Allen Widerständen zum Trotz: Feministische Ansätze internationaler Politik umsetzen

Analyse

Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben 2023 Leitlinien für eine Feministische Außen- und Entwicklungspolitik veröffentlicht. Doch politischer Gegenwind gefährdet die Umsetzung der Konzepte.

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Foto: Silhouette einer Person mit erhobenem Arm vor einem Sonnenuntergang.

Im Frühjahr vergangenen Jahres haben das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die Politik ihrer Ressorts jeweils feministische Leitlinien veröffentlicht. Von der feministischen Zivilgesellschaft begrüßt und kritisch-konstruktiv kommentiert, haben sie in einigen gesellschaftspolitischen Bereichen und wissenschaftlichen Institutionen erstaunlich schnell zu einer größeren Akzeptanzbekundung feministischer Ansätze geführt. Doch rascher als befürchtet, ist die Umsetzung der Konzepte Feministische Außenpolitik (FAP) und Feministische Entwicklungspolitik (FEP) nun durch politischen Gegenwind gefährdet. An die bisherigen Diskussionen anknüpfend, geht es in diesem Beitrag um Herausforderungen und Wiederholungsgefahren, denen wir uns als progressive feministische Kräfte widmen sollten, wenn wir die Konzepte sichern, weiterentwickeln und schärfen wollen.

Begriffe drohen verwässert zu werden

Im Rückblick auf die Entwicklung der Menschenrechts- und Gender-Konzepte wird deutlich, dass die sozialen und feministischen Bewegungen alle normativen Regel- und Rahmenwerke für mehr soziale und Geschlechtergerechtigkeit geprägt haben. Bis heute universell gültige Verpflichtungen der internationalen Gemeinschaft haben sie maßgeblich miterkämpft. Auch die relativ jungen Politikkonzepte FEP und FAP wurzeln in internationalen politischen Vereinbarungen, die durch langjährige Kämpfe der internationalen feministischen Bewegungen durchgesetzt wurden. Sie sind nicht nur nach „harmlosen“ Konsultationsprozessen mit der Zivilgesellschaft entstanden, sondern bilden vielmehr Kompromisse und Errungenschaften der oftmals sehr harten Auseinandersetzungen in und zwischen den internationalen feministischen Bewegungen ab. 

Deshalb haben Feministinnen immer wieder die mögliche Verwässerung von zentralen Begriffen zur Chancengleichheit und Anti-Diskriminierung kritisiert. Begriffe spiegeln die Perspektiven derjenigen, die etwas ändern wollen. Mit dem Übergang von Begriffen aus den Bewegungen in die Institutionen geht es deshalb auch um Fragen der Definitionsmacht und der Deutungshoheit - und um die dahinterstehende Sorge vor Vereinnahmung. 

So geschehen mit dem Empowerment-Ansatz: Das ursprüngliche, systemkritische Konzept eines kollektiven Machtgewinns „von unten“ - vorgestellt vom Süd-Netzwerk DAWN 1985, auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1 - muss als wegbereitend für den heutigen FEP-Ansatz gesehen werden, der sich als machtkritisch, post-kolonial und anti-rassistisch versteht. Doch das einst radikale Macht-Umkehr-Konzept wurde als Gegenstück zum Gender Mainstreaming im sog. dualen Ansatz der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und als Quoteninstrument „GG2-Maßnahme“ 2 (Maßnahmen, die Gleichberechtigung als Hauptziel verfolgen) zu einem zahnlosen Tiger. Aber in der Strategie des BMZ taucht der Begriff „Empowerment“ nur noch in einer Fußnote auf. Das sollte jedoch nicht die Antwort auf die vorherige Verharmlosung dieses wichtigen Ansatzes aus dem Globalen Süden sein. Denn: Wie wollen wir die Transformation der Geschlechterhierarchie, also das Überwinden von Diskriminierung und Ausgrenzung, erkämpft durch die Akteur*innen selbst, ohne die Kategorie „Machtgewinn“ nachvollziehen – zumal dieser Prozess im erklärten Zentrum einer feministischen EZ stehen soll? 

Fällt uns der Transformationsoptimismus auf die Füße?

