Falsche Lösungen in Brasilien: Bolsonaros zerstörerische Klimapolitik

Analyse

Die scheidende brasilianische Regierung setzt auf sozioökologische Deregulierung, Markmechanismen und privatisierte grüne Lösungen. Damit schwächt sie den Klima- und Umweltschutz.

Vogelperspektive auf einen abgeholzten Bereich des Regenwaldes in Brasilien
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Abholzung in Brasilien: Regenwald wird gerodet, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen.

Als Jair Bolsonaro 2018 die Präsidentschaft Brasiliens übernahm, hatte dies weitreichende Auswirkungen auf die Klimapolitik. Die von ihm eingeführten Maßnahmen veränderten landesweit die institutionellen Strukturen in den Bereichen Umweltverwaltung und -monitoring[1] sowie Umweltkontrollen und Landbeobachtung.[2] Zudem höhlten sie die Programme gegen Entwaldung aus. In den vier Jahren seiner Regierungszeit wurden sowohl die Budgets als auch die regulatorischen Strukturen selbst um 50 Prozent gekürzt. Das Ergebnis all dieser Maßnahmen ist eine wachsende Umweltzerstörung.

Zwischen Januar 2019 und Juli 2022 belief sich die Entwaldung in Amazônia Legal, der Verwaltungseinheit des brasilianischen Amazonasgebietes, auf circa 33.000 km². Das entspricht in etwa der Fläche Belgiens. Insgesamt umfasst Amazônia Legal die neun Bundesstaaten am Amazonasbecken und macht 61 Prozent der Fläche Brasiliens aus.  Offiziellen Schätzungen vom Juli 2021 nach befand sich die Entwaldung auf einem Rekordniveau, das seit 15 Jahren nicht mehr erreicht worden war. Der Verlust an Waldflächen sorgte 2020 für Extremereignisse wie Waldbrände mit historischen Ausmaßen im Feuchtgebiet Pantanal, einem der größten Überflutungsgebiete der Erde. Die Entwaldung sorgte seit 2020 auch für Wasserknappheit in den zentralen Gemeinden des brasilianischen Südens und machte damit die Verbindung zwischen den einzelnen Ökosystemen und Biomen deutlich. Daher sind die durch Großgrundbesitzer*innen gelegten Brände im westlichen Teil des Amazonasgebietes besonders besorgniserregend. Aufgrund der Straflosigkeit, die unter Bolsonaros Umweltpolitik herrscht, wird dieses Vorgehen immer mehr zu einer gängigen Praxis. Im August 2022 wurden 3.300 Brandherde an einem einzigen Tag registriert. Das sind fast dreimal so viele wie am emblematischen „Tag des Feuers“ im Jahr 2019.

Die Zerstörung von Amazônia Legal umfasst die Biome des Amazonas und Teile des Savannengebietes Cerrado, dem zweitgrößten Biom Südamerikas. Sie vertieft die Klimaungerechtigkeit, die sich insbesondere darin zeigt, dass die Auswirkungen der durch das Agrobusiness und den Bergbau provozierten Umweltschäden sehr ungleich verteilt sind. Dazu zählt auch die physische und politische Gewalt gegen diejenigen, die diese Ungerechtigkeit anprangern. Der jährliche Bericht der Landpastorale CPT zu Gewalt auf dem Land gibt an, dass es allein auf dem Übergangsstreifen zwischen Amazonasgebiet und Cerrado mehr als 100 Landkonflikte gibt, die auf den Kampf um natürliche Ressourcen zurückzuführen sind. Zwischen 2020 und 2021 ist die Anzahl der Bedrohungen und Gewalttaten in dieser Region um über 80 Prozent angestiegen.

