Durch Abdrift von Pestiziden auf benachbarte Grundstücke werden auch die agrarökologischen Anbauflächen von Kleinbäuerinnen und -bauern sowie der sogenannten traditionellen Gemeinschaften verunreinigt. Mindestabstände werden nicht eingehalten oder sind in den Gesetzen niedrig definiert. Das hat direkte Auswirkungen auf die Lebensweise dieser Gemeinschaften.
Unterschiedliche wissenschaftliche Studien aus Brasilien belegen einmal mehr, dass Agrargifte nicht an den Feldgrenzen haltmachen und sich ihre Wirkung auch außerhalb des Ackers ungemindert auf die Umwelt, die Ernährung und die Siedlungen entfaltet. Im Jahr 2015 kontaminierten die auf Zuckerrohrplantagen im Bundesstaat Mato Grosso do Sul in der Gemeinde Glória de Dourados eingesetzten Pestizide die umliegende Region und reduzierten die Artenvielfalt der örtlichen Bestäuberinsekten drastisch. Dies wirkte sich wiederum auf die ansässigen Gruppen von Seidenraupenzüchter*innen aus, die nicht nur den Schaden an der Umwelt, sondern auch wirtschaftliche Einbußen zu beklagen hatten. Die Verluste von zwischen 50% und 100% zwangen einige der Züchter*innen, ihre Produktion vollkommen einzustellen.
2019 kam es ebenfalls in Mato Grosso do Sul, im indigenen Gebiet Guyraroká vom Volk der Guaraní, zu Vergiftungen, nachdem eine Mischung aus Pestiziden und Kalk auf einer angrenzenden Farm entleert worden war. Eine Giftwolke zog über die indigene Gemeinde und vergiftete Kinder und ältere Menschen, sie tötete Hunde, Hühner und andere Tiere und verseuchte die agrarökologisch betriebenen Gärten und kleinbäuerlichen Felder der Gemeinde, was die bereits bestehende Ernährungsunsicherheit der Betroffenen noch verstärkte.
Innerhalb des Assentamentos Roseli Nunes, eine Siedlung die explizit durch Landvergabe an Kleinbäuerinnen und -bauern entstand [Anmerk. d. R.], wurden Studien durchgeführt, bei denen zehn unterschiedliche Pestizide nachgewiesen wurden. Diese fand man sowohl in den Flüssen als auch in den Brunnen, deren Wasservorkommen als Trinkwasser und für die Bewässerung der Felder genutzt werden. Die Siedlung ist eine Referenz für agrarökologischen Anbau im Bundesstaat Mato Grosso [Anmerk. d. Ü]. Sie liegt in der Gemeinde von Mirassol D’Oeste und ist eingekesselt von Monokulturen des Soja- und Zuckerrohranbaus, also von Kulturen, die intensiv mit Pestiziden behandelt werden. Allein im Jahr 2019 wurden in Mirassol D’Oeste mehr als 120.000 kg/l Pestizide verkauft.
Die Quilombola-Gemeinschaft Jejum, die im Pantanal, dem weltweit größten Binnenland-Feuchtgebiet im Grenzgebiet von Brasilien, Bolivien und Paraguay liegt, ist ebenfalls den Pestiziden von Weideflächen und Sojaplantagen der benachbarten Großgrundbesitzer*innen ausgesetzt, da diese die für die Verwendung von Pestiziden gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstände nicht einhalten. Es wurden bereits Rückstände von Pestiziden in den Flüssen nachgewiesen, die das Quilombo mit Wasser versorgen, im Regen und auch in den Fischzuchtbecken, aus denen die Einwohner*innen nicht nur den Hauptanteil ihres Einkommens, sondern auch ihrer Nahrung gewinnen. Die nachgewiesenen Wirkstoffe umfassten unter anderem Atrazin, Picloram, 2,4-D, Fipronil, Chlorimurom-ethyl, Tebuconazol, Clomazon und Imidacloprid.