Das BMZ hat die Umsetzung in die entwicklungspolitische Praxis mittlerweile weiter konkretisiert und die feministische Strategie sowohl durch einen entwicklungspolitischen Aktionsplan zur Gleichstellung der Geschlechter als auch durch ein neues Menschenrechtskonzept der deutschen Entwicklungspolitik ergänzt. Im Aktionsplan werden gendertransformative Ansätze erläutert: Sie „schaffen ein gesellschaftliches Bewusstsein für Geschlechterungleichheiten und verändern aktiv und nachhaltig die zugrundeliegenden Ursachen“; dies sollte vor allem durch die Änderung oder Abschaffung diskriminierender Gesetze und ungleiche soziale Normen und Praktiken gelingen. Die Definition für diesen Ansatz eines grundlegenden Wandels ist komplex und berücksichtigt weitere Dimensionen, die auch auf Forderungen der internationalen feministischen Frauen-Menschenrechtsbewegungen zurückgehen, denn feministische Politik versteht sich als menschenrechtsbasiert, intersektional und vor allem machtkritisch. In den Handlungsfeldern werden zahlreiche Beispiele für transformative Projektansätze genannt: von der Sexualaufklärung und Arbeit mit Männern zur Stärkung sexueller und reproduktiver Rechte von Frauen über die Vernetzung von lokalen Umweltaktivistinnen im Kampf gegen den Klimawandel und Entscheidungsmacht Indigener Frauen im Energiesektor bis hin zu Bildungsoffensiven und Advocacyarbeit auf internationaler Ebene.

Die Umsetzung feministischer Entwicklungspolitik wird breit aufgestellt und nicht mehr nur auf die ehemals klassischen Sektoren (Bildung, Gesundheit, Kleinkredite) beschränkt sein. Die Kehrseite dieser positiven Weiterentwicklung liegt jedoch in fehlender Schärfe der politischen Einschätzung von Wirkungsgrenzen: Wie viel systemverändernde Kraft liegt denn tatsächlich in einem – guten und unbestreitbar wichtigen – Bildungsprojekt?

Zu beobachten ist derzeit in der deutschen entwicklungspolitischen Community eine Welle des „Transformationsoptimismus“, denn „gender-transformative Projekte“ sprießen wie Pilze aus dem Boden. Das birgt die Gefahr der Übernahme von so genannten „Geber-Codes“, um Projektanträge bewilligt zu bekommen, anstatt wirklicher Transformation und Durchsetzung von internationalen Frauen-Menschenrechten. Hier braucht es unbedingt weitere Diskussionen und viel stärker situations- und kontextabhängige Definitionen, damit das Anliegen Systemwandel nicht im Projektantrags- und Bewilligungsverfahren verwässert – und dies insbesondere vor dem Hintergrund sich ausweitender autokratischer Regime und repressiver Systeme, die Frauen-Menschenrechte und deren Verteidiger*innen weltweit unter Druck setzen. 3

Gefahr der Verdunstung von feministischen Errungenschaften

Wie problematisch es ist, wenn die Kernprinzipien von mühsam errungenen Richtlinien und UN-Vereinbarungen außer Acht gelassen werden, zeigt sich in dramatischer Weise an den Leitlinien feministischer Außenpolitik. Die Herausforderungen für die FAP könnten angesichts der aktuellen Krisen und Konflikte kaum größer sein. Auch die Enttäuschung über das Handeln der Bundesregierung ist enorm, weil dieses die menschen- und völkerrechtlichen Grundsätze, v.a. aber die Kernelemente der Resolution 1325 (wie die Forderung nach Waffenruhe, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen, die wiederum für die Rechte von Frauen auf sexuelle und reproduktive Gesundheit essentiell ist) in Frage stellt. Um dem erlittenen Glaubwürdigkeitsverlust entgegen zu wirken, sollten die Versäumnisse umgehend und unter verbindlichem Einbezug internationaler feministischer Expert*innen aufgearbeitet werden. Dabei müssen die vielstimmigen Kritiken und Diskurse der feministischen internationalen Beziehungen berücksichtigt werden, die FAP als neo-kolonialen Normexport kritisieren und die den vermeintlichen Schutz von Frauen ablehnen, der benutzt wird, um Kriege zu begründen. Dies geschieht besonders häufig gegenüber muslimischen Frauen, die ausschließlich als Opfer von extremistischen Kräften dargestellt werden (sog. Securo-Feminism). 4

Auch müssen wir auf die Stimmen hören, die vor dem pinkwashing autoritärer Mächte wie Saudi-Arabien warnen, die dreist auf den feministischen Zug der Gebernationen des Nordens aufspringen, indem sie beispielsweise Frauen in sicherheitsrelevante und friedenschaffende Aufgaben einbinden und sich dadurch als Modernisierer präsentieren.