Abbau gesellschaftlicher Teilhabe und Privatisierung der Wälder

Der Abbau von Strukturen, die der Bevölkerung ermöglichen, an der Klima- und Umweltpolitik Brasiliens teilzuhaben, verschärft die sozioökologische Zerstörung und Gewalt. Während der Bolsonaro-Regierung kam es zur Stilllegung des Nationalrats für Indigenenpolitik, des Nationalrats für traditionelle Völker und Gemeinden sowie des Nationalrats für das internationale Waldschutzprogramm REDD+. Auch das Brasilianische Forum für den Klimawandel wurde geschwächt. Darüber hinaus schaffte die Regierung die wichtigsten Sekretariate ab, die zuvor die Klimaagenda des Umwelt- und des Außenministeriums umgesetzt hatten. Zudem kam es zu einer Neuordnung des Nationalrats für Amazônia Legal (CNAL), der nun ohne gesellschaftliche Beteiligung und Transparenz auskommen muss.

Sehr problematisch ist, dass Verteidiger*innen von Land-, Umwelt- und Menschenrechten kriminalisiert werden und der Umweltschutz militarisiert und verrechtlicht wird. Hinzu kommen  umfassende Haushaltskürzungen bis hin zu einer vollständigen Abschaffung von Finanzierungsmechanismen, die dann im Rahmen des Nationalprogramms zur Entstaatlichung durch privatisierte Umweltschutz- oder Nachhaltigkeitsprogramme ersetzt werden. Das Programm „Adote um Parque“ („Adoptiere einen Park“) in dem die Finanzierung und Verwaltung von Naturschutzgebieten der Privatinitiative übertragen wird, ist zu einem regelrechten Wahrzeichen dieses Prozesses geworden.

So schraubte die Regierung das Risikomanagement für die Degradierung der Natur und die Entwaldung auf ein Minimum herunter. Die Kontrolle über die Verteilung der kollektiven und öffentlichen Risiken, die mit der Umweltzerstörung einhergehen, hat sie weiter in ihrer Hand behalten. Die Privatinitiative bietet der Regierung die Möglichkeit, mit dem Umweltschutz Profit zu erzielen. Gemäß Artikel 225 der Bundesverfassung und dem Waldgesetz fällt dies eigentlich in den Aufgabenbereich des Staates. Zeitgleich stellt die Regierung auch die öffentlichen Finanz- und Humanressourcen zur Verfügung, um die Privatisierung zu organisieren und durchzuführen. Genau das ist der Hintergrund der Auszahlungen der Nationalen Entwicklungsbank BNDES an das Programm „Adote um Parque“.

Dass für den Klima- und Umweltschutz, auch aufgrund der Einfrierung des Amazonas-Fonds, weniger Mittel zur Verfügung standen, verschärfte sich durch die Kürzung der Mittel für Steuerungs- und Kontrollpolitiken noch. Indem sich ein institutioneller Weg für Kompensationsmaßnahmen durch umweltverschmutzende und -zerstörende Unternehmen auftat, verfestigt sich die Privatisierung von Monitoring- und Umweltschutzprozessen weiter.  Unternehmen können ihre Schutzmaßnahmen nun als Emissionsrechte oder Umsetzung von Environmental Social Governance (ESG) verwenden. Sie dienen somit als Ausgleich für ihre sozioökologisch zerstörerischen Aktivitäten in völlig anderen Ökosystemen.

Vertiefung falscher Lösungen

Brasilien ist der viertgrößte Emittent von Treibhausgasen weltweit. Zwischen 2020 und 2021 sind die Emissionen um 23,6 Prozent gestiegen. Die stärksten Treiber dieses Anstiegs waren Veränderungen in der Bodennutzung. Darin inbegriffen sind solche Umnutzungen, die aus der Entwaldung im Zusammenhang mit Land- und Viehwirtschaft, also beispielsweise für den Anbau von Soja oder Mais sowie für Viehweiden entstehen.

Trotz dieser kompromittierenden Datenlage nutzt die Bolsonaro-Regierung Gelegenheiten wie die UN-Klimakonferenz (COP), um grüne Investor*innen anzuwerben. Durch einen Richtungswechsel in der brasilianischen Klimadiplomatie sollen nun langfristige Ziele verfolgt werden, um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen und dabei die tropischen Regenwälder in den Kohlenstoffmarkt miteinzubeziehen. Damit wird ein System gefördert, bei dem es vor allem um eine Kompensation der Emissionen auf einem Kohlenstoffmarkt geht. Dies folgt der Logik, zerstörerische Aktivitäten in völlig anderen Ökosystemen auszugleichen, ohne dass dabei die Produktionsweise oder der Produktionsumfang der schädlichsten Branchen verändert wird. Durch diese Entwicklung könnte die Regierung Mittel für den Aufbau einer juristischen und institutionellen Struktur zur Kompensation von Emissionen beschaffen. Diese könnten dann die Privatwirtschaft, insbesondere die Sektoren Produktion und Rohstoffabbau nutzen, um ihre Produktion unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit weiter auszubauen.

