Der lange Weg feministischer Ansätze in die entwicklungspolitischen Institutionen

Analyse

Zusammen mit den Leitlinien für eine feministische Außenpolitik hat auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seine neue Strategie einer feministischen Entwicklungspolitik vorgestellt. Ein Rückblick auf zentrale Stationen des geschlechterpolitischen Vor- und Zurück in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Ein Panel bei der Feminist Development Policy Conference. Es sitzen 6 Frauen beim Panel auf weißen Sesseln.

Zusammen mit den Leitlinien für eine feministische Außenpolitik hat auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seine neue Strategie einer feministischen Entwicklungspolitik vorgestellt. Bemerkenswert war der breite Beteiligungsprozess von internationalen feministischen Nichtregierungsorganisationen (NRO), der zur Entstehung des Strategiepapiers geführt hat. Auch stellt das Bundesministerium Kernfragen nach patriarchalen Machtverhältnissen und die Notwendigkeit eines systemischen Wandels ins Zentrum seiner politischen Zustandsbeschreibung von Geschlechterungleichheit. Nun muss die Umsetzung zeigen, ob es zu einer transformativen feministischen Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) kommt. Dann wäre tatsächlich ein Meilenstein im internationalen Diskurs um progressive, inklusive Ansätze für Geschlechtergerechtigkeit erreicht. Denn Gender-Ansätze in der Entwicklungspolitik haben – allein, bis sie diese Bezeichnung verdienten – einen langen Weg hinter sich. Wir wollen hier Schlaglichter auf zentrale Stationen des geschlechterpolitischen Vor- und Zurück in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit werfen.

 

Die konzeptionelle Entwicklung von Frauenförder-Ansätzen bis zu Gender-Ansätzen ist nicht zu trennen von der Ausrichtung, aber auch vom Wandel entwicklungspolitischer Ansätze insgesamt. Bereits in den 1960er und frühen 1970er Jahre galten Frauen als wichtige Zielgruppe der Entwicklungshilfe. Damals wurden sie vor allem in Wohlfahrtsmaßnahmen eingebunden, wobei diese an den „typisch weiblichen Aufgabenbereich der Reproduktion“ anknüpften, so die damalige Wortwahl. Projekte zur Säuglings- und Krankenpflege, Hauswirtschaft und Ernährung auf der einen Seite, der Brunnenbau am Dorfrand mit Männern auf der anderen – oft getragen von ethno- und androzentrischen Ansätzen - untermauerten die Geschlechterhierarchien in den „Empfängerländern“. Macht- und Entscheidungsfragen wurden von den Institutionen bis weit in die 1980er Jahre nicht gestellt.

Ab Mitte der 1970er Jahre trat die Weltbank auf den Plan, und entdeckte neben der reproduktiven Rolle der Frau auch ihre produktive. Vor dem Hintergrund damaliger Modernisierungsstrategien wurden Frauen mit Kleinkrediten überzogen und mussten in einkommensschaffenden Kleinprojekten an ihre „reproduktiven Fähigkeiten“ anknüpfen; nur, dass anstelle von Häkelprojekten jetzt Millionen von Kleinküken-Aufzuchtstationen im Hinterhof entstanden. Die Weltbank hat über drei Entwicklungsdekaden hinweg die Programmatik der internationalen Frauen- und Geschlechterpolitik mit ihrer marktorientierten Politik der „Integration von Frauen in die Entwicklung durch Steigerung ökonomischer Effizienz“ geprägt. Damit wirkte sie dem frauenpolitischen Anliegen entgegen, Geschlechtergerechtigkeit als eigenständiges Entwicklungsziel in der internationalen Programmatik zu verankern. Doch der ökonomische Zugewinn für Frauen blieb schon in dieser Vorphase der Globalisierung aus, und ebenso ihre soziale Besserstellung durch die vorhergesagten „trickle down-Effekte“. Wie gesagt: Machtfragen, strukturelle Gewalt, institutionalisierter Sexismus, patriarchale Normen und soziale Ausgrenzung wurden von den Durchführungsorganisationen damals gar nicht gesehen.

