Die „Frauen für den Frieden“

1982 wurde in der DDR ein neues Wehrdienstgesetz verabschiedet: Künftig sollten bei einer Mobilmachung auch Frauen eingezogen werden. Dagegen formierte sich Widerstand, Frauen organisierten sich in autonomen Gruppen, den Frauen für den Frieden.
Ökumenische Gruppe "Frauen für den Frieden" Magdeburg

Entstehung

Die ‚Frauen für den Frieden‘ sind Teil der unabhängigen, nichtstaatlichen Friedensbewegung der DDR, die sich ab Ende der 1970er-Jahre in Abgrenzung zur staatlichen Friedenspolitik der DDR etablierte. Unabhängig und nichtstaatlich deshalb, da die DDR für sich in Anspruch nahm, der ‚Friedenstaat‘ überhaupt zu sein und der Träger der eigentlichen Friedensbewegung somit in den staatlichen Organisationen zu suchen sei.

Die ostdeutschen Frauen für den Frieden-Gruppen entstanden etwa zeitgleich wie die westeuropäischen Gruppen und bezogen sich auch auf diese, basierten aber auf systemimmanenten Ursachen.1 Anlass für die Gründung war die Verabschiedung eines neuen Wehrdienstgesetzes durch die Volkskammer (25.3.1982), das im Falle des Verteidigungszustandes auch die Einbeziehung von Frauen in den aktiven Wehrdienst vorsah. Aus Protest gegen dieses Gesetz kam es zunächst zu spontanen Erklärungen einzelner Frauen, die in Briefen und Eingaben ihre Verweigerung ankündigten. Nachdem die staatliche Reaktion darauf gering war, fanden sich Frauen zusammen, um am 12. Oktober 1982 eine gemeinsame Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker zu schreiben.2 Diese umfasste etwa 150 Unterschriften – eine unter den Bedingungen der DDR ausgesprochen große Zahl.

In der Eingabe erklärten die Frauen, dass sie „Armeedienst für Frauen nicht als Ausdruck ihrer Gleichberechtigung, sondern als einen Widersinn zu ihrem Frau-Sein“ verstünden. Gleichzeitig forderten sie eine „gesetzlich verankerte Möglichkeit der Verweigerung“.3 Eingaben waren die einzige legale Möglichkeit, Einspruch gegen staatliche Maßnahmen einzulegen. In Reaktion darauf wurden Frauen einzeln zu Vernehmungen durch die Staatssicherheit vorgeladen, bedroht und eingeschüchtert4, es kam sogar zu Verhaftungen in Berlin (Bärbel Bohley und Ulrike Poppe) und Halle (Katrin Eigenfeld). Daraufhin entwickelte sich Protest sowohl in der DDR selbst als auch vonseiten der westeuropäischen Friedensbewegung. Aufgrund dieses öffentlichen Druckes entschloss sich der DDR-Staat dazu die Friedensfrauen freizulassen.5

Es war vonseiten der Frauen zunächst nicht intendiert, eine Gruppe bzw. eine Frauengruppe zu gründen. Erst über die gemeinsame Aktion fanden die Frauen zusammen und beschlossen zunächst in Berlin und kurz danach in Halle, später aber auch in anderen Orten der DDR als Gruppen zusammenzuarbeiten. Der Zusammenschluss erfolgte, da zum einen die zunehmende Repression des Staates eine engere Zusammenarbeit nahelegte, aber auch, weil die Frauen die Erfahrung machten, dass in einer reinen Frauengruppe andere Themen und auf andere Art kommuniziert werden konnte als in den gemischtgeschlechtlichen Oppositionsgruppen, in denen viele der Protagonistinnen zuvor aktiv gewesen waren. Die Frauenfriedensgruppen übernahmen hier eine wichtige sozialisatorische Funktion und spielten eine große Rolle in der eigenen Auseinandersetzung mit dem eigenen Frau-Sein.6

Aktionen

Die Zeit der größten öffentlichen Aktionen lag insbesondere in den Jahren 1982–1985.7 Die von den Frauen gewählten Aktionsformen waren zum Beispiel Eingaben- und Unterschriftenaktionen, Gemeindetage, Bitt- und Klagegottesdienste und die Teilnahme an Friedenswerkstätten. Zu den Veranstaltungen konnten jeweils Hunderte von Frauen mobilisiert werden.8

Eine der bekanntesten Aktionen waren die Politischen Nachtgebete für Frauen. Das erste wurde Anfang 1984 von der Berliner Gruppe unter dem Motto Kommt laßt uns klagen, es ist an der Zeit, wir müssen schreien, sonst hört man uns nicht initiiert. Weitere folgten, wodurch eine noch größere Anzahl an Frauen mobilisiert werden konnte. Mit diesen Aktionen konnte innerhalb der evangelischen Kirche ein halböffentlicher Raum geschaffen werden, in dem offen diskutiert werden konnte und Menschen über das klagen konnten, was sie bewegte. Dieser Rückgriff auf Klagegottesdienste hatte auch den politischen Hintergrund, dass ein im Gebet geäußerter Satz auch in der DDR nicht strafrechtlich verfolgt werden durfte.9