Keine Feministische Außenpolitik ohne 1325 

Die aktuellen Kriege und Verbrechen in der Ukraine und in Gaza als „Test“ für die Praxistauglichkeit von feministischer Außenpolitik zu werten, erscheint zynisch gegenüber allen Opfern. Vielmehr braucht es in der aktuellen Politiksituation eine explizite Rückbesinnung auf die UN-Resolution 1325 Frauen – Frieden – Sicherheit und dessen Nachfolgeresolutionen, um den Leitideen und Kernvereinbarungen von FAP gerechter zu werden. Denn das Versagen der Realpolitik ist offensichtlich zurückzuführen auf das „systematische Abschneiden von Instrumenten, für die jahrzehntelang gekämpft wurde“ (Claudia von Braunmühl), und damit auf ein unzureichend entwickeltes Narrativ der FAP, das anfällig für den faktischen Einfluss politischer Entscheidungsträger ist, die dieses Vakuum nach eigener Auslegung füllen.

Feministische Netzwerke verdursten durch fehlende Finanzierung

Seit vielen Jahren beklagen internationale feministische Organisationen eine chronische Unterfinanzierung ihrer Arbeit und ihrer Strukturen. In den feministischen Leitlinien erkennt das BMZ dieses Manko an, sieht sich jedoch auch als machtlos an, daran etwas zu ändern. Tatsächlich braucht es eine umfassende Reform des Haushalts- und des Zuwendungsrechts in der internationalen Zusammenarbeit, d.h. es wäre an der Zeit, im Rahmen von Gender Budgeting auch explizit feministische Förderrichtlinien für beide Ressorts zu entwickeln, so dass internationale feministische Organisationen endlich mit einer flexiblen Kernfinanzierung arbeiten können, anstatt sich mit einem immensen Verwaltungsaufwand über Projektanträge über Wasser zu halten. Es braucht bei den Gebern einen Sinn für die Dringlichkeit des Geldes an der Basis, in den Bewegungen und in den öffentlichen Haushalten. Vor allem aber auch für demokratiefördernde Advocacy-Arbeit feministischer Menschenrechtsorganisationen. Die Funding-NRO ‚Mama Cash‘ fordert deshalb andere Mechanismen der Rechenschaft, die beiden Seiten nützen, denn die bisherige Berichtspflicht ist bürokratisch aufwändig, aber meist unpolitisch und hilft den Parlamentarier*innen, die in den Ausschüssen zu Geschlechterungleichheit und Menschenrechtsverletzungen aufgrund des Geschlechts Stellung beziehen wollen, nicht weiter. 

Doch angesichts der starken Budgetkürzungen, die insbesondere das Auswärtige Amt mit über 12 Prozent und das BMZ mit knapp 17 Prozent für 2025 hinnehmen müssen, ist eine qualitativ bessere und verlässlichere Finanzierung feministischer Organisationen in der Zukunft mehr als fraglich. Vielmehr wurden ausgerechnet die beiden Ministerien mit den geschlechtergerechtesten Haushalten in ihrer Planung zurückgeworfen. Scharf fällt die Kritik von Frauenrechts- und entwicklungspolitischen Hilfsorganisationen aus, die vor einer drohenden Abwicklung der feministischen (Entwicklungs-)Politik durch finanzielle Austrocknung der neuen Leitlinien warnen.

Fortschritte verteidigen – Feministische Leitlinien gemeinsam weiterentwickeln 

Innenpolitisch fehlt es nicht nur am Verständnis für den Stellenwert feministischer Politik für soziale Gerechtigkeit und Frieden, sondern vor allem an Politikkohärenz. Denn aus dem Bundeskabinett gibt es keine Anzeichen für Geschlechtergerechtigkeit als Leitprinzip gesamtstaatlichen Handelns. Außenpolitisch werden sowohl die Glaubwürdigkeit als auch die Wirksamkeit der neuen normativen Ansätze durch realpolitisches Handeln gegenüber aktuellen Menschenrechtsverletzungen und Konflikten in Frage gestellt. Der Druck konservativer Kräfte auf progressive Politikansätze nimmt auf nationaler und internationaler Ebene enorm zu. Dennoch sollten beide, FAP und FEP, als offene politische Gestaltungsrahmen gemeinsam weiterentwickelt und zügig institutionell verankert werden. Dafür braucht es Kenntnis der verdichteten, z.T. ambivalenten Diskurse der feministischen Bewegungen weltweit und die Anerkennung ihrer Advocacy-Errungenschaften. Denn es ist so vieles vorhanden: von völkerrechtlich verbindlichen Politikinstrumenten, über regionale Deklarationen, bis hin zu einer Vielfalt von gender-responsiven Instrumenten zur Operationalisierung. Nur gemeinsam und wenn wir unsere Errungenschaften verteidigen, können wir ihrer Vereinnahmung und Aushöhlung durch politische Gegner*innen entgegenwirken.