Die Vereinnahmung von Frauen durch die internationalen Finanzinstitutionen

Mit den Strukturanpassungsprogrammen zur Verringerung der internationalen Schuldenkrise in den 1980er Jahren trieben Weltbank und Weltwährungsfonds die Vereinnahmung von Frauen für ihr Wachstumsmodell auf die Spitze, lösten aber auch große Kritik und frauenpolitische Proteste aus. Die massiven Kürzungen öffentlicher Budgets und Deregulierungsmaßnahmen machten insbesondere marginalisierte Frauen zu den größten Verliererinnen der Krise, da diese das Überleben der armen Haushalte sichern mussten. Mit dem breiten Krisenmanagement von Frauen veränderte sich auch das Bild, das in den fortschrittlicheren Institutionen der EZ vorherrschte: seit den Anfängen der Entwicklungszusammenarbeit wurden sie immer als homogene Gruppe betrachtet. Nun wurden aus hilfsbedürftigen Opfern Krisenmanagerinnen, die für Armutsbekämpfungsansätze die Grundbedürfnissicherung und in der Bevölkerungspolitik die Geburtenkontrolle voranbrachten. Mit den ersten spürbaren Umweltkrisen der frühen 1990er wurden sie dann zu den Arbeiterinnen an der Ressourcenbasis: Bäume pflanzend sollten sie dem Planeten die Windeln wechseln. Doch diese „Feminisierung der Verantwortung“, wie Christa Wichterich die Dauerzuschreibung nannte, war im Grunde eine Reaktion der Finanzinstitutionen, um die feministischen Proteste während der verlorenen Dekade der 1980er Jahre zu vereinnahmen. Es waren unabhängige Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen des Globalen Südens, zusammengeschlossen im Netzwerk DAWN (Development Alternatives with Women for a New Era), die auf die Widerständigkeit, die politische und überlebenssichernde Kreativität und Handlungsfähigkeit von Frauen hinwiesen. Ein ungewohntes Bild und eine völlig neue Perspektive für die Entwicklungszusammenarbeit.

DAWN: Forderung nach Macht- und Systemwechsel durch Empowerment

Auf der UN-Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi stellte DAWN eine feministische Strategie von unten vor und forderte einen Macht- und Systemwechsel: Empowerment für Frauen und Black, Indigenous and Women of Colour (BIWoC), d.h. kollektiver Machtgewinn und alternative Entwicklungswege, anstelle neo-kolonialer, marktliberaler Ressourcenausbeutung zu Gunsten der Profite für Wenige. Beseitigung von Armut und von Geschlechterhierarchien. Empowerment anstelle eines größeren Stücks vom vergifteten Kuchen.

Das Empowerment-Konzept von DAWN – beruhend auf frühen Black-Power- und Befreiungsbewegungen – hatte endlich Machtfragen aufgeworfen, die zunächst vor allem innerhalb der internationalen Frauenbewegungen diskutiert wurden: Debatten um Rassismus und Kolonialismus im Feminismus, um weiße Privilegien und die Anerkennung unserer Differenzen, um die Unterscheidung zwischen Gleichheitsorientierung innerhalb des ungerechten Systems einerseits und der Überwindung ausbeuterischer Systeme jenseits unserer Unterschiede andererseits. Das Empowerment-Konzept und DAWN können rückblickend als wegbereitend für die heutigen transformativen feministischen Ansätze angesehen werden, die es nun in die entwicklungspolitischen Institutionen der EU und des BMZ geschafft haben – auch wenn der Begriff selbst bedauerlicherweise nur noch in einer Fußnote der neuen BMZ-Leitlinien vorkommt.

