rahmen der Vorbereitung der Studien mit einem so großen interdisziplinären Kreis von ukrainischen Akteuren und Akteurinnen.

Sie beklagte, die offizielle Energiestrategie 2035 der Regierung würde lediglich die Entwicklung aller Sektoren der Energiewirtschaft fortschreiben, aber keine strategische Zielvision verfolgen und die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen nicht eindämmen. Die Energieintensität des Landes solle nach der Strategie selbst im Jahre 2035 noch nicht das heutige Niveau der östlichen EU-Mitgliedsländer erreichen.

Für die 2018 auch in der Ukraine anstehende Überarbeitung der bisher vollkommen unambitionierten nationalen Ziele im Rahmen des Pariser Klimaprozesses biete die Studie eine hervorragende Grundlage. Ein breiter Ausbau der Erneuerbaren in der Ukraine brauche aber vor allem ein verbessertes Investitionsklima.

Energieeffizienz müsse auch im Staatshaushalt als prioritär angesehen werden, nicht nur in Sonntagsreden. Würde es hier vorangehen, könnten schnell marode Kohlekraftwerke und alte Atommeiler vom Netz genommen werden.

Bürgerschaftlich organisierten Energiegenossenschaften

Einen besonderen Teilaspekt einer „Energiewende“ in Osteuropa, nämlich die Potenziale von bürgerschaftlich organisierten Energiegenossenschaften, untersuchten Katharina Habersbrunner von der Organisation Women Engage for a Common Future (WECF) aus München und Zoran Kordic, Mitbegründer der Organisation „Green Energy Cooperatives“ aus Zagreb in ihrer gerade abgeschlossenen Analyse, die ebenso von der Heinrich-Böll-Stiftung mit unterstützt wurde.

Energiegenossenschaften werden hierbei verstanden als eine Form von Bürgerenergie, bei der sich Einzelpersonen und/oder Kleinunternehmen zum Zweck des gemeinschaftlichen Baus und Betriebs lokaler energietechnischer Anlagen zusammenschließen.

Die in verschiedenen EU-Ländern praktizierten Modelle von Energiegenossenschaften leisten Beiträge etwa zum Ausbau und zur Akzeptanz erneuerbarer Energiequellen und von Energieeffizienztechnologien, somit direkt und indirekt auch zur Reduzierung von CO2-Emissionen, zur Beteiligung breiter Bevölkerungskreise an Gewinnen aus der Energieerzeugung oder zur Sicherung der örtlichen Energieversorgung und lokaler Wertschöpfung.

Auf Basis von Interviews mit Expert/innen aus den acht postsozialistischen Ländern Armenien, Belarus, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Kroatien, Moldau, Serbien und Ukraine legten die Autor/innen nun den Grundstein für eine Bestandsaufnahme zur Entwicklung solcher Genossenschaftsmodelle in der Region. Wirklich etablierte Energiegenossenschaften bestehen nirgendwo.

Großes Potenzial der Bürgerenergie

In der Regel schließen die rechtlichen Rahmenbedingungen die Gründung von Genossenschaften aber nicht aus. Katharina Habersbrunner und Zoran Kordic identifizierten interessante Pilotprojekte z.B. in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Georgien, deren Erfahrungen für interessierte Initiativen aus der Region wertvoll sein können.

Neben Know-how-Transfer müsse v.a. der Rechtsrahmen für Bürgerenergieprojekte in den Ländern gestärkt werden. Eigenerzeugung und -verbrauch, der Anschluss an Stromnetze und Selbstvermarktung von dezentral erzeugtem Strom müsste ermöglicht werden. Hinderlich sind hierbei die verbreiteten Monopolstrukturen in der Energiewirtschaft. Vielfach sei aber auch die Kultur bürgerschaftlicher Beteiligung am Gemeinwesen generell schwach ausgeprägt.

Insgesamt bescheinigten beide Autor/innen der Bürgerenergie ein großes Potenzial, in der Region nicht nur zur energetischen Transformation, sondern etwa durch gezielte Beteiligung von benachteiligten Gruppen der Gesellschaft auch zu einer sozial nachhaltigen Entwicklung, lokaler Wertschöpfung und zur Verringerung von Energiearmut beizutragen.

 

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