Bei dem EU-Referendum in der Republik Moldau kam es zu massiven Manipulationen. Berichte über gekaufte Stimmen, Lügen und Drohungen lassen den Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autokratie offen zu Tage treten.

Die Republik Moldau hat am 20. Oktober 2024 gewählt. Parallel zu den Präsidenschaftswahlen gab es ein Referendum zu der Frage, ob der Beitritt zur Europäischen Union als Ziel in die Verfassung aufgenommen werden soll. Man konnte im Dezember 2023, als die Beitrittsgespräche zwischen der EU und Chișinău aufgenommen wurden, den Eindruck bekommen, dass diese mutige Entscheidung, das Volk zu befragen, einer Welle an Euphorie geschuldet war. Nicht wenige BeobachterInnen zweifelten an der Weisheit dieser Entscheidung der Präsidentin Maia Sandu, das Volk zu befragen. Sie sollten Recht behalten.
Bei den Präsidentschaftswahlen ist nichts Außergewöhnliches passiert: Die amtierende Präsidentin Maia Sandu wird mit 42 Prozent gegen den Kandidaten der sogenannten Sozialisten Alexandr Stoianoglo (26 Prozent) am 3. November in die zweite Runde gehen. Das war erwartet worden, wenn auch mit etwas mehr Zustimmung für Sandu. Die Wiederwahl Sandus ist keinesfalls Formsache. Fast alle anderen erwähnenswerten KandidatInnen waren Moskau-freundlich bis -hörig. Um am 3. November die absolute Mehrheit zu bekommen, wird Maia Sandu NichtwählerInnen und die WählerInnen von Renato Usatii für sich gewinnen müssen. Beide Unterfangen werden äußerst kompliziert.
Das Überraschende in der Wahlnacht war der Ausgang des Referendums. Im Herbst 2020 wurde Maia Sandu mit überraschend klaren 57 Prozent ins Amt gewählt und hat angefangen, den etablierten Oligarchen das Leben schwer zu machen. Im Juli 2021 bekam ihre Partei PAS dann eine überwältigende Mehrheit im Parlament. Man hätte den Eindruck gewinnen können, ihr pro-EU-Kurs wird von einer breiten Mehrheit getragen und das Referendum ist nur eine Formsache. Seit dem Sommer 2021 ist viel passiert und man kann auch hier von einer Zeitenwende sprechen.
Die russische Vollinvasion in der Ukraine hat auch in Moldau Spuren hinterlassen. Der Systemkonflikt zwischen dem autokratischen Russland, was sich selbst perfider Weise als Friedenswahrer inszeniert, und liberaler Demokratie und EU-Annäherung, wofür Sandu und ihre PAS stehen, liegt nun offen zu Tage. Der Krieg im Nachbarland hat das Land ärmer gemacht, die Preise sind gestiegen und der Verlauf des Krieges macht wenig Hoffnung auf Besserung. Investitionen bleiben aus, der Trend zur Auswanderung konnte nicht gestoppt werden.
Bezahlte Stimmen, Lügen und Drohungen
Zehn Tage vor der Wahl hat ein JournalistInnen-Team vom Netzwerk „Ziarul de Garda“ eine Investigativ-Reportage herausgebracht, in der sich eine Journalistin mit versteckter Kamera in das „Aktivisten“-Netzwerk des in Moskau sitzenden, verurteilten Oligarchen Ilan Șor eingeschleust hat und über drei Monate recherchiert hat, wie das System direkter Zahlungen funktioniert. Schon vorher gab es Berichte über Flugzeuge aus Moskau nach Chișinău, in dem jeder Passagier 9.900 Euro in bar dabei hatte – 10.000 Euro sind legal. Der moldauische Sicherheitsdienst spricht von vermuteten 130.000 bezahlten Stimmen – etwa 150 Euro pro Stimme. Die sogenannten AktivistInnen sollten ihren Stimmzettel mit einem Nein abfotografieren, einschicken und dann dafür bezahlt werden. Parallel zu diesen Direktzahlungen gab es das fast schon erwartbare Konzert von Lügen und Drohungen mit Absurditäten, wie: „Wer in der EU sein Huhn selbst auf dem Hof schlachtet, kommt ins Gefängnis“. Oder „In Lehrerzimmern wird es LGBT-Quoten geben“ oder „Mit Maia Sandu wird Moldova zur nächsten Ukraine und Ziel von russischen Raketen“.