Dekade der UN-Konferenzen: Hoffnung auf ein neues Entwicklungsparadigma

Doch ein Spill-Over-Effekt dieser klugen und radikalen, internationalen feministischen Debatten ließ auf sich warten. Hoffnung auf ein neues Entwicklungsparadigma keimte erst in den 1990er Jahren auf, als die Entwicklungshilfe nach dem Ende der bipolaren Weltordnung nicht mehr als Instrument des Kalten Krieges durch die Finanzinstitutionen eingesetzt werden musste. Dabei ermöglichte vor allem das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) mit seinem „Ansatz der menschlichen Entwicklung“ eine Öffnung der Entwicklungsinstitutionen für ganzheitliche Strategien: Eingebettet in die großen UN-Konferenzen und die Global Governance-Debatten begannen die Geberinstitutionen die sozialen Voraussetzungen menschlicher Entwicklungsprozesse, soziale Ungleichheit, Fragen nach Demokratisierung und Mitbestimmung in den Vordergrund zu rücken. Es waren insbesondere die auf der Weltumweltkonferenz in Rio de Janeiro (1992), auf der Wiener Menschenrechtskonferenz (1993) und auf der 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking (1995) verabschiedeten Kataloge universell gültiger Werte, die einen neuen normativen Referenzrahmen für internationale, entwicklungspolitische Maßnahmen schufen. Diese waren und sind bis heute vor allem für geschlechterpolitische und feministische Forderungen nach Chancengleichheit und gleichen Rechten universell maßgebend und Leitplanken unserer internationalen feministischen Advocacy.

Gender Mainstreaming: Weichgespült beim Weg durch die Institutionen?

Mit der Verabschiedung der Pekinger Aktionsplattform fanden die Konzepte Empowerment und Gender Mainstreaming Eingang in die entwicklungspolitischen Institutionen. Mit dem Gender-Ansatz sollten nun gesellschaftliche Strukturen, die zu Geschlechterhierarchien führten, beeinflusst werden. Damit das anwaltschaftliche Element der früheren Frauenförderpolitik nicht verloren geht und um die Benachteiligung von Frauen und besonders diskriminierte Personen gezielt zu bekämpfen, wurde der Gender-Ansatz durch Empowerment-Maßnahmen ergänzt. Ein Erfolg oder Vereinnahmung? Aus feministischer Perspektive wurden Zweifel am „Verquerschnittungsansatz“ laut: Kann die Gender-Rhetorik tatsächlich hierarchische Machtverhältnisse verändern? Und: braucht es nicht fortwährend eine rigorose Analyse männlicher Vorherrschaft? - Anstatt darauf zu achten, „dass nun auch Männer von den Gender-Projekten profitieren – als ob sie nicht immer schon die Nutznießer der anderen 95% der Projekte gewesen wären“, wie Saskia Wieringa die Gefahr der Verwässerung eines entwicklungspolitischen Engagements für Frauen-Menschenrechte 1997 scharf kritisierte.

Von der Analyse zur Umsetzung, von der Strategie zur Praxis: Gelingt eine systemische Transformation?

Die feministische Problemanalyse globaler patriarchaler Unterdrückung und vielfältiger Menschenrechtsverletzungen gegen die Selbstbestimmung von Frauen und LSBTIQ+ ist klar in der neuen BMZ-Strategie verankert. Dass Geberinstitutionen heute einen Zusammenhang zwischen Konflikt- und Krisensituationen einerseits und der Zunahme von sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt andererseits sehen, ist aber auch ein Resultat der fortwährend lauten Stimmen aus den Frauenbewegungen des Globalen Südens gegen die Gefahr des Etikettenschwindels, hinter dem die alten Verhältnisse unangetastet fortbestehen. Mit der feministischen BMZ-Strategie gehört nun eine intersektionale Analyse von diskriminierenden Strukturen, die Frauen und marginalisierte Gruppen in ihrer Diversität unterschiedlich oder gleichzeitig betreffen, explizit zum Instrumentarium der EU und des BMZ. Doch bleibt die Gefahr, dass eine solche Analyse nicht in die Herzkammern des Systems – in die Machtpolitik und Ökonomie – hineinreicht.

