Die Uhr tickt für Präsident Zuma

Interview

Am 8. Februar sollte Südafrikas Präsident seine Rede zur Lage der Nation halten. Dass sie kurzfristig abgesagt wurde, kann nur eines bedeuten: Die Macht innerhalb des ANC, der regierenden Partei, hat sich verschoben und Jacob Zuma steht kurz vor dem Abgang.

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Präsident Jacob Zuma während einer Rede im Parlament

Heinrich-Böll-Stiftung: Am 8. Februar sollte der südafrikanische Präsident Jacob Zuma das parlamentarische Jahr mit einer Rede offiziell eröffnen. Diesmal wurde die mit Spannung erwartete „State of the Nation Address“ jedoch kurzfristig abgesagt. Was bedeutet das?

Al-Zubaidi: Die alljährliche Parlamentseröffnung in Südafrika ist ein Riesenspektakel. Alle politischen und diplomatischen Amtsinhaber/innen reisen nach Kapstadt, und die Parlamentarier/innen zeigen sich in Roben, die einer Oscar-Verleihung würdig wären. Allseits wartet man gebannt auf die Rede des Präsidenten, die die großen Herausforderungen des Landes umreißt und politische Lösungen vorschlägt. Die Rede ist gewichtig, da sie den politischen Ton setzt. Noch nie in der Geschichte der südafrikanischen Demokratie ist sie abgesagt worden. Die Absage ist ein logistischer Albtraum und kann nur eines bedeuten: Die Macht innerhalb des ANC, der regierenden Partei, hat sich verschoben und Zuma steht kurz vor dem Abgang.

Warum hat der ANC nicht noch etwas gewartet?

Im vergangenen Dezember fand eine große Parteikonferenz statt, in der der ANC seinen Parteipräsidenten wählte. Die Ergebnisse waren gespalten. Zuma schart immer noch Loyalisten um sich, aber eine kritische Masse innerhalb des ANC scheint begriffen zu haben, dass der südafrikanischen Öffentlichkeit die Geduld ausgegangen ist. Der Auftritt des Präsidenten hätte bitteren Spott und Proteste ausgelöst. Die Kritik, dass der ANC nicht mehr reformierbar ist, mehrte sich. Prognosen für die Nationalwahlen in 2019 besagten, dass der ANC erstmalig seine Mehrheit verlieren könnte. Die Partei muss der Bevölkerung nun also zeigen, dass sie in der Lage ist, das Ruder umzureißen.

Die Verbreitung von Korruption in Südafrika ist schon lange bekannt. Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

In den vergangenen Monaten enthüllten explosive Email-Leaks und investigative Berichterstattung schockierende Details über das Ausmaß an Selbstbereicherung im Kreis um Zuma. Der Begriff „state capture“ – die systematische Kaperung der demokratischen Institutionen – bestimmt seit Monaten die Schlagzeilen.

Der größte E-Mail-Leak der südafrikanischen Geschichte, die sogenannten „Gupta-Leaks“, stammen aus dem Imperium der Guptas, einer indischen Unternehmerfamilie, die in den 1990er Jahren nach Südafrika einwanderte und ein Milliardengeschäft aufbaute. Die Guptas sind eng mit Jacob Zuma befreundet und pflegen Geschäftsbeziehungen mit seiner Familie. Diese Freundschaft hat ihnen unredliche Macht über die Politik beschert.

Die südafrikanischen Bürger/innen vermuteten schon seit langem, dass die politischen Weichen nicht mehr im Parlament gestellt wurden. In den E-Mails konnten sie aber nun schwarz auf weiß lesen, wie sich die Guptas mithilfe ihrer Geschäftspartner/innen strategisch in den Vorständen von Staatsunternehmen positionierten und sich damit lukrative Aufträge in Schlüsselsektoren wie Transport, Energie und Bergbau sicherten. Kaum einer nimmt Zuma also noch ernst, wenn er davon spricht, im Interesse der südafrikanischen Verfassung und Bevölkerung zu handeln.

Warum ist es angesichts dieser bekannten Verbrechen so schwer, Jacob Zuma abzusetzen?

Zuma vermochte es geschickt, die Macht auf sich zu zentrieren und einen Kreis von Loyalisten und Profiteuren um sich aufzubauen. Sie sind in seine Verbrechen involviert und hatten daher bisher kein Interesse daran, dass er abtritt. Systematisch kreierte er einen mafiösen Schattenstaat, und stützte sich dabei auf die Geheimdienste. Was seine politischen Gegner/innen angeht, so setzte Zuma in den vergangenen Jahren ein ganzes Arsenal an Einschüchterungen, Drohungen und Diffamierung ein, um sie auszuschalten. Er besetzte die Steuerbehörde und das Finanzministerium um und ließ integre Funktionär/innen ausschalten. Der Morast ist tief, und die Kette der Profiteur/innen reicht weit.