 


Literatur/Quellen:

Layla Abu-Lughod: Securo-Feminism: Embracing a Phantom, in: Abu-Lughod et al. (eds.): The Cunning of Gender Violence. Geopolitics and Feminism, 2023, Durham/London, S. 88-121

Binışık, Derya und Adna Kalajdzisalihovic Vuga (2024): Feministische Forderungen und rechter Widerstand auf UN-Frauenkonferenz

Lydia Both: Friedensforscherin Lydia Both: „Auch Israel muss sich an Menschenrechte halten

Auswärtiges Amt: Feministische Außenpolitik gestalten

Zu den Haushaltskürzungen

BMZ: Feministische Entwicklungspolitik. Für gerechte und starke Gesellschaften weltweit.

BMZ: Dritter entwicklungspolitischer Aktionsplan zur Gleichstellung der Geschlechter (2023-2027)

BMZ: Menschenrechtskonzept der deutschen Entwicklungspolitik

Rede der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze, zum Haushaltsgesetz 2025 vor dem Deutschen Bundestag in Berlin

bpb: Feministische Außenpolitik - Hintergründe und Praxis

SWP-Studie: Feministische Außen- und Entwicklungspolitik konkret

Brot für die Welt (Hg.): Wirkungsorientierung von Advocacy, 2012

Dossier: Feministische Außen- und Sicherheitspolitik - Jenseits des Etiketts

Miriam Mona Mukalazi (2024): Feminismus braucht Finanzierung

DSW: Bundeshaushalt 2025 – Das Ende der feministischen Entwicklungspolitik?

OECD DAC (2022)

Rodenberg, Birte (2023): Der lange Weg feministischer Ansätze in die entwicklungspolitischen Institutionen

Layla Saleh: Palestine – A ‘Test’ for Feminist Foreign Policy, in: London School of Economics, Department of Gender Studies, Zugriff: 09.09.2024

Schäfer, Rita (2016): Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Frauen, Frieden und Sicherheit (2000), in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert
 

 

Fußnoten
  • 1

    Das Empowerment-Konzept des Netzwerks von Frauen des Globalen Südens, DAWN, ist eine feministische Strategie des Machtgewinns für Frauen, Black, Indigenous and Women of Color, verbunden mit dem Ziel, ein alternatives Entwicklungssystem durchzusetzen, das nicht auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht. Es hat die internationalen Debatten um Kolonialismus und Rassismus in den globalen feministischen Bewegungen nachhaltig beeinflusst. 

  • 2

    Nach 1995, mit der Institutionalisierung des Gender Mainstreaming-Prinzips, wurde in der EU-EZ der so genannte duale Ansatz verabschiedet: einerseits die kritische Berücksichtigung von Gender-Interessen in allen gesellschaftlichen Strukturen und Projekten, und andererseits die gezielte Bekämpfung von Benachteiligung von Frauen durch Empowerment-Maßnahmen (v.a. durch Anti-Gewalt- und Bildungsprojekte). Der Gender Policy Marker, entwickelt vom Entwicklungshilfeausschuss (DAC) der OECD dient dazu, die Schwerpunkte der bilateralen EZ zu erfassen: In Mainstreaming-Projekten (GG1) ist Gender ein Nebenziel, in Empowerment-Projekten (GG2) ein Hauptziel. Die Gender-Kennungen waren immer nur ein schwaches (finanz-)politisches Steuerinstrument.

  • 3

    Der Wirkungsgrad aller Vorhaben soll zukünftig mithilfe des OECD Gender-Kontinuums nachverfolgt und überprüft werden: demnach werden Projekte in Bezug auf ihre gender-verändernde Wirkung von „gender-sensitiv“, über „gender-responsiv“ bis „gender-transformativ“ eingestuft. Auch hier braucht es Transparenz seitens des BMZ und offene Diskussionen mit der Zivilgesellschaft, denn eine eigentlich bislang positiv verstandene Kategorie der „Gender-Responsivität“, also eines für die Veränderung bestehender Geschlechterverhältnisse verantwortlichen Handelns im und für das Projekt, wird derzeit im BMZ sehr eng und in starker Abgrenzung zur Kategorie „Gender-Transformativ“ ausgelegt  (PDF, S. 14). Auch das entspricht wenig der politischen Realität vieler Projekte und birgt die Gefahr einer „Umetikettierung“ zugunsten von Antragsbewilligungen. 

  • 4

    Layla Abu-Lughod: Securo-Feminism: Embracing a Phantom, in: Abu-Lughod et al. (eds.): The Cunning of Gender Violence. Geopolitics and Feminism, 2023, Durham/London, S. 88 ff.