Das Momentum von Peking und der bis heute gültigen Aktionsplattform führten zu einer Welle institutioneller Vorkehrungen und Überprüfungsmechanismen, um die Vereinbarungen für Gleichberechtigung und Machtgewinn von Frauen und Mädchen wirksam umzusetzen: So wurde das Mandat der Frauenrechtskommission (CSW) erweitert, um die Selbstverpflichtungen der Regierungen in den zwölf Pekinger Handlungsfeldern zu erneuern. Permanent stehen bei diesen Verhandlungen besonders die Rechte zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Selbstbestimmung unter Beschuss. Deshalb gilt seit langem: Peking und alle anderen weitreichenden Vereinbarungen nicht mehr neu verhandeln, sondern schützen und verteidigen, und ihre vollumfängliche Umsetzung anmahnen.

Die Mühen der Ebenen feministischer Advocacy-Arbeit: Politikinstrumente der EZ

Gender Mainstreaming und die Verankerung von frauenpolitischen Forderungen in den Institutionen brachten auf internationaler Ebene neue Monitoring-Instrumente hervor: die UN entwickelte das Maß für Gender Empowerment (GEM), und konnte somit zeigen, dass in einem Land die Geschlechtergerechtigkeit nicht automatisch mit dem Fortschritt menschlicher Entwicklung ansteigt. Aus der Gender-Arbeitsgruppe im Ausschuss für Entwicklungshilfe (DAC) der OECD gingen die Kennungen zur Gleichberechtigung der Geschlechter (GG) hervor.

Mit dem Gender Policy Marker sollten fortan auf der Ebene bilateraler Zusammenarbeit alle Maßnahmen danach kategorisiert werden, ob die Gleichberechtigung der Geschlechter ein Haupt-, Neben oder gar kein Ziel ist. Schnell zeigte sich anhand der freiwilligen Erfassung, dass sich das geschlechterpolitische Engagement vieler Gebernationen auf die klassischen sozialpolitischen Felder, Gesundheit und Bildung, erstreckte und darin erschöpfte. Infrastruktur, Landwirtschaft und Finanzen fanden jedoch keine Beachtung. Wurde ein markanter Rückgang von Mainstreaming- (GG1) und Empowerment- (GG2) Projekten in einem Portfolio festgestellt - soweit die GG-Statistiken für die Zivilgesellschaft überhaupt zugänglich waren - nahmen feministische Netzwerke dies zum Anlass für öffentliche Kritik. Darüber hinaus blieben die Gender-Kennungen jedoch als politische Steuerungsinstrumente über viele Jahre sehr schwach. Erst Selbstverpflichtungen a) der EU-Kommission, dass bis 2025 85% aller Projekte in den Außenbeziehungen zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen sollen, und b) jetzt des BMZ, das den GG1 und GG2-Anteil sogar auf 93% erhöhen will, führen uns wieder aus den Niederungen der wenig ergiebigen Statistiken und auch aus der Gleichstellungsbürokratie heraus.

„Rescuing gender from the poverty trap“: Gender über Armutsbekämpfung hinausdenken

Gender-Expert*innen aus den Institutionen und den internationalen NRO, welche die Geschlechterpolitik der EZ-Institutionen kritisch begleiteten, haben in den Jahren der Millenniumswende enorm viel Zeit und Energie in die Analyse und Auswertung von Politikinstrumenten gesteckt. Mit den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs) wurden erneut umfassende Ansätze zur Armutsbekämpfung und der Verringerung globaler Ungleichheit diskutiert. Auch im BMZ wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, Genderansätze in die Politikinstrumente der Entschuldungs- und Armutsstrategien zu integrieren. Noch Frauenförderung oder schon Gender-Ansatz? Wurden sozio-ökonomische Empowerment-Konzepte auch im Finanzsektor und in der Infrastruktur entwickelt oder sollten die Frauen als vulnerable Gruppe wieder nur durch großzügig verteilte Kleinkredite aus der Armut befreit werden?