Zumas Anhänger/innen kündigten an, dass seine Absetzung „Bürgerkrieg“ bedeuten würde. Seine Gegner/innen müssen also vorsichtig vorgehen, um den ANC nicht so weit zu spalten, dass er auseinanderreißt.

Was hat die Dezember-Konferenz des ANC verändert?

Am 18. Dezember 2017 ging Cyril Ramaphosa, der Vize-Präsident Südafrikas, siegreich aus der Wahl zum Parteipräsidenten hervor. Die Wahl galt als richtungsweisend, denn aussichtsreich war auch Nkosazana Dlamini-Zuma, die von Zuma favorisierte Kandidatin. Der knappe Sieg Ramaphosas ließ viele Südafrikaner/innen aufatmen. Er wird nun als Nachfolger Zumas gehandelt. Die Erwartungen an Ramaphosa sind hoch. Er soll mit der endemischen Korruption aufräumen, wirtschaftliche Reformen einleiten, und das Vertrauen in die Demokratie wiederherstellen, die Zuma zerstört hat. Er steht vor einer Mammutaufgabe.

Seine Wahl löste aber schon in den vergangenen Wochen überraschend viele Blockaden auf. Korrupte Vorstände in Staatsunternehmen wurden zum Rücktritt bewogen, die Integrität der Staatsanwaltschaft wiederhergestellt, und Zumas Plänen zum Ausbau von Atomstrom eine Absage erteilt. Die Wahl ergab aber auch eine Machtbalance. Die sechs wichtigsten Posten im ANC und das Nationale Entscheidungsgremium der Partei teilt sich halb und halb in das Unterstützer/innen- und Gegner/innencamp Zumas auf. Ramaphosa versucht nun mit einer Politik der Annäherung, sein eigenes Lager zu stärken und die Unterstützer/innen Zumas von der Notwendigkeit seines Rücktritts zu überzeugen.

Was hatte sich Präsident Zuma von der Kandidatin Nkosazana Dlamini-Zuma erhofft?

Vor Gericht warten über 700 Anklagen auf Jacob Zuma, die meisten davon haben mit unlauteren Geschäften zu tun. Er kann nicht mit rechtlicher Immunität rechnen, denn diese wäre verfassungswidrig. Daher hatte Zuma an der Spitze der Staatsanwaltschaft einen Loyalisten eingesetzt, der ihn bisher vor einer Strafverfolgung bewahrte. Die Mauer, die er zu seinem Schutz errichtet hatte, begann jedoch zu bröckeln. Richter/innen, Medien und Zivilgesellschaft kratzten mit wachsendem Druck an ihr. Dlamini-Zuma ist eine Ex-Frau Zumas, und sie haben gemeinsame Kinder. Zuma erhoffte sich wahrscheinlich von ihr, dass sie ihm mit politischen Mitteln helfen würde, seinen Rücken zu stärken.

Ramaphosa befindet sich derzeit in Verhandlungen mit Zuma. Was hat er vor?

Ramaphosas Ziel ist es, Zuma zum Abgang zu bewegen. Zuma wird diesen jedoch an Bedingungen knüpfen. Rechtliche Immunität wird Ramaphosa ihm nicht gewähren können, aber es wird in den Gesprächen sicherlich um einen sanften Abgang gehen. Es kann durchaus sein, dass Zuma noch einige Asse im Ärmel hat, die er versucht auszuspielen. Zum Beispiel Informationen, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Ramaphosa muss derzeit Kritik einstecken, dass er Zuma mit Wattehandschuhen anfasst. Es wird ihm jedoch nicht viel anderes übrig bleiben. Sein Programm ist es, die Einheit der Regierungspartei zu bewahren. Dies kann er nicht erreichen, wenn er Zuma öffentlich demütigt.

Was steht auf dem Spiel für den ANC?

Der ANC erlitt in den vergangenen Jahren erhebliche Wahlverluste. In den Kommunalwahlen verlor er wichtige Metropolen wie Johannesburg, Pretoria und Nelson Mandela Bay an die liberale Oppositionspartei Democratic Alliance (DA). Kapstadt befindet sich bereits seit langem in der Hand der DA, die vor allem mit ihrer sauberen Verwaltung punkten konnte. In den vergangenen Jahren trat zudem eine neue Partei auf die Bühne, die Economic Freedom Fighters, die sich politisch links vom ANC aufstellten und sich „Zuma must pay back the money!“ zum Schlachtruf machten.

Die Zeit bis zu den Nationalwahlen in 2019 ist noch lang, und Ramaphosa muss in dieser Zeit liefern. Die Partei muss beweisen, dass sie die Demokratie, die sie selbst geschaffen hat, respektiert, und das Land aus der massiven sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit führen kann. Eine offene Spaltung würde die Partei jedoch ebenso schwächen wie fortgesetzte korrupte Missstände. Es ist also ein delikater Drahtseilakt. Ein Journalist bezeichnete die Verhandlungen zwischen Ramaphosa und Zuma als Boxkampf. Zuma wird zu Boden gehen. Es braucht jedoch seine Zeit.