Jedes Jahr geht auf der ganzen Welt ein Teil der landwirtschaftlichen Produktion durch Schädlingsbefall und Pflanzenkrankheiten verloren. Pestizide sollen dagegen helfen. Dabei verursachen sie neue Probleme.
Chemie verändert landwirtschaftliche Produktion
Gravierende Hungersnöte und ökonomische Umbrüche nach Ernteausfällen gab es in der Geschichte schon immer. Stets haben Menschen dagegen gekämpft – zum Beispiel durch bestimmte Anbaumethoden und Fruchtfolgen, die Unkräuter und Schädlinge vermeiden sollten. Im Rahmen der industriellen Revolution entstanden schließlich die ersten chemisch-synthetischen Pestizide: Sie versprachen den Schutz der Ernte bei gleichzeitiger Arbeitserleichterung. Ab den 1940er-Jahren begannen Chemieunternehmen damit, Pestizidprodukte mit einem breiten Wirkungsspektrum zu vermarkten. Sie waren für ganze Gruppen von Organismen giftig und erwiesen sich im Vergleich zu den zuvor verfügbaren Mitteln als besonders effektiv.
Angebot steigt schneller als Nachfrage
Die eingesetzte Pestizidmenge steigt seit Jahrzehnten an: Zwischen 1990 und 2017 um etwa 80 Prozent. Das Zusammenspiel von Pestiziden, Dünger und technischem Fortschritt trug dazu bei, dass sich die landwirtschaftliche Produktion grundlegend verändert hat. Da Bäuerinnen und Bauern Krankheiten und Schädlinge nun durch Pestizide statt durch Fruchtfolgen und Fruchtkombinationen in Schach hielten, konnten sich enge Fruchtfolgen immer gleicher Kulturpflanzen etablieren. Das Ergebnis: Ohne Pestizide ist die heutige industrielle Landwirtschaft großenteils nicht mehr vorstellbar. Durch kapitalintensive Inputs stiegen in vielen Industrieländern seit den 1950er-Jahren die Erträge und damit das Angebot an landwirtschaftlichen Produkten deutlich schneller als die Nachfrage – was im Resultat zu immer billigeren landwirtschaftlichen Produkten und schlechterem Einkommen für die Landwirtinnen und Landwirte führt. Parallel zum Pestizideinsatz intensivierte sich die wissenschaftliche Forschung. Immer mehr Erkenntnisse haben Fachleute darüber gewinnen können, wie sich Pestizide auf die menschliche Gesundheit auswirken und die Umwelt belasten können.
Klimawandel begünstigt weltweiten Pestizidabsatz
Heute liegt die jährlich ausgebrachte Pestizidmenge bei circa 4 Millionen Tonnen weltweit. Fast die Hälfte davon sind Herbizide, die gegen Unkräuter verwendet werden; knapp 30 Prozent sind Insektizide, die gegen schädliche Insekten wirken und etwa 17 Prozent sind Fungizide gegen Pilzbefall. Marktanalysen bezifferten den globalen Pestizid-Marktwert im Jahr 2019 auf fast 84,5 Milliarden US-Dollar. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate lag seit 2015 bei mehr als 4 Prozent – für die kommenden Jahre könnte sie steigen. Bis 2023 wird eine Wachstumsrate von 11,5 Prozent und damit ein Anstieg auf fast 130,7 Milliarden US-Dollar Marktwert prognostiziert. Zusammen hängt dieser deutliche Anstieg auch mit der Klimakrise: Ein US-Forschungsteam der Universität von Seattle hat kalkuliert, dass pro Grad Erderwärmung die Ernteerträge von Reis, Mais und Weizen um 10 bis 25 Prozent sinken könnten. Die Gründe dafür sind vielfältig. So verändert der Klimawandel zum Beispiel Schädlingspopulationen und das Verhältnis von Schädlingen und Nützlingen. Hinzu kommt, dass die Widerstandskraft der Pflanzen gegen Schädlinge infolge von klimabedingtem Stress sinkt.
Hochtoxische Pestizide töten Pflanzen, Tiere und Menschen
Historisch betrachtet geht die Nutzung von Pestiziden in unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlicher Intensität und zeitlichem Ablauf einher. Die 1960er-Jahre gelten als Zeitalter der „Grünen Revolution“, in der die Landwirtschaft in den Ländern des globalen Südens den Entwicklungen im globalen Norden durch Technologietransfer folgen sollte. Das erklärte Ziel war, durch den Einsatz von Pestiziden, Düngern, Hochertragssorten und Bewässerung den Ertrag deutlich zu steigern. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Wissenschaftler sehen in der „Grünen Revolution“ den Beginn einer gescheiterten landwirtschaftlichen Entwicklung, durch den viele Bäuerinnen und Bauern seitdem in verzweifelte Lebenssituationen gerieten. Zum Beispiel haben sich im globalen Süden viele Menschen verschuldet, um teure Produktionsmittel zu kaufen. Die Selbsttötungen von Bäuerinnen und Bauern mit Hilfe von Pestiziden wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO als globales Problem anerkannt – selbst vorsichtigen Schätzungen zufolge liegt die Zahl der jährlichen Opfer über 100.000. Einige Staaten haben darauf bereits mit dem Verbot von besonders giftigen Stoffen reagiert.
Wegen hoher Gewinnspannen und zum Teil ungenügender staatlicher Regulierungen nimmt seit einiger Zeit der Handel mit billigen Nachahmer-Produkten zu. Und auch der Verkauf von gefälschten Pestiziden hat sich zu einem profitablen Geschäft entwickelt. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2020 wurden in der EU und sechs weiteren Nicht-EU-Staaten wie Kolumbien, Schweiz und USA illegale Pestizide im Wert von bis zu 94 Millionen Euro beschlagnahmt. Die Anwendung solcher Pestizide gefährdet Bäuerinnen und Bauern besonders, da die Inhaltsstoffe und ihre Konzentrationen falsch oder fehlerhaft angegeben sein können – was ihre Wirkung und Giftigkeit unvorhersehbar werden lässt.
Ein Element einer veränderten Politik muss also sein, Bäuerinnen und Bauern weltweit über die Gefahren von Pestiziden zu informieren, Maßnahmen zu ihrem Schutz zu ergreifen und handhabbare Alternativen für den Pflanzenschutz anzubieten. Ideen dazu gibt es viele, auch wenn die Forschung für ökologischen Pflanzenschutz nach wie vor unterfinanziert ist.