In Baku entscheidet sich die Zukunft der Klimagerechtigkeit

Analyse

Die COP29 in Baku wird über die Zukunft der globalen Klimafinanzierung entscheiden. Entwicklungsländer fordern eine jährliche Unterstützung von 1 Billion USD fordern, aber wer dazu beitragen soll und wie die Mittel zugewiesen werden, ist noch umstritten. Wird dieser Gipfel das Versprechen von Klimagerechtigkeit und Gleichheit einlösen?

Modernes Gebäude mit Mustern im Vordergrund, dahinter die drei markanten Hochhäuser der Flame Towers in Baku.

 Illustration: Roter Text „New Collective Quantified Goal“ in der Mitte, umgeben von Symbolen für Labyrinth, Waage, Hand und Diagramm.

Der bevorstehende Weltklimagipfel in Baku, Aserbaidschan, wird als "Klimafinanzierungs-COP" bezeichnet, weil die wichtigste Entscheidung dort die Einigung auf ein neues kollektives quantifiziertes Ziel für die Klimafinanzierung (New Collective Quantified Goal, NCQG) ab 2025 sein muss. Dieses wird das derzeitige, völlig unzureichende jährliche Ziel von 100 Milliarden US-Dollar aus dem Jahr 2009 ersetzen. Das neue Ziel soll deutlich mehr und qualitativ bessere Klimafinanzierung bereitstellen und wird der Lackmustest dafür sein, ob das Versprechen des Pariser Abkommens noch eingehalten werden kann. 

Können die Mitgliedsstaaten, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten und Verantwortlichkeiten, gemeinsam und entschlossen handeln, um die Ambitionen bei den Klimaschutzmaßnahmen alle fünf Jahre zu erhöhen und die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen? Auf der COP29 geht es um nichts Geringeres als die Frage, ob die 2015 in Paris getroffene Vereinbarung noch gilt: Die Industrieländer unterstützen die Entwicklungsländer finanziell im Gegenzug für deren verstärkte Klimabemühungen. Und damit auch um die Zukunft von Klimagerechtigkeit und Fairness im multilateralen Klimaregime. 

Nachdem die letzte Globale Bestandsaufnahme auf der COP28 in Dubai die Unzulänglichkeit der derzeitigen kollektiven Klimabemühungen aufgezeigt hat, wird das neue Ziel - insbesondere sein Umfang - eine deutliche Botschaft an die Entwicklungsländer senden. Viele von ihnen sind in einem Teufelskreis aus Verschuldung und anhaltender Armut gefangen und von immer verheerenderen Klimaauswirkungen betroffen. Wie viel Ehrgeiz sie sich in ihren neuen nationalen Klimabeiträgen (Nationally Determined Contributions, NDCs) leisten können, die 2025 vorgelegt werden sollen, wird vom neuen Ziel abhängen. Schon in der Vergangenheit waren viele der Klimaverpflichtungen, die die Entwicklungsländer in ihrer ersten Runde der nationalen Klimaaktionspläne fünf Jahre zuvor dargelegt hatten, an die Bedingung geknüpft, dass sie angemessene finanzielle Unterstützung erhalten, welche neu und zusätzlich zur öffentlichen Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) und anderen öffentlichen Finanzströmen bereitgestellt wird. 

Auf der COP29 geht es um nichts Geringeres als die Frage, ob die 2015 in Paris getroffene Vereinbarung noch gilt: Die Industrieländer unterstützen die Entwicklungsländer finanziell im Gegenzug für deren verstärkte Klimabemühungen.

Das Mandat für die Festlegung eines neuen Ziels für Klimafinanzierung, "ausgehend von einer Untergrenze von 100 Mrd. USD pro Jahr, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Prioritäten der Entwicklungsländer", war bereits in dem Beschluss verankert, mit dem das Pariser Abkommen 2015 angenommen wurde. Die Bemühungen zur Festlegung des neuen Ziels wurden auf der COP26 in Glasgow in einen dreijährigen Prozess eingeleitet, der eine Kombination aus technischen Expert*innentreffen mit breiter Beteiligung von Interessengruppen und Beobachter*innen (bisher fanden elf Treffen weltweit statt), und politischer Steuerung durch jährliche hochrangige Minister*innentreffen vorsieht. Der Prozess wurde 2024 mit Verhandlungssitzungen fortgesetzt, die im Rahmen eines Ad-hoc-Arbeitsprogramms mit dem Ziel einberufen wurden, die Struktur und die Kernelemente eines Entscheidungstextes zu entwickeln, der in mehreren Iterationen,  einschließlich einer neuen Version, die kurz vor der COP29 veröffentlicht wurde, in Baku spannungsgeladen verhandelt werden wird - falls überhaupt ein neues Ziel beschlossen werden kann.

Die Diskussionen über ein neues Ziel waren in der Tat äußerst kontrovers, wobei Industrie- und Entwicklungsländer mit scheinbar unvereinbaren Positionen gegeneinander antraten. Trotz drei mehrtägiger Verhandlungssitzungen in diesem Jahr und wiederholter Versionen neuer Textentwürfe als Reaktion auf das Feedback der Verhandler*innen gab es bisher kaum Hinweise dafür, wie ein Überbrückungsvorschlag oder Kompromiss aussehen könnte.  Zwei Konsultationen auf Minister*innenebene in diesem Herbst in New York und Baku haben den Diskurs kaum vorangebracht. Es ist auch nicht klar, ob ein Kompromiss überhaupt wünschenswert ist, insbesondere für Entwicklungsländer, für die am meisten auf dem Spiel steht - wenn dieser nur den kleinsten gemeinsamen Nenner dessen liefert, was für alle Verhandlungsparteien akzeptabel ist.

Im Mittelpunkt des kontroversen Diskurses, für den bislang keine Lösung in Sicht ist, stehen nicht nur der Gesamtumfang des neuen Ziels, sondern auch die Antworten auf die grundlegenden Fragen, wer als Beitragszahler verpflichtet werden soll, wer Geld erhalten soll und wofür. Es geht zudem um die Frage, ob bei der Festlegung eines neuen Ziels die Lehren aus dem gegenwärtig gültigen 100-Milliarden-Ziel pro Jahr gezogen werden, um dessen Unzulänglichkeiten zu beheben. Dazu müsste nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellten Klimafinanzierung betrachtet werden, insbesondere, wie einfach oder schwierig der Zugang zu Finanzmitteln oder wie konzessionär die Finanzierung sein wird.

Druck, die Riege der Beitragszahler zu erhöhen...

Die Entwicklungsländer sind der Ansicht, dass der Vorstoß der Industrieländer, den Kreis der Länder zu erweitern, die einen Beitrag zum neuen Klimafinanzierungsziel leisten müssen, das Kernprinzip der 1992 verabschiedeten UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) untergräbt. Diese erkennt die gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten (common but differentiated responsibilities and respective capabilities, CBDR-RC) von Industrie- und Entwicklungsländern sowie die Notwendigkeit zu einer gerechten Umsetzung an, indem es die historische Verantwortung der Industrieländer als Hauptverursacher von Treibhausgasen im Rahmen eines Verursacherprinzips verankert (in den Anhängen sind die Länder mit den unterschiedlichen Verantwortlichkeiten aufgeführt). Sie legt auch das damit verbundene Mandat der Industrieländer (die 23 Länder im Anhang II des Übereinkommens) zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer fest. Entwicklungsländer bestehen darauf, dass Fairness und das Grundprinzip der CBDR-RC auf das neue Ziel anwendbar sind, weil sie das Pariser Abkommen als Bestandteil der Klimarahmenkonvention verstehen. Sie lehnen daher jegliche Beitragsverpflichtungen von Ländern für das neue Ziel ab, die im UNFCCC noch als Entwicklungsländer aufgeführt sind, beispielsweise China und andere Schwellenländer. 

Die Industrieländer hingegen bestreiten, dass das Pariser Abkommen unter die Klimarahmenkonvention fällt und an die Länderkategorisierung in dessen Anhänge gebunden ist, in denen die Verpflichtungen der Länder differenziert werden. Sie verweisen auf ihre eigenen finanziellen Schwierigkeiten sowie den enormen Unterstützungsbedarf und argumentieren, dass eine Reihe von Schwellenländern - vor allem China und die Petrostaaten der Golfregion mit ihrem wachsenden Wohlstand und ihren aggregierten Emissionen der letzten 30 Jahre - verpflichtet werden sollten, zum neuen Ziel beizutragen. Mehrere Industrieländer, darunter vor allem Kanada und die Schweiz, schlugen in ihren technischen Facheingaben potenzielle Kriterien wie das Pro-Kopf-Einkommen und die kumulierten oder die Pro-Kopf-Emissionen vor. Die Schweiz möchte, dass Länder, die zu den zehn größten derzeitigen Emittenten gehören und ein kaufkraftparitätsbereinigtes Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen von mehr als 22.000 USD haben, ebenfalls zahlen müssen, auch wenn sie nicht als Industrieländer gelten. Diese Formel würde Russland, Saudi-Arabien und möglicherweise China in den Pool der zur Klimafinanzierung verpflichteten Länder bringen. Im Gegensatz dazu würden Studien, die andere Kriterien - inklusive der Betrachtung historischer Emissionen - verwenden, China und andere bevölkerungsreiche Schwellenländer mit hohem Emissionsausstoß ausschließen. Sie führen das Argument an, dass die Verantwortung und finanzielle Kapazität auf Pro-Kopf-Basis dieser Länder viel geringer ist als die der meisten Industrieländer, obwohl China heute die zweitgrößte Volkswirtschaft und der weltweit größte jährliche Emittent ist. 

Entwicklungsländer bestehen darauf, dass Fairness und das Grundprinzip der CBDR-RC auf das neue Ziel anwendbar sind, weil sie das Pariser Abkommen als Bestandteil der Klimarahmenkonvention verstehen.

Anstatt von den fortbestehenden Verpflichtungen der Industrieländer abzulenken, kann die Entscheidung für ein neues Klimafinanzierungsziel alle anderen Länder dazu auffordern, mehr zu tun, und ihre Beiträge in Zukunft transparenter offenlegen. Im Rahmen des Pariser Abkommens werden Nicht-Industriestaaten, die dazu in der Lage sind, bereits ermutigt, freiwillig ebenfalls Finanzmittel bereitzustellen, und eine Reihe von Ländern hat dies auch getan. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Beispiel dafür: Sie haben den neuen Fonds zur Bewältigung von Verlusten und Schäden (Fund for responding to Loss and Damage, FRLD) unterstützt. Südkorea mit seinen Finanzbeiträgen zu mehreren Auffüllungsrunden des Grünen Klimafonds (Green Climate Fund, GCF) ist ein weiteres Beispiel. Eine aktuelle Analyse hat ergeben, dass China zwischen 2013 und 2022 auf freiwilliger Basis 45 Milliarden USD zur Unterstützung von Klimamaßnahmen in Entwicklungsländern bereitgestellt hat, was schätzungsweise 6 Prozent der gesamten Klimafinanzierung der Industrieländer im gleichen Zeitraum entspricht. 

Illustration: Infographic about climate finance. The USA, Germany, Japan, France, and the UK have collectively provided USD 61 billion. Details on taxes and levies.

Quelle: 10 Things to Know about Climate Finance: NCQG Edition 2024

...bei Bemühungen um eine Begrenzung der Empfänger

Dem Drängen der Industriestaaten auf eine Ausweitung der Beitragszahlenden stehen ihre Bemühungen gegenüber, die begrenzte öffentliche Finanzhilfe auf die ihrer Meinung nach am stärksten gefährdeten Länder zu konzentrieren, was häufig als Forderung nach einer "effektiveren" Klimafinanzierung formuliert wird. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries, LDC), kleinen Inselentwicklungsstaaten (Small Island Developing States, SIDS) sowie fragilen und konfliktbetroffenen Staaten. Letzteres ist eine Länderkategorisierung, die im UNFCCC nicht vorkommt. Hierin werden nur die besonderen Umstände von SIDS und LDCs anerkannt, und die Einführung fragiler und konfliktbetroffener Staaten in die Verhandlungen wird von vielen Entwicklungsländern als Versuch angesehen, sie mit dem Versprechen einer vorrangigen Unterstützung oder von Mindestzielen für die Mittelzuweisung an einige zu spalten. Dies hat in der Vergangenheit zu Spannungen geführt und könnte die Einigkeit der Entwicklungsländer in der Endphase der Verhandlungen stören. Dies wäre eine Neuauflage der Strategie, die die Industrieländer auch in der Designphase des neuen Fonds für Verluste und Schäden im vergangenen Jahr angewandt haben. Die Berechtigung aller Entwicklungsländer, finanzielle Unterstützung zu erhalten, ist ein Kernprinzip der UNFCCC und des Pariser Abkommens. 

Was steckt in einer Zahl? 

Bislang haben nur die Entwicklungsländer eine konkrete Zahl für den Umfang des neuen Ziels genannt, die sich ihrer Ansicht nach auf die von den Industriestaaten für Entwicklungsländer bereitgestellten und mobilisierten öffentlichen Mittel konzentrieren muss. Mehrere Gruppen von Entwicklungsländern, darunter arabische Staaten und die afrikanische Gruppe, haben einen jährlichen Betrag zwischen 1 und 1,3 Billionen USD vorgeschlagen, was etwa dem Zehnfachen des derzeitigen Ziels entspricht - welches sowohl den ausdrücklichen Bedarf als auch die wissenschaftlich belegte Finanzierungsnotwendigkeit ignoriert. Dieser Umfang öffentlicher Unterstützung durch den globalen Norden im Rahmen des neuen Ziels wird von der Zivilgesellschaft unterstützt, die darauf hinweist, dass die tatsächlichen Klimaschulden des globalen Nordens im globalen Südens viel höher sind. Wenn die Finanzierung des vollen Betrags im Jahr 2025 beginnen würde, entsprächen diese Forderungen in etwa den Kostenschätzungen von 5 bis 6,9 Billionen USD für die Umsetzung der nationalen Klimabeiträge (NDCs) der Entwicklungsländer bis 2030. Das geht aus dem neuen UNFCCC-Bedarfsermittlungsbericht (NDR2) des Ständigen Ausschusses für Finanzen (SCF) hervor. 

Der tatsächliche Bedarf ist zweifellos weitaus größer, da der NDR2 nur kostenpflichtige NDCs widerspiegelt (nur etwa die Hälfte der 5.760 von 98 Entwicklungsländern gemeldeten Bedarfe enthält Kostenberechnungen). Viele NDCs spiegeln geplante Maßnahmen zur Anpassung und zur Bewältigung von Verlusten und Schäden noch nicht ausreichend wider, ganz zu schweigen von den Zahlen für die zur Umsetzung benötigten Mittel. In ihrer Globalen Bestandsaufnahme der Fortschritte bei der Umsetzung des Pariser Abkommens auf der COP28 bestätigten die Länder die enormen finanziellen Anstrengungen, die erforderlich sind, um die wachsende Kluft zwischen dem Bedarf der Entwicklungsländer und den ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln zu schließen. Schätzungen zufolge werden für die Anpassung bis 2030 jährlich zwischen 215 und 387 Milliarden USD benötigt. Die Bewältigung steigender Verluste und Schäden könnte bis 2030 bis zu 671 Milliarden USD pro Jahr kosten. Und um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müssen bis 2030 jährlich etwa 4,3 Billionen USD in saubere Energie investiert werden, während die Kosten bis 2050 auf 5 Billionen USD pro Jahr ansteigen. 

Die Berechtigung aller Entwicklungsländer, finanzielle Unterstützung zu erhalten, ist ein Kernprinzip der UNFCCC und des Pariser Abkommens. 

Die Industrieländer erkennen an, dass das neue Ziel einen Anteil öffentlicher Finanzmittel enthalten muss, sind sich aber uneins darüber, wie groß dieser Anteil sein sollte. Ihr von den Vereinigten Staaten nachdrücklich vertretenes Argument ist, dass eine Klimafinanzierung in der erforderlichen Größenordnung nur erreicht werden kann, wenn das Ziel als mehrschichtiges globales Investitionsziel strukturiert ist. Ein solches Ziel würde nicht nur alle weltweiten Investitionen des Privatsektors in erneuerbare Energien oder Resilienzmaßnahmen umfassen (von denen sich die überwältigende Mehrheit nach wie vor auf reiche Länder und wenige Schwellenländer konzentriert), sondern auch alle inländischen Anstrengungen, einschließlich derjenigen, die die Entwicklungsländer angesichts fehlender Unterstützung für Anpassung und Bewältigung von Verlusten und Schäden bereits selbst unternehmen müssen. Dadurch würde die Gesamtsumme zweifellos größer, ohne jedoch den Umfang der Unterstützung der reichen Länder für diejenigen, die sie am dringendsten benötigen, wesentlich zu erhöhen. Die inhärente Klima-Ungerechtigkeit liegt auf der Hand: Die Entwicklungsländer zahlen bereits mit einem Verlust an Wirtschaftswachstum und Entwicklung für die Klimaauswirkungen, zu denen sie wesentlich weniger beigetragen haben als die Industriestaaten, die bis zu einem Jahrhundert länger von einem fossilen Wirtschaftswachstum profitiert haben. Die 55 am stärksten durch die Klimakrise gefährdeten Länder (V20) haben beispielsweise berechnet, dass sie zwischen 2000 und 2019 525 Milliarden USD oder ein Fünftel ihres Bruttoinlandprodukts durch den Klimawandel verloren haben. Und das obwohl ihre Gesamtbevölkerung von 1,74 Milliarden Menschen (ein Fünftel der Weltbevölkerung) nur für 4 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich ist. 

Es gibt Bestrebungen, die Klimaschulden der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern zu berechnen, einschließlich einer Entschädigung für die Aneignung des größten Teils des verbleibenden globalen Kohlenstoffbudgets, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Eine Studie aus dem Jahr 2023 zeigt, dass der globale Norden den Ländern des globalen Südens bis zum Jahr 2050 rund 192 Billionen USD an Reparationen schulden wird - das entspricht etwa 5 Billionen USD jährlich.  

Diese Zahlen relativieren die tatsächliche Forderung der Entwicklungsländer nach einer jährlichen öffentlichen Unterstützung durch die Industriestaaten in Höhe von rund 1 Billion USD, insbesondere vor dem Hintergrund eines globalen Finanz- und Wirtschaftssystems, das die Industrieländer begünstigt, z.B. durch die Kosten für den Zugang zu Kapital oder die Möglichkeit, Defizite zu machen. Einigen Berechnungen zufolge zieht die globale Wirtschaftsarchitektur jährlich etwa 2 Billionen USD an Nettofinanzströmen aus dem globalen Süden in den globalen Norden ab. 

Der Sechste Sachstandsbericht des IPCC hat dargelegt, dass weltweit ausreichend Kapital und finanzielle Liquidität vorhanden sind, um die Lücken in der globalen Klimafinanzierung zu schließen. Die Umlenkung der Finanzmittel auf Klimaschutzmaßnahmen und die Unterstützung der Entwicklungsländer ist aber eine Frage des politischen Willens und der Klimagerechtigkeit. Die Beendigung der Subventionen für fossile Brennstoffe und die Umlenkung der Militärausgaben, die sich im Jahr 2023 auf 2,4 Billionen USD  beliefen, aber auch die Besteuerung der Förderung fossiler Brennstoffe nach dem Verursacherprinzip durch eine Steuer auf Klimaschäden oder die Einführung einer globalen Vermögenssteuer müssen in Betracht gezogen werden, um die notwendige neue und zusätzliche Unterstützung für den Klimaschutz zu generieren, ohne die offizielle Entwicklungshilfe zu kannibalisieren. 

Struktur und Zeitrahmen sind ebenfalls wichtig

Was die Struktur des neuen Ziels betrifft, so sind sich die Länder auch uneinig darüber, ob und wie die Finanzierung der Bewältigung von Verlusten und Schäden einbezogen werden soll. Ein bedarfs- und wissenschaftsbasiertes neues Klimafinanzierungsziel sollte sie angesichts der Realität der eskalierenden Auswirkungen einbeziehen, idealerweise als Unterziel und dritte thematische Finanzierungssäule, gleichberechtigt mit der Finanzierung von Emissionsminderung und Anpassung. Dies ist die Ansicht von Entwicklungsländern und Beobachter*innen der Zivilgesellschaft, deren nachdrückliches Drängen darauf die Entscheidung auf der COP28 herbeiführte, den neuen Fonds für die Bewältigung von Verlusten und Schäden (FRLD) als einen Schlüsselfonds des UNFCCC-Finanzierungsmechanismus und des Pariser Abkommens einzurichten. Dieser ist strukturell gleichberechtigt mit dem GCF und der Globalen Umweltfazilität (GEF). Reiche Länder lehnen die Einbeziehung von Verlusten und Schäden in die Finanzierungsverpflichtungen des neuen Ziels ab und verweisen darauf, dass sowohl das Mandat für die Bereitstellung von Finanzmitteln im Pariser Abkommen, in dessen Rahmen das neue Klimafinanzierungsziel verhandelt wird, als auch das bestehende Ziel die Unterstützung von Verlusten und Schäden ausschließen. 

Die Umlenkung der Finanzmittel auf Klimaschutzmaßnahmen und die Unterstützung der Entwicklungsländer ist aber eine Frage des politischen Willens und der Klimagerechtigkeit.

Die Frage, wie schnell der Umfang des neuen Ziels erreicht werden soll, wenn auf der COP29 eine Einigung erzielt werden kann, bietet weiteres Konfliktpotential. Die Entwicklungsländer wollen, dass das neue Ziel mit Fokussierung auf bereitgestellte und mobilisierte öffentliche Mittel bereits im Jahr 2025 vollumfänglich erreicht wird, während Industriestaaten wie die der Europäischen Union die Zielerreichung mittels Aufstockung frühestens im Jahr 2035 sehen. Dies erinnert an das 2009 festgelegte 100-Milliarden-Ziel, das ebenfalls einen Aufstockungszeitrahmen von mehr als zehn Jahren bis 2020 vorsah. Das alte Ziel wurde ohne Zielvorgaben für Finanzierungsmarken als Meilenstein auf dem Weg zur vollständigen Zielerreichung festgelegt, was die Rechenschaftspflicht der beitragszahlenden reichen Länder einschränkte und die Erreichung des Ziels verzögerte. Dies sollte im Rahmen des neuen Ziels nicht wiederholt werden. 

Angemessene Quantität braucht auch Qualität

Eine der wichtigsten Lehren aus dem bestehenden 100-Milliarden-USD-Ziel ist die Notwendigkeit, qualitative Kriterien in die Bestimmung des neuen Ziels in eine COP29-Entscheidung miteinzubeziehen. Das erfordert ein klares Verständnis davon, was als Klimafinanzierung abgerechnet wird und wie. Die Erfüllung des 100-Milliarden-Ziels wurde beispielsweise nur über den Nennwert der bereitgestellten Finanzmittel kalkuliert, unabhängig von ihrer Konzessionierung und ihrer Bereitstellung als Zuschüsse oder Darlehen, wobei ein erheblicher Anteil der Darlehen zu Marktsätzen sogar als Unterstützung unter dem Klimafinanzierungsmandat gezählt wurde. Die Entwicklungsländer sehen die Verhandlungen daher als eine Gelegenheit, erneut Druck für eine einheitlich akzeptierte Definition von Klimafinanzierung zu machen. Der SCF des Klimaregimes verfügt zwar über eine Arbeitsdefinition dessen, was unter Klimafinanzierung zu verstehen ist, und hat diese erst in diesem Jahr aktualisiert, doch bleibt sie vage. Sie erlaubt im Wesentlichen eine Festlegung nach dem Bottom-Up-Prinzip auf der Grundlage des jeweiligen Landes, das die Industrieländer als Gegenstück zu den NDCs als Bottom-Up-Klimaaktionspläne verteidigen. Wenn in Baku ein Fortschritt in der Frage der Definition der Klimafinanzierung erzielt werden kann, würde dieser höchstwahrscheinlich in einer Art Ausschlussliste bestehen. Diese könnte einige Finanzierungspraktiken abdecken, wie z. B. die Anrechnung von Darlehen zu Marktkonditionen oder von Geldern, die über Expertenkreditagenturen bereitgestellt werden. Insbesondere da letztere mit dem alleinigen Ziel gewährt werden, Güter und Dienstleistungen von dem Land zu beziehen, das die Unterstützung bereitstellt. Diese Art der "gebundenen" Klimafinanzierung existiert derzeit in einem überraschenden Ausmaß, wie einige investigative Berichte gezeigt haben. 

Nach der jüngsten OECD-Bewertung der Fortschritte bei der Erreichung des 100-Milliarden-Ziels, das 2022 erstmals erreicht wurde, waren etwa 69 Prozent der Mittel Darlehen mit unterschiedlicher Konzessionalität, einschließlich eines großen Teils der Anpassungsmaßnahmen, die etwa 28 Prozent der öffentlichen Klimafinanzierung erhielten. Die meisten Darlehen wurden über multilaterale Entwicklungsbanken vergeben (wo 90 Prozent der Finanzmittel in Form von Krediten bereitgestellt wurden), während die Unterstützung in Form von Zuschüssen durch spezielle multilaterale Klimafonds wie den Anpassungsfonds oder den GCF (die den Großteil ihrer Mittel in Form von Zuschüssen bereitstellen) größer war. Das unterstreicht deren Bedeutung für die Bereitstellung von Klimafinanzierungen zu sehr günstigen Bedingungen als das Herzstück öffentlicher Unterstützung für Klimamaßnahmen, insbesondere da immer mehr Entwicklungsländer mit einem nicht tragbaren Schuldenstand konfrontiert sind. 

Infographic shows that 61% of climate finance is grant-based. 88% of financing goes to SIDS (Small Island Developing States), 81% to LDCs (Least Developed Countries).

Quelle: 10 Things to Know about Climate Finance: NCQG Edition 2024

Wie in einem UNDP-Bericht aus dem Jahr 2022 hervorgehoben wird, gehören mehr als die Hälfte der 54 am höchsten verschuldeten Entwicklungsländer auch zu den am stärksten von der Klimakrise bedrohten Ländern; und fast alle diese Länder zahlen heute das Vierfache dessen, was sie im Jahr 2010 an Auslandsschulden zu begleichen hatten. Dies untergräbt ihre Fähigkeit, die Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen oder Verluste und Schäden mit inländischen Finanzressourcen zu bewältigen, ganz zu schweigen von wichtigen Zielen der nachhaltigen Entwicklung und die Armutsbekämpfung. Die Konzessionsgebundenheit der Klimafinanzierung ist somit auch untrennbar mit Menschenrechten und Geschlechtergerechtigkeit verbunden, da die traditionelle und unbezahlte Sorgearbeit der Frauen angesichts der sich verschärfenden Klimaauswirkungen noch schwerer wiegt. Vor allem, wenn durch den Mangel an fiskalischen Spielräumen in Empfängerländern die für die Resilienzbildung der Bevölkerung so notwendige Stärkung sowie der Ausbau von sozialen Schutzsystemen ausbleibt. Sowohl quantitative Ziele für die Bereitstellung des Großteils der Finanzmittel in Form von Zuschüssen - und zwar ausschließlich für die Anpassung und die Bewältigung von Verlusten und Schäden - und für die Erhöhung des Anteils der über multilaterale Klimafonds fließenden Klimafinanzierung als auch das Mandat zur Berücksichtigung der Schuldentragfähigkeit bei der Bereitstellung von Klimafinanzierungsmitteln sowie ein Aufruf für eine umfassende Entschuldung - einschließlich eines substanziellen Schuldenerlasses durch ein "Klima-Schuldenerlassjahr" - sollten sich daher im neuen Ziel widerspiegeln. Es reicht nicht aus, Klima-Schuldenumwandlungen - die begrenzt, umständlich zu verhandeln und zu verwalten sowie weniger effizient als konditionierte Zuschüsse sind - oder klimaresistente Schuldenklauseln, die die Rückzahlung nach Klimakatastrophen vorübergehend aussetzen, vorzuschlagen. Stattdessen benötigen Entwicklungsländer langfristig eine Schuldenerleichterung und einen erweiterten fiskalischen Spielraum. 

Verbesserung des Zugangs und Subsidiarität

Der Erfolg einer erheblichen Steigerung der bereitgestellten und mobilisierten Klimafinanzierungsmittel wird geschmälert, wenn nicht gleichzeitig der Zugang zu Klimafinanzierungsmitteln verbessert und erleichtert wird, u. a. durch Aufträge an die Geldgeber, die Zugangsvoraussetzungen zu vereinfachen oder Konditionalitäten zu verringern. Das wäre z. B. durch Kofinanzierungsverpflichtungen und die Bereitstellung von umfassenden Klimadatensätzen als Grundlage für die Begründung der Klimarelevanz geforderter Finanzierungsunterstützung möglich. Ein zentraler Maßstab für die verbesserte Qualität der Klimafinanzierungsunterstützung im Rahmen des neuen Klimafinanzierungsziels wird die Verpflichtung sein, die Modalitäten für den direkten Zugang der regionalen, nationalen und subnationalen Institutionen der Entwicklungsländer zu erweitern und zu priorisieren. Dazu gehört auch eine deutliche Ausweitung der Möglichkeiten zur dezentralen Entscheidungsfindung bei der Klimafinanzierung auf der lokalsten Ebene, die möglich ist. Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips als qualitatives Kernprinzip des neuen Ziels würde bedeuten, dass der direkte Zugang der am stärksten Betroffenen zur Klimafinanzierung verbessert werden muss. Bei diesen Menschen handelt es sich häufig um marginalisierte Gruppen und Gemeinschaften. Die Klimafinanzierung muss lokal geführte Ansätze unterstützen, die die Bedürfnisse und Prioritäten von Frauen und LGBTQI+ Menschen, Kindern und Jugendlichen, indigenen Völkern, Menschen mit Behinderungen, Klimamigrant*innen oder Arbeiter*innen an vorderster Front der Klimakrise in aufnehmen und umsetzen, denn sie sind entscheidende Akteur*innen für gerechte und nachhaltige Klimaschutzmaßnahmen.

Ein zentraler Maßstab für die verbesserte Qualität der Klimafinanzierungsunterstützung im Rahmen des neuen Klimafinanzierungsziels wird die Verpflichtung sein, die Modalitäten für den direkten Zugang der regionalen, nationalen und subnationalen Institutionen der Entwicklungsländer zu erweitern und zu priorisieren.

Die Schaffung von Rechenschaftspflicht und Transparenz durch die Festlegung eines quantitativen Mindestziels für solche lokal zugänglichen und dezentralisierten Finanzmittel im neuen Ziel, das entweder jährlich oder durch Aufstockung über einen festgesetzten Zeitraum erreicht wird, und die regelmäßige obligatorische Berichterstattung darüber, wäre ein wichtiger Schritt nach vorn. Das bestehende 100-Milliarden-Ziel hat kein solches Mandat. Ähnlich könnte eine quantitative Erfolgsmarke in Betracht gezogen werden, um die Bereitstellung und Erhöhung des Anteils geschlechtergerechter Finanzmittel zu verfolgen und darüber Rechenschaft abzulegen. Solche technischen Zielvorgaben müssen von einem menschenrechtsbasierten Ansatz und einer Rahmensetzung für das neue Klimafinanzierungsziel geleitet werden, die Finanzierungsmechanismen wie Klimafonds, multilateral Entwicklungsbanken oder bilaterale Klimafinanzierer beauftragt, ihre Governance und Praktiken zu verbessern. Das kann gelingen, wenn sie mit den Gruppen und Gemeinschaften, die von der Klimafinanzierung direkt profitieren sollen, auf gleicher Ebene als Rechteinhabern interagieren, und nicht nur mit Banken und Finanzministerien als Kunden. 

 Infographic on improving climate finance access. Focus on simplifying processes, eligibility criteria, and best practices for multilateral climate funds like GCF and CIF.

Quelle: 10 Things to Know about Climate Finance: NCQG Edition 2024

Eine von Grundsätzen geleitete Operationalisierung

Die Bedeutung der direkten Bereitstellung von Finanzmitteln für lokale Gemeinschaften und die geschlechtergerechte Finanzierung für ein besseres neues Klimafinanzierungsziel wird durch die verhandelnden Länder in gewissem Maße anerkannt und grundsätzlich auch unterstützt. Trotzdem wird die Verankerung solch qualitativer Elemente als konkrete operationelle Verpflichtungen, die in einem verbesserten Transparenzrahmen verfolgt und über die regelmäßig Bericht erstattet werden muss, eine Herausforderung sein. Auf der Ebene von visionären Handlungsaufrufen bleiben solche Elemente ohne viel Durchsetzungskraft. Ebenso aufschlussreich wird es sein, zu sehen, ob und wo explizite Menschenrechtsformulierungen in den Beschluss zum neuen Ziel aufgenommen werden können. 

Menschenrechte - insbesondere die Rechte der ärmsten und vulnerabelsten Menschen und Gemeinschaften, die unverhältnismäßig stark von der Klimakrise betroffen sind - sowie die Kernprinzipien der Gleichheit, der Klimagerechtigkeit, des CBDR-RC, der historischen Verantwortung, des Rechts auf Entwicklung, des gerechten Übergangs und der Generationengerechtigkeit können nicht nur als illustrativer Kontext oder in einer Präambel für das neue Klimafinanzierungsziel erwähnt werden. Sie müssen die quantitativen und qualitativen Elemente des Ziels bestimmen und als operative Mandate und Verpflichtungen mit klarer Verantwortung und Rechenschaftspflicht im gesamten Beschlusstext verankert werden. Das neue Ziel muss auch die Überprüfung und regelmäßige Überarbeitung seiner Angemessenheit im Einklang mit veränderten Bedürfnissen der Empfängerländer im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ermöglichen. Und zwar im Rahmen der Bemühungen des Pariser Abkommens, die kollektiven Klimaschutzmaßnahmen in regelmäßigen Abständen zu verstärken. Nur dann wird das neue Klimafinanzierungsziel geeignet sein, dem Klimanotstand zu begegnen und den Menschen im globalen Süden die zusätzliche und angemessene Unterstützung zukommen zu lassen, die sie verdienen und die ihnen als Klimaschuld des globalen Nordens auch zusteht.