Rückwirkend betrachtet blieben die Feminist*innen in den Institutionen im Globalen Norden mit ihren Analysen damals meist in einer Blase. Sie diskutierten unter sich und mit den Expert*innen der Entschuldungskampagne oder der technischen Durchführungsorganisationen. Anders bei den genderpolitischen und feministischen Partnerorganisationen in den Ländern des Globalen Südens: Große Organisationen wie z.B. FEMNET aus Kenia verknüpften die Arbeit an entwicklungspolitisch geförderten Politikinstrumenten viel stärker mit Forderungen nach Beteiligung, Transparenz und Demokratisierung auf nationaler Ebene. Sie nutzten es zum Aufbau von Kapazitäten, Organisationen und zur Vernetzung in ihrem jeweiligen Kontext.

Gender auf die internationale Agenda

Vor dem Hintergrund der Vereinbarungen zur verbesserten Wirksamkeit der EZ (Paris 2005, Accra 2008) begannen die EU-Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland und das BMZ, ihren auf den Säulen Gender Mainstreaming und Empowerment beruhenden „dualen Ansatz“ zu einem dreigliedrigen Ansatz zu erweitern. Damit sollten „Gender-Anliegen in Kooperationsländern“ gestärkt werden, also mussten Geschlechterungleichheit und Missachtung von FrauenMenschenrechten auch im bi- und multilateralen Politikdialog, auf internationaler Ebene und in Regierungsverhandlungen verstärkt eingebracht werden. Lange schon war dieses „scaling-up“ von der feministischen Zivilgesellschaft – namentlich von Sara Hlupekile Longwe - gefordert und vor der „Verdunstung“ von Genderforderungen auf der höheren Politikebene gewarnt worden. Ein wichtiger Schritt, ein weiteres Politikinstrument, aber kein Paradigmenwechsel.

Geschlechtergerechte Entwicklungsfinanzierung und Gender Budgeting

Ein Gender Mainstreaming-Instrument entwickelte jedoch nicht nur im Globalen Süden besondere Sprengkraft: Gender Budgeting. Noch bevor die Entschuldungsdebatte immer wieder die Vorstellung von einem quasi „geschlechtsneutralen Markt“ bediente, und damit die Ignoranz der Entwicklungsökonomie gegenüber der hauptsächlich von Frauen geleisteten, unentgeltlichen Fürsorgearbeit bezeugte, waren schon in den 1990er Jahren in einigen Ländern – Nord und Süd – Pilotprojekte für geschlechtersensible Haushaltsansätze aufgesetzt worden. Diese hatten eine regelrechte Welle für Genderanalysen der Einnahmen und der Ausgaben eines Regierungshaushalts ausgelöst. Die Finanzierung der öffentlichen Hand ist bis heute zentral für eine geschlechtergerechte Entwicklung im Land, denn Krisen und Ausfälle der Sozialsysteme und der Infrastruktur der Daseinsvorsorge – Gesundheit, Mobilität, Wasserversorgung, Bildung - betreffen immer zuerst Frauen und marginalisierte Gruppen. Im Zuge der internationalen Debatten um Finanzierung von Entwicklung, um globale Handelspolitik mit unfairen Lieferketten, aber auch in der Auseinandersetzung um die chronische Unterfinanzierung der UN-Ziele für Geschlechtergerechtigkeit sowie im politischen Streit um eine finanziell ausgetrocknete feministische Zivilgesellschaft („Where is the money for women’s rights?“), wurde immer wieder die Forderung nach Gender Responsive Budgeting und einer gender-verantwortlichen Wirtschafts- und Fiskalpolitik erhoben.