Die Frauen für den Frieden (Ost) verstanden sich stets als Teil der internationalen Frauenfriedensbewegungen. Es gab beispielsweise persönliche Kontakte zu den Frauen für den Frieden (West) aber auch nach Skandinavien und zu den britischen END-Frauen (European Nuclear Disarmament). Die Frauen für den Frieden (Ost) agierten blockübergreifend. Im November 1983 unterstützten sie einen Appell der Grünen an die Abgeordneten des Bundestages, die Raketenstationierung abzulehnen, 1984 unterzeichneten sie ein Grußwort an die im September 1984 stattfindende Frauenfriedenskonferenz in Nordirland und 1985 beteiligten sie sich gemeinsam mit italienischen Friedensfrauen an der Abfassung eines Offenen Briefes zu den beginnenden Genfer Abrüstungsverhandlungen.10

Netzwerke

Die Frauenfriedensgruppen standen von Anfang an untereinander in Kontakt, was nicht zuletzt daherkam, dass sich viele der Protagonistinnen bereits über Aktivitäten in der unabhängigen Friedensbewegung oder in anderen Oppositionsgruppen kannten bzw. sich die Frauen für den Frieden entlang bereits bestehender Netzwerke entwickelt hatten. Seit 1984 bestand eine geregelte Kommunikation der Gruppen dank DDR-weiter Treffen von Frauengruppen. Das erste dieser Treffen wurde von der Hallenser Gruppe organisiert und fand vom 14. bis zum 15. September 1984 statt. Weitere folgten im jährlichen Abstand, 1985 in Berlin, 1986 in Leipzig, 1987 in Magdeburg, 1988 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) und 1989 in Jena. Ziel war es, eine eigene Frauenfriedensbewegung der DDR aufzubauen.11 Ab Mitte der 1980er-Jahre nahmen verstärkt auch feministische Gruppen und Lesbengruppen an diesen Vernetzungstreffen teil, und eine kleine unabhängige Frauenbewegung begann sich herauszubilden.12

Systemopposition vs. Feminismus

Diese Ausweitung war nicht konfliktfrei und es gab auf den Vernetzungstreffen immer eine Konfliktlinie zwischen den feministischen Gruppen und denen, die sich primär als ‚politische‘ Gruppen verstanden. Während für Erstere Frauenthemen und Patriarchatskritik im Mittelpunkt standen, war für Letztere die Systemopposition zentral, welcher die Frauenfrage untergeordnet war. Ein Großteil der Frauen für den Frieden verstanden sich, vor allem in den Gruppen in Berlin und Halle, in erster Linie als Teil der Friedensbewegung und erst dann als Frauengruppen.13 Die Frauenfrage wurde von diesen Frauen zwar als wichtig, aber nicht als „wirklich politisch“ verstanden.14 Für später gegründete Frauen für den Frieden-Gruppen (Leipzig, Magdeburg, Jena) waren Frauenfragen jedoch ungleich zentraler, weshalb diese durchaus auch weiter an den Treffen teilnahmen bzw. diese sogar initiierten, wohingegen die ‚politischeren‘ Frauenfriedensgruppen sich zunehmend aus diesen nun feministischer ausgerichteten Vernetzungstreffen zurückzogen.

Die Frauen für den Frieden (Ost) waren von daher im Hinblick auf den Stellenwert feministischer Themen sehr heterogen zusammengesetzt. Auch insgesamt fand sich in diesen Gruppen eine sehr inhomogene Klientel zusammen: von der Marxistin über die Lesbe und Feministin bis hin zur stark kirchlich gebundenen Frau und Theologin bildeten die Frauen für den Frieden (Ost) eine Art Sammelbecken für ganz unterschiedliche Motivlagen, die sich unter dem Minimalkonsens der Systemopposition zusammenfanden.15  Dadurch initiierten sie die Entstehung einer unabhängigen Friedensbewegung der DDR – nicht zuletzt durch das Schaffen einer Vernetzungsmöglichkeit – wesentlich mit, trugen diese aber nur zu einem kleinen Teil selbst.

Innerhalb der Bewegungsszene der DDR übernehmen die Frauen für den Frieden die Funktion einer Brückenorganisation, indem sie gleichermaßen Verbindungen in die (gemischtgeschlechtliche) Friedens- und Oppositionsbewegung und auch zur Frauenbewegung herstellten. So waren sie beispielsweise in der Anfang 1986 gegründeten (gemischtgeschlechtlichen) Initiative Frieden und Menschenrechte aktiv, genauso wie in lesbischen und feministischen Gruppen.16

Mitinitiatorinnen der Bürgerbewegungen des Herbstes 1989

Nach dem Abflauen der Friedensbewegung und mit der Entwicklung der unabhängigen Frauenbewegung der DDR ab Mitte der 1980er-Jahre begannen sich die Frauen für den Frieden organisatorisch auseinanderzuentwickeln: in diejenigen, die sich stärker in der unabhängigen Frauenbewegung verorteten, und diejenigen, für die die Systemopposition im Mittelpunkt der politischen Aktivität stand. In den verschiedenen Bürgerbewegungen des Herbstes 1989 gehörten viele der Frauen für den Frieden zu den Mitinitiatorinnen der gemischtgeschlechtlichen Bürgerbewegungsgruppen. Hier waren sie oft an zentraler Stelle tätig wie beispielsweise Bärbel Bohley, Katrin Eigenfeld, Jutta Seidel, Erika Drees oder Katja Havemann als Erstunterzeichnerinnen des Aufrufes zur Gründung des Neuen Forums oder Ulrike Poppe als Mitbegründerin von Demokratie Jetzt. Ein kleinerer Teil der Frauenfriedensgruppen, vor allem aus dem Süden der DDR, gehörte zu den Mitbegründerinnen des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV).


Dieser Text ist zuerst im Digitalen Deutschen Frauchenarchiv erschienen.

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