Bei den zuvor beschriebenen Beispielen begrenzen sich die Auswirkungen nicht nur auf die Verunreinigung von agrarökologisch oder traditionell angebauten Lebensmitteln: Die Lebensweise und die gesamte Existenz der genannten Gemeinschaften sind eng verknüpft mit dem Schutz der Umwelt in ihren Territorien und werden durch die fortschreitende Ausbreitung des Agrobusiness und seiner Produktionsformen bedroht.
Die Grundvoraussetzung für den Anbau nach agrarökologischen Kriterien ist das ökologische Gleichgewicht des Agrarökosystems. Eines der größten durch Pestizide verursachten Probleme in Brasilien ist das Sterben von Bestäuberinsekten. Schätzungen zufolge sind im Jahr 2019 in nur vier brasilianischen Bundesstaaten über 500 Mio. Bienen aufgrund des Kontakts mit Fipronil und mit Pestiziden aus der Wirkstoffgruppe der Neonikotinoide gestorben. Herbizide wie Glyphosat und 2,4-D reduzieren die Anzahl der im Boden vorkommenden lebenden Organismen. Versuche mit Würmern, die für eine Inkubationszeit verschiedenen Konzentrationen von Glyphosat ausgesetzt waren, ergaben, dass sie um bis zu 50% ihres Gewichts verloren, sich nicht weiter vermehrten und schwerwiegende morphologische Auffälligkeiten hervorbrachten. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass solche Organismen bedroht sind und auf Anbauflächen, die mit den genannten Wirkstoffen behandelt werden, sogar vollständig verschwinden könnten.
Der Verlust der Bodenmikrobiome hat einen Einfluss auf die Produktion von organischem Material, was wiederum eine Schlüsselrolle bei der Speicherung von organischem Kohlenstoff spielt. Normalerweise speichert der Boden organischen Kohlenstoff. Befindet sich der Boden allerdings in einem degradierten Zustand, kann er das Element in Form von Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre freisetzen und so den Klimawandel weiter verstärken. Das bedeutet, dass die Verwendung von Pestiziden in Brasilien nicht nur zur Umweltverschmutzung beigetragen, sondern auch die Degradierung der Böden beschleunigt hat.
Soziale Bewegungen und traditionelle Gemeinschaften, die von den Auswirkungen des Pestizideinsatzes auf benachbarten Farmen betroffen sind, betonen bereits seit geraumer Zeit die dringende Notwendigkeit, per Gesetz Flächen zu schaffen, in denen weder Pestizide noch andere Schadstoffe verwendet werden dürfen. Dabei geht es ihnen insbesondere um Flächen in der Nähe der Siedlungen, die aus der Landvergabe an Kleinbäuerinnen und -bauern entstanden (assentamentos da reforma agrária), sowie in der Nähe der Gebiete der Quilombolas, der Indigenen oder anderen traditionellen Gemeinschaften. Nur so lässt sich ihre Gesundheit schützen und der agrarökologische Anbau sichern. Diese Akteur*innen möchten damit jedoch nicht erreichen, dass es sich nur um „agrarökologische Inseln“ handelt, die völlig isoliert ihr Überleben ohne jegliche Beziehung zur Umgebung und Umwelt bestreiten. Sie sollen Teil einer Strategie sein, die die agrarökologische Produktion als einen Motor des Wandels hin zu gesünderen und nachhaltigeren Landwirtschaftsmodellen fördert und so, zeitgleich, den Einsatz von Pestiziden im Land reduziert.
Der Beitrag erschien zuerst auf Portugiesisch im Pestizidatlas des Brasilienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist auch auf der Webseite des Büros erschienen. Auf der Büro Webseite finden Sie weitere portugiesischsprachige Beiträge, Graphiken sowie Kurzvideos mit einigen Autor*innen.
Übersetzung aus dem Portugiesischen: Kirsten Grunert
Redaktion: Julia Ziesche und Bega Tesch