Als praktisches Beispiel hierfür dient die Einführung des Dekrets 11.075. Es legt neun Schlüsselbranchen fest, um ein Nationales System zur Emissionsreduktion einzuführen.  Darunter befinden sich auch die Land- und Viehwirtschaft, inklusive der extensiven Viehzucht und der Monokulturen von beispielsweise Soja oder Eukalyptusbäumen. Dieses Dekret beinhaltet auch Emissionszertifikate für Methan und war bereits in der Nationalpolitik gegen den Klimawandel vorgesehen. Durch das Dekret wäre folgendes Beispiel denkbar: Ein mit europäischem Kapital betriebenes Industrieunternehmen, das Bauxiterz für die Aluminiumproduktion[3] abbaut, könnte seine Emissionen durch Initiativen zur Integration zwischen Ackerbau-, Viehzucht- und Waldwirtschaft (ILPF), für die Emissionsreduktionszertifikate ausgestellt werden, ausgleichen. Dies wäre in einem Großbetrieb in der Gemeinde von São Félix do Xingu, im Bundesstaat Pará möglich, der die Voraussetzungen erfüllt, selbst wenn dieser Betrieb die größte Viehherde des ganzen Landes beherbergt. Auch wenn solch eine hypothetische Fazenda nachhaltig wäre - die Landnutzungsänderung in dieser Gemeinde entspräche allein für das Jahr 2019 einem Ausstoß von 22,32 Millionen Tonnen CO2. Für Netto-Null-Emissionen reichen Kompensationslösungen sowie private Kompensationen bestimmter Sektoren nicht aus. Diese sind nicht dazu geeignet, auf nationaler und regionaler Ebene integrierte öffentliche Politiken zur Überwachung und zum Schutz von Wäldern und Umwelt oder gar eine Veränderung der Produktionsweise zu ersetzen.

Unter den Projekten, die einen Rechtsrahmen zur Privatisierung von Klimalösungen aufbauen sollen, sieht die brasilianische Entwicklungsbank BNDES jährliche Investitionen von 100 Millionen Real (umgerechnet 19,83 Millionen Euro) in Kohlenstoffmarktprojekte vor. Durch die Aussetzung der Zahlungen aus dem Amazonasfonds ist die BNDES von einem Schlüsselakteur, der bisher die Klimapolitik auf unterschiedlichen Ebenen des Landes ermöglichte, zu einem Hauptakteur im Privatisierungsprozess der Umsetzung dieser Politiken geworden. Dabei ist die Kompensation von Emissionen auf einem brasilianischen Kohlenstoffmarkt zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen das Hauptelement, um die nationalen Klimabeiträge (NDC) Brasiliens zu erreichen. Dieser Weg führt jedoch nicht dazu, die Wälder, indigene Völker und traditionelle Gemeinschaften dieser Territorien zu schützen. Auch der Schutz der diversen Rechte jener, die auf gerechte und sozioökologisch verträgliche Lösungen setzen, wird dadurch nicht erreicht.


[1] Siehe: Decreto 9660/2019; Medida Provisória 870/2019. Zugriff: 13.09.2022

[2] Wie bei den Programmen Aktionsplan zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung im Amazonasgebiet (PPCDAM) und Aktionsplan zur Prävention und Kontrolle von Entwaldung und Brandrodung im Cerrado (PPCERRADO).

[3] Dem brasilianischen System zur Schätzung von Gasemissionen (SEEG) zufolge verursachte die Aluminiumindustrie im Jahr 2019 etwa 100 Mio. Tonnen CO2 für die Produktion von etwa 650,2 Kilotonnen.


Übersetzung aus dem Portugiesischen von Kirsten Grunert

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „COP27: Klimapolitik in Lateinamerika“.