Die EZ braucht geschlechtergerechte Klimafinanzierung - und ein feministisches Zuwendungsrecht. Globale finanzpolitische Fragen werden aktuell vor allem im Zusammenhang von Geschlechtergerechtigkeit und Klimafinanzierung diskutiert. Die Aktivist*innen im UNFCCC-Prozess, allen voran die in der Women and Gender Constituency zusammengeschlossenen NROs, haben auf den Klimakonferenzen (COPs) der letzten Jahre immer wieder einen direkten Finanzierungszugang für Frauen und marginalisierte Gemeinschaften auf kommunaler Ebene gefordert, damit die vom Klimawandel Betroffenen und Wissensträger*innen vor Ort effektiv mit Anpassungsmaßnahmen und Schadensausgleich handeln und das Überleben sichern können. Die langjährigen Forderungen nach einer geschlechtergerechten Klimafinanzierung haben auch bei den multilateralen Klimafonds seit 2015 zu einer langsam wachsenden Offenheit für mehr Gender-Verantwortlichkeit in ihrer Finanzierungsstrategie geführt.

Gegen ein „Watering the leaves – starving the roots”

In den neuen feministischen Leitlinien verspricht das BMZ, bisherige Mechanismen zur Finanzierung der lokalen Zivilgesellschaft und den (oft informellen) Graswurzelorganisationen zu prüfen. Das ist gut, aber tatsächlich braucht es feministische Förderrichtlinien und eine Transformation des Zuwendungsrechts, damit auch in den vielen Extremsituationen der Nothilfe, Katastrophenbewältigung und den zunehmend anti-demokratischen und autokratischen Kontexten Abrechnungen auch unbürokratisch erfolgen können. Es greift vor allem zu kurz, wenn – wie die Association for Women's Rights in Development (AWID) schon vor zehn Jahren anmahnte – nur die Vorzeigeprojekte gefördert werden, während die kollektiven Wurzeln der vielfältigen feministischen Bewegungen gelobt, aber finanziell ausgetrocknet werden.

Willkommen im Klub, Weltbank

Auch die Weltbank arbeitete im neuen Millennium an ihrem Image und entwickelte ein neues Politikinstrument: In den „Country Gender Assessments“ wurden – entsprechend einer umfangreichen Gender Analyse – die zentralen Geschlechterfragen und Ungleichheiten eines Landes identifiziert und Problemlösungen entwickelt. Doch sollte die höhere Wirksamkeit der finanziellen EZ wieder nicht unter der Maßgabe von Rechts- und Gleichheitsnormen erzielt werden, sondern von Wachstumssteigerung. Als die gewünschten Sofort-Effekte ausblieben, gab die Weltbank das Instrument wieder auf. Mit dem Aufkommen von Gender-Aktionsplänen in der Gebergemeinschaft, entwickelte auch die Weltbank 2007 einen GAP. Doch wieder lag der Fokus auf einer nachholenden ökonomischen Entwicklung für Frauen, und erneut wird die sozio-ökonomische Handlungsfähigkeit und Teilhabe von Frauen zum „business case“.

Während die Vereinten Nationen und die internationale Gebergemeinschaft zu diesem Zeitpunkt schon längst die Beseitigung der Ungleichheit der Geschlechter zu einem übergeordneten und eigenständigen Ziel ihrer Programme erklärt hatte und damit Chancengleichheit als ein Recht auf Entwicklung vertrat – brauchte die Weltbank bis zur Veröffentlichung ihres Weltentwicklungsberichts 2012, um Gleichberechtigung als ein eigenständiges Entwicklungsziel zu akzeptieren. Das war ein überfälliger Schritt und ein konzeptioneller Quantensprung in die Moderne. Doch bis heute bleibt „Gender equality as smart economics“ der rote Faden der Bank.

Was lange währt, wird endlich feministisch …

Ab circa 2015 verschaffen sich internationale feministische Wissenschaftler*innen und NGOs Gehör in diesen Institutionen. Doch während ein erweitertes Verständnis vom Geschlechterverhältnis als ein gesellschaftliches Machtverhältnis (gegenüber der bloß ungerechten Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern) im Geschlechterkonzept Eingang in die institutionellen Agenden findet, mussten und müssen auf dem realpolitischem Verhandlungsparkett Rückschritte in den Vereinbarungen verhindert werden. Mühsam und gegen erheblichen Widerstand reaktionärer Kräfte hatte die UN-Gemeinschaft mit der Verabschiedung der 17 Nachhaltigkeitszeile 2015 erneut ein eigenständiges Gender-Ziel durchsetzen können (SDG 5).

Es geht um ein nicht-binäres Verständnis von Geschlecht, d.h., dass nicht nur Geschlechterrollen wandelbar sind, sondern auch das Geschlecht als solches. LSBTIQ+ Menschen werden sichtbar, erneute Diskurse zum strukturellen Rassismus und Kolonialismus in allen Gesellschaften und auch innerhalb der feministischen Bewegungen machen die Mehrfachdiskriminierung von Frauen – in all ihrer Diversität - bewusst. Intersektionalität, Inklusion, der Einbezug von Männern in all ihrer Diversität und Maskulinitäten werden integraler Bestandteil vieler progressiver, vom Anspruch her transformativer Konzepte zur Überwindung von geschlechtsbasierter Diskriminierung und Ausgrenzung.

Wichtig ist die Weiterentwicklung von Gender- und entwicklungspolitischen Ansätzen dahingehend, dass sie machtkritisch bleiben, und sich dabei immer wieder auf die normativen und verbindlichen, multilateralen Rahmenwerke beziehen, die von der internationalen feministischen Gesamtbewegung mitgetragen werden. Entwicklungspolitische Konzepte müssen rechtsbasiert sein und sollen Selbstbestimmungsrechte von Frauen, Mädchen und allen diskriminierten Gruppen als übergeordnetes Ziel stärken. Normative Rahmenwerke werden von öffentlichen Diskursen beeinflusst. Beide haben erheblich dazu beigetragen, dass sich auch entwicklungspolitische Konzepte staatlicher Institutionen und natürlich auch nicht-staatlicher, zivilgesellschaftlicher Organisationen hinsichtlich ihres Verständnisses von Geschlechterrollen, Geschlechterinteressen und ihres Machtverhältnisses für Diversität und Transformation, für einen rechtsbasierten, intersektionalen und inklusiven Ansatz geöffnet haben.

 


Hier ausgewählte Literatur- und Linkverweise, auf die im Text Bezug genommen wird:

AWID, 2013 (Hrsg): Watering the leaves, starving the roots. The status of women’s rights financing for women’s rights organizing and gender equality 

Beiträge zur feministischen theorie und praxis, 1990: „Geteilter Feminismus“, Nr. 27/1990, Zeitschrift Hrsg.: Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V

DAWN, 1987: Development, Crises and Alternative Visions: Third World Women’s Perspectives 

Longwe, Sarah, 2013: “The Journey Towards Women’s Rights In Zambia”, TEDxLusaka 

Rodenberg, Birte, 2004: „Das Recht auf Geschlechtergleichheit in der Armutsbekämpfung der Entwicklungsinstitutionen“, in: femina politica 2/2004, S. 76-86

Rodenberg, Birte/Wichterich, Christa, 1999: Macht gewinnen. Eine Studie über Frauenprojekte der Heinrich-Böll-Stiftung im Ausland [nicht mehr verfügbar]

Von Braunmühl, Claudia, 2017: „Feministische Diskurse zu Entwicklungspolitik und Entwicklungstheorie“, in: Burchardt et al. (Hrsg.): Entwicklungstheorie von heute – Entwicklungspolitik von Morgen, S.133-150