In Moldau gibt es – anders als in der Ukraine – eine große Community, die sich dem Kreml näher fühlt als einem von Sandu geführtem Chișinău. Es sind etwa 30-35 Prozent, die traditionell „sozialistisch“ wählen oder einer anderen Partei mit roter Farbe ihre Stimme geben. Diese leben zumeist im Norden und im gagauischen Teil im Süden des Landes. Durch die vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gedrückte Stimmung im Land ergaben Umfragen vorab eine Zustimmung im Referendum um 60 Prozent. Am Tag selbst kam es anders: 46:54 Prozent - gegen die EU! Vor allem die Direktzahlungen scheinen ihre Wirkung gehabt zu haben. In der Nacht von Sonntag auf Montag trat Maia Sandu sichtlich schockiert vor die Presse und sprach von einem beispiellosen Angriff auf die Demokratie. Später in der Nacht wurden dann noch die Diaspora-Stimmen ausgezählt und es wurde zu einer Zitterpartie mit gutem Ausgang: Um 8 Uhr morgens war klar: Das Referendum ist denkbar knapp gewonnen worden: 50,4 Prozent - vor allem dank der AuslandsmoldauerInnen und dem Chișinăuer Umland. Der Dämpfer und ein politischer Scherbenhaufen bleiben allerdings.
Demokratie gegen Autokratie
Die Republik Moldau scheint nicht gewappnet zu sein, um gegen die Desinformations-Kampagnen des Kreml und die Zahlungskraft für Stimmzettel anzukommen. Der 20. Oktober ist ein Präzedenzfall und alle DemokratInnen sollten sich anschauen, was hier passiert ist. Wir wissen nicht, was den Kreml ein Tag Krieg in der Ukraine kostet, aber 100 Millionen für den Sturz der moldauischen Demokratie scheint dagegen günstig. Man benutzt dabei nicht herkömmliche Waffen wie in der Ukraine, sondern dreht die Waffen der Demokratie gegen sie um: Informationen und Stimmzettel. Moldau scheint hierbei ein Zwischenkapitel im großen Streit zwischen Demokratien und Autokratien zu sein. Am 20. Oktober ist die Demokratie noch mit einem blauen Auge davon gekommen. Und natürlich wird man auf pro-europäischer Seite besser werden müssen – bei der Kommunikation, bei den eigenen Justizreformen, bei der wirtschaftlichen Entwicklung (vor allem im ländlichen Raum) – bei der Kommunikation am besten schon bis zum 3. November und dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl.
Ähnlich wie in Georgien scheint es in Moldau um eine Systementscheidung zu gehen. Ein Sieg der Autokraten könnte auch mit zukünftigen Wahlen irreversibel sein. So einigermaßen leise, wie die Oligarchen 2021 die Machthebel in Chișinău abgegeben haben, werden sie es nicht noch einmal tun, sollten sie wieder direkten Zugriff auf staatliche Institutionen bekommen. Die Zeiten haben sich seit 2022 grundlegend geändert. Die Stimmung ist verhärtet. Es ist im europäischen Interesse, dass Moldau nicht durch Lügen und Stimmenkauf an ein vom Kreml kontrolliertes Regime fällt und damit auch der Ukraine in den Rücken fällt. Schnell sollten auch die europäischen Partner aus dem 20. Oktober lernen, Schlüsse ziehen und für die moldauischen Parlamentswahlen im Juli 2025 besser aufgestellt sein.