Was Wien richtig macht

Best Practice

Wien gilt als Welthauptstadt der Lebensqualität. Aber warum lebt es sich in Wien so gut? Und was hat das mit Mobilität zu tun?

Kommunale Verkehrswende in Wien. Foto Menschen gehen über einen Zebrastreifen

Wien liegt auf Platz eins. Und zwar gleich in zwei der großen internationalen Rankings zur Lebensqualität in Großstädten 2018: dem „Quality of Living City Ranking“ der Unternehmensberatung Mercer und dem „Global Liveability Index“ des Wirtschaftsmagazins „The Economist“. Aber warum lebt es sich in Wien so gut? Natürlich profitiert die Stadt von einer schillernden Geschichte, die sie zu einem der wichtigsten kulturellen Zentren der Moderne machte, genauso wie von der schönen Lage an der Donau und am östlichen Alpenrand. Aber die Lorbeeren der Vergangenheit machen allein noch keine moderne, lebenswerte Stadt. Was macht Wien also richtig?

Auf einen Nenner gebracht: Es ist die Wertschätzung, welche die Stadt und ihre Bewohner/innen dem öffentlichen Raum entgegenbringen. Diese zeigt sich im kommunalen Wohnungsbau ebenso wie in den Investitionen in den öffentlichen Verkehr und der Gestaltung von Straßen und Plätzen. Das berühmte genießerische öffentliche Leben in den Wiener Kaffeehäusern ist ein so klischeehaftes wie treffendes Bild für diese Haltung.

Mobilität – mitgeplant, öffentlich finanziert, vorwärts gedacht

Ein Musterbeispiel für die starke öffentliche Daseinsvorsorge ist das 365- Euro-Ticket: Die Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr kostet einen Euro pro Tag, das Ticket gilt im ganzen Verkehrsverbund. Stadt und Bund lassen sich das kosten: Sie bezuschussen den ÖV jährlich mit 700 Millionen Euro. In der österreichischen Hauptstadt gibt es deshalb mehr Jahreskartenbesitzer/innen als Autohalter/innen. Flankiert werden die Investitionen in den ÖPNV von einer kostengerechten Parkraumbewirtschaftung.

2015 wandelte die Stadt die größte Einkaufsstraße Österreichs, die Mariahilfer Straße, in eine Begegnungszone um. Zuvor war die Verkehrsberuhigung zeitlich begrenzt getestet worden. 2014 sprach sich eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der Anrainer in einer Bürgerbefragung für die permanente Umwandlung aus. Seitdem ist die Zustimmung stark gestiegen. Bereits kurz nach der Fertigstellung der Umgestaltung lag sie bei 71 Prozent. Kein Wunder: Rad- und Fußverkehr haben zugenommen, die Verkehrssicherheit ist stark gestiegen und die Mieten sind stabil geblieben.

Kommunale Verkehrswende

E-Mobilität, Ride Sharing, ÖPNV: Wir zeigen die besten Praxisbeispiele für die kommunale Verkehrswende in Deutschland und Europa. Und fragen: Wie sieht die lebenswerte Stadt der Zukunft aus?

Antworten gibt es in unserem Dossier zu Kommunalen Verkehrswende. 

Bei der Stadtentwicklung denkt Wien die Mobilität immer mit. Für den neuen Stadtteil „Seestadt Aspern“ – einem der größten laufenden Stadtentwicklungsprojekte Europas – hat die Stadt bereits einen U-Bahn-Anschluss geschaffen, obwohl der Bau des neuen Viertels noch gar nicht abgeschlossen ist. Mit der Planung der Seestadt beauftragte Wien das Büro „Gehl Architects“ aus Kopenhagen, das unter dem Stichwort „Stadt für Menschen“ für seine lebendige Gestaltung des öffentlichen Raums bekannt geworden ist. Darüber hinaus hat die Stadt in Aspern ein „urbanes Mobilitätslabor eingerichtet“ – ein Forum, in dem Bewohner/innen, Wissenschaftler/innen, Planer/innen und Politiker/innen Wissen und Ideen austauschen. Ziel ist es, eine gesunde und aktive Mobilität zu fördern, lokale Sharing-Dienste im Sinne von „Mobility as a Service“  zu vernetzen und intelligente Lösungen für die Logistik auf der letzten Meile in der Seestadt zu finden.[9]

Bezahlbarer Wohnraum, langfristige Stadtentwicklung

Neben einer niedrigen Kriminalitätsrate, einer starken Wirtschaft und einem guten Gesundheitssystem ist auch die Bezahlbarkeit des Wohnraums ein wichtiges Kriterium für Lebensqualität. Zwar steigen auch in Wien die Mieten, aber der Quadratmeterpreis liegt mit 9,60 Euro deutlich niedriger als in den meisten anderen westeuropäischen Großstädten. Der Mietwohnungsanteil liegt mit 77 Prozent rekordverdächtig hoch. Das liegt auch daran, dass die Stadt ihren Besitz aus dem kommunalen Wohnungsbau nicht an private Investoren verscherbelt hat.

Die Sorge für den öffentlichen Raum spiegelt sich auch in den langfristigen Stadtentwicklungsplänen Wiens wider. Mit „STEP 2025“ hat die Stadt ein Leitbild für die Stadtentwicklung formuliert, nach dem sie eine qualitätsvolle Urbanität in allen Stadtteilen anstrebt. Teil von „STEP 2025“ ist das Programm „Smart City Wien“, das eine Steigerung der Lebensqualität in den Bereichen Energie, Mobilität, Gebäude und Infrastruktur mit der Prämisse „radikaler Ressourcenschonung“ verbinden will. Ein „Projektierungshandbuch Öffentlicher Raum“ definiert die Qualitätsstandards für die Planung. Auffällig ist, dass bei diesen langfristigen Strategien Kommunikation, Bürgerbeteiligung und Monitoring immer zentral mitgedacht werden und nie nur unter ferner liefen auftauchen.

Freie Stadträume, Platz für Initiativen

Natürlich kann öffentlicher Raum nicht am Reißbrett entstehen. Nur im Zusammenspiel zwischen engagierten Bürgerinnen und Bürgern und der zur Verfügung gestellten Infrastruktur entsteht ein lebendiger öffentlicher Raum. Ein schönes Beispiel für die Eroberung des Stadtraums sind die „Grätzloasen“ („Grätzl“ = Kiez, Stadtviertel) des Vereins „Lokale Agenda 21“. Der Verein finanziert Projektideen von Bürgern, die dazu einladen, den öffentlichen Raum zu entdecken, zu genießen oder zu gestalten. So entstehen begrünte Parklets, Kinderspielplätze oder lange Tafeln, an denen man eine Mahlzeit teilt oder gemeinsam Musik macht – spontan und überraschend, auf Parkplätzen, Gehwegen oder mitten im Straßenraum.

Die Ideengeber/innen und Teilnehmer/innen sind international und sozial durchmischt, man begegnet neuen Menschen und teilt sich die Stadt fair und solidarisch. Die Projektanträge auf der Website sind in sechs Sprachen erhältlich.

Es ist nur eine von vielen Stadtinitiativen, aber sie zeigt: Die Wiener/innen beherrschen die Kunst, auf der Klaviatur einer Stadt zu spielen. Und im Gegenzug werden die „Grätzloasen“ von der Stadt